Orientierung an der Autonomie der praktischen Vernunft

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 Präsentation transkript:

Orientierung an der Autonomie der praktischen Vernunft Fünftes Kapitel: Orientierung an der Autonomie der praktischen Vernunft

Transzendentalphilosophische Normbegründung nach Immanuel Kant - Moralische Normen werden nicht mehr aus dem Sein abgeleitet, - sondern mit Hilfe eines Verfahrensprinzips (Kategorischer Imperativ) gefunden und begründet, das der praktischen Vernunft als ihr eigenes Gesetz (Autonomie) a priori innewohnt.

1. 1. Herleitung des Kategorischen Imperativs aus dem 1.1 Herleitung des Kategorischen Imperativs aus dem Begriff des guten Willens Ausgangspunkt: Nur ein guter Wille besitzt unbedingten Wert: „Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille,“ Alles andere ist nur in bestimmter Hinsicht gut.

Worin besteht ein guter Wille? - Als gut kann nicht der Wille gelten, der etwas zugunsten irgendwelcher Neigungen will. - Moralisch gut ist nur der Wille, der etwas aus Pflicht tut, d.h.: nicht um eines äußeren Zweckes willen, sondern allein deswegen, weil es geboten ist. pflichtgemäß - Unterscheidung aus Pflicht - Moralischer Wert liegt nicht in der Absicht (Nutzen der Handlung) sondern in der Maxime (Handlungsgrundsatz)

Was ist möglicher Inhalt der Pflicht? - Kann nur sein: Ein Gesetz, das die reine Vernunft, ohne Bezug auf die Neigungen, vorschreibt. - Ein solches Gesetz gilt unbedingt (kategorisch). hypothetisch (wenn … dann) Imperative kategorisch (Du sollst …!)

→ Für das reine Gesetz ist die Form der Allgemeinheit wesentlich. Wie lässt sich das Gesetz der reinen Vernunft (kategorischer Imperativ) formulieren? „Denke ich mir aber einen kategorischen Imperativ, so weiß ich sofort, was er enthalte. Denn da der Imperativ außer dem Gesetze nur die Notwendigkeit der Maxime enthält, diesem Gesetz gemäß zu sein, das Gesetz aber keine Bedingung enthält, auf die es eingeschränkt war, so bleibt nichts als die Allgemeinheit eines Gesetzes überhaupt übrig, welchem die Maxime der Handlung gemäß sein soll, und welche Gemäßheit allein den Imperativ eigentlich als notwendig vorstellt.“D.h.: → Für das reine Gesetz ist die Form der Allgemeinheit wesentlich.

Der Kategorische Imperativ lautet daher: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Weitere Formeln: „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetz werden sollte.“ „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ „Handle so, dass alle Maximen aus eigener Gesetzgebung zu einem möglichen Reich der Zwecke als einem Reich der Natur, zusammenstimmen sollen.“

1.2 Anwendung des Kategorischen Imperativs auf einzelne Normen Kategorischer Imperativ ist ein Verfahrensprinzip, mit dem man überprüfen kann, ob eine Maxime moralisch erlaubt ist oder nicht. Beispiele: 1. Unerlaubtheit des Suizids 2. Verbot, falsche Versprechen zu geben 3. Die eigenen Anlagen aus Bequemlichkeit brach liegen zu lassen, ist verwerflich. 4. Verwerflichkeit mangelnder Hilfsbereitschaft

1.3 Problematisierung des Kategorischen Imperativs 1.3.1 Mangelnde Leistungsfähigkeit Grundprinzip des Kategorischen Imperativs: - Eine Maxime darf bei Verallgemeinerung nicht in sich widersprüchlich werden, so dass man sie nicht wollen kann. In den meisten seiner Beispiele vermag Kant diese Widersprüch- lichkeit aber nicht ohne weitere Zusatzannahmen zu zeigen. 1. Beispiel: Natur hat den Zweck der Lebensförderung 3. Beispiel: Mensch will die Entfaltung seiner Vermögen 4. Beispiel: Ist für einen Egoisten nicht zwingend

1.3.2 Mangelnde Begründetheit Frage: - Wie lässt sich der Sollens-Anspruch des Kategorischen Imperativs begründen? - Warum sollen wir nach diesem Prinzip handeln? Kants Antwort: - Man kann nicht auf ein äußeres Interesse verweisen. - Aber der Imperativ lässt sich auch nicht aus einem vorausliegenden Prinzip ableiten. Warum?

Befolgung des Kate-gorischen Imperativs Ein möglicher Versuch der Begründung wäre: - Wir sollen den Kategorischen Imperativ befolgen, weil wir so autonom und damit wahrhaft frei handeln. - Aber: dies führt in einen Zirkelschluss: Freiheit Autonomie führt zu besteht in Befolgung des Kate-gorischen Imperativs

Kant spricht daher von einem Faktum der Vernunft. - Dieses Faktum kann man nicht beweisen, nur aufweisen. - Aber: Kant selbst weist dieses Faktum nicht methodisch- reflektiert auf, sondern behauptet es nur. → Vorwurf des Begründungsabbruchs (etwa bei P. Singer)

3. Die Alternative des Utilitarismus 3.1 Der Grundgedanke des Utilitarismus und seine Entfaltung Handlungen sind moralisch richtig, wenn sie nützlich (utilis) sind im Blick auf das Ziel, das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl der Menschen zu verwirklichen. Jeremy Bentham John S. Mill Henry Sidgwick

Entscheidend sind die Folgen einer Handlung, die Handlung ist nicht in sich richtig oder falsch. - Teleologische (konsequentialistische) Normbegründung Teleologisch (ausschließlich von den Folgen her) Deontologisch (nicht nur von den Folgen her) Das Ziel ist nicht individuell, sondern gemeinschaftlich. - Nutzen wird von einem universalen, unparteilichen Standpunkt aus beurteilt. - Inhaltliche Zielvorstellung nicht einheitlich im klassischen Utilitarismus und im Präferenzutilitarismus. - quantitativ - qualitativ - Freude / Lust - Präferenzen

Handlungsutilitarismus und Regelutilitarismus Für jede einzelne Handlung muss man feststellen, ob sie dem größtmöglichen Glück der größtmöglichen Zahl dient. - Regelutilitarismus: Nützlichkeitsprinzip ist nur auf Regeln (Normen, Gesetze), nicht auf jede einzelne Handlung anzuwenden.

3.2 Problematisierung des Utilitarismus Wenn das oberste Ziel die Förderung des Gesamtnutzens ist, kann dies zur Benachteiligung von Minderheiten führen. Dazu: John Rawls, Gerechtigkeit als Fairness: Nur diejenigen Grundstrukturen der Gesellschaft sind gerecht, auf die sich alle Mitglieder in einem Urzustand unter dem „Schleier des Nichtwissens“ einigen würden.

Im Urzustand würden sich die Menschen auf folgende Grundsätze einigen: Erster Grundsatz Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist. Zweiter Grundsatz Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen folgendermaßen beschaffen sein: Sie müssen den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen Sie müssen mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen gemäß fairer Chancengleichheit offenstehen.

Regel 2a = Unterschiedsprinzip Soziale Unterschiede können zugelassen werden, aber nur dann, wenn die Besserstellung der Privilegierten die Situation der am schlechtesten Gestellten auch verbessert oder zumindest nicht verschlechtert. Aber auch der Utilitarismus hat utilitaristische Argumente gegen den Vorwurf der Ungerechtigkeit und Benachteiligung von Minderheiten entwickelt. - Prinzip des abnehmenden Grenznutzens - Benachteiligung führt zu Unmut und Umsturz der Machtverhältnisse

2. Problem: Normen gelten nur aus Nützlichkeitsgründen, nicht von der „Sache“ selbst her. 3. Problem: Utilitarismus geht von der Forderung zur Universalisierung aus. - Damit wird das faktische Interesse einer Gesellschaft zum letzten Bezugspunkt aller Güterabwägungen, ohne dies noch einmal rational zu begründen. → Der Einzelne wird verrechenbar - Gültigkeit der Universalisierungsvorschrift selbst ist eine Voraussetzung, deren Gültigkeit nicht weiter begründet wird.

Normbegründung in der Diskursethik von Jürgen Habermas 2.1 Der Universalisierungsgrundsatz Moralprinzip des Kategorischen Imperativs fordert die Universalisierbarkeit von Handlungsweisen und Interessen. - Alle Betroffenen müssen zustimmen können. - Dazu ist ein realer Diskurs notwendig. - Nur so kann man zu einem reflexiven Einverständnis finden. Wie lässt sich die objektive Gültigkeit des Universalisierungs- prinzips als Moralprinzip zeigen? 20

2. 2. Transzendentalpragmatische Begründung des 2.2 Transzendentalpragmatische Begründung des Universalisierungsgrundsatzes Die transzendentalpragmatische Begründung baut auf der Figur des performativen Widerspruchs auf. Beispiel: Wer sagt „Ich existiere nicht“ widerlegt diesen Satz, indem er ihn ausspricht. Frage: Lässt sich zeigen, dass die Ablehnung des Universalisierungs-prinzips in Widerspruch mit den unausweichlichen Voraus-setzungen des Argumentierens gerät? 21

Unausweichliche Argumentationsvoraussetzungen sind: 1. Logische und semantische Regeln 2. Regeln der kooperativen Wahrheitssuche 3. Ideale Sprechsituation: frei von Repression und Ungleichheit, reziprok-egalitäres Verhältnis aller Diskursteilnehmer; es gilt nur das bessere Argument. Begründung der Unausweichlichkeit der 3. Ebene: „Ich habe A durch eine Lüge von p überzeugt“ Wer die Wahrheit dieses Satzes argumentativ verteidigen will, macht damit schon die Voraussetzung, dass man niemanden durch eine Lüge überzeugen kann. 22

Sind die Diskursregeln unausweichliche Voraussetzung der Argumentation, ist damit auch das Universalisierungsprinzip begründet. Denn: Jeder, der normative Ansprüche im Diskurs einlösen will, lässt sich damit auf Bedingungen ein, die den Universalisierungsgrundsatz beinhalten. Warum? Wenn ich voraussetze, dass ich alle anderen als freie und gleichberechtigte Partner des Diskurses behandle, denen gegenüber nur das bessere Argument zählt, dann ist darin enthalten, dass eine allgemeine Norm nur gilt, wenn alle Betroffenen frei zustimmen. 23

2.3 Problematisierung der Diskursethik Normbegründung durch Konsens: - In den meisten Fällen gibt es mehrere Möglichkeiten des richtigen Handelns → kein Konsens möglich. - Der Konsens über eine Norm kann kein Grund für ihre objektive Gültigkeit sein. Begründung des Universalisierungsprinzips - Die Unausweichlichkeit der Voraussetzungen des Diskurses bedeutet noch nicht deren Anerkennung. 24