Phonetische und Phonologische Aspekte der Assimilierung

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Die akustische Analyse von Sprachlauten.
Advertisements

Quellen-Filter Theorie der Sprachproduktion
Die phonetischen Merkmale von Vokalen
Klaus J. Kohler IPDS, Kiel
FRIKATIVE Sitzung 9 Welche Konsonanten sind für sich alleine identifizierbar? -Alle Konsonanten ausser [pt] in tippt, weil das [p] nicht gelöst wird und.
Sitzung 9 FRIKATIVE /Tondateien/Frikative/bach-traegt-wenig-wasser.wav: Der Bach trägt dieses Jahr wenig Wasser. /Tondateien/Frikative/schickt-er-blumengruesse.wav:
Voice Onset Time (VOT) n ip006rb.001 laden Die Lallphase dauert nicht lange ip001rb.001 laden Peter tippt auf die Kieler - Wie unterscheidet sich [d] in.
Musterlösungen der Aufgaben
Einführung in die Phonetik und Phonologie
Laden einer Signaldatei
Laden einer Signaldatei n Datei ip001rb.001 im Verzeichnis /proj/courses/InstrPhon-ss12/DATEN laden Sitzung 3.
Einführung in die allgemeine Sprachwissenschaft
Phonetische Dauermessungen n c:\daten\instrpho\ip006rb.001 in Fenster A laden Die Lallphase dauert nicht lange c:\daten\instrpho\ip001rb.001 in Fenster.
Laden einer Signaldatei n Datei ip001rb.001 im Verzeichnis InstrPhon2007/DATEN laden Sitzung 5.
Versuch zur Vokalnormalisierung
“The end of categorical perception as we know it” (Schouten et al.)
Perzeptuelle Kompensation von Koartikulation bei japanischen Wachteln A. J. Lotto, K. R. Kluender, L. L. Holt. Perceptual compensation for coarticulation.
Mikro und Makroprosodie
Wie wird die koartikulatorische Nasalisierung im Signal wahrgenommen?
Tonale Kategorien, Synchronisierung und Nachahmung
„Lautwandel und Grundfrequenz“
Vokale und die Quantaltheorie
1. Satzbetonung, Töne, und Grundfrequenz
Prosodie und Intonation: ein Überblick
Die Prosodie Jonathan Harrington Felicitas Kleber.
Intonationsunterschiede zwischen dem Nord- und Süddeutschen
1 C.Fowler Analyse der Wahrnehmung von Koartikulierter Sprache LMU-München - IPSK WS 06/07 HS Modelle der Sprachproduktion und –perzeption Prof. J.M.
Das ‚Perceptual Magnet Model‘ von Patricia Kuhl
Die Normalisierung und Wahrnehmung eines fremden Akzents Datum: Referentin: Carolin Funk Dozent: Prof. Dr. Jonathan Harrington Hauptseminar:
Dissimilation und ihre Bedeutung für den diachronen Lautwandel
Grundlagen der Analyse von Sprachdatenbanken
Artikulationsstelle, F2-Locus, Locusgleichungen Jonathan Harrington.
Aufbau, Abfrage, Analyse von Sprachdatenbanken ErstellungAnalyse Abfrage Digitale Zeitsignale akustisch, artikulatorisch Etikettieren Verknüpfung mit Symbolen.
Was ist die artikulatorische Grundlage von Locus-Gleichungen? Hauptseminar: Modelle der Sprachproduktion & - perzeption Dozent: Prof. Dr. Jonathan Harrington.
Lautwandel, Perzeption, Kompensierung für Koartikulation.
Was ist laut Stevens die Beziehung zwischen dem akustischen Signal, distinktiven Merkmalen und dem Lexikon?
Snyder, L. H., Batista, A. P., & Andersen, R. A. (1998) Change in Motor Plan, Without a Change in the Spatial Locus of Attention, Modulates Activity in.
Parietal neglect and visual awareness
Die Türme von Hanoi Die Lösungsfindung nach dem Prinzip der Rekursion wird noch einmal textuell und grafisch erläutert
Die Verschriftung der Sprache
Frage 1 Skizzieren Sie die Untersuchung von Loftus und Palmer (1974) zur Manipulation von Augenzeugen. „Typ“ der Frage: Untersuchung darstellen Probleme:
Wiederholung zum Thema Informationsverarbietungsmodelle.
Kategoriale Wahrnehmung
Heute: Scherenzange zeichnen
Linguistik Stellen Sie Fragen zum Text (schauen Sie auf Ihre Unterlagen)! Versuchen Sie die gestellten Fragen zu beantworten!
Übungen zur Vorlesung Stochastik und ihre Didaktik
Externe Bewertung in IB-Biologie
Ohalas ‚phonetics and phonology of aspects of assimilation‘
Physik für Mediziner und Zahnmediziner
Auf Wunsch einer einzelnen Dame
Zum verständlich machen, wozu die Trigger-Funktion geeignet ist,
© Wortstellung im Deutschen Norbert Fries.
Die synchronen Grundlagen des Lautwandels Jonathan Harrington.
Verarbeitung von Implikaturen iv Ist die Interpretation von skalaren Implikaturen gegenüber der wörtlichen Interpretation verzögert? Grodner et al
Wie schreibe ich eine Diplom- bzw. Masterarbeit ?
Gibt es „kurze“ und „lange“ Vokale?
Ludwig van Beethoven Ludwig van Beethoven
Das ABC der Statistik DIE HÄUFIGKEITSTABELLEN 1
Sprachproduktion und Sprachwahrnehmung
Zusammenfassung von Hombert et al (1979) und Löfqvist (1989)
Beachten Sie die Temperaturen von Locarno und Altdorf.
Vom graphischen Differenzieren
Grammatikalische Begriffe im Unterricht
Lauterwerb siehe auch Wode, 1988, Kapitel 9.3.
ResA am Arbeitsplatz Das Vorgehen ist angelehnt an „5 S“ und bietet Ihnen die Möglichkeit das Konzept der 5 Disziplinen ressourcenschonenden Arbeitens.
Oro-nasalerProzess Einführung in die Phonetik und Phonologie   Oro-nasaler Prozess.
Phonetische Dauermessungen n ip006rb.wav laden “Die Lallphase dauert nicht lange” ip001rb.wav laden “Peter tippt auf die Kieler” - Wie unterscheidet sich.
Peter Kaufmann Stud Sek I 06 FHNW Aarau, Posterdesign © Maria Spychiger Jasmin KlauserStud Sek I 06 FHNW Aarau,
Zusammenfassung der Analysekriterien im Oszilogramm
Zusammenfassung der Analysekriterien im Oszilogramm
 Präsentation transkript:

Phonetische und Phonologische Aspekte der Assimilierung Hauptseminar: Die phonetischen Grundlagen des Lautwandels Dozent: Prof. Dr. Harrington Referent: Lukas Giuliani Datum: 18.06.09

Übersicht Fragestellung Typische Assimilierung Theorien und Lösungsansätze Unterschied zwischen VC und CV Silben Experiment 1 Stimuli und Versuchsaufbau Ergebnisse Experiment 2 Versuchsaufbau Zusammenfassend

Fragestellung: Inwiefern unterscheiden sich phonetisch CV und VC Reihenfolgen, und welche Folgen hat dieser Unterschied für den Lautwandel ?

Häufige Assimilierung Wenn zwei Stops mit verschiedenen Artikulationsstellen aufeinander treffen wird der erste Stop meißt zum zweiten Stop hin assimiliert Scriptu → scritto Nocte → notte Bhaktum → bhattum Labdha → laddha Noch häufiger geschieht es das ein Nasal zur Artikulationsstelle eines folgenden Stops hin assimiliert Primu tempus → printempus Amita → ante

Darstellung Um diese Assimilierung zu notieren wurden Tabellen angelegt, aber diese Tabellen zeigen nicht, dass der Übergang von C1 nach C2 sehr häufig, im entgegen gesetzten Fall allerdings sehr selten ist Als Lösung nach Chomsky und Halle (1968) wurde der Begriff der Markiertheit und die Konvention, von akkustischen Cues zu reden, eingeführt. Im Bezug auf Assimiliation steht unmarkiert für untypische Assimilation und markiert für typische Assimilation Die akkustischen Cues werden im späteren Verlauf noch eine wichtige Rolle spielen Laut Ohala stellt dies aber keine Lösung dar sondern es “flickt“ nur temporär ein paar Probleme wie der patch für ein Programm. Dies ist auch der Grund warum viele Darstellungsformen im Laufe der Zeit entwickelt wurden

Bisherige Lösungsansätze Das so genannte “ease of articulation“ Prinzip Besagt dass Sprecher unterbewusst dazu tendieren Worte so zu assimilieren dass das Wort “leichter“ zu artikulieren ist Größtes Pro: Tatsächlich wird eine Artikulationsstelle weniger “angesteuert“ und die “artikulatorische Arbeit“ ist weniger groß Größtes Kontra: Die Tatsache, dass nicht erklärt werden kann warum, in ca 95% aller Fälle, C1 zu C2 assimiliert wird und nicht umgekehrt

Bisherige Lösungsansätze Eine weitere Theorie nach Kent (1936) Die Gedanken des Sprechers sind schon weiter voraus als seine Artikulation, daher wird der hintere Teil der Äußerung assimiliert, da es “teurer“ wäre nochmal “zurück zu denken“ Beispiele die diese Theorie bestätigen würde sind unter anderem Buchstabenverdreher wie “teep a cape → keep a tape“ Erklärt aber auch nicht zufriedenstellend die am Anfang gesehenen Assimilierungen

Zurück zur Frage Inwiefern unterscheiden sich phonetisch KV und VK Reihenfolgen, und welche Folgen hat dieser Unterschied für den Lautwandel ?

VC vs CV Mehrere Studien haben gezeigt: Wenn man eine VC und CV Äußerung nacheinander, mit einer kleinen Pause dazwischen die der Länge eines typischen Stops entspricht abspielt, dann nehmen die meißten Hörer nur einen Konsonanten wahr, und zwar den der von der CV Seite her stammt Beispiel: /eb+de/ wird gehört als /ede/

VC vs CV P-centre Dieser Effekt ist immer noch ungeklärt, vermutlich spielen mehrere Faktoren eine Rolle P-centre: Das so genannte P-centre ist der Moment, an dem die Silbe laut Hörer beginnt, dieser Moment ist meistens “falsch“ gewählt also bspw. bei Plosiven mit anschließendem Vokal, wird nicht beim Burst oder beim Einsatz der Stimme das P-centre gewählt, sondern irgendwo in der Mitte der Aspiration Bei CV liegt das P-centre nah an der CV-Äußerung → CV sind wichtiger für den Hörer als VC → CV vs VC 1 : 0

VC vs CV Salience Die so genannte Salience, hier Übersetzt mit Wichtigkeit Die Wichtigkeit definiert sich durch den simultanen Wechsel von akustischen Parametern Je mehr Wechsel, desto höher die Wichtigkeit einer Äußerung Bei VC Äußerungen wird der Konsonant mehr von dem Vokal (besonders bei Stops) eingefärbt, als ein C bei einer VC Äußerung Da der Wechsel von Parametern bei der Artikulation, entscheidend für die Wichtigkeit einer Äußerung ist, wird hier die VC Äußerung bevorzugt → CV vs VC 2 : 0

VC vs CV Salience Die meisten Wechsel von Parametern treten in der Nähe von CV Äußerungen auf, da die Obstruenten aprupte Wechsel im aerodynamischen Druck unter und oberhalb der Glottis erzeugen Wegen den Obstruenten braucht es dann mehr Zeit um das Luftdrucklevel hinter der Verengen zu auf ein maximum zu steigern Als Ergebnis entsteht dann bei Öffnung ein aprupterer Wechsel der Amplitude der Stimme und es wird ein “Burstartiger“ Ton erzeugt Deswegen ist CV wegen der Öffnung von C nach V wiederum wichtiger als VC → CV vs VC 3 : 0

VC vs CV Manche Befunde haben auch gezeigt das Sprecher aktiv versuchen kurzzeitig eine definiertere Artikulation bei einer CV Äußerung zu machen um Die Wichtigkeit noch zu erhöhen Höhere Präzision bei der Artikulation erhöht dadurch, das die Bewegung eines einzelnen Artikulators den Wechsel in der Akustik erhöht, die Wichtigkeit mehr, als ein gleichzeitiger Wechsel von 2 Artikulatoren Es lohnt sich daher für den Sprecher mehr prevokalische Silben zu bevorzugen und klarer zu artikulieren, da diese von vornherein schon eine höhere Wichtigkeit besitzen als postvokalische → CV vs VC 4 : 0

Experiment 1 Stimuli Verwendete Stimuli: VCV und VC1C2V Äußerungen V war immer ein /a/ Und C und C2 immer /p, t, k, b, d, g/ C1 Nasal mit gleicher Artikulationsstelle VCV VC1C2 V 'apa 'aba 'ampa 'amba 'ata 'ada 'anta 'anda a'pa a'ba am'pa am'ba … … … ... Insgesamt wurden 24 Aufnahmen zu 72 Paaren erstellt

Experiment 1 Versuchsaufbau Filterung mit 5 kHz → Samplerate von 10 kHz → Kopie und Tokenisierung → Randomisierung der Daten → Aufnahme auf ein Tape mit jeweils → 250ms 1 kHz Sinus Warnton 500ms vor jedem Stimuli und → 4-6s Pause zwischen den Stimuli 6 Tokens wurden zufällig für eine Trainingsrunde vorweg verwendet 12 Versuchspersonen wurden befragt Ihnen wurde erklärt es ginge um ein Sprachsyntheseexperiment Antwortmöglichkeiten waren immer C1, C2 oder “other“ Beispiel: Stimulus /ap-ka/ Antwortmöglichkeiten /apa/ /aka/ “other“

Experiment 1 Ergebnisse Von 576 Antworten (das waren alle Antworten bei dem bei der Randomisierung nicht C1 = C2) zeigten 93% das C2 dominanter war als C1 Bei unterschiedlicher Betonung der Silben zeigte sich kein Unterschied Bei stimmlosen vs. stimmhaften Silben zeigte sich ein kleiner aber dennoch signifikanter Unterschied, 89% bei stimmhaften und 97% bei stimmlosen Stimuli wurden C2 zugeordnet

Experiment 2 Versuchsaufbau Die Stimuli aus Experiment 1 wurden modifiziert Alle C1 = C2 und C1 = nasal, Stimuli wurden gelöscht Bei den restlichen wurde die Verschlussphase in 10 ms Schritten soweit erhöht, bzw. reduziert, bis die Verschlussphase bei 120-170 ms bei den stimmlosen und 70 – 140 ms bei den stimmhaften Stimuli lag Dann wurde wieder randomisiert und dieses mal wurden 18 Hörer getestet Die Antwortmöglichkeiten diesmal waren Bei einem Stimulus / V C1 C2 V / Antwortmöglichkeiten / V C1 V / / V C2 V / / V C1 C2 V / Beispielstimuli / a k t a / Antwortmöglichkeiten / a k a / / a t a / / a k t a /

Experiment 2 Ergebnisse Durchgezogene Linie = Stimmhaft Gestrichelte Linie = Stimmlos Y-Achse = steigende VC1C2V Beurteilungen X-Achse = Dauer der Verschlußphase → Wenn die Dauer der Verschlußpahse steigt, tendieren mehr Hörer dazu beide Konsonanten wahrzunehmen und nicht nur einen Einzelnen

Experiment 2 Ergebnisse Es wird vermutet das dieser Unterschied die Wiedergabe des intrinsischen Unterschieds der Dauer der Verschlußphase zwischen stimmhaften und stimmlosen VCV - Äußerungen ist Stimmhafte Stops sind typischerweise kürzer als stimmlose Deswegen müssen Hörer eine kürzere stimmhafte Verschlußphase hören um eine VCV - Äußerung zu hören statt einer VC1C2V – Äußerung Dies lässt darauf schließen das Hörer ihre bisherige Erfahrung verwenden um zwischen VCV und VC1C2V zu unterschieden. Es könnte also sein das der Lautwandel (am Anfang) daran liegt dass es den Hörern an Erfahrung mangelt die schwächeren Cues der CV Transition zu hören.

Zusammenfassend Inwiefern unterscheiden sich phonetisch CV und VC Reihenfolgen, und welche Folgen hat dieser Unterschied für den Lautwandel ? CV Silben dominieren bei P-centre, Salience (durch die Vokalische Einfärbung und den Druck der Obstruenten) Die Folge für den Lautwandel ist, dass auch in Zukunft Äußerungen mit der Struktur V C1 C2 V nach V C2 V verändert werden Dieser Vorgang kann auch schon heute beobachtet werden und es ist nur eine Frage der Zeit bis manche Wörter des Deutschen assimiliert werden. Beispiele: Astgabel → Asgabel Kostbar → Kosbar Altbier → Albbier

Zusammenfassend Some [schoolars of language]... have allowed themselves... to be led astray by paying more attention to the symbols of sound than to sounds themselves (KEY 1857) … on paper almost everything is possible (OSTHOFF AND BRUGMANN 1878)