„Woran krankt unsere Wirtschaft?“

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 Präsentation transkript:

„Woran krankt unsere Wirtschaft?“ Vortrag von Prof. Dr. Reinhard Haupt am 17.03.2006 im Rahmen einer Vortragsreihe der EFG Jena

Arbeitslosenquote

Unternehmensinsolvenzen (in 1.000)

Zukunft der Rentenversicherung: immer weniger Beitragszahler kommen für immer mehr Rentenempfänger auf, die immer länger leben „Magisches Dreieck“: Lösung durch steigende Beitragssätze, geringere Renten oder späteren Eintritt ins Rentenalter oder durch eine Kombination von allen drei Maßnahmen

Objektive, harte Ursachen für Kriseneindruck: „Standortfaktoren“, „Standort D“ = Argumente für/gegen Firmensitz in Deutschland: vor allem: Kosten der Arbeit Stundenlöhne + Lohnzusatzkosten = Arbeitskosten

Arbeitskosten (Verarbeitendes Gewerbe, im Jahr 2004, in € pro Stunde)

Standortdiskussion besonders verschärft durch „Globalisierung“ der Wirtschaft: Offene Grenzen machen aus heimischer Wirtschaft einen internationalen Marktplatz mit grenzenlosem Wettbewerb Nicht nur Waren-, Geld- und Datenströme fließen praktisch ungehindert und weltweit, sondern auch Arbeitsplätze wandern leicht in die Lohnkostenoasen ab.

Andere Standortargumente pro D: Infrastruktur Ausbildungssystem Rechtssicherheit sozialer Frieden . . . contra D: Arbeitskosten Abgabenbelastung langwierige Genehmigungsverfahren (Bürokratie, Regelungsdichte) . . .

Gegenwärtige wirtschaftliche Schwierigkeiten besonders bedrückend empfunden vor Hintergrund der „goldenen Gründerjahre“: drastische wirtschaftliche Verbesserungen (spürbarer jährlicher Rückgang der Arbeitslosigkeit) massive Einkommenserhöhungen: Anstieg der Realeinkommen auf das Vierfache zwischen 1950 und 1980 Kaufkraftzuwachs und Nachholbedarf haben eine Aufwärtsspirale erzeugt aus Aufbauwillen und Leistungselan Wachstum und Wohlstand Signale von Hoffnung, Optimismus, Zukunft

Aufbauwille, Leistungsbereitschaft: Hinweis auf außerwirtschaftliche, weiche Ursachen, z.B. Einstellungen, Werte, Überzeugungen Nicht nur  Preise und Kosten,  Renditechancen und Ertragserwartungen  „catch-up“ - Effekte des Nachholbedarfs (Nachkriegszeit) führen zu harten €-Ergebnissen, sondern auch Haltungen, Maßstäbe, Denkweisen schlagen sich in wirtschaftlichen Zahlen nieder. Hat der Wertewandel - neben offensichtlichen ökonomischen Ursachen - zu kritischen Entwicklungen mitbeigetragen ? Hat eine Ethikkrise unsere Erfolgskrise mitverursacht ? Hat ein Werteverfall das Gefälle vom Wirtschaftswunder zur Wirtschaftskrise verschärft ?

Zwei Seiten des Werteverfalls niedrigere Hemmschwelle zum Betrug (z.B. Unwahrheit, Diebstahl) Anspruchsdenken (z.B. Erwartungshaltung, Besitzstandsdenken) Betrug, z.B. Bilanzfälschung, Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, ist offensichtlich illegal. Anspruchsdenken, z.B. Spitzengehälter, -abfindungen, Ausnutzen des sozialen Netzes, kann durchaus legal, aber zugleich illegitim sein; übertritt vielleicht keine gesetzlichen, aber moralische Normen (z.B. Rücksichtnahme, Entgegenkommen, Gesamtwohldenken)

Grauzone des Anspruchsdenkens schwieriger zu beurteilen als offensichtliches Fehlverhalten des Betrugs Anspruchsdenken oft in Form der sozialen Kälte (Maßlosigkeit von Managervergütungen) des sozialen Neides Wehleidigkeit gegenüber Nullwachstum Anspruchsdenken kultiviert eine „Vollkasko“ - Mentalität („was geht mich das an ?“) einen Mitnahmeeffekt („holen, was zu holen ist !“)

Beide Fehlhaltungen berühren Normen der „Zehn Gebote“ Betrug: 8. Gebot: „Du sollst nicht stehlen !“ 9. Gebot: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden !“ Anspruchsdenken: 10. Gebot: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus . . . noch alles, was dein Nächster hat !“ Betrug geschieht versteckt (List, Hinterhalt): „Falsche Waage ist dem HERRN ein Greuel“ (Spr. 11,1)

Anspruchsdenken bedeutet Willkür, Maßlosigkeit statt Fairness: „ . . . Wer schändlichen Gewinn haßt, . . . der wird in der Höhe wohnen“ (Jes. 33,15) „Es kamen auch die Zöllner . . . `Was sollen denn wir tun?΄ Er sprach zu ihnen: `Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist!΄ “ (Luk. 3,12 f.) Fehlhaltungen betreffen alle Bereiche der Wirtschaftsethik: Arbeitgeber und Arbeitnehmer Produzenten und Konsumenten Repräsentanten des Staates und Individuen

Anspruchsdenken Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt („Das Gesetz des Dschungels“, ZEIT / 04.12.03): „Die sichtbare Spitze des Eisberges . . . ist die Bezahlung von Spitzenmanagern . . . In Deutschland hat die Habgier die Bezüge nicht ganz so hoch [wie in den USA] getrieben. Aber immerhin erreichen einige unserer angestellten Spitzenmanager das Zweihundert- und Dreihundertfache des Jahresverdienstes eines durchschnittlichen gewerblichen Angestellten.“

Alt-Bundespräsident Roman Herzog (2003): „Schauen Sie sich die Sozialhilfe an! Was ich jetzt sage, gilt natürlich nicht für alle. Aber für viele ist es komfortabler, sich vom Staat aushalten zu lassen, als sich anzustrengen und etwas zu leisten.“ Bundespräsident Horst Köhler (Rede zum 3. Oktober 2004): „Wir haben wegen überzogener Ansprüche auf allen Seiten mehr Staat, als wir uns leisten können. Und wir haben auch mehr Staat, als für die Eigenverantwortung und Eigeninitiative der Menschen gut ist. “

beispielhaft: Subventionsforderungen Ausnutzen des sozialen Netzes beides kommt zusammen: (Über-) Versorgung durch Staat: Politik signalisiert Großzügigkeit bei öffentlichen Leistungen Scheu, eigene Ansprüche geltend zu machen, ist rückläufig  Forderungs- und Empfänger-Mentalität

z.B. Verzerrung der Arbeitslosenstatistik: „Jeder 5. Arbeitslose ist scheinarbeitslos“ (BRH / April 2003) Überbrückung einer Beschäftigungslücke bis zum Antritt einer schon sicheren Stelle Wahrung von Ansprüchen auf Rentenanwartschaften und auf Kindergeld Arbeitslosigkeit zur Umgehung von Lohnpfändungen (bei Überschuldung, Unterhaltspflichten) Arbeitslosigkeit und gleichzeitig Schwarzarbeit günstiger als reguläre Beschäftigung

Manche tarifrechtlichen, sozialen Regelungen in guter Absicht (soziale Sicherheit), aber mit schädlichen Folgen (Lähmung der Privatinitiative und Eigenverantwortung) Einstieg in „Reformagenda 2010“: Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe („Arbeitslosengeld II“) Lockerung des Kündigungsschutzes Zumutbarkeitskriterien der Arbeitsaufnahme . . . Weiterer Reformstau: Öffnungsklauseln für Flächentarifverträge: Betriebsvereinbarungen Aufgabe des „Günstigkeitsprinzips“ im Tarifrecht Sozialer Ausgleich durch Lohn- ergänzungs-, nicht Lohnersatz- leistungen (z.B. „Kombilohn“) . . .

Politische Wirklichkeit in der Vergangenheit: geschäftiger Aktivismus (Kommisionen, „Runde Tische“) aber: bei maximalen sozialen Betreuungsansprüchen - alles beim alten lassen: „Es muß dringend etwas geschehen – aber es darf nichts passieren !“ „ Die Sozialpolitik kümmert sich um die Opfer, die sie selbst verursacht“ (Georg Milbradt, MP von Sachsen) Soziale Marktwirtschaft zwischen „Ellbogen“ - Gesellschaft und „Sitzfleisch“ - Gesellschaft

Anspruchsdenken bei Managervergütungen: Maßlosigkeit nicht gerechtfertigt, weil Manager Angestellte, nicht Selbständige (Risikoträger), nicht so leicht kündbar wie in USA, nicht so leicht zur Offenlegung der Gehälter bereit sind; Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz (VorstOG): Börsennotierte Unternehmen müssen ab 2006 Vorstandsbezüge individualisiert im Jahresabschluß ausweisen.

Betrug „Brauchen Sie eine Rechnung, oder zahlen Sie bar ?“ „Schattenökonomie“, Ausweichwirtschaft, „moonlighting“: vor der Finanzverwaltung bzw. Sozialversicherung verheimlichte Umsätze, Arbeitsentlohnungen Beide Seiten haben Interesse an Schattengeschäften, (daher die weite Verbreitung) Schwarzarbeit: für Auftragnehmer ist Brutto- = Nettovergütung, Auftraggeber spart AG - Anteil zur Sozialversicherung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall u.a. Güterumsätze: Brutto- = Nettoumsatz (keine MWSt), attraktiv für Verkäufer und Käufer

Geschätztes Volumen an Schwarzarbeit: 350 Mrd. € entsprechend etwa 120 Mrd. € Ausfall an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen Anteil des in Schwarzarbeit erzeugten Sozialprodukts hat sich von 5 % (1975) auf 15,6 % (2005) erhöht. Hohe Abgabenbelastung und Lohnzusatzkosten erhöhen den Anreiz zur Schattenwirtschaft: Legale Maurerstunde kostet den Bauherrn ca. 40 €, Nettostundenlohn des Maurers beträgt dagegen nur ca. 8 €  starker wirtschaftlicher Druck auf Bauherr und Maurer, sich unmittelbar auf dem Schattenarbeitsmarkt, irgendwo zwischen 8 € und 40 €, zu treffen.

Managervergütungen als Aktienoptionen: zum Schutz des Aktionärsinteresses eingeführt, aber auch System der Selbstbereicherung: bei (massiv) steigenden Kursen: „Spirale der Gier“ („greed cycle“); bei fallenden Kursen: Versuchung - zur Bilanzfälschung (z.B. Enron) - zum Mißbrauch des Insiderwissens

Viele Spielarten von Betrug: Bilanzfälschung, Insiderwissen, Steuerhinterziehung, Versicherungsbetrug, Bestechung, Verfall der Zahlungsmoral, geplanter Konkurs usw., bis hin zu Ladendiebstahl und Schwarzfahren Jeder hat gute Argumente für Fehlverhalten: „Diese unbarmherzige Abgabenbelastung !“ (Schwarzarbeit) „Bei dieser mörderischen Konkurrenz !“ (Steuerhinterziehung) „Man bleibt ja sonst auf der Strecke !“ (Sozialhilfemißbrauch) . . .

Die Wertekrise, z.B. Betrug, Anspruchsdenken, hat die Wirtschaftskrise mitunterstützt. Aber die Wertekrise ist auch durch staatliche Politik beschleunigt worden. Werteverfall: Ursache der Krise Folge der Politik Niedrigere Hemmschwelle zum Betrug: durch Aushöhlung des Rechtssystems (Rechtsprechung, Strafverfolgung), durch Bagatellisierung von Unrecht in Erziehungswesen und Medienwelt

Höhere Neigung zum Betrug durch Abgabenbelastung und Regelungsdichte: Hoher Staatsanteil treibt Privatwirtschaft in Halbwelt der Schattenökonomie. Anspruchsdenken durch falsche Anreize des Staates gefördert: Wohlmeinende Großzügigkeit der Politik läßt eigene Anstrengung erlahmen - eine fatale Folge der Überversorgung. Ludwig Erhard: „Nichts ist unsozialer als der sogenannte Wohlfahrtsstaat, der die menschliche Verantwortung erschlaffen und die individuelle Leistung absinken läßt.“

Staat verstärkt den Werteverfall zweifach: wenn er zu viel fördert (Überversorgung unterstützt das Anspruchsdenken) wenn er zu viel fordert (Abgabenbelastung unterstützt den Betrug) Und er muß mehr fordern, um mehr fördern zu können.

Wie muß man die Soziale Marktwirtschaft (SMW) beurteilen? Bild der marktwirtschaftlichen Ordnung verzerrt: SMW verursacht Wertekrise: Unbehagen an Wettbewerbswirtschaft, durch Eigennutz in Schwung gehalten: - Unternehmen auf der Suche nach Marktchancen - Konsumenten auf der Jagd nach Schnäppchen - Arbeitnehmer mit einem Blick für attraktivsten Arbeitsplatz Moralische Entrüstung über Eigeninteresse als Motor der SMW: „Es muß doch auch eine Wirtschaftsordnung geben, die nicht vom Eigennutz lebt!“

Pragmatismus der SMW: sieht den Menschen illusionslos eigeninteresse-, nicht fremdinteressegeleitet, egoistisch, nicht altruistisch Karl R. Popper: „Wenn der Himmel auf Erden errichtet werden soll, entsteht die Hölle.“

Moralische (begrenzte) Disziplinierung durch Wettbewerb: Marktregeln, nicht moralische Imperative, bewirken leidliches ethisches Ergebnis: Belohnung desjenigen, der etwas Besseres als der Wettbewerb bietet: Qualität, Preise, Termine, Verläßlichkeit usw. Nicht der moralische Appell, sondern der marktliche „appeal“ (Überzeugungsfähigkeit) ist Steuerungsinstrument der SMW

Anreizethik unverzichtbar für Großgesellschaft Anreizethik unverzichtbar für Großgesellschaft (Volks-, Weltwirtschaft) tiefe Arbeitsteilung anonyme Austauschprozesse versus face-to-face-Beziehungen in Kleingruppen (Familie, Freundeskreis, Dorf, Kirchengemeinde usw.) Abstrakte, kalte Marktregeln zerstören warme Welt der persönlichen Beziehungen Aber: Samariterverhalten zerstört auch Wirtschaftsordnung (Entwicklungshilfe!)

Zwar begrenzter moralischer Einfluß des Wettbewerbs, aber: Anreizethik zu schwach Wirtschaftsordnung muß sich auf Wertewandel einstellen, zwar nicht Abschaffung, aber Bändigung des Eigennutzes: gegen Wertedefekte der Illegalität (z.B. Betrug): rechtliche Sanktionen, Medien-, Erziehungseinflüsse gegen Wertedefekte der Illegitimität (z.B. Anspruchsdenken): Anreize für Eigenengagement Karl Schiller: „Nicht . . . das marktwirtschaftliche Regelwerk, nicht der Wettbewerb . . . tendieren zur Raffgesellschaft, sondern die Beschädigungen unserer Moralregeln sind das Problem.“

SMW als robuste Ordnung bewährt, nüchternes Rechnen mit menschlichem Eigeninteresse Ordnung nicht ausgehebelt, wenn Christen nicht (einseitig) durch Eigeninteresse, sondern durch biblische Maßstäbe motiviert werden. Aber Belastung der Wirtschaftsordnung, wenn ursprüngliches Koordinatensystem von Werten unterstellt wird Regelungen, die dem Werterahmen von 1949 entsprachen, sind nicht unbedingt für den Wertekodex 50 Jahre später angemessen.

Wertekrise mitverantwortlich für die Wirtschaftskrise: Neben harten, ökonomischen Standortfaktoren belasten weiche Ethik - Standortfaktoren das Wirtschaftssystem Nicht nur Lohnsätze und weltweiter Wettbewerb, sondern auch Betrug und Anspruchsdenken kosten Arbeitsplätze und staatliche Verschuldung: Die Wertekrise ist auch teuer. Stabile Wirtschaftsbedingungen benötigen stabile Wertegrundlagen: Wertschöpfung benötigt Wertschätzung

Rede zum Amtsantritt des 1. Bundespräsidenten, Theodor Heuss: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk“ (Sprüche 14, 34) oder freier übertragen: Werteorientierung bedeutet gesellschaftliche Belastbarkeit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Fortsetzung des Zitats: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk - aber die Sünde ist der Leute Verderben“ mit anderen Worten: vielleicht folgt einmal der Wertekrise eine Wirtschaftskrise, dem Verfall des ethischen Kurses ein Verfall der ökonomischen Kurse, dem Gewissenseinbruch ein Gewinneinbruch, der Ethikkrise eine Erfolgskrise

Untersuchung der Zusammenhänge zwischen moralischen Grundlagen und wirtschaftlichen Ergebnissen einer Gesellschaftsordnung Max - Weber - These: wirtschaftliche Stärke der westlichen Industrieländer mit christlichem Ethos auf Basis der Reformation (Calvinismus) erklärt Wirtschaftsethik auf Grundlage einer reformatorischen Glaubensprägung: Einsatzwillen, Leistungselan, unternehmerische Betätigung Sparsamkeit, Konsumverzicht Aufrichtigkeit, Verläßlichkeit karitatives Engagement

Diese Werteordnung lebt nicht so sehr von materiellen Motivatoren (Einkommen, Macht) oder postmateriellen Motivatoren (Selbstverwirklichung, Anerkennung) als vielmehr von Glaubensüberzeugungen jenseits von Erfolgsanreizen: „Alles, was ihr tut, das tut von Herzen als dem HERRN und nicht den Menschen“ (Kolosser 3, 23) Zwangskreislauf von natürlicher Motivation (Gewinn oder Sinn) und Werteorientierung durchbrochen natürliche „Kausalität“ : Wertebewußtsein, wenn persönlicher Vorteil Wertemißbrauch, wenn keine Sanktionen auf Fehlverhalten

Anschauliche Beispiele in Geschichte für wirtschaftliche Blüte einer christlich geprägten Gesellschaftsordnung Aufnahme der aus Glaubensgründen in Frankreich verfolgten Hugenotten durch den Großen Kurfürsten (1685) in Brandenburg: kultivierte, unternehmerisch talentierte Schicht, deren Ansiedlung Brandenburg bzw. Preußen (1701) gut bekommen ist: Gewerbeentwicklung (z.B. Textilmanufakturen), Bildungseinrichtungen (z.B. Schulsystem), Sozialwesen (z.B. Armenfürsorge) „Er ist ein Hugenotte“: Redensart in Preußen im 18. Jahrhundert: Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit eines Geschäftspartners.

Ähnlich das Erziehungsmodell der Waisenhausarbeit von August Hermann Francke in Halle (um 1700): Bildungsfreundlichkeit (z.B. Vorläufer der Realschule), Arbeitsethos, Handwerksförderung des Hallenser Pietismus haben wirtschaftliche Leistungskraft Preußens unterstützt Langzeitwirkung von christlichen Wertefundamenten auf die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaftsordnung

Ist das so unbestritten, daß ein biblischer Wertekompass die wirtschaftliche Stabilität und gesellschaftliche Leistungskraft fördert? Vielfache Alltagserfahrung: „Der Ehrliche ist der Dumme“ (Ulrich Wickert) Gedanke, der auch in der Bibel thematisiert wird: „Ihr sagt: . . . ‘Was nützt es, daß wir sein Gebot halten ? . . . Denn die Gottlosen gedeihen, und die Gott versuchen, bleiben bewahrt‘.“ (Maleachi 3, 14 f.) Kurzfristig, vielleicht in der Tat, ist der Ehrliche oft der Dumme, aber über den Tageshorizont hinaus ergibt sich eine andere Bewertung:

„Ihr werdet am Ende doch sehen, was für ein Unterschied ist zwischen dem Gerechten und dem Gottlosen, zwischen dem, der Gott dient, und dem, der ihm nicht dient.“ (Maleachi 3, 18) Viele alltägliche Erfahrungen im Wirtschaftsleben: konsequente Verläßlichkeit und Wahrhaftigkeit bauen mit der Zeit ein Vertrauenspotential, einen Kundenruf, ein Firmenimage auf (z.B. Terminzusagen, Qualitätsgarantien), selbst wenn Konkurrenten zunächst einmal durch einen laxeren Wahrheitsumgang zu gewinnen scheinen

Fairness grundsätzlich möglich 3. Mose 25, 14-16: „Wenn du nun deinem Nächsten etwas verkaufst oder ihm etwas abkaufst, soll keiner seinen Bruder übervorteilen . . . Wieviel Jahre noch Ertrag bringen, soll er dir‘s verkaufen. Sind es noch viele Jahre, so darfst du den Kaufpreis steigern; sind es noch wenige Jahre, sollst du den Kaufpreis verringern; denn die Zahl der Ernten verkauft er dir.“

Wirtschaftsleben, Globalisierung als positive Beispiele in wirtschaftsbezogenen Gleichnissen benutzt (z.B. „Perlenkaufmann“/ Matth. 13,45 f. „Anvertraute Pfunde“/ Luk.19,11 ff.)

Sozialverpflichtung des Eigentums, Soziales Netz durch Staat: 2. Mose 22, 20-26: „ . . . Ihr sollt Waisen und Witwen nicht bedrücken. . . . Wenn du Geld verleihst an einen aus meinem Volk, an einen Armen neben dir, so sollst du an ihm nicht wie ein Wucherer handeln; du sollst keinerlei Zinsen von ihm nehmen . . .“

Aber auch „Subsidiarität“ (Verpflichtung zur Hilfe in erster Linie durch Nahestehende, z.B. Familie, dann erst durch Fernstehende, z.B. Staat): 3. Mose 25, 25: „Wenn dein Bruder verarmt und etwas von seiner Habe verkauft, so soll sein nächster Verwandter kommen und einlösen, was sein Bruder verkauft hat . . .“

Reichtum, Besitz, Einkommen: Bindung: „Denn die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricke und viele törichte und schädliche Lüste“ (1. Tim. 6,9) Illusion von Sicherheit: „Den Reichen in dieser Welt gebiete, daß sie nicht stolz seien, auch nicht hoffen auf den ungewissen Reichtum, sondern auf Gott.“ (1. Tim. 6,17)

Lifestylekonsum, Prestigeanschaffungen: Konsumherrschaft oder Kaufbewußtsein? „Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so lasset uns genügen.“ (1. Tim. 6,8) Dankbarkeit statt Anspruchsdenken und Eigenleistungsdenken 5. Mose 8, 11-18: „So hüte dich nun davor, den HERRN, deinen Gott zu vergessen . . . Wenn du nun . . . schöne Häuser erbaust . . . , dann hüte dich, daß dein Herz sich nicht überhebt . . . Du könntest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir diesen Reichtum gewonnen. Sondern gedenke an den HERRN, deinen Gott; denn er ist‘s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen . . .“

Umgang mit wirtschaftlichen Einschränkungen (Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarktreformen, Zukunftsunsicherheit usw.): Lebensstil - Ansprüche überprüfen: „Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie ich‘s finde . . . Ich kann beides: übrig haben und Mangel leiden.“ (Phil. 4,11-12) Geistliches „soziales Netz“ in der Gemeinde „Einer trage des anderen Last!“ (Gal. 6,2): Rückhalt zur Überwindung des Sozialneids zur Resistenz des Konsumzwangs Hilfe in akuter Not: „Den Reichen gebiete, . . . daß sie Gutes tun, . . . gerne geben . . . !“ (1. Tim. 6,17 f.)