Glück und gutes Leben Glück und gutes Leben in der Antike I

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 Präsentation transkript:

Glück und gutes Leben Glück und gutes Leben in der Antike I Prof. Kirsten Meyer WS 2010/11 VL Glück und gutes Leben Glück und gutes Leben Glück und gutes Leben in der Antike I

Glück und Moral bei Platon Platon meint, glücklich sei, wer gut lebt. „Besser“ ist es Platon zufolge, gerecht als ungerecht zu leben. (Republik, 354a).

Die Problemstellung Platon war, wie die Sophisten, der Meinung, dass sich die Moral – er spricht meist von Gerechtigkeit –, nur halten lässt, wenn sie sich als glückszuträglich erweist.

Platon gegen den sophistischen Verdacht Unterschied zu den Sophisten: Platon meint, den sophistischen Verdacht, die Moral untergrabe das Glück des einzelnen, zurückweisen zu können.

Platon/Sokrates gegen den sophistischen Verdacht Sokrates sagt im Gorgias (509c): „Unrecht leiden ist besser als Unrecht tun.“ Mit „besser“ meint er: „glückszuträglicher“.

Aristoteles Aristoteles übernimmt die Leitfrage nach dem guten oder glücklichen Leben von seinem Lehrer Platon.

Ein Unterschied zu Platon Aristoteles versucht nicht, dem moralischen Skeptiker Argumente zu liefern, denen dieser zustimmen muss. Trotzdem ist eine Integration der Moral in das gute Leben des Einzelnen auch ein Anliegen von Aristoteles.

Das oberste Ziel Aristoteles fragt in der Nikomachischen Ethik: Was ist das oberste Ziel, nach dem wir streben?

Glück als oberstes Ziel Seine Antwort: „Im Namen stimmen wohl die meisten überein. Glück (eudaimonia) nennen es die Leute ebenso wie die Gebildeten […]. Was aber das Glück sei, darüber streiten sie, und die Leute sind anderer Meinung als die Weisen.“ (1096a16-22)

Aber worin besteht nun das Glück? Aristoteles nimmt sich zunächst verbreitete Auffassungen über das Glück vor… … und überlegt, was für und was gegen sie sprechen könnte. Es geht also um die kritische, philosophisch reflektierte Prüfung von verbreiteten Glücksvorstellungen.

1. Das Genussleben Die erste Auffassung, der er sich zuwendet, ist die der „Vielen“, der „Menge“ oder „großen Masse“. Ihrer Lebensweise nach zu urteilen, hielten sie die Lust (hēdonē) für das oberste Gut und dementsprechend das Genussleben für das beste Leben (1095b14-17).

Aristoteles‘ Kritik daran Wer den bloßen Sinnengenuss in den Mittelpunkt seines Lebens stelle, verhalte sich „vulgär“ oder „roh“ und würde sich für das Leben des Viehs entscheiden.

2. Das politische Leben Nach dem Genussleben erörtert Aristoteles das „politische Leben“ (bios politikos) also ein Leben der aktiven Beteiligung an der Gestaltung des Gemeinwesens, in Aristoteles’ Zeit der Polis, des Stadtstaates.

Das politische Leben Dieser Lebensform werden zwei Güter zugeordnet. (1) Viele politisch Aktive streben nach Ehre. Aristoteles hält aber nicht viel von der Auffassung, die Ehre sei das höchste Gut. (2) Das zweite Gut, auf das Aristoteles die politische Lebensform bezogen sieht, ist die Tugend (aretē).

3. Das theoretische Leben Theōria, wörtlich: „Schau“, als oberstes Gut Theōria ist für Aristoteles die Betrachtung und Analyse unveränderlicher und ewiger Entitäten, Sachverhalte und gesetzmäßiger Zusammenhänge. Also das, was der Philosoph tut.

Zusammenfassung Drei verschiedener Lebensformen: 1. Das Genussleben mit der Sinnenlust als oberstes Gut 2. Das politische Leben, das viele um der Ehre willen führen, lieber aber um der Tugend willen führen sollten. 3. Das theoretische Leben.

Welche Lebensform ist nun die Beste? Zumindest ein wichtiger Bestandteil von Aristoteles‘ Antwort auf diese Frage ist das ergon-Argument.

Ergon Das ergon des Flötenspielers besteht im Spielen der Flöte, das des Bildhauers im Anfertigen von Skulpturen. Das ergon eines X ist also die spezifische Leistung von X .

Das ergon-Argument Das Gut des Flötenspielers – d. h. das Ziel, auf das er sein Tun qua Flötenspieler richtet – besteht im Vollzug seines ergon, im Spielen der Flöte. Grundsätzlich erhalten wir Auskunft über das Gut von X, wenn wir sein ergon kennen. Daher erhalten wir Auskunft über das menschliche Gut, wenn wir das ergon des Menschen kennen.

Die spezifische Leistung des Menschen Auch der Mensch hat als Mensch ein ergon. Doch worin besteht die spezifische Leistung des Menschen, also das, was den Menschen als Menschen auszeichnet? Aristoteles gewinnt seine Antwort, indem er den Menschen von Pflanzen und Tieren abgrenzt.

Das vernunftgemäße Leben Den Menschen zeichnet gegenüber Pflanzen und Tieren aus, dass er Vernunft hat. Sein Leben vernunftbestimmt zu führen, ist etwas, was nur der Mensch (oder er in besonderer Weise) kann. Genau darin soll also die spezifische Leistung des Menschen, sein ergon liegen.

Vernunft und gutes Leben Aristoteles‘ These: Das oberste Ziel des Menschen muss letztlich in einem von der Vernunft geleiteten Leben bestehen. Der Mensch verfehlt sein Leben überall dort, wo es nicht Ausdruck von Vernunft ist.

Ergänzung Das Gute für den Menschen besteht nicht in irgendeinem Vollzug seines ergon, sondern in einem möglichst guten.

Perfektionismus Ziel allen unseren Tuns soll ein maximal von der Vernunft geleitetes Leben sein: es soll ein Leben sein, in dem die Vernunft perfektioniert wird. Glückstheorien im Anschluss an Aristoteles werden daher manchmal „perfektionistische Theorien“ genannt.

Frage Aber worin besteht denn nun ein von der Vernunft geleitetes Leben? Darauf gibt Aristoteles mit seiner Tugendlehre eine Antwort. Eine Tugend ist eine Disposition zum guten Vollzug des ergon.

Ethische Tugenden Die ethischen Tugenden heißen so, weil sie Tugenden des Charakters, griechisch: ēthos, sind. Als Beispiele für ethische Tugenden werden Dispositionen wie Tapferkeit, Gerechtigkeit und Großzügigkeit genannt.

Gerechtigkeit und Glück So stellt also auch Aristoteles einen Bezug zwischen Gerechtigkeit und Glück her. Aber leuchtet das ein?

Andere einleuchtende Aspekte? Wenn jemand besondere Talente hat, sie aber nicht nutzt, dann wird zuweilen gesagt: „Wie schade, das hätte er doch nicht nötig, er könnte ein besseres Leben führen“. „Besseres Leben“ heißt hier: ein wertvolleres Leben, wenn auch vielleicht nicht zufriedeneres. Kann der Rekurs auf Aristoteles diese Rede erhellen?

Was ist nun das beste Leben? Ich möchte nun übergehen zu der Antwort, die Aristoteles im zehnten und letzten Buch der Nikomachischen Ethik auf die Frage gibt, was das beste Leben ist.

Rekapitulation Aristoteles identifiziert die gesuchten Dispositionen zum guten Vollzug des menschlichen ergon zunächst mit den ethischen Tugenden.

Das Politische Leben Das Leben des politisch aktiven Menschen, der an der Gesetzgebung der Polis maßgeblich beteiligt ist, ist eine Steigerungsform des bescheidenen ethischen Lebens. Aber ist diese Steigerungsform nun auch wirklich das beste Leben?

Erwartung Aristoles‘ Ausführungen zu den ethischen Tugenden wecken die Erwartung, dass ein im Vollzug der ethischen Tugenden bestehendes Leben das beste Leben ist.

Diese Erwartung wird aber am Ende der NE enttäuscht Es ist nicht das Leben der ethischen Tugenden, das Aristoteles am Ende als das beste Leben auszeichnet. Zwar soll auch ein solches Leben ein gutes sein, aber nicht das beste, sondern lediglich das zweitbeste.

Das zweitbeste Leben Aber warum ist das Leben des Politikers nur das zweitbeste? Wo liegen bei allen Vorzügen seine Mängel?

Das zweitbeste Leben Der erste Mangel der ethisch-politischen Lebensweise: Sie ist nicht hinreichend autark, sie ist zu abhängig von äußeren Umständen, sei es von anderen Leuten, sei es von materiellen Mitteln.

Das zweitbeste Leben Der zweite Mangel liegt in der mangelnden Selbstzweckhaftigkeit dieser Lebensweise. Aristoteles geht davon aus, dass die Politik Ziele außerhalb ihrer selbst verfolgt, indem sie als selbst nicht mußevolle Tätigkeit Beding-ungen für Muße schaffen will.

Das beste Leben Das Leben der theōria, ein wissenschaftliches Forschen, das den letzten Gründen für das, was uns in der Welt begegnet, nachgeht. Theōria als philosophisch-wissenschaftliche Tätigkeit.

Das beste Leben Für Aristoteles ist das Treiben der theōria das gesuchte oberste Gut oder die eudaimonia. Es gibt für den Menschen nichts Höheres als theōrein: betrachten, philosophisch-wissenschaftlich tätig sein. Aber warum soll das so sein?

Das beste Leben Aristoteles erinnert im sechsten und siebenten Kapitel des zehnten Buchs der Nikomachischen Ethik an die allgemeinen Kriterien für das gesuchte oberste Gut bzw. die eudaimonia, die er im ersten Buch herausgearbeitet hatte. Von der eudaimonia soll danach folgendes gelten:

Das beste Leben 1. Es muss sich bei der eudaimonia um eine Tätigkeit handeln. Sie darf keine bloße Disposition sein, die auch dem Schlafenden zugeschrieben werden könnte. Zu 1: Die theōria ist eine Tätigkeit; sie genügt damit dem ersten Kriterium. Auch das theoretische Leben ist ein aktives, tätiges.

Das beste Leben 2. Außerdem muss sie ein Selbstzweck sein. Wir müssen sie allein um ihrer selbst und nicht auch noch wegen etwas anderem erstreben. Zu 2: Die theōria ist Aristoteles zufolge die einzige Tätigkeit, die wir nur um ihrer selbst willen betreiben.

Das beste Leben 3. Drittens soll die eudaimonia sich selbst genug sein und nicht noch anderer Dinge bedürfen. Wer sie besitzt, soll „autark“ sein. Zu 3: Aristoteles ist der Auffassung, dass derjenige, der theōria betreibt, dazu keiner anderer Menschen und äußerer Güter bedarf.

Das beste Leben 4. Viertens gilt aufgrund des Ergon-Arguments, dass die gesuchte eudaimonia Ausdruck einer Tugend sein muss, und zwar der vorzüglichsten Tugend. Zu 4: Die theōria ist die Aktualisierung der Tugend der Weisheit (sophia), und dies sei die vollkommenste Tugend.

Das beste Leben 5. Fünftens schließlich soll die gesuchte eudaimonia in ausgezeichneter Weise mit Lust oder Freude verbunden sein. Zu 5: Mit keiner Tätigkeit seien reinere und dauerhaftere Freuden verbunden seien als mit der theōria. Die Philosophie biete „Genüsse von wunderbarer Reinheit und Beständigkeit“ (1177a25).

Also doch das lustvolle Leben? „Dieselben Dinge bereiten dem einen Menschen Freude und dem anderen Unlust [...] „In all solchen Dingen scheint aber dasjenige als [wirklich] so beschaffen, was dem Guten so erscheint.“ „Diejenige Lust also, die nach allgemeiner Übereinstimmung niedrig ist, darf man offenkundig nicht als Lust bezeichnen, es sei denn als solche für verdorbene Menschen.“ 1176a10-20

Fazit For Aristoteles, „the ultimate aim of human life, and the proper function of human beings, is to use reason well, and this goal can be reached in either of two ways: ideally, by leading a philosophical life and making contemplation one’s highest aim; …

Fazit …but if that option cannot be taken, then we do best by fully developing the practical virtues and exercising them on a grand scale, in the political arena.“ Richard Kraut (1989): Aristotle on the Human Good. Princeton, NJ: Princeton University Press, S. 7.

Vorbereitung auf die nächste Vorlesung Epikur, Brief an Menoikeus