Estland heute - eine Bilanz nach 15 Jahren Unabhängigkeit

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 Präsentation transkript:

Estland heute - eine Bilanz nach 15 Jahren Unabhängigkeit Volkshochschule Basel (BS/BL), Universität Basel, Petersgraben 1 14. November 2006, 18:30

TERE! TERE ÕHTUST!

Was Sie heute erwartet 1 Einführung 2 Geographische Grundlagen 3 Geschichte 4 Staatssymbole, Bevölkerung, Staatsaufbau 5 Staatssprache 6 Grundlagen der Macht und Innenpolitik 7 Wirtschaft und Wirtschaftspolitik 8 Außenpolitik 9 Bilanz nach 15 Jahren Unabhängigkeit

Geographische Angaben Territorium: 45‘228 km2 (Zwischenkriegszeit 47‘549km2) Höchster Punkt: Suur Munamägi, 318 m Grenzen: – mit Lettland (Süden) 339 km – mit Russland (Osten) 294 km – Seegrenze (ohne Inseln 1‘242 km) 3794 km Anzahl Inseln: ca. 1500 (4'133 km2 9,2 % des Gesamtterritoriums des Landes) Größte Inseln: Saaremaa (Ösel), Hiiumaa (Dagö), Muhu (Moon), Vormsi (Vormsö), Naissaar (Nargen) Seen: Peipsijärv (Peipussee), Võrtsjärv (Wortzsee), Ülemistejärv (Ülemiste-See)

Geographische Angaben 2 Hauptstadt: Tallinn (Reval) Wichtigste Städte: Tartu (Dorpat) Narva (Narva) Kohtla-Järve (Kuckers) Pärnu (Pernau) Viljandi (Fellin) Võru (Werro) Valga (Walk) Kuressaare (Arensburg) Rakvere (Wesensberg)

Geschichte 1: Anfang bis 1918 9-8 Jt. v. Chr. Besiedlung durch Esten 13. Jh. Eroberung durch Truppen des dänischen Königs und deutsche Kreuzritter 1558-1561/83 Livländischer Krieg (estnisch besiedelte Gebiete kommen am Ende unter schwedische und polnische Herrschaft, Insel Saaremaa (Ösel) unter dänischer Herrschaft) 1629 Friede von Altmark (Livland kommt zu Schweden) 1700-1721 Großer Nordischer Krieg, 1710 Kapitulationen Revals und Dorpats 1710-1918 Estnische Gebiete unter russischer Herrschaft

Geschichte 2: Zwischenkriegszeit (Unabhängige Republik) 24.2.1918 Ausrufung der Unabhängigkeit, anschließend Besetzung durch Truppen des deutschen Kaiserreiches 11.11.1918: Regierungsmacht wird von der deutschen Militärverwaltung an die Esten übertragen 28.11.1918 - 2.2.1920: „Freiheitskrieg“ - Krieg gegen Sowjetrussland, Friede von Dorpat (Tartu) 12.3.1934 Putsch von Konstantin Päts, autoritäres Regime

Geschichte 3: 1939-1991 (Besetzte Republik) 23.8.1939 Hitler-Stalin-Pakt, geheimes Zusatzprotokoll schlägt Estland der sowjetischen Einflusssphäre zu, Militärbasen 17.6.-3.8.1940 Absetzung von Päts, unfreie Wahlen führen zu einem sowjetfreundlichen Parlament und zur Aufnahme in die Sowjetunion 22.6.1941 Angriff Hitlers auf die Sowjetunion, Estland wird 1941-1944 von den Nazis besetzt, anschließend erneut von den Sowjets, Gebietsabtrennungen 1987-1991 Unabhängigkeitsbewegung 16.11.1988 Souveränitätserklärung 23.8.1989 Baltische Kette 30.3.1990 Unabhängigkeitserklärung (de jure) 20.8.1991 Unabhängigkeit wird de facto wiederhergestellt

Staatssymbole Flagge Wappen Hymne: Mu isamaa mu õnn ja rõõm

Bevölkerung Bevölkerungszahl (Volkszählung 31.3.2000) 1'370'052 (vgl. 1989: 1'572'839 ) Männer 631'851 46,11876046 % Frauen 738'201 53,88123954 % sehr starker Frauenüberhang (allerdings sind im April 2006 20% mehr Knaben als Mädchen geboren worden) Nationalitäten: Esten, Russen, Ukrainer, Weissrussen, Ingrier, Finnen, Letten usw. Staatsangehörigkeiten: blauer Pass, grauer Pass, roter Pass Religionen / Konfessionen: Lutheraner, Orthodoxe, Altgläubige, Juden

Staatsaufbau: Verwaltung / parlamentarische Republik Verwaltungseinheiten 15 Landkreise (maakond, maakonnad) Lokale Selbstverwaltungseinheiten 42 Städte (linn, linnad) 205 Gemeindegebiete (vald, vallad) • Legislative: Riigikogu - vierjährige Amtsperiode (1992-1995, 1995-1999, 1999-2003, 2003-2007 usw.) • Exekutive: Regierung wird vom Parlament bestellt Präsident - fünfjährige Amtszeit, kompliz. Wahlverfahren (Parl., Wählerversammlung) • Judikative: dreiteiliges Gerichtssystem, obersters Staatsgericht (Riigikohus) in Tartu

Staatssprache: Estnisch Uralische Sprache, finnougrische Sprache, ostseefinnische Sprache stark in Dialekte aufgeteilt: Setu-Dialekt (Setukesisch) Võru-Dialekt Mulgi-Dialekt Insel-Dialekte Nord- und Südestnisch sehr viele Vokale: hauaööõudsused (Grabnachtschauder) 14 Fälle, ca. 4 flektiert, restliche agglutiniert sehr stark vom Deutschen beeinflusst (Wörter, Wendungen): naps (Schnaps; lett: šņābis)  Doppelt- und Dreifachkonsonanten am Wortanfang entfallen tükeldama (zerstückeln, zerkleinern) plekkima (blechen) vs. pleekima (bleichen) surmkindel (todsicher) Syntax (getrennte Partikelverben usw.)

Innenpolitik 1: Träger der Macht Parteien Parteiensystem ist sehr kompliziert Parteien sind wenig an Ideologien gebunden - Personen wählen Parteimitgliedschaften nicht aus ideologischen Gründen Fraktionswechsel im Parlament an der Tagsordnung Parlamentswahlen - Sieger 20.9.1992: Isamaa, Mõõdukad, Eesti Rahvuslik Sõltumatuse P. 5.3.1995: Koonderakond, Maarahvaühendus, Keskerakond, Reformierakond 7.3.1999: Keskerakond, Isamaaliit, Mõõdukad, Reformierakond 2.3.2003: Res Publica, Keskerakond, Rahvaliit, Reformierakond 4.3.2007: ? 11 Regierungen 1990-2006 (2-3 pro Legislatur)

Geschichte von Isamaa und Partei Res Publica (Liit)

Innenpolitik 2: Wichtigste Personen • Edgar Savisaar • Tiit Vähi • Mart Laar • Siim Kallas • Arnold Rüütel • Lennart Meri • Toomas Hendrik Ilves • Andres Tarand • Mart Siimann • Juhan Parts • Andrus Ansip

Innenpolitik 3: Armee und Verteidigung Lage 1992 Trotz Beschluss zur Musterung der Jahrgänge 1965-1973 am 4.10.1991 bestand die Armee im Sommer 1992 nur aus 900 Mann mit 200 Sturmgewehren und sehr wenig Munition; am 1.10.1992 kamen noch 2000 rumänische Gewehre hinzu Rivalitäten zwischen Armee, Kaitseliit, Grenzwache Freischärler (eigenmächtige Kompanien im Kaitseliit), Jägerkompanie - erstes Problem der Regierung Laar !!! fremde Truppen mit diversen Militärbasen angespannte innenpolitische Lage; Bankenkrach; unklare Lage in Russland Lage 2006 Mitglied der NATO seit dem 29. März 2004 Truppen im Irak und in Afghanistan Oberkommandierende Aleksander Einseln (1993-96), Johannes Kert (1996-2000), Tarmo Kõuts (2000-2006), Ants Laaneots (?) (2006- )

Innenpolitische Entwicklung 4 Wichtigste Probleme: Bevölkerungsrückgang - Auswanderung Nationalitätenfrage & Integration Gesundheitswesen (Warteschlangen) Schulwesen (Lehrermangel) Innere Sicherheit (frappierender Polizistenmangel) Alterung der Gesellschaft, viele Rentner starke Verschuldung der privaten Haushalte Krisen und Skandale: Untergang der Estonia Aufzeichnungsskandal von Edgar Savisaar Nationalbank verliert 10 Mio US-$ (unter Siim Kallas) Schießskandal von Mart Laar

Wirtschaftspolitische Entwicklung 1: Eckpunkte der Politik Harte Währung - Estnische Krone, EEK Tiefe Steuern - ab 1994 Flat-Tax 26 %, 2005: 24 %, 2006: 23 % Tiefe Zölle als einseitige Maßnahme Ausgeglichener Haushalt, keine Staatsverschuldung Privatisierung - Schaffung eines schlanken Staates Günstiges Klima für Investitionen aus dem Westen schaffen Ablehnung von Entwicklungshilfsprogrammen Abkehr von der Ausrichtung auf Russland als Absatz- und Zulieferungsmarkt Keine Unterstützung von Unternehmen zur Abfederung der Umstrukturierung

Wirtschaftliche Entwicklung 2: Währungspolitik Probleme 1992 Mangelnde Güterversorgung (hohe Inflation) Mangende Geldversorgung (hohe Umlaufsgeschwindigkeit) Maßnahme am 20. Juni 1992: Einführung der Estnischen Krone als harte Währung, im Verhältnis 8:1 an die DM (heute 15,64:1 an den €) gebunden, Vorteile Kontrolle über die Geldmenge, unabhängig von RU Notenbank; Steuerung der Inflation z.T. möglich Glaubwürdigkeit Nachteile Eigene Produkte können wegen des teuren Preises im Rubelgebiet nicht mehr verkauft werden damit kurzfristig zusätzliche Schwächung der Wirtschaftsleistung Architekten der Geldreform: Ardo Hansson und Siim Kallas Einführung des Euro vor dem 1.1.2010 unwahrscheinlich

Wirtschaftliche Entwicklung 3: Folgen der Politik Konjunkturelle Entwicklung Aufschwung ab ca. 1994/1995 Aufschwung seit ca. 2000 Wichtige retardierende Faktoren der Wirtschaftsentwicklung Landwirtschaftskrise Industriekrise Bankenkrise Russlandkrise 1998 Mäßige Inflation, erst in den letzten Jahren wieder höhere Raten Arbeitslosigkeit bis ca. Mitte 2005 großes Problem Privatisierung Kleine Privatisierung Anfang der 90er Jahre Grosse Privatisierung: Mitte der 90er Jahre (1993-1995)

Wirtschaftliche Entwicklung 4: Probleme Wirtschaftspolitik fast ausschließlich an gezielt ausgewählten makroökonomischen Größen orientiert Politik von Laar war mutwillig - es hätte auch schief gehen können. Dennoch gab es wenig Alternativen. Schwierigkeiten bei der Privatisierung großer Infrastrukturunternehmungen: Re-Verstaatlichung der Eisenbahn Privatisierung des Elektrizitätskraftwerk in Narva in letzter Minute gestoppt Heute zusätzlich: Arbeitskräftemangel - Migrations-Dilemma Hohes Wirtschaftswachstum, doch Konkurrenzvorteil als Billiglohnland schmilzt dahin

Aussenpolitische Entwicklung 1: Integration in die EU 1992 schien der Beitritt von Rumänien und Bulgarien zur EU wahrscheinlicher als derjenige Estlands 1.1.1995: Freihandelsabkommen mit der EU tritt in Kraft 28.1.1995: Estland stellt einen Beitrittsantrag an die EU Dezember 1995: Estland erhält die Einladung zu Beitrittsverhandlungen 31.3.1998: Beginn der Beitrittsverhandlugnen in Brüssel 17.12.2002: Ende der Beitrittsverhandlungen 14.9.2003: Referendum über den EU-Beitritt: 66 % der Bevölkerung sagt ja. 1.5.2004: Beitritt zur EU

Aussenpolitische Entwicklung 2: Weitere Eckpunkte Integration in die NATO Integration in weitere westliche Organisationen: Europarat (1993), OSZE, IWF, WTO (1999) Baltische Assemblé (8.11.1991 gegründet) Rat der Baltischen und Nordischen Länder Beziehungen zu Russland werden (zu) wenig gepflegt

Bilanz Außenpolitische Ziele erreicht: EU- und NATO-Mitgl. Probleme mit Russland nicht gelöst (Territorium) Erfolgreiche institutionelle Transformation Staatsführung in ihrem Agieren aber oft nicht über alle Zweifel erhaben; Politiker sind unbeliebt Kann der Staat alle seine Aufgaben wirklich erfüllen? (Innere Sicherheit, Bildung, Gesundheitswesen) Wirtschaftliche Ziele halb erreicht - Land ist offensichtlich nur bedingt attraktiv (Auswanderung!) Zwei sehr erfolgreiche Unternehmen: Tallink (Schifffahrt) und Skype (Internet-Telefonie) - beides war im Grunde nicht vorauszusehen Billiglohnland hat ausgedient - neue Strategie noch nicht abschließend gefunden; deshalb ist Estland heute am Scheideweg Neue Schocktherapie aber nicht möglich, denn heute haben die Menschen mehr Möglichkeiten und können z.B. auswandern