Wortarten und Morphologie im Deutschen Einführung in die Germanistische Sprachwissenschaft Wortarten und Morphologie im Deutschen Graefen 2009
Wortarten Traditionelle: Verb Substantiv Adjektiv Artikel Pronomen Adverb Präposition Konjunktion Partikel Numerale Interjektion Neue Wortklassen: Verb Substantivwort Adjektiv Artikelwort Adverb Präposition Konjunktion Partikel Modalwort Negationswort Satzäquivalent Graefen 2009
Beispiele für neue Wortarten nach Helbig/Buscha-Grammatik: Substantivwort (anders: Duden-Grammatik) Er hat vermutlich zu schnell gegessen. Artikelwort (ebenso: Duden-Grammatik) Ich habe jedes Wort gehört. Modalwort (Duden: Satzadverb, Kommentaradverb) Er hat vermutlich zu schnell gegessen Satzäquivalent (?) Hallo! Machen Sie mal die Tür auf! Graefen 2009
Was ist eine Wortart? Seit der Antike wird der Wortschatz unter teils seman-tischen, teils grammatischen Gesichtspunkten eingeteilt, Einzelwörter werden so klassifiziert (→ Lexikographie). Die erste Einteilung (Platon, Aristoteles) war eine syntaktisch-inhaltliche: Aussage = onoma + rhema (→ Logik) Daraus wurden die Wortarten auf Basis der lateinischen Grammatik gewonnen. Latein war also das Modell für die deutsche Wortartenlehre (und viele andere). Die Wortarten und die Einteilungskriterien wechselten sprachgeschichtlich, waren immer wieder neu umstritten; Seit der Neuzeit gab es kleine Änderungen, Rückbe-sinnungen und große Änderungsideen. Graefen 2009
Logisch orientierte Satzlehre R H E M A O N O M A Urteil Verb Prädikat Satzaussage Substantiv Subjekt Satzgegenstand Graefen 2009
Morphologie, Teil 1: Flexion Die Lehre von der Gestalt (griech. morphe) der Wörter, wobei Form- und Ausdrucksseite verbunden sind. Die kleinste Einheit ist das Morphem. Lexikalische Mor-pheme heißen freie Morpheme, grammatische Morpheme heißen auch gebundene Morpheme. 1. Deutsch ist eine flektierende Sprache. Viele Wörter haben mehrere Wortformen, die in Stammmorphem und Flexionsmorphem zerfallen. Beispiel: bauen Stamm = bau-, Infinitivmorphem = -en du baust Stamm = bau-, Flexionsmorphem –st (2. Ps. Sing.) gebaut Stamm = -bau-, Präfix Partizip = ge- Suffix Partizip = -t Graefen 2009
Flexion: Die „Beugung“ der Wörter Die sog. Hauptwortarten im Deutschen sind flektierbare Wörter. Grammatische Kategorien des Substantivs: Genus, Kasus, Numerus Das Verb: Tempus, Person, Modus, Aktiv/Passiv Das Adjektiv: 3 Genera, Kasus, Numerus, Defi- nitheit vs. Indefinitheit Das Personalpronomen und andere Pronomina entsprechen teilweise Substantiven, teilweise Adjektiven, oder sie sind unflektierbar. Adverbien: nur z.T. mit Steigerungsformen Graefen 2009
Die Pluralbildung Nomen, Verben, Adjektive und Pronomina können im Prinzip Pluralformen bilden. Bsp. für Morpheme: Haus, Häuser Morphem –er + inneres Morphem –ä- Tante, Tanten Morphem: -n (auch: -en) Krug, Krüge Morphem: -e + inneres M. –ü- Wagen, Wagen sog. Nullmorphem Baby, Babys Morphem –s (Fremdwörter!) Graefen 2009
Die Morphologie, Teil 2 Deutsch ist eine Sprache mit einem ausgebauten System der Wortbildung (Komposition und Ableitung). Daher: Viele Wörter haben „Verwandte“, mit denen sie eine Wortfamilie bilden. Auch dabei ist das Stamm-morphem Erkennungsmerkmal. Bsp. Gebäude: Umbau: Stamm = bau-, Präfix = um- Gebäude: Stamm = bau-, Präfix = Ge-, Suffix = -de + inneres Morphem (Ersetzungsmorphem) = a → ä Weiteres Beispiel: das Verb tragen und Ableitungen davon: Verben: tragen, vertragen, abtragen, betragen... Nomen: Trage, Übertragung, Träger, Vortrag... Adjektive: erträglich, unerträglich, tragbar … Graefen 2009
Morphemtypen freie lexikalische Morpheme (auch grammatische) gebundene lexikalische Morpheme gebundene grammatische Morpheme Wortbildungsmorpheme Grundformen: schön, an, bald, gehen, Wald, und Wortformen (im Text): geh- in geht, Wald in Wäld-er -et in: Öffnet die Tür! -st in: du kommst -ung in Hoffnung -reich in glorreich Graefen 2009
Mehrdeutigkeit von Morphemen Flektierende Sprachen haben oft mehrdeutige Morpheme, Beispiel –en den bekannten Dichter die bekannten Dichter den bekannten Dichtern des bekannten Dichters Dieses Morphem ist die sog. „schwache“ Adjektivendung, grammatisch und phonetisch unspezifisch. Graefen 2009
Übersicht: Flexionsarten und Morphemtypen Graefen 2009
Sprachtypen nach Humboldt 1) flektierender Typus (Deutsch, Griechisch, Latein) 2) isolierender Typus (Chinesisch, partiell auch Englisch) 3) agglutinierender Typus (z.B. Ungarisch, Türkisch, Japanisch) 4) klassifizierender Typus (z.B. Bantusprachen Afrikas) 5) inkorporierender Typus (z.B. nordamerikanische Indianersprachen, Grön- ländisch) Graefen 2009
Bsp. für agglutinierende Wortbildung Aus dem Türkischen: evimde („in meinem Haus“): Ev - im - de Haus mein in Ungarisch: társaságomban („in meiner Gesellschaft“): tars - asag - om- ban Gesell(e) schaft Poss.pron. Dativ 1. Person + Ortsbe- stimmung Graefen 2009
Komposition, Kompositabildung Sehr viele Wörter können für veränderte Gebrauchs-ziele „umfunktioniert“ oder mit anderen zusammen-gesetzt werden. Konversion (Nullableitung, Umsetzung in andere Wortart) rufen - (das) Rufen Salz - salzen jetzt, hier im Hier und Jetzt leben Suchen Sie weitere Beispiele! Graefen 2009
Das Determinativkompositum Bei dieser Wortbildung (die häufigste Art der Zusammensetzung im Deutschen!) entsteht ein besonderes semantisches Verhältnis: Bestimmungswort → Grundwort Determinativ → Basis Beispielausdruck: Spielzeug Semantisch: ein „Zeug“, das zum Spielen benutzt wird, also: „spiel“ determiniert „zeug“ (Eingrenzung des allgemeinen Ausdrucks) Graefen 2009
Andere Zusammensetzungen Das sog. Kopulativkompositum ist eine meist lockere Komposition, bei der das erste Glied nicht das zweite bestimmt (Gleichrangigkeit der Merkmale, sie gelten beide): schwarzrot, schwarz-rot-goldenes Tuch süßsaure Sauce Übergang zu Wortgruppenlexem (lockere Verbindung mit Bindestrich): Peter-Lang-Verlag, Euro-Dollar-Verhältnis Graefen 2009
Das Nomen agentis Dieser Nomentyp ist ein grundlegender Wortbildungs-typus: eine Verbableitung, deren Resultat eine Personenbe-zeichnung ist (der Handelnde) arbeiten → der Arbeiter rufen → der Rufer (Stamm + Morphem –er) Variante: das Nomen instrumenti: Rasierer, Staubsauger Man spricht dann von einer deverbalen Ableitung. Graefen 2009
Literaturhinweis Graefen, Gabriele/ Liedke, Martina (2008): Germanistische Sprachwissenschaft. Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache. Tübingen: Francke/UTB, Kap. 4 Graefen 2009