Gier als wirtschaftsethisches Problem

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 Präsentation transkript:

Gier als wirtschaftsethisches Problem Prof. a. D. Dr. Hermann Sautter Vortrag im Rahmen der Vorlesungsreihe in der Paulinerkirche im Sommersemester 2012 zum Thema „Gier, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft“ 18. April 2012

Gier als wirtschaftsethisches Problem 1. „Gier“: schöpferische Kraft oder moralisches Problem? 2. Konsequenzen der Gier 3. Institutionelle Begrenzungen der Gier 4. Individuelle Widerstandskräfte 5. Zusammenfassung

1. „Gier“: schöpferische Kraft oder moralisches Problem? „Es gibt für einen Mann wenig Möglichkeiten, sich unschuldiger zu betätigen, als beim Geldverdienen“ (Dr. Johnson, 1775). Die Umwidmung eines Lasters in eine Tugend durch den Deismus. Der „effiziente“ Markt neutralisiert annahmegemäß ein übersteigertes Gewinnstreben.

1. „Gier“: schöpferische Kraft oder moralisches Problem? „Gefährliche menschliche Triebe können…durch Gelegenheiten für den Gelderwerb und privaten Besitz in verhältnismäßig harmlose Kanäle abgeleitet werden….Es ist besser, dass ein Mensch sein Bankguthaben tyrannisiert als seine Mitmenschen“ (John Maynard Keynes, 1936).

1. „Gier“: schöpferische Kraft oder moralisches Problem? Francis Hutcheson (1775) wusste zu unterscheiden zwischen dem “ruhigen Verlangen nach Reichtum“ und der „Leidenschaft der Habgier“. Adam Smith: Was ein „unparteiischer Beobachter“ nicht billigen kann, ist ein triebhaftes, hemmungsloses Streben nach Gewinn.

1. „Gier“: schöpferische Kraft oder moralisches Problem? „Da die Erwartungen reflexiv, Wahrscheinlichkeiten aber reflektiv verarbeitet werden, verdrängt die Vorstellung, 100 Millionen Dollar (in der Lotterie, H.S.) zu gewinnen, die Kalkulation, wie extrem unwahrscheinlich der Gewinn eines solchen Jackpots tatsächlich wäre“ (Zweig, 2007, S. 53).

1. „Gier“: schöpferische Kraft oder moralisches Problem? Aristoteles: Das moralische Handeln ist ein Handeln in der „goldenen Mitte“ zwischen zwei Extremen. „Habgier“: die Untugend der Maßlosigkeit. Die christliche Ethik sieht in der „Habgier“ eine „Todsünde“. „Gier“: ein ethisches Problem.

2. Konsequenzen der Gier Der Fall Madoff: 4800 Klienten wurden um 65 Mrd. (!) US-Dollar betrogen. Ein Fall vor dem Göttinger Landgericht.

2. Konsequenzen der Gier

2. Konsequenzen der Gier Die internationale Finanzkrise 2008/09: Das Problem war die „Struktur“ der Märkte. Der typische Nachfrager auf dem US-amerikanischen Markt für „subprime“-Hypotheken musste nicht unbedingt gierig sein. Die Aktionäre der Banken drängten auf eine Ausweitung der Kredite.

2. Konsequenzen der Gier Systemische Ursachen der Finanzkrise: 1. Fehlende Durchgriffshaftung bei Hypotheken-Schuldnern 2. Marktverzerrende Sozialpolitik 3. Haftungsminderung der Banken 4. Fehlende Berücksichtigung des Systemrisikos 5. Bankinterne Anreizsysteme 6. Nachlässige Finanzaufsicht

2. Konsequenzen der Gier Bei der gegebenen Verfassung der Finanzmärkte führte auch ein normales Marktverhalten zu einer Dynamik, die alle Merkmale der „Maßlosigkeit“ besaß. Die Lösung des Problems ist auf der systemischen Ebene zu suchen.

3. Institutionelle Begrenzungen der Gier Angesichts der globalen Vernetzung der Finanzmärkte ist es nicht mit nationalen Reformanstrengungen getan. Notwendige Reformschritte: Schärfere Haftungsregeln auf dem US-amerikanischen Hypothekenmarkt Höhere Eigenkapitalquoten der Banken Sozialpolitik ohne Marktinterventionen Reform bankinterner Anreizsysteme International abgestimmte Finanzmarktaufsicht Überwindung des „Erpressungspotentials“ systemrelevanter Banken

3. Institutionelle Begrenzungen der Gier Es gibt keine wirksamen institutionellen Begrenzungen der Gier. Fehlende institutionelle Grenzen der Maßlosigkeit bedeuten keinen Zwang zur Maßlosigkeit.

4. Individuelle Widerstandskräfte Auch in einem harten Wettbewerbsprozess ist niemand gezwungen, skrupellos, maßlos und unter Missachtung aller Standards eines fairen Verhaltens seinen wirtschaftlichen Vorteil zu verfolgen. „Eine Geschäftskultur, die vor allem die Gier preist, ist letzten Endes nicht mehr in der Lage, sich vor der Gier der eigenen Angestellten zu schützen“ (John Kay, 2011, S. 48).

4. Individuelle Widerstandskräfte „Shareholder Value ist die dümmste Idee der Welt“ (Jack Welch, „Financial Times“ vom 13. März 2009). Die Verantwortung für den Kunden hält die Gier in Schach. „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als auch in der Person eines jeden anderen, jederzeit als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“ (I.Kant, 1785). Moralische Überzeugungen können auch zur Reform der marktwirtschaftlichen Ordnungsregeln motivieren.

5. Zusammenfassung „Gier“: ein ernst zu nehmendes ethisches Problem. Die destruktiven Konsequenzen der Gier: Sparer werden betrogen, Vertrauen geht verloren, knappe Ressourcen fließen in eine unproduktive Verwendung, gesamtwirtschaftlichen Steuerungssystemen droht der Kollaps.

5. Zusammenfassung Destruktive Wirkungen zeigen sich auch dort, wo nicht von einem individuellen Handeln aus Gier gesprochen werden kann, die systemischen Handlungsbedingungen aber einer gierigen Maßlosigkeit keine wirksamen Grenzen entgegen setzen.

5. Zusammenfassung „Gier“ ist zwar eine ständig präsente Handlungsmöglichkeit, aber niemand muss gierig sein. Auch die systemische Maßlosigkeit ließe sich eher begrenzen, wenn der Wille zur Moral auf allen Ebenen von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik stärker ausgeprägt wäre.

Vielen Dank für‘s Zuhören!