Prof. Dr. Jörn Leonhard Vorlesung Dynamik, Expansion und Krise: Westeuropa auf dem Weg in die ambivalente Moderne 1850-1890 - 1. Folge -

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 Präsentation transkript:

Prof. Dr. Jörn Leonhard Vorlesung Dynamik, Expansion und Krise: Westeuropa auf dem Weg in die ambivalente Moderne 1850-1890 - 1. Folge -

Epochenkennzeichnung Dynamik, Expansion, Krise zwischen 1850 und 1890 „Wachstum“: Wirtschaft, Gesellschaft und Staatsbildung (cf. industrieller „take off“ seit 1840er Jahren; Mobilisierung von Menschen, Kapital, Waren, Informationen; soziale Frage der Integration der Industriearbeiter,) „Ausgriff“: Staat, Militär, Imperialismen (cf. Staatenkriege zwischen 1854 und 1871, koloniale Expansion) „Konflikt“: innergesellschaftliche und zwischenstaatliche Dimensionen (politische Massenmärkte, Medialisierung von Politik) Zeitgenössische Ismen als Chiffren von gesellschaftlichem Interessenpluralismus: Liberalismus, Sozialismus, Nationalismus (politisch-soziale Ordnungs- und Teilhabemodelle) Prägende Persönlichkeiten der Epoche: „Weiße Revolutionäre“ Bismarck, Cavour, Napoleon III., Disraeli, die konservative, sozialdefensive Ziele häufig mit progressiven, geradezu revolutionären Mitteln verfolgten

Historiographie I Historiographische Ansätze: - „Meistererzählungen“ des 19. Jahrhunderts: Borussianismus, Whig interpretation of History - einzelstaatliche, nationale Historiographien - komparative (vergleichende) Geschichtswissenschaft, - Transfer und Verflechtung (histoire croisée, entangled history) Eric Hobsbawm, Age of Revolution (1775-1848), Age of Capital (1848-1875), Age of Empire (1875-1914): „langes“ 19. Jahrhundert und Konzept der „dual revolution“ 1776/1789 Robert Gildea, Barricades and Borders (1800-1914): Fokus auf innergesellschaftliche und zwischenstaatliche Konflikte

Historiographie II Deutsche „Sonderwegsdebatte“: 1848 als „gescheiterte“ Revolution, 1871 als „Revolution von oben“, „Defizit an Bürgerlichkeit“ (Jürgen Kocka) vs. „silent bourgeois revolution“ (Geoff Eley, David Blackbourn) Interpretationslinien deutscher Geschichte im langen 19. Jahrhundert: - Thomas Nipperdey: „Am Anfang war Napoleon“ - Hans-Ulrich Wehler: „Am Anfang war keine Revolution“ - Heinrich August Winkler: „Am Anfang war das Reich“

Historiographie III Abhängigkeit der Epochenkennzeichnung von interpretatorischen Perspektiven - „Europa im Zeitalter Bismarcks“ (klassischer, personenzentrierter Ansatz) - „Europa auf dem Weg in die Moderne“ (Lothar Gall) - „Europa im Zeitalter des Imperialismus“ (Gregor Schöllgen)

Jour de la République universelle démographique et sociale Jour de la République universelle démographique et sociale. Le Triomphe, Frédéric Sorrieu, Paris 1849

The last great Chartist Rally, Kennington Common, 10. April 1848

Ausgangssituation Europas I 1848/49 als europäische Erfahrungskrise Erbe der Französischen Revolution: demokratische Partizipation, Verfassungsstaat und Nationalstaatsbildung Frankreich: soziale Republik und prekäre Ordnungssicherung Italien und Deutschland: National- und Verfassungsstaat als Aufgabe Habsburg: Multiethnizität als Herausforderung, vielfältiges nation-building (Italiener, Ungarn, Tschechen, Slowaken, Polen etc.) Komplexität der Revolution: Überlagerung politischer, sozialer, ethnischer und nationaler Konfliktlinien Europäische Revolution oder Revolutionen in Europa?

Ausgangssituation Europas II Ergebnisse der Revolution von 1848/49 Kurzfristiges „Scheitern“: keine erfolgreiche Konstitutionalisierung oder Nationalstaatsbildung, Rückkehr der alten Mächte Längerfristige „Erfolge“ über kurzfristiges Scheitern hinaus: - Ende der letzten feudalen Relikte (Dt., It., Österr.) - Verfassungsstaatlichkeit unterhalb des Nationalstaates in Deutschland (Preußen) und Italien (Statuto Albertino) - Kommunikations- und Organisationsrevolution (Presse und Vereinswesen) - Erfahrungsschub für politische Kultur: parlamentarische und außerparlamentarische Partizipation

Frankreich 1848/49 Mai 1848: Proklamation der Republik und Verfassungsausarbeitung Juni 1848: Aufstand in Paris Dezember 1848: Wahl Louis Bonapartes (Neffe Napoleons I.) zum Präsidenten Dezember 1851: Staatsstreich Louis Bonapartes (cf. Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire) Bonapartismus: - geschichtspolitischer Mythos - Ordnungsversprechen - Fortschrittsverheißung - nachträgliche plebiszitäre Absicherung von Staatsstreich und folgenden Verfassungsänderungen

Italien 1848/49 Keine Verfassungsentwicklung wie in Staaten des Deutschen Bundes nach 1815 Erfahrung der Fremdherrschaft (Habsburg), nur Königreich Sardinien-Piemont unter ital. Dynastie (Haus Savoyen), Neapel-Sizilien unter spanischen Bourbonen, Toskana habsburgische Sekundogenitur Kirchenstaat als spezifisches Problem: Vincenzo Gioberti (Neoguelphen) vs. Giuseppe Mazzini (unitarischer Republikanismus) 1848/49: unitarische Republik oder monarchischer Verfassungsstaat, Volkskrieg oder Nationalkrieg? Mazzini, Garibaldi: Republikanisierung als Ziel, Errichtung der Römischen Republik, aber französische Intervention 1849 Rückkehr der alten Monarchien Konstitutionalisierung Sardinien-Piemonts (Statuto Albertino): Kristallisationspunkt der „moderati“ um Camillo Cavour (gemäßigte liberale und nationale Bewegung)

Deutschland 1848/49 Grenzen der Revolution: Diplomatie, Armee, Bürokratien Gegensatz zwischen konstitutioneller Monarchie und sozialer Republik (cf. Langewiesche) Angst der gemäßigten Liberalen vor Radikalisierung der Revolution und Glaube an evolutionäre Reformierbarkeit Schnelle Erfolge der Märzbewegung 1848 (Märzministerien, Frankfurter Nationalversammlung), aber seit Herbst 1848 Wiedererstarken der antirevolutionären. Gegengewalten Reichsverfassungskampagne und preußischer Unionsplan 1849 (Joseph Maria von Radowitz) Konflikt zwischen Preußen und Österreich und Punktation von Olmütz: Wiederherstellung des Deutschen Bundes und preuß.-österr. Antagonismus (grundlegende Erfahrung Bismarcks)