9.6.05 Anti-Bioethik Biomacht Behindertenbewegung Anti-Psychiatrie.

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 Präsentation transkript:

9.6.05 Anti-Bioethik Biomacht Behindertenbewegung Anti-Psychiatrie

Anti-Bioethik: Die Rolle der sog. Bioethik-Konvention des Europarats (1996) Singer-Affäre und die Folgen Kritik an der Bioethik als Disziplin und Bioethikern (Legitimitätsbeschaffer, Apologeten) Kritik der Medikalisierung Kritik der Genetisierung Kritik des Machbarkeitswahn

Übereinkommen zum Schutz der Menschen-rechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin Artikel 17 – Schutz einwilligungsunfähiger Personen bei Forschungsvorhaben 2. In Ausnahmefällen und nach Maßgabe der durch die Rechtsordnung vorgesehenen Schutzbestimmungen darf Forschung, deren erwartete Ergebnisse für die Gesundheit der betroffenen Person nicht von unmittelbarem Nutzen sind, zugelassen werden (…)

→ stark umstritten, obwohl strenge Bedingungen (im o. g → stark umstritten, obwohl strenge Bedingungen (im o.g. Zitat weggelassen) zu erfüllen sind → von Deutschland nicht ratifiziert (obwohl strengere Zusatzkriterien möglich wären)

Ist die Anti-Bioethik gegen die Bioethik als solche oder gegen bestimmte Argumentationen in der Bioethik (speziell gegen utilitaristische)? → eher Kritik an vermeintlichen Auswüchsen der modernen Biomedizin (und damit selbst bioethische Position)

Biomacht: Foucault: "leben machen und sterben lassen" bevölkerungsregulierende Techniken (z.B. Geburtenkontrolle) disziplinierende Techniken (Gefängnisse, Psychiatrie) Bereitstellung von "Macht-Wissen" (Rolle der Biomedizin dabei) → normative Folgen aus der Analyse?

Behindertenbewegung: Engagement für soziale Gleichheit: dafür auch spezifische Vorkehrungen und Rechte benötigt (z.B. barrierefreie Zugänge) gegen Abwertungsthese: Behinderung nicht als Übel/Leid (Defizit), sondern als Differenz → Teil der Identität, keine vorübergehende Eigenschaft wie Krankheit Pränataldiagnostik als Technik mit potentiell diskriminierenden Folgen

gegen gesell. Zwang zur Normalisierung: nicht Gesundheitsideal als Ziel medizinischen Handelns gegen medizinisches Modell (Behinderung als pathologisch) stattdessen Betonung der soziokulturellen Faktoren der Behinderung ("Behindert ist man nicht, behindert wird man") Disability Studies

→ (erneut) Unterscheidung wissenschaftliche vs → (erneut) Unterscheidung wissenschaftliche vs. lebensweltliche Sichtweise notwendig; Behinderungen sind pathologisch (Funktionsstörung), aber nicht notwendigerweise ein Übel/Leid → gibt es objektive Einschränkungen des menschlichen Wohls (sind bestimmte Behinderungen schlecht für den Betroffenen – unabhängig von seiner eigenen Bewertung)? gibt es grundlegende Fähigkeiten, deren Fehlen in jedem Fall ein Übel darstellen?

Anti-Psychiatrie: nicht unbedingt gegen Psychiatrie als solche, sondern z.T. für andere Psychiatrie Seit ca. Anfang 60er Jahre: Ronald Laing, David Cooper, Michel Foucault, Thomas Szasz, Franco Basaglia, Thomas Scheff, Erving Goffman

psychiatrische Krankheit ist durch gesellschaftliche Werturteile geprägt, keine medizinische Kategorie (Bsp. Homosexualität) Kritik an Klassifikationssystemen (insbesondere DSM: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) gegen (z.T bis heute gängige) psychiatrische Praktiken wie Fixieren, elektrokonvulsive Therapie, Zwangsbehandlung → Psychiatrische Kliniken als "totale Institutionen" (Goffman)

Argumentation von Thomas Szasz ("The Myth of Mental Illness"): es gibt gar keine psychische Krankheit: der Ausdruck "Krankheit" kann in Bezug auf psychische Phänomene nicht sinnvoll gebraucht werden kann Medikalisierung von "Lebensproblemen"

Einwand gegen Szasz: Psychische Zustände beruhen auf Hirnzuständen → Psychische Krankheit ist Gehirnkrankheit Antwort Szasz: "Krankheiten des Gehirns sind Gehirnkrankheiten; sie als 'psychische Krankheit' zu bezeichnen ist verwirrend, irreführend und unnötig." → Leib-Seele-Problem: kann man eine Position vertreten, die eine eigenständige psychologische Begrifflichkeit erhält (ohne überholten Substanzdualismus zu vertreten)

"Der Begriff der Krankheit, ob körperliche oder psychische, impliziert eine Abweichung von einer klar definierten Norm. Im Falle der physischen Krankheit besteht diese Norm in der strukturellen und funktionellen Integrität des Körpers. (…) Was könnte die Norm sein, von der Abweichungen als psychische Krankheit angesehen werden? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Aber was auch immer diese Norm sein mag, über eine Sache können wir uns sicher sein: Dass es eine Norm ist, die in einer psychosozialen, ethischen und rechtlichen Begrifflichkeit angegeben werden muss." (Szasz, The Myth of Mental Illness, American Psychologist 15, 1960)

→ es gibt strenggenommen keine psychische Krankheit; der wertfreie Begriff der Krankheit findet keine Anwendung auf psychische Phänomene

→ zwei denkbare Repliken: a) Szasz' erste Prämisse ist falsch, wonach der Begriff der somatischen Krankheit wertfrei bestimmt werden kann; eine Gesundheitsnorm ist immer durch Werte bestimmt -> Normativismus b) Szasz' zweite Prämisse ist falsch, wonach es in der Psychiatrie keine wertneutrale Gesundheitsnorm geben kann -> Naturalismus

Resümee: Skeptische Stimmen gegenüber der Biomedizin und der Bioethik sind wichtig, aber sollten nicht zu pauschalen Verurteilungen führen Die Behindertenbewegung hat wesentliche Kritik an der üblichen Sichtweise geleistet, wonach Behinderung immer Leid bedeutet Die Kritik der Antipsychiatrie zeigt Probleme der Konzeptualisierung psychischer Krankheit auf, die aber nicht zur grundsätzlichen Ablehnung des Konzepts führen sollten