Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie)

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 Präsentation transkript:

Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie) (und Sprachstörungen) Vorlesung WS 2007/2008 (Paßwort: Legasthenie23102007)

Entwicklungsstörung

Neligan & Prudham 1969

Entwicklung des willkürlichen Greifens nach Touwen 1984, S.19, aus Warnke 1988, S. 564

Entwicklung zum Gehen (Largo 2004)

Zum Behalten: Kindentwicklung und Zeit Menschliche Fertigkeiten entwickeln sich nach einem „Zeitplan“ (Ontogenese), jedoch: teils in Sprüngen vor – zurück - vor von Kind zu Kind unterschiedlich schnell und anders weibliche und männliche Entwicklung sind ungleich Alter Maß für „normal“ und „nicht normal“ es gibt „Kritische Phasen“ der Entwicklung

(O. Wasz-Höckert, J. Lind et al. 1968) „The Infant Cry“ (O. Wasz-Höckert, J. Lind et al. 1968) Geburtsschrei Schmerzschrei Hungerschrei Freudenschrei Nach WERMKE 2007

Wermke 2002

Wermke 2002

Wermke 2002

Wermke 2002

Wermke 2002

Wermke 2002

Umschriebene Entwicklungsstörungen (nach ICD-10) der motorischen Funktionen (F 82.) des Sprechens u. der Sprache (F 80.) schulischer Fertigkeiten (F81)

Umschriebene Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache Artikulationsstörungen Expressive Sprachstörungen Rezeptive Sprachstörungen

Legasthenie

Umschriebene Lesestörung (F 81.0) Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten nach ICD 10 (F81) Umschriebene Lesestörung (F 81.0) Umschriebene Rechtschreibstörung (F 81.1) Umschriebene Rechenstörung (F 81.2) u. E. des Sprechens und der Sprache (F 80.) u. E. der motorischen Funktionen (F 82.)

Lese- und Rechtschreibstörung Population der Kinder mit Lese-/ Rechtschreibschwäche LRS Ausschlusskriterien LRS bei LRS bei LRS bei LRS bei Minderbegabung neurologischer primärer Deprivation und mit allgemeiner Erkrankungen: psychiatrischer mangelnder Lese- Lernschwäche Aphasie Erkrankungen Rechtschreib- Alexie mit primärer unterrichtung: Agraphie oder sekundärer Analphabetismus Cerebralparese Lernleistungs- Sehbehinderung störung Hörbehinderung Umschriebene Lese- und Rechtschreibstörung

Diagnose und Differentialdiagnose

Multiaxiales Klassifikationsschema (Remschmidt, Schmidt, Poustka, 2001) Achse: Klinisch-psychiatrisches Syndrom Achse: Umschriebene Entwicklungsstörungen Achse: Intelligenzniveau Achse: Körperliche Symptomatik Achse: Assoziierte aktuelle abnorme psychosoziale Umstände Achse: Globale Beurteilung des psychosozialen Funktionsniveau

LRS-Epidemiologie UK (Lewis, Hitch, Walker, 1994) 3,9 % spezifische Lesestörung 1,3 % spezifische Rechenstörung 2,3 % zusätzlich Störung im Lesen und Rechnen Jungen:Mädchen bei LRS 3:1 bei Rechenstörung (pur oder mit LRS) 1:1

Geschlechterunterschiede bei der Entwicklungsstörung im Lesen (<15 %) (Rutter et al, JAMA, 291, 2004)

Bei folgenden Befunden an Entwicklungsstörung denken Alter des Kindes 8-12 Jahre Somatische Beschwerden ohne organpathologischen Befund - Kopfschmerzen, Bauchschmerzen .... Zu Hause krank - bei Arzt gesund In Ferien gesund - in Schulzeit krank Diskrepanz zwischen Leistung im Deutschen und anderen Leistungsbereichen

Psychopathologische Symptome bei Kindern mit Legasthenie Störung im Lern-Leistungsverhalten (Demotivation) Emotionale Störungen (Angst, Depression) “Hyperkinetische” Symptomatik-”Aufmerksamkeits-störung” Körperliche Beschwerden Störung im Sozialverhalten

Legasthenie-Verlauf (Mannheimer Studie, Esser, Schmidt 1994) Dissoziale Symptome mit 18 Jahren (Legasthenie - Nicht-Legasthenie) Nikotinkonsum* 56 % Alkoholkonsum* 31 % Arbeitsverweigerung 22 % Strafrechtliche Verurteilung 25 % * Häufiger als bei anderen Entwicklungsstörungen

Schule und Beruf In der Jugendzeit allgemeines Versagen in der Schule (z.B. Mathematik) Bis zu 66 % der Legastheniker müssen die Klasse wiederholen Trotz guter Intelligenz in Sonder- oder Hauptschule In wenig qualifizierten Berufen

Genetische Ursachen Legasthenie Auditives System Sprachwahrnehmung (=Diskriminationsfähigkeit von Lauten) Phonologische Bewußtheit (=Erkennen von lautlichen Strukturen der Schriftsprache) Genetische Ursachen Legasthenie Visuelles System Magno- und parvozelluläres System (=Verarbeitung von nicht-sprachlichen Reizen) Orthographische Bewußtheit

Pictogramme projeziert auf die Netzhaut Trauzettel-Klosinski 2004

Visuelle Subsysteme The parvocellular system is responsible for ... The magnocellular system is responsible for ...

Bewegungs-Einsatz * „Motion onset“ Winkelgeschwindigkeit: 2, 8 oder 16°/s Here you can see a scetch of the stimulating PC screen and the sinus grating still in the middle which will move suddenly to the left or right hand side * Eden et al. 1996, Vanni et al. 1997, Kubova et al. 1995

Langsame / schnelle Bewegung Here you can see our results for the motion onset condition: In this chart the GFP as a global measure is plotted over the time The red curve is for the fast motion condition and the blue curve for slow motion and you can see significant higher amplitudes for the fast condition

Kontroll- gegen LRS-Gruppe Next you can see the results of the comparison between controls and dyslexics at the fast motion condition Again there is the GFP over time Especially in the peak 4 region you can see a significant higher global amplitude

Here you can see a scetch of the stimulating PC screen and the sinus grating still in the middle which will move suddenly to the left or right hand side

Musterbewegung Muster Musterbewegungserkennung: Keine Aktivität in Region V5 bei Legasthenikern Mustererkennung: Keine Unterschiede in der Region V1/V2 (Eden et al., Nature 382, 66, 1996)

Schnelles Benennen

Überprüfung von phonologischer Bewußtheit (Schulte- Körne et al. 1998) Laut-zu-Wort-Zuordnung Laut-zu-Laut-Zuordnung Reime erkennen Laute verbinden Ist ein „S“ in Sonne? Beginnen „Maus“ und „Mond“ gleich? Reimen sich „Haus“ und „Maus“? Welches Wort ist das H/u/n/d?

Kontrolle Legasthenie Aktivitäten des Gehirns bei Sprachaufgaben: Kontrollpersonen zeigen gleichzeitig Aktivitäten im Broca-Zentrum, im Wernicke-Zentrum und in der Insula Legastheniker nur im Broca-Zentrum (Paulesu et al., Brain Vol. 119, 143, 1996; PET)

Paulesu et al. 2001

Englische Leser Italienische Leser Paulesu et al. 2000

Rechnen als Hirnfunktion aus: von Aster, Lorenz 2005

Rechnen als Hirnfunktion Kucian et al 2005 nach von Aster et al. 2006

Besonderheiten in Hör- und Sehbahn (Focus)

Legasthenie: Gen loci

DCDC2-ein Gen zur Legasthenie Double Cortin Domain Containing(Chrom.6) -Inst.of Human Genetics Bonn -Dep.of Biosciences-Karolinska Inst.Stockholm -Inst. Med.Biometrie und Statistik Lübeck -Abt.für Genomics, Life&Brain Center Bonn -Kliniken für KJPP Marburg und Würzburg -Dep.of Medical Genetics Helsinki

Fig. 5. In utero RNAi against DCDC2 Meng, Haiying et al. (2005) Proc. Natl. Acad. Sci. USA 102, 17053-17058 Copyright ©2005 by the National Academy of Sciences

Neuronales Netzwerk bei Dyx1c1 der Ratte Rosen et al. 2007

Molekulargenetische Befunde Insgesamt 6 chromosomale Regionen auf 1, 2, 3, 6, 15 und 18. Ein Gen konnte bisher nicht identifiziert werden. Kopplung mit: Lesen, Rechtschreiben, phonologischer Bewusstheit, orthographischem Wissen, raschem Benennen.

Hilfestellung in der Legastheniebehandlung in den Bereichen Familie Schule Therapie (ambulant, teilstationär, stationär)

Ansatzpunkte der Legastheniebehandlung Lesen und Rechtschreiben intrapsychische Verarbeitung sekundäre psychische Symptome

Förderung im Lesen und Rechtschreiben  Vermittlung von basalen Fähigkeiten  Buchstaben-Laut-Zuordnung  phonologische Bewusstheit  Lautgetreues Lesen und Rechtschreiben  alphabetische Strategie  Rechtschreibregeln  orthographische Strategie

Hören, lauschen, lernen 2 (Plume & Schneider 2004)

Präventives Training zum Lesen und Rechtschreiben (Schneider et al.) Risikokinder profitieren von spezifischen Trainingsmaßnahmen Am meisten von einem kombinierten Training von phonologischer Bewusstheit und Buchstaben-Laut-Zuordnung

Lautgetreue Rechtschreibförderung (Reuter-Liehr) Fehleranalyse Phonemfehler Ketreide - Getreide Ktze - Katze Regelfehler schpielen - spielen forsicht - Vorsicht Schrek - Schreck Speicherfehler braf - brav kal - kahl 4) Restfehler (Großschreibung, Fremdwörter)

Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie) Nachteilsausgleich Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie) Feststellung: fachärztliche Bescheinigung schulpsychologische Bewertung Muss-Bestimmung

Legasthenie-Erlass Hilfen Zeitzuschlag bis zu 50 % Mündliches Abfragen/Erarbeiten Vorlesen von Aufgaben Mediale Hilfen

Nachteilsausgleich Leistungsbewertung: Verzicht auf Leistungserhebungen für Rechtschreibkenntnisse keine Benotung der Rechtschreibung bei schriftlichen Arbeiten, auch nicht bei Fremdsprachen Gewichtung mündlicher und schriftlicher Noten 1:1