Verfahrenshandlungen

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Verfahrenshandlungen Art. 66 -103 StPO

Verfahrenshandlungen Numerus clausus der Verfahrenshandlungen: mögliche Verfahrenshandlungen sind in StPO abschliessend aufgezählt. Gültigkeitsvorschriften: Nichtbeachtung führt grundsätzlich zur Nichtigkeit der Verfahrenshandlung (Bsp. Fehlende Belehrung der beschuldigten Person vor der Einvernahme (Art. 158). Ordnungsvorschriften: Dienen primär der Ordnungsmässigkeit des Verfahrensablaufs, Fehlerhaftigkeit führt allenfalls zur Anfechtbarkeit des nachfolgenden Entscheids (Bsp. Vorladungsfrist nicht eingehalten (Art. 202).

Verfahrenssprache Grundsatz: Das Strafverfahrens wird i.d.R mündlich durchgeführt (Art. 66). Besonders das Vorverfahren und die erstinstanzliche HV sind mündlich, das Verfahrens vor dem ZMG ist teilweise mündlich, teilweise schriftlich (Art. 225 Abs. 5), das Beschwerdeverfahren ist schriftlich (Art. 397), das Berufungsverfahren ist i.d.R. mündlich (Art. 405), schriftliches Verfahren (Art. 406); Bsp. Reine Rechtsfragen.

Verfahrenssprache Dekret über die Gerichtssprachen (GSD) vom 24.3.10 (BSG 161.139) Gerichtsregion Berner Jura-Seeland Amtssprache in den Aussenstellen des Regionalgerichts und der Staatsanwaltschaft Französisch. Übrige Behörden Berner Jura-Seeland und den kantonal zuständigen Gerichtsbehörden und Staatsanwaltschaften Französisch und Deutsch. In den anderen Gerichtsregionen ist die Amtssprache Deutsch. Bei Parteieingaben an Behörden Berner-Jura Seeland - ausser Aussenstelle -, Obergericht, GSA und kantonale Staatsanwaltschaften besteht freie Wahl zwischen Französisch und Deutsch.

Verfahrenssprache Übersetzung (Art. 68): Grundsätzlich Beizug eines Übersetzers als Sachverständiger, wenn ein Verfahrensbeteiligter die Verfahrenssprache nicht versteht. Wesentlicher Anspruch der beschuldigten Person ergibt sich schon aus Art. 14 IPBPR, EMRK 6, BV 32. Die beschuldigte Person hat indessen keinen Anspruch auf Übersetzung der gesamten Verfahrensakten, sämtlicher Zeugeneinvernahmen, eines umfangreichen Gutachtens oder Urteils usw. (Schmid, StPO Praxiskommentar Art. 68 N 11).

Übersetzung Wichtig erscheinende prozessuale Vorgänge und Akten (i.d.R. die Anklageschrift, die Instruktion des Verteidigers und die wesentlichen Vorgänge der mündlichen HV, je nach dem Umständen weitere Verfahrenshandlungen wie z.B. Befragung von Zeugen) sind zu übersetzen. Offen gelassen wurde, ob wichtige Verfahrenshandlungen (z.B. Plädoyer des StA) nur auf Antrag oder v.A.w. zu übersetzen sind. Auch soweit wichtige Verfahrenshandlungen v.A.w. zu übersetzen sind, kann die Verteidigung grundsätzlich darauf verzichten. Aus dem Anspruch auf Übersetzung ergibt sich nicht, dass eine Übersetzerin der Verteidigung neben dem Beschuldigten Platz nehmen kann, um ihm ständig oder auf Wunsch hin Äusserungen zu übersetzen und Vorgänge zu erläutern (BGE 6B_719/2011 vom 12.11.11).

Öffentlichkeit Die Verhandlungen vor den erst- und zweitinstanzlichen Gerichten sind mit Ausnahme der Beratungen grundsätzlich öffentlich (Art. 69). Nicht öffentlich sind das Vorverfahren, das Verfahren vor dem ZMG, vor der Beschwerdekammer und das Strafbefehlsverfahren. Interessierte Personen können in die Strafbefehle Einsicht nehmen (Art. 69 Abs. 2). Es gilt das Amtsgeheimnis i.S.v. Art. 320 StGB (Art. 73). Die Geheimhaltungspflicht bezieht sich auf Informationen, die die Behörden im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit zur Kenntnis erhalten und an denen ein privates oder öffentliches Geheimhaltungsinteresse besteht. Verfahrensbeteiligte und ihre Rechtsbeistände können unter Hinweis auf die Strafandrohung gem. Art. 292 StGB zum Stillschweigen verpflichtet werden (Art. 73 Abs. 2). Rechtsanwälte unterstehen dem Berufsgeheimnis. Beachte: Die Geheimhaltungspflicht gilt grundsätzlich auch für den Kontakt mit anderen Behörden (Art. 75).

Öffentlichkeit Orientierung der Öffentlichkeit über ein hängiges Verfahren (Art. 74): Mitthilfe der Bevölkerung bei der Aufklärung von Straftaten oder Fahndung (lit. a) Warnung oder Beruhigung der Öffentlichkeit (lit. b) Richtigstellung unzutreffender Meldungen oder Gerüchte (lit. c) Besondere Bedeutung des Falles (lit. d). Wahrung Persönlichkeitsrechte und Unschuldsvermutung Ausschluss der Öffentlichkeit (Art. 70): Öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder schutzwürdiges Interesse einer beteiligten Person, insbesondere des Opfers (lit. a); grosser Andrang (lit. b). Wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen, so erfolgt eine öffentliche Urteilsverkündung oder eine Orientierung der Öffentlichkeit über das Urteil in einer anderen Form (Abs. 4).

Öffentlichkeit Die Vorinstanz hatte gestützt auf Art. 70 Abs. 1 lit. a StPO die Öffentlichkeit bei einem Vergewaltigungsprozess ausgeschlossen, ohne dies zu begründen bzw. eine Interessenabwägung vorzunehmen. Das BGer kassiert das Urteil, weil ein grundsätzlicher Ausschluss der Publikumsöffentlichkeit Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt (BGE 6B_350-2012 vom 28.2.13).

Protokolle (Art. 76 – 79) Dokumentationspflicht: Alle prozessual relevanten Vorgänge müssen in geeigneter Form festgehalten und in die Akten integriert werden (Bsp. Verbal über ein Telefongespräch des StA). Die Aussagen der Parteien, die mündlichen Entscheide der Behörden sowie alle anderen Verfahrenshandlungen, die nicht schriftlich durchgeführt werden, werden protokolliert. Die Verfahrensleitung ist dafür verantwortlich, dass die Verfahrenshandlungen vollständig und richtig protokolliert werden. Es gibt Verfahrens- und Einvernahmeprotokolle. Entscheidende Fragen und Antworten werden wörtlich protokolliert, sonst sinngemäss. Die Verfahrensleitung kann der einvernommenen Person gestatten, ihre Aussage selbst zu diktieren. Das Einvernahmeprotokoll wird vorgelesen oder zum Lesen vorgelegt. Offenkundige Versehen können vom Verfahrensleiter zusammen mit dem Protokollführer berichtigt werden unter Mitteilung an die Parteien. Über Gesuche um Protokollberichtigung entscheidet die Verfahrensleitung. Berichtigungen und Änderungen sind von der Verfahrensleitung und dem Protokollführer zu beglaubigen.

Protokollieren Das Protokollieren erfolgt bei Gerichten und StAw unter Beizug eines Protokollführers (Art. 31 Abs. 1 EG ZSJ). Bei polizeilichen Einvernahmen kann die einvernehmende Person das Protokoll selbst führen, es sei denn, die Einvernahme werde i.A. der StAw durchgeführt (Art. 31 Abs. 2 EG ZSJ).

Dokumentationspflicht Stark alkoholisierte Brasilianerin wird von Polizei morgens um 7 Uhr in Kontaktbar im „Chreis Cheib“ in Zürich kontrolliert. Kann sich nicht ausweisen, wird auf Polizeiposten geführt. Bei der Durchsuchung werden „offensichtliche Freieradressen“ auf Handy gefunden. Verdacht als Prostierte ohne Bewilligung erwerbstätig zu sein. Polizei kontaktiert X, der Sexualverkehr gegen Geld bestätigt. Dass die Polizei die „offensichtlichen Freier-Adressen“ nicht aktenkundig machte und den Inhalt des Telefons mit dem Zeugen X nicht in einer Aktennotiz festhielt, begründet eine Verletzung der Dokumentationspflicht. Daraus resultierte jedoch weder eine Verletzung des Rechts auf eine wirksame Strafverteidigung noch ein Verbot der Verwertung der „Freier-Adressen“ und des Zeugen X (BGE 6B_307/2012 vom 14.2.13).

Protokollführung Die Protokollführung erfolgt bei Gerichten und StA unter Beizug eines Protokollführers (Art. 31 Abs. 1 EG ZSJ). Bei polizeilichen Einvernahmen kann die einvernehmende Person das Protokoll selbst führen, es sei denn, die Einvernahmen werden i.A. der StA durchgeführt (Art. 31 Abs. 2 EG ZSJ; 312 StPO).

Protokolle, neuer Abs. 5 bis von Art. 78 StPO Wird die Einvernahme im Hauptverfahren mit technischen Hilfsmitteln aufgezeichnet, so kann das Gericht darauf verzichten, der einvernommenen Person das Protokoll vorzulesen oder zum Lesen vorzulegen und von dieser unterzeichnen zu lassen. Die Aufzeichnungen werden zu den Akten genommen (Art. 78 Abs. 5 bis StPO; BG vom 28.9.12 i.K. 1.5.13). Streichung von „oder mittels technischer Hilfsmittel“ in Art. 78 Abs. 7 StPO.

Entscheide der Strafbehörden (80 – 83) Endentscheide: Sachentscheide über den Schuld- und Sanktionenpunkt und allenfalls Zivilpunkt. Sie ergehen als Urteil oder als Strafbefehl. Ein Urteil besteht aus 4 Teilen: Urteilskopf (Rubrum bzw. Einleitung), Begründung (mit Prozessgeschichte), Dispositiv, Rechtmittelbelehrung. Verfahrens- oder Prozessentscheide: Sie ergehen als Beschlüsse (Kollektivbehörde) oder als Verfügungen (Einzelperson) Verfahrensleitende Beschlüsse oder Verfügungen: Fördern das Verfahren, ohne es zum Abschluss zu bringen (Bsp. Gutheissung Beweisantrag). Verfahrenserledigende Beschlüsse oder Verfügungen: Schliessen das Verfahren ohne Sachurteil ab (z.B. Nichtanhandnahme, Einstellung).

Begründung, Erläuterung Berichtigung des Urteils Das erstinstanzliche Gericht verzichtet auf eine schriftliche Begründung, wenn mündliche Begründung und nicht Freiheitsstrafe von mehr als 2 Jahren bzw. Verwahrung oder Behandlung in einer geschlossenen Einrichtung etc. Ein begründetes Urteil kann von einer Partei innert 10 Tagen nach Zustellung des Dispositivs verlangt werden. Wenn ein Rechtsmittel ergriffen wird, muss eine schriftliche Begründung erfolgen (Art. 82). Urteilserläuterung oder Berichtigung: Dispositiv unklar, widersprüchlich oder unvollständig oder Widerspruch zur Begründung, erfolgt v.A.w. oder auf schriftliches Gesuch einer Partei (Art. 83).

Eröffnung der Entscheide Zustellung (Art. 84 – 88) Grundsatz: Bei öffentlichem Verfahren mündliche Urteilseröffnung im Anschluss an die Urteilsberatung mit kurzer mündlicher Begründung. Dispositiv wird den Parteien schriftlich abgegeben bzw. innert 5 Tagen zugestellt. Schriftliche Urteilsbegründung sollte innert 60, ausnahmsweise 90 Tagen erfolgen (Ordnungsvorschrift). Beachte: Mit der Zustellung des Dispositivs beginnt die Rechtsmittelfrist zu laufen (Art. 384). Zustellung erfolgt mit eingeschriebener Post oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung; polizeiliche Zustellung. Beachte: Eingeschriebene Postsendungen, die nicht abgeholt werden, gelten nach 7 Tagen als zugestellt, sofern die Person mit der Zustellung rechnen musste (Art. 85 Abs. 4 lit. a; sog. Prozessrechtsverhältnis). Mitteilungen an Parteien mit einem Rechtsbeistand erfolgen an diesen, ausser eine Person habe persönlich zu erscheinen oder Verfahrenshandlungen selbst vorzunehmen, dann geht das Original an diese Person und eine Kopie an den Rechtsbeistand (Art. 87).

Freie Wahl der Zustelladresse Mitteilungen sind den Adressaten/innen an ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort oder an ihren Sitz zuzustellen (Art. 87 Abs. 1 StPO). Beschwerdeführer hatte als Zustelladresse die Adresse eines Hotels angegeben. Der Strafbefehl wurde trotzdem an die Wohnsitzadresse geschickt. Auf die Einsprache wurde wegen Verspätung nicht eingetreten. Das BGer heisst die Beschwerde gut. Gemäss StPO, ZPO und BGG kann die Zustellung im Einverständnis der betroffenen Person auch elektronisch erfolgen. Es wäre deshalb nicht nachvollziehbar, weshalb eine andere physische Postadresse nicht möglich wäre. Eine Ausnahme könnte nur dann gelten, wenn die Zustellung klar umständlicher wäre, als an das gesetzlich vorgesehen Domizil (BGE 6B_14/2013 vom 3.6.13).

Zustellung an falsche Adresse Eine Zustellung an die falsche Adresse hat im Allgemeinen allein zur Konsequenz, dass sie keinen Nachteil für ihren Adressaten zur Folge haben kann (vgl. Art. 49 BGG). Die Einsprachefrist zur Anfechtung eines rechtswidrig zugestellten Strafbefehls läuft demzufolge vom Tag an, an dem dessen Adressaten davon (Dispositiv und Begründung) hat Kenntnis nehmen können (Praxis 65 Nr. 83). Kraft des Grundsatzes von Treu und Glauben ist der Betroffene indessen gehalten, sich über das Bestehen und den Inhalt des Entscheides zu erkundigen, sobald er dessen Bestehen vermuten kann, ansonsten er mit dem Nichteintreten auf ein eventuelles Rechtsmittel wegen Verspätung rechnen müsste (BGE 134 IV 306 E. 4.2 S. 313).

Zustellung, Eröffnung Zustellungsdomizil: Parteien und Rechtsbeistände aus dem Ausland haben in der CH ein Zustellungsdomizil zu bezeichnen, es sei denn, gestützt auf einen Staatsvertrag könne direkt zugestellt werden (Art. 87). Publikation im Amtsblatt: Aufenthaltsort unbekannt und kann trotz zumutbarer Nachforschung nicht ermittelt werden, Zustellung unmöglich oder mit a.o. Umtrieben verbunden etc. (Art. 88). Beachte: Einstellungsverfügungen und Strafbefehle gelten auch ohne Veröffentlichung als zugestellt (Art. 88 Abs. 4). Diese Bestimmung ist betreffend Strafbefehlen problematisch (Schmid, Praxiskommentar, N 9 zu Art. 88; BK N 11 zur Art. 88).

Zustellfiktion Art. 85 Abs. 4 StPO Beleidigungen eines Autofahrers und Sachbeschädigung. Die Polizei informiert den Beschuldigten, dass Anzeige eingereicht werde und macht ihn mittels unterzeichnetem Formular auf seine Verfahrensrechte aufmerksam. Beschuldigter holt eingeschriebenen Strafbefehl auf der Post nicht ab. Beschuldigter macht verspätet Einsprache, auf diese wird nicht eingetreten. Vor BGer macht er geltend, er habe keine Kenntnis von der Eröffnung einer Untersuchung durch die StA gehabt und nicht mit einem Strafbefehl rechnen müssen. BGer weist Beschwerde ab (BGE 6B_281/2012 vom 9.10.12). BGer führt aus, dass eine Befragung durch die Polizei als Zeuge oder Verdächtiger i.d.R. nicht genüge, ein Prozessrechtsverhältnis zu begründen. Vorliegend wurde er aber als Beschuldigter einvernommen und auf seine Rechte aufmerksam gemacht.

Zustellfiktion Die Polizei informierte den Beschwerdeführer über die Eröffnung eines Vorverfahrens wegen einem Verkehrsunfall, sie machte eine Einvernahme und gab das Merkblatt für Beschuldigte ab. Das BGer bestätigt die Rspr, dass die Information über die Eröffnung der Untersuchung zur Begründung der Zustellfiktion nicht nötig ist. In casu musste der Beschwerdeführer nach dem Gesagten mit einer Zustellung rechnen (BGE 6B_314/2012 vom 18.2.13).

Zustellfiktion Strafbefehl mit 75 Tagen Freiheitsstrafe u.a. wegen illegalen Aufenthalts. Unter Zustellung Vermerk, kein bekanntes Domizil. Strafbefehl im Amtsblatt nicht publiziert. X wird verhaftet, und der Strafbefehl wird ihm eröffnet. Er macht Einsprache. Auf diese wird, weil verspätet, nicht eingetreten. Das BGer heisst die Beschwerde gut (BGE 6B_738-2011 vom 20.3.12). BGer bezeichnet die Bestimmung mit der Zustellungsfiktion von Strafbefehlen ohne Veröffentlichung (Art. 88 Abs. 4 StPO) als problematisch. Der Beschuldigte wurde von der Polizei einvernommen. Dabei hatte er auf einen Anwalt verzichtet, aber gemäss Protokoll erwähnt, dass er durch den Anwalt X vertreten werde. Er bezeichnete aber kein Zustellungsdomizil. Das BGer verweist auf Art. 88 Abs. 1 lit. a StPO, wonach alle zumutbaren Nachforschungen nach dem Aufenthaltsort gemacht werden müssen, was hier aber nicht gemacht worden sei.

Zustellung Nach der Rechtsprechung besteht die widerlegbare Vermutung, dass der Postangestellte eine Abholungseinladung korrekt im Briefkasten oder Postfach deponiert hat. Die Vermutung ist widerlegt, wenn der Empfänger dartun kann, dass sich Fehler ereignet haben (BGE 6B_675/2011 vom 07.02.2012) oder zumindest eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für Fehler bei der Zustellung besteht (BGE 6B_314/2012 vom 18.2.13).

Zustellung Mitteilungen an Parteien, die einen Rechtsbeistand bestellt haben, werden nach Art. 87 Abs. 3 StPO rechtsgültig an diesen zugestellt. Diese Bestimmung ist auf amtlich bestellte Verteidiger analog anzuwenden, da sonst die Verfahrensführung übermässig erschwert würde. Dass der Beschwerdeführer eine Beschwerde gegen die Einsetzung des amtlichen Verteidigers eingereicht hatte, änderte am Ergebnis nichts, weil die Beschwerde grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat (BGE 1B_700/2011 vom 07.02.12).

Fristen und Termine (Art. 89 – 94) Gesetzliche Fristen: Sind im Gesetz geregelt und können nicht erstreckt werden. Richterliche Fristen: Von den Strafbehörden angesetzt, können in begründeten Fällen erstreckt werden. Das Gesuch muss vor Ablauf der Frist gestellt werden (Art. 92). Im Strafverfahren gibt es keine Gerichtsferien. Fristbeginn: Am folgenden Tag (Art. 90). Fristende: Samstag, Sonntag oder Feiertag, so nächster Werktag (Art. 90). Massgebend für den Feiertag ist der Wohnsitz der Partei bzw. des Rechtsvertreters.

Fristen und Termine Einhaltung: Eingaben müssen spätestens am letzten Tag bei der zuständigen Strafbehörde abgegeben werden oder zu deren Handen der CH Post, einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung im Ausland oder der Anstaltsleitung bei Inhaftierung übergeben werden (Art. 91). Merke: Wenn die Eingabe spätestens am letzten Tag der Frist bei einer unzuständigen schweizerischen Behörde eingeht, ist die Frist auch gewahrt (Art. 91 Abs. 4). Nachfrist: Ist zu gewähren, wenn ein prozessualer Mangel behoben werden kann (z.B. Fehlende Unterschrift), Verbot des überspitzten Formalismus! Säumnis: Frist nicht eingehalten, Folgen gemäss StPO.

Eingabe an unzuständige Behörde Die unzuständige Behörde muss die Eingabe nicht bloss an die zuständige weiterleiten, sondern aktenmässig festhalten, wann die Eingabe bei ihr eingegangen ist. Dies ergibt sich aus der Aktenführungs- und Dokumentationspflicht. Es war nicht aktenkundig, wann der Beschwerdeführer seine Einsprache in den Briefkasten eines Betreibungsamtes geworfen bzw. wann man diese vorgefunden hatte. Deshalb ist – in Umkehr der Beweislast – auf die Ausführungen des Beschwerdeführers abzustellen (BK OGer Bern 13 166 vom 27.8.13).

Elektronische Übermittlung Mit dem Einverständnis der betroffenen Person kann jede Zustellung elektronisch erfolgen (Art. 86 StPO). Bei der elektronischen Übermittlung ist nicht die Aufgabe der Sendung fristwahrend, sondern die Bestätigung durch das Informatiksystem der Strafbehörden (Art. 91 Abs. 3 StPO). Das Risiko technischer Pannen haben ausschliesslich die Parteien zu tragen. Bleibt die Empfangsbestätigung aus, muss der Postweg benützt werden. Das bedeutet, dass die Partei nicht das Risiko eingehen darf, die Übermittlung erst ein paar Minuten vor Mitternacht zu machen, weil sie keine Garantie dafür hat, dass die Empfangsbestätigung sogleich kommt. Eine Panne kann nie ausgeschlossen werden. Pannen sind kein Wiederherstellungsgrund (BGE 6B_691/2012 vom 21.2.13).

Elektronische Übermittlung Beschwerdeführer mailte eine Haftbeschwerde an die genferische BK am letzten Tag der Frist, an einem Freitag um 21.05 Uhr, was von IncaMail um 21.09 Uhr bestätigt wurde. Die BK trat auf die Beschwerde wegen Verspätung nicht ein, weil das Mail erst am Montag morgen geöffnet wurde. Gutheissung der Beschwerde durch das BGer, weil eben die Bestätigung der Zustellung und nicht das Öffnen des Mails massgebend ist (BGE 1B_222-2013 vom 19.7.13).

Fristen und Termine Eine Rechtsschutzversicherung erhob gegen einen Strafbefehl fristgereicht ohne Begründung Einsprache. Die damals noch anwendbare StPO des Kantons Zug verlangte eine begründete Einsprache. Die Staatsanwaltschaft wies die Rechtsschutzversicherung darauf hin, dass bis zu einer bestimmten Frist eine Begründung nachzureichen sei. Der Verteidiger reichte die Begründung innert dieser Frist ein, die gesetzliche Frist von 10 Tagen war aber schon abgelaufen. Das BGer führt aus, dass gesetzliche Fristen, insbesondere Rechtmittelfristen, nicht erstreckt werden können, was kein überspitzter Formalismus sei. Die unzutreffende Auskunft (falsches Enddatum) der Staatsanwaltschaft hätte der Verteidiger bei gehöriger Sorgfalt erkennen können (BGE 6B_507/2011 vom 07.02.12). In BGE 135 III 374 wurde bei einer rechtsunkundigen nicht rechtskundig vertretenen Person anders entschieden.

Wiederherstellung (Art. 94) Hat eine Partei eine Frist oder einen Termin versäumt, so kann sie innert 30 Tagen nach Wegfall des Säumnisgrundes ein Gesuch um Wiederherstellung der Frist bzw. des Termins stellen. 2 Voraussetzungen: Erheblicher und unersetzlicher Rechtsverlust; Glaubhaftmachen keines Verschuldens. Dem Betroffenen war es unmöglich in seiner konkreten Situation, die Frist zu wahren oder einen Dritten damit zu beauftragen. Jedes Verschulden einer Partei oder ihres Vertreters oder beigezogenen Hilfsperson, so geringfügig es sein mag, schliesst die Wiederherstellung aus (BGE 6B_125-2011, 7.7.11). Aufschiebende Wirkung nur, wenn sie erteilt wird!

Wiederherstellung Oberstaatsanwaltschaft macht geltend, in jahrelanger Praxis habe sie die Berufungserklärung einen Tag vor Fristablauf dem Kurierbeamten übergeben. Sie treffe kein Verschulden, und es sei überspitzt formalistisch, die Wiederherstellung nicht zu gewähren. BGer hält fest, die verspätete Zustellung durch den Kurierdienst sei nicht auf ein aussergewöhnliches Vorkommnis wie Naturkatastrophen, Unfall oder Krankheit zurückzuführen. Die Gefahr einer verspäteten Zustellung bestehe bei jedem Kurierdienst, was sich die StA anrechnen lassen müsse (BGE 6B_849/2011 vom 6.7.12).

Datenbearbeitung (Art. 95 – 99) Datenschutzgesetz (DSG) findet auf das Strafverfahren keine Anwendung. Es gelten die Spezialbestimmungen der StPO. Grundsatz: Personendaten sind bei der betroffenen Person oder für diese erkennbar zu beschaffen. Andernfalls ist sie umgehend darüber zu informieren (Keine geheimen Fichen).

POLIS-Daten der Polizei Ein Mann war im Zusammenhang mit einem Überfall vor 12 Jahren verhaftet worden. Das Verfahren wurde eingestellt. Der Mann verlangt die Löschung sämtlicher Daten. Die Polizei antwortet, die erkennungsdienstlichen Daten seien vernichtet worden, nicht aber die Daten im Polizei-Informationssystem POLIS, die aber mit dem Hinweis der Verfahrenseinstellung ergänzt worden seien. BGer weist Beschwerde ab (BGE 1C_439/2011 vom 25.5.12). Grundrechtseingriff sei gering. Überfall sei bis heute nicht geklärt. Allgemeines Interesse an der Verfolgung von Straftaten und Interesse von Opfern und Geschädigten sei wesentlich grösser. Es sei bedeutsam, Einzelheiten aus dem Umfeld des Überfalls gespeichert zu erhalten. Dank Vernetzung mit anderen Daten könnten sich neue Erkenntnisse ergeben. Ausserdem würden die Daten in 4 Jahren sowieso automatisch gelöscht.

Aktenführung, Akteneinsicht und Aktenaufbewahrung (Art. 100 – 103) Pflicht zur Aktenführung (Dokumentationspflicht). Akteneinsicht ist ein Teilaspekt des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 107). Akteneinsicht in hängige Fälle haben die Parteien und ihre Rechtsbeistände, andere Verfahrensbeteiligte soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist und Drittpersonen, die ein wissenschaftliches oder anderes überwiegendes, schützenwertes Interesse nachweisen können. Andere Behörden können die Akten einsehen, sofern dies für die Bearbeitung eines anderen Verfahrens notwendig erscheint und keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen. Beachte z.B. BG vom 14.12.90 über die direkten Bundessteuern (DBG) Art. 112: Amtshilfe anderer Behörden. Recht auf Aktenkopien gegen Gebühr.

Akteneinsicht Die Parteien können spätestens nach der ersten Einvernahme der beschuldigten Person und der Erhebung der übrigen wichtigsten Beweise durch die Staatsanwaltschaft die Akten einsehen; Art. 108 (Einschränkungen des rechtlichen Gehörs) bleibt vorbehalten (Art. 101 Abs. 1). Ein im Parlament gestellter Antrag, die Akteneinsicht ab Beginn der Strafuntersuchung zu gewähren, wurde abgelehnt (Schmid, StPO Praxiskommentar Art. 101 N 2). Die Akteneinsicht muss einer verdächtigen Person nicht vor der ersten Einvernahme gewährt werden. Sie hat dadurch keinen nicht wiedergutzumachenden Nachteil, weil sie die Aussage verweigern kann (BGE 1B_ 261-2011 vom 6.6.2011). Selbstverständlich kann der StA Akteneinsicht vorher gewähren. Andererseits ist es zulässig, dass die StAin vor der Akteneinsicht die entscheidenden Tatzeugen einvernimmt und den Beschuldigten damit konfrontiert bzw. z.B. bei einem umfangreichen Betrug die belastenden Dokumente vorhält (Schmid, StPO Praxiskommentar Art. 101 N 4).

Akteneinsicht Beachte: Sonderregel Art. 225 für Haftverfahren, in die Haftakten ist Akteneinsicht zu gewähren! Einschränkung der Akteneinsicht (Art. 108): Begründeter Verdacht des Missbrauchs (Abs. 1 lit. a), aus Sicherheitsgründen oder zur Wahrung öffentlicher oder privater Geheimhaltungsinteressen (Abs. 1 lit. b). Einschränkungen gegenüber Rechtsbeiständen sind nur zulässig, wenn sie selbst Anlass zur Einschränkung geben (Abs. 2). Entscheide dürfen aber nur auf Akten gestützt werden, in deren wesentlichen Inhalt Einsicht gewährt worden ist (Abs. 4)!

Akteneinsicht von Auskunftspersonen 2 Schüler stürzten anlässlich eines von Schülern organisierten Festes zu Tode. Schuldirektor und zwei weitere wurden als Auskunftspersonen (Art. 178) vorgeladen. Sie verlangten vor EV Akteneinsicht gestützt auf Art. 105 Abs. 2 (in ihren Rechten unmittelbar Betroffene haben Verfahrensrechte einer Partei). StA verweigerte Akteneinsicht. BK VD hiess Beschwerde gut und erteilte sie. Bger heisst die Beschwerde der StA gut (BGE 1B_238-2011 vom 13.9.11). Andere Verfahrensbeteiligte nach Art. 105 Abs. 2 haben nur Parteirechte, wenn sie direkt, unmittelbar und persönlich betroffen sind. Eine blosse Vorladung reicht dazu nicht aus.

Akteneinsicht in rechtskräftige Einstellungsverfügung Ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Einstellungsverfügung ist der Fall nicht mehr bei der StA hängig, und diese kann im fraglichen Fall nicht mehr tätig sein. Die Verfahrensherrschaft geht aber auch nicht auf eine andere Behörde über. Das Einsichtsgesuch fällt damit unter Art. 99 StPO. Die StA ist für den Entscheid zuständig. Das Verfahren sowie der Rechtsschutz richtet sich nach VRPG, weshalb die GSA als Aufsichtsbehörde der StA über ablehnende Gesuche um Akteneinsicht der StA zu befinden hat (BK 12 17).