Prof. H. Monheim Dr. J.M. Nebe, Patrick Fallis Favelasyndrom

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 Präsentation transkript:

Prof. H. Monheim Dr. J.M. Nebe, Patrick Fallis Favelasyndrom Trends, Probleme, Strategien

Kofi Annan: „We the People“ (Millennium Report 2000) “Slums go by various names – favelas, kampungs, bidonvilles, tugurios, gecikondus – but the meaning is everywhere the same: miserable living conditions. Slum dwellers live and work in conditions of pervasive insecurity – exposed to disease, crime and environmental hazards. And yet these cities – within cities – are wellsprings of entrepreneurial energy that can be mobilized to provide welfare improvements for their inhabitants and for society at large.“

Synonyme Begriffe Slum Informelle Siedlung (Unplanned Settlement) Squattersiedlung (Spontansiedlung) Regionalspezifische Synonyme Favelas (Brasilien) Villa miseria (Argentinien) / Barriadas (Peru) Kampungs (Südostasien: Indonesien, Malaysia..) Bidonvilles (Westafrikas frankophone Staaten..) Tugurios (Mittel- und Südamerika: Peru, El Salvador..) Gecikondus - Gecekondu (Türkei)

Merkmale I ungeplant illegal/informell ohne Infrastruktur improvisiert selbst gebaute Hütten extrem dicht bebaut (low rise- high density) keine Straßen + Freiflächen Standorte in Ungunstlagen

Sao Paulo's größtes Favela (Morumbi)

Nairobis größtes Slum (Kibera)

Dichte Beispiel Kibera Informal Settlement in Nairobi

Merkmale II Typische Ungunststandorte am Siedlungsrand auf eigentlich nicht gut bebaubaren Flächen (im Sumpf/ Hanglage) auf kontaminierten und stark emissionsbelasteten Flächen z.B. neben Industrie neben Verkehrsbändern (Straße/Schiene/Flughafen)

Verteilung der Slums (Nairobi, Kenia)

Hanglage (Favela Rio de Janeiro)

Hanglage (Favela Rio de Janeiro)

Ungunststandorte (Indien)

Ungunstlage (Flughafen Hyderabat, Indien)

Differenzierungen Südamerika und Südafrika z.T. auch Standorte in heruntergekommenen Innenstadtgebieten (mehrgeschossig) Südafrika auch spezielle, geplante „Matchbox-Siedlungen“ in Townships weniger dicht, besser geplant, teilweise an Infrastruktursysteme angeschlossen teilweise am Rand durch informelle Siedlungen erweitert Indien z.T. auch „Leben im Pappkarton“ bzw. auf der Straße Europa Obdachlosen - Hot spots

Township in Südafrika (SoWeTo, Johannesburg)

Township in Südafrika (Mdantsane, East London/Kapstadt)

Übergang von geplanten „Matchbox Houses“ zu informellen Hüttensiedlungen

“Shacks” im Township (Mdantsane, East London)

Slums auch in Europa/ Deutschland? Früher, in der Frühphase der Industrialisierung (1800-1890) ähnliche Probleme Erst in England, später auch in allen anderen Industrieländer Grund: rasante Landflucht Folge: Schnelles Stadtwachstum, explodierende Metropolen

Marx und das Lumpenproletariat massive Probleme in Zuwanderungsstädten schnelles, billiges, spekulatives Bauen explodierende Städte mangelhafte Planung Seuchen, Kindersterblichkeit, Alkoholismus, „revolutionäre Umtriebe“ Reaktionen Starke „linke“ Sozialkritik an Mißständen (Karl Marx, August Zille) Starke „rechte“ Großstadtkritik (überall ist „Babylon“) Anlaß für Gegenstrategien Bessere Infrastrukturplanung Aufbau von Sozialversicherungssystemen Neue Stadttechnik

Slums in Europa auch heute? Im Sinne von informellen Siedlungen ja Obdachlosenprobleme Hausbesetzer Soziale Brennpunkte heruntergekommene Bebauung (aber mehr Geschoßwohnungsbau als Hütten) Flächensanierung der 1960er bis 1980er Jahre

Plattenbau Berlin Marzahn

Illegalität Hausbesetzungen der 80er Jahre Links Stuttgart; Rechts Ost-Berlin

Typische Nutzungsmerkmale eines Slums in der dritten Welt informelles Wohnen (extrem dicht, total überbelegt, ohne Vertrag, aber u.U. trotzdem mit teuren Mieten an „Landlords“) Arbeiten in der informellen Mikroökonomie (Handel, Produktion, Handwerk, Dienstleistung) kleinteilige private Versorgung durch Minishops und fliegende Händler (Lebensmittel, Wasser, Plumpsklo)

Arbeiten in der Informalität

Arbeiten in der Informalität

Ausstattung der Gebiete illegal/ informell, daher keine Planung keine Verwaltung keine Infrastruktur (Straße, Trinkwasser, Abwasser, Müll, Elektrizität, Sicherheit) keine Anbindung Keine Gesundheits- /Bildungsversorgung Kein Schutz vor Abriss

Bauliche Mängel Selbst gebaute Hütten - Improvisation

Hygiene- und Gesundheit

Müllproblematik

Wasserver- und entsorgung

Elektrizität

Verkehr

Straßen

Typische Probleme I Hygiene- und Gesundheit hohe Kindersterblichkeit, AIDS, geringe Lebenserwartung Viele Gewalttaten, Morde, generell Kriminalität und auch häusliche Gewalt kein sauberes Trinkwasser, keine Abwasserbeseitigung, keine Müllbeseitigung Keine Gesundheitsversorgung

Typische Probleme II Bauliche Mängel Hangrutschungen, Einsturz von Häusern Hütten bieten wenig Schutz vor Regen, Hitze, Lärm, Emissionen Kochen oft am offenen Feuer Wirtschaften oft mit verseuchtem Wasser Keine Straßen, nur schmalste, unbefestigte, nicht wetterfeste Gässchen und Pfade, daher auch nicht zugänglich für Fahrzeuge und Leitungstrassen

Typische Probleme III Schlechte Lage und Anbindung Große Entfernungen zu potenziellen Arbeitsplätzen Große Entfernungen zu Märkten, Versorgungseinrichtungen

Typische Probleme IV Soziale, ethnische, religiöse und politische Konflikte Armut Konkurrenz der Ethnien, gewaltsame Konflikte Alkoholismus (illegaler Fusel) Häusliche Gewalt Prostitution Ausbeutung durch „Etablierte“ (Mietwucher, Verdrängung)

Riesige Dimensionen Gebiete mit oft hunderttausenden Einwohnern schnell wachsend durch weitere Zuwanderung (Landflucht, politische und/oder religiöse Flüchtlinge) hohe Geburtenraten

Geburtenrate im Vergleich Deutschland auf Platz 222 von 225 aufgeführten Ländern (8.18 Geburten per 1000) Platz 1: Niger mit 51,6 per 1000

Struktur der Bewohner viele Zugewanderte (Landflucht und politische/ethnische sowie Umwelt- Flüchtlinge), dadurch multiethnisch „Groß“ familien und „unvolllständige“ Familien auch Singles als Wanderarbeiter sehr jung, viele Kinder

Status der Bewohner illegal/ informell ungeschützt, rechtlos ohne jede formale Absicherung Daher nie sicher vor …. Vertreibung Erpressung Wucher Prostitution Kriminalität Häuslicher Gewalt

Reaktionen der Politik Top-Down Politik und Moderne Strategien

Falsche Top–Down Strategien Bulldozerpolitik Abriß aus angeblichen hygienischen und sozialen Gründen Abriß aus politischen Gründen („Schandfleck beseitigen“) Abriß aus ökonomischen Gründen (Bodenspekulation) damit… Vertreibung in den nächsten Slum St. Florians-Prinzip

Bulldozer- Politik

Falsche Top–Down Strategien Indien: Slum zu verkaufen! Die Stadt Mumbai will 300.000 Menschen umsiedeln: Aus Asiens größtem Armenviertel soll eine glitzernde Vorstadt mit hochmodernen Büro- und Wohntürmen gemacht werden… ZEIT online  21.6.2007 http://www.zeit.de/online/2007/26/mumbay-slum

Strategien „mittlerer Intensität“ Schneisen in die Gebiete schlagen für Straßen (Auto, LKW) Leitungstrassen (Wasser, Abwasser, Elektrizität) mehr Freiflächen (Markt) neue Geschoßbebauung (immer viel zu teuer für die Slumbewohner, daher Abdrängen in den nächsten Slum)

Angepaßte Mikro- Strategien - partizipativ, behutsam, endogen - Bestand bleibt erhalten, aber wird verbessert Selbsthilfe wird gefördert Maßnahmen werden gemeinsam mit den Bürgern erarbeitet Material wird bereit gestellt (z.B. Baumaterial, Wasserbehälter, PET Flaschen) Informelle Mikroökonomie wird akzeptiert und gefördert

Versorgungssysteme Leitungen (Wasser, Abwasser, Strom) kleinteilig, dezentral, Zapfstellen nicht in jeder Hütte sondern für größere Blöcke Standards angepaßt auf bauliche Strukturen und Zahlungsfähigkeit Organisation möglichst arbeitsbeschaffend

Versorgungssysteme Öffentliche Toiletten; Wasserkiosk

Typische „Antreiber“ der rasanten Urbanisierung und Slumbildung Forcierte Landflucht wegen… Handelsbarrieren Umweltgründe/ Klimawandel Politischer Konflikte Armut/Hunger Hohe Erfolgshoffnungen wegen… mehr Gelegenheiten Weniger soziale Kontrolle „Bevölkerungsexplosion“ wegen… hoher Geburtenraten verschärfter Migration in Primatstädte Wachsender Mobilität von Wanderarbeitern „Familiennachzug“, wenn ein „Pionier“ da ist

Formen weltweiter Urbanisierung Stagnierende Urbanisierung in der „alten“ Welt Slumproblem dort allenfalls punktuell und geringfügig Forcierte Urbanisierung in der dritten Welt Dominanz der Primatstädte durch fehlende Dezentralisierung

Querverbindungen zu anderen Themen der Reihe Suburbanisierung (Slums müssen oft von der Suburbanisierung „übersprungen“ werden) Globalisierung der Wirtschaft (Slums entstehen aus massenhafter Verarmung/ Arbeitslosigkeit in Folge von Globalisierung) Flüchtlinge (Flüchtlingsströme forcieren Slumprobleme) Klimakatastrophe (Slums sind durch ihre direkten Umweltfolgen belastend, allerdings belasten Nichtslums (z.B. Villenviertel) viel mehr (z.B. Energie- und Wasserverbrauch, Autoverkehrsemissionen

Literatur zum Thema Slums BRONGER, D. (2004): Metropolen, Megastädte, Global Cities. Die Metropolisierung der Erde. Darmstadt UNITED NATIONS HUMAN SETTLEMENTS PROGRAMME (2003): The Challenge of Slums. Global Report on Human Settlements 2003. Nairobi. UNITED NATIONS HUMAN SETTLEMENTS PROGRAMME (2003): Guide to Monitoring Target 11: Improving the lives of 100 million slum dwellers. Nairobi. UNITED NATIONS HUMAN SETTLEMENTS PROGRAMME (2005): Financing Urban Shelter. Global Report on Human Settlements 2005. London, Sterling.