Teilstationäre psychiatrische Behandlung Die Tagesklinik in der psychiatrischen Versorgungslandschaft U. Junghan Universitäre Psychiatrische Dienste Bern.

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Teilstationäre psychiatrische Behandlung Die Tagesklinik in der psychiatrischen Versorgungslandschaft U. Junghan Universitäre Psychiatrische Dienste Bern

Entwicklung tagesklinischer Behandlungsangebote Eine kurze Geschichte der Tagesklinik Tagesklinik zwischen Ideologie und Alltagsrealität Gemeindenahe tagesklinische Akutbehandlung Zurück in die Zukunft und die Herausforderungen

Entwicklungsstationen der Tagesklinik 1933 erstes KH ohne Bett in Moskau (Dzhagarov) 1946 Eröffnung einer TK in Montreal (Cameron) 1948 erste TK in London (J Bierer) 1949 TK der Menninger Foundation in 1952 TK der Massachusetts Mental Health Center 1961 TK der Heckscher Klinik f. Kinder u. Jugendliche in München 1962 bis 1969 TKs an den Universitätskliniken Frankfurt, Heidelberg, Tübingen Hannover Düsseldorf 1970-1980 Gründung doppelt sovieler TKs wie 1960-69 1986 ca 150 TKs mit 2400-3000 Plätzen; Wochenpläne werden therapeutisch 1997 erste Schweizer Tagesklinik zur Akutbehandlung in Bern 2003 etwa 10000 TK Plätze im deutschsprachigen Raum

Die ideologische Debatte hat begonnen „Teilhospitalisierung fordert die drei Prämissen des medizinischen Modells in der Psychiatrie heraus: 1. Der Wert des Bettes wurde verringert; 2. Familie und Umgebung werden in Behandlung miteinbezogen; 3. Das Krankenhaus wird zu einem Teil des Behandlungssystems, in dem der Weg beginnt“ Cameron 1947 (zitiert nach DiBiella et al 1982)

Differenzierung Tagesklinischer Angebote (Seidler 2006) Umfrage bei 430 Tageskliniken BRD Funktionell: Psychotherapy Krisenintervention Rehabilitation Inhaltlich Psychodynamisch sozialpsychiatrisch Verhaltenstherapeutisch sozialpsychiatrisch Psychodynamisch soziotherapeutisch

Spektrum der Tagesklinik Tagesklinische Behandlung deckt gegenwärtig unterschiedliche Phasen in der Behandlung psychisch Kranker ab (uneinheitliche Begriffe) day hospital day treatment day care 90% aller TKs bieten Behandlungskombinationen in den Bereichen Pharmakotherapie, Psychotherapie, soziales Kompetenztraining, Körper- und Bewegungstherapie und Ergotherapie

1963 Community Mental Health Act Ein Blick nach Amerika 1963 Community Mental Health Act Rasante Vermehrung von Tagesklinik-Programmen Das Paradox der Unterbelegung Beginn des „Tagesklinik-Sterbens“ in den 70er Jahren Renaisance der TK zur Akutbehandlung in den 90er Jahren

Definition teilstationärer Behandlungsangebote Teilstationäre Einrichtungen sind „ ambulante Behandlungsangebote, die umfassende medizinisch diagnostische, psychiatrische und auf die Wiedereingliederung ausgerichtete Behandlungsangebote für Patienten mit schweren psychischen Störungen bereithalten, die koordinierte, umfassende, multidisziplinäre Behandlungsansätze benötigen, die nicht in ambulanter Einzeltherapie geleistet werden können.“ American Association for Partial Hospitalization 1982

Tagesklinische Akutbehandlung schwer psychisch Kranker Das „ob machbar“ ist seit 40 Jahren geklärt, das „wie in der Routineversorgung umsetzen“ bleibt bis heute in wesentlichen Details offen.

Tagesklinische Akutbehandlung Vergleichbare Resultate mit stationärer Behandlung Trotz längerer Behandlungsdauer Kostenvorteile Höhere Zufriedenheit bei Patienten und deren Angehörigen Keine höhere Rate an negativen Behandlungsergebnissen Keine Vorteile bei der sozialen Anpassung und den Rückfallraten Selektive Patientengruppen Marshall et al.2003

Tagesklinik für die Akutbehandlung psychisch Kranker (Zwerling & Wilder 1964) Tagesklinik mit max. 30 Behandlungsplätzen Ca. 15 Vollstellen im Behandlungsteam Milieutherapie, tiefenpsychologischer Hintergrund, Schwerpunkt Gruppen Patientenorganisation: Untergruppen „Home-Treatment“ Evaluation von 189 tagesklinschen Behandlungsfällen Zuweisung per Randomisierung aus der Notaufnahme eines Allgemeinkrankenhauses Universitätsanschluss Versorgungsregion von 650.000 Einwohnern mit 100 psychiatrischen Betten

Tagesklinik für die Akutbehandlung psychisch Kranker (Zwerling & Wilder 1964) Behandlungssetting: 74/189 nur Tagesklinik 51/189 eine oder mehrere stationäre Episoden 64/189 von der TK zurückgewiesen und vollständig stationär behandelt 64/189 Patienten wurden nicht für TK akzeptiert 4 Patienten wurden zur vollstationären Behand-lung weitergeleitet 2 Todesfälle Insgesamt 119 (63%) Patienten aus der TK entlassen Median Aufenthalt 8 Wo

Problembereich „Zugangswege“ zur Behandlung Aufgrund komplexer Interaktionen zwischen Patienten, deren Umfeld und verfügbaren Versorgungsanbietern entstehen Patientenströme, die überwiegend von der „Angebotsseite“ her gesteuert werden Die einzelnen Angebote bedienen dabei einen „kompetitiven Markt“ (Bergold et al. 1977) Daneben werden die Standards der Versorgungsanbieter durch den Informationsstand (die Vorurteile) ihrer Entscheidungsträger bestimmt (Washburn 1976) Schlussfolgerung: Tagesklinische Akutbehandlung ist erfolgreich bei: -geringer Kapazität an stationären Akutbetten -bei allgemeiner Akzeptanz als zentraler Versorgungsbaustein(zentralisierter Zuweisungsmodus) -bei Stabilität der Zugangswege

Problembereich Behandlungsangebot Auswahl der Behandlungsschwerpunkte für die Akutbehandlung Gleichzeitige Behandlung von Menschen mit verschiedenen Erkrankungen und jeweils unterschiedlicher Phase ihrer Erkrankung Unklarheit über die Effektivität von traditionell eingesetzten Behandlungselementen Unklarheit über die Kosten-Nutzen spezifischer Interventionen

Fragen zur tagesklinischen Akutbehandlung Mit welchen Elementen der psychiatrischen Behandlungsangebote kombinieren? Gibt es eine „optimale“ Zielgruppe für die tagesklinische Akutbehandlung? Welche Therapieangebote eignen sich?

„Der letzte Stand des Irrtums“ Day hospital versus outpatient care for people with schizophrenia Elena Shek, Airton T Stein, Flavio M Shansis, Max Marshall, Ruth Crowther, Peter Tyrer; Mai 2010 Psychiatric day hospitals offer care that is less restrictive than inpatient care but more intense than outpatient care. Day hospitals can be used to provide more intense/specialised outpatient care to people resistant to treatment (day treatment programmes) or to those needing long-term care (day care centres). They can also bridge the gap between inpatient and outpatient care (transitional day hospitals). This review compared day hospital care (in day treatment centres and transitional day hospitals) to outpatient care. Overall there was insufficient evidence to determine whether any of the three types of day hospital care had substantial advantages over outpatient care.

„Der letzte Stand des Irrtums“ Day hospital versus admission for acute psychiatric disorders Max Marshall, Ruth Crowther, William Hurt Sledge, John Rathbone, Karla Soares-Weiser; Dezember 2011 Day hospitals are a less restrictive alternative to inpatient admission for people who are acutely and severely mentally ill. This review compares acute day hospital care to inpatient care. We found that at least one in five patients currently admitted to inpatient care could feasibly be cared for in an acute day hospital. Patients treated in the day hospital had the same levels of treatment satisfaction and quality of life as those cared for as inpatients. The day hospital patients were also no more likely to be unemployed at the end of their care.

„Der letzte Stand des Irrtums“ Day centres for severe mental illness Jocelyn Sarah Catty1, Tom Burns, Adelina Comas, Zoe Poole The last 30 years have seen a large increase in the number of people with severe mental illness receiving treatment whilst living at home. Community care of the severely mentally ill is frequently enhanced by care provided by day centres run by non-medical services (Social Services in the UK, or the charitable sector). In this review we sought, but could not find, any evidence from well-conducted randomised trials of the effects of non-medical day centres. Day centres are currently becoming prominent in service planning, but this is not based on good evidence as to their effectiveness for people suffering from severe mental illness. If a choice between facilities is available, people with serious mental illnesses and their carers are currently left to make their own judgements based on the evidence of experience and a few non-randomised studies

Moderne evidenzbasierte Psychiatrie: Was ist belegt? Jahreskongress der SGPP September 2005 in Aarau Moderne evidenzbasierte Psychiatrie: Was ist belegt? Ambulant vor teilstationär vor stationär? Der Weg hin zu einer patientenzentrierten psychiatrischen Versorgung Dr. med. U. Junghan Leiter Versorgungsforschung Sozialpsychiatrische Universitätsklinik Bern

Ambulant vor teilstationär vor stationär? Eine falsche Frage Evidenz im Hinblick auf psychiatrische Versorgungsstrukturen Mythen zur stationären psychiatrischen Behandlung; Versuch einer Klärung

Psychiatrische Versorgung? Versuch einer Problembeschreibung „Ambulant vor stationär?“ Eine falsche, da nicht mehr aktuelle Frage! Stand der Diskussion in der psychiatrischen Versorgungsplanung - „optimaler Mix“ der Angebote (WHO 2003) Grundlagen: Patientenzentrierung Verteilungsgerechtigkeit i. S. einer Bedarfsanpassung Niederschwelligkeit Beachtung der Persönlichkeitsrechte Forderung nach Evidenz als Folge des Kostendrucks akzentuiert Zentrale Frage: Effektiver / effizienter Ressourceneinsatz

Eine erste, vorläufige Schlussfolgerung...... Die Frage nach der Evidenzbasierung einer „Rangreihenfolge“ hinsichtlich ambulanter, teilstationärer und stationärer Behandlungsindikation ist wissenschaftlich (vermutlich) nicht zu beantworten Die eigentliche Frage lautet: Welche Behandlung erweist sich bei einer gegebenen psychisch kranken Person, bei gegebener Versorgungsstruktur, gegenüber einer möglichen anderen Behandlungsoption als vorteilhaft, hinsichtlich ............ Zentraler Angelpunkt ist ein fachlicher und gesellschaftlicher Konsens über die bereitgestellten Möglichkeiten (Finanzen) und die Ziele in der Behandlung psychisch Kranker

Expertenkonsens im Hinblick auf die notwendigen Komponenten eines psychiatrischen Versorgungssystems (WHO 2003)

Evidenzlage ausgewählter psychiatrischer Versorgungsansätze Zufrieden- heit Negative Effekte Kosten Symptome Modell Problem Akuttagesklinik Marshall 2003; Horvitz Lenon 2001 + - + + + - Selektion; ca. 40% der Akutpatienten Krisenintervention Joy 2003; + - ? + + - ca. 50% Hospitalisation Assertive Community Treatment Marshall 2003; + - + + + - Heterogenität der Angebote

Tagesklinik als „dialektisches“ Prinzip allgemeinVersorgung vs. Spezialeinrichtung Akutbehandlung vs Langzeitbehandlung Niederschwellig vs selektiv Integriert vs abgegrenzt Dogmatisch vs entwicklungsfähig