Einführung in die romanische Sprachwissenschaft IVc

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Einführung in die romanische Sprachwissenschaft IVc Sitzung am 2.11./9.11.2010 SPRACHGESCHICHTE (2) Vom Dialekt zur Nationalsprache

Interne und externe Sprachgeschichte Zur Wiederholung

Interne und externe Sprachgeschichte VERÄNDERUNGEN IM SYSTEM EINER SPRACHE Lautwandel Formenwandel Wandel im Bereich der Satz- konstruktion AUSSERSPRACHLICHE FAKTOREN, DIE SICH AUF DIE ENTWICKLUNG DER SPRACHE AUSWIRKEN Gesellschaft Politik Kultur (z.B. die Literatur) Erfindungen Buchdruck Eisenbahn Computer Internet

Periodisierung: die Gliederung der Sprachgeschichte Dargestellt anhand von Fallstudien

Periodisierung Definition Unter Periodisierung versteht man die Einteilung der Sprachgeschichte in Zeitalter, (Epochen), d.h. in Zeitabschnitte mit gemeinsamen Merkmalen … z.B. „Alt-“, „Mittel-“, „Neu-“ mit eventuellen Zwischenstufen. Die Unterteilungen in Epochen sind normalerweise relativ flexibel, d.h. die Grenzen zwischen ihnen sind fließend. In der Sekundärliteratur werden Sie daher auf unterschiedliche Periodisierungsmodelle stoßen.

Beispiel einer Periodisierung der Sprachgeschichte Beisp. 1: Französisch Beisp. 2: Spanisch Altfranzösisch (9. Jh. bis ca. 1300) Mittelfranzösisch (ca. 1300 bis 1500) Frühneufranzösisch (ca. 1500 bis ca. 1600) Neufranzösisch (seit ca. 1600) Altspanisch (ca. 1200 bis ca. 1450) Mittelspanisch (ca. 1450 bis 1650) Neuspanisch (seit ca. 1650)

Periodisierung Die Periodisierung der Geschichte einer Sprache kann sowohl mit Hilfe sprachinterner als auch mit Hilfe sprachexterner Kriterien vorgenommen werden.

Periodisierung am Beispiel des Frz. ALTFRANZÖSISCH Konzil von Tours (813): Wahrnehmung des Unterschieds zw. Latein und Romanisch (= sprachexternes Kriterium) Auftreten erster Texte: Straßburger Eide (842), Eulalia-Sequenz (ca. 880) … Rolandslied (ca. 1080) (= sprachexternes Kriterium) Veränderungen gegenüber dem Lateinischen in Bezug auf Grammatik und Wortschatz (= innersprachliches Kriterium) Wichtig: das Altfranzösische war keine einheitliche normierte Sprache und existierte nur in Form verschiedener Dialekte.

Epochengrenzen am Beispiel des Frz. Vom ALTFRANZÖSISCHEN zum MITTELFRANZÖSISCHEN Das Altfranzösische besaß noch Reste der lateinischen KASUSFLEXION (im Gegensatz zum Altspanischen und Altitalienischen): Nom. Sg. lat. MURUS > afrz. murs (Casus rectus) Akk. Sg. lat. MURU(M) > afrz. mur (Casus obliquus) Nom. Pl. lat. MURI > afrz. mur (Casus rectus) Akk. Pl. lat. MUROS > afrz. murs (Casus obliquus) Das Mittelfranzösische z.B. kennt das Zwei-Kasus-System nicht mehr (= sprachinternes Kriterium der Periodisierung)

Periodisierung am Beispiel des Frz. Altfranzösisch Mittelfranzösisch Externe Kriterien Unterschiedliche verschriftete Dialekte (= Scriptae): Pikardisch, Wallonisch, Normannisch, Franzisch (= Dialekt von Paris) … Bedeutende literarische Werke Keine politische Einheit Noch kein zentraler Königshof Externe Kriterien Dominanz des Pariser Dialekts („Franzisch“) Soziale Umwälzungen während des Hundertjährigen Krieges (1339-1453) Weniger bedeutende literarische Werke Herausbildung eines Nationalbewusstseins beginnende Zentralisierung

Wichtige Etappen der romanischen Sprachgeschichte (1) Romanisierung / Latinisierung

Wichtige Etappen der romanischen Sprachgeschichte Romanisierung und Latinisierung: Expansion Roms Frühe Latinisierung in Italien Sprachkontakte des Lateinischen: Etruskisch, Oskisch, Umbrisch, Keltisch, Ligurisch, Venetisch u.a. (Spuren finden sich – je nach SUBSTRAT - im Italienischen sowie in ital. Dialekten) Frühe Latinisierung und auf der Iberischen Halbinsel (Punische Kriege, 264-241 v.Chr.) Sprachkontakte des Lateinischen: Baskisch, Iberisch, Keltiberisch, Keltisch (insbes. Im heutigen Galizien) u.a. (Spuren finden sich in den iberoroman. Sprachen) Spätere Latinisierung in Frankreich (Gallische Kriege) (früher und intensiver im Süden Frankreichs, 125-120 v.Chr., ganz Gallien 58-51 v.Chr.) Sprachkontakte des Lateinischen: Keltisch (Spuren finden sich im Französischen u.a. galloroman. Sprachen)

Wichtige Etappen der romanischen Sprachgeschichte Vorrömische Substrateinflüsse in den romanischen Sprachen Italien Etruskischer Einfluss Einige Vokabeln und möglicherweise die gorgia toscana gehen auf ein ETRUSKISCHES SUBSTRAT zurück gorgia toscana = Abschwächung der intervokalischen Verschlusslaute des Lateinischen, z.B. la casa [lahasa] Diese These ist in der Forschung allerdings umstritten

Wichtige Etappen der romanischen Sprachgeschichte Vorrömische Substrateinflüsse in den romanischen Sprachen: Phonetik Spanien/Portugal z.B. Sonorisierung der intervokalischen Verschlusslaute des Lateinischen –P-, -C-, -T- > -b-, -g-, -d- lat. AMICU(M) > sp./pg. amigo z.B. Die Entwicklung von lat. –CT- lat. NOCTEM > pg. noite, sp. noche

Wichtige Etappen der romanischen Sprachgeschichte Vorrömische Substrateinflüsse in den romanischen Sprachen: Phonetik Frankreich z.B. Sonorisierung (oder Verstummung) der intervokalischen Verschlusslaute des Lateinischen –P-, -C-, -T- > -b- (> v), -g- (> ), -d- (> ) lat. AMICU(M) > frz. ami lat. RIPA(M) > frz. rive lat. VITA(M) > frz. vie (vgl. sp./pg. vida)

Wichtige Etappen der romanischen Sprachgeschichte Vorrömische Substrateinflüsse in den romanischen Sprachen:Wortschatz Spanien/Portugal sp./pg. cama ‚Bett‘ sp. perro, barro, charco, pestaña …

Wichtige Etappen der romanischen Sprachgeschichte Vorrömische Substrateinflüsse in den romanischen Sprachen:Wortschatz Frankreich Keltische Substratwörter im Französischen charrue, quai, marne, mouton, lieue etc.

Wichtige Etappen der romanischen Sprachgeschichte (2) Sprachkontakt während der Völkerwanderung

Sprachkontakt während der Völkerwanderung Germanische Völker in Frankreich Fränkische Lehnwörter im Französischen Alemannen Burgunder Westgoten Franken Normannen garder gagner gage garantir loge bleu gris (…)

Wichtige Etappen der romanischen Sprachgeschichte Germanische Völker auf der Iberischen Halbinsel Germanische Lehnwörter im Spanischen / Portugiesischen Westgoten Sueben ropa gana ganar ganso

Wichtige Etappen der romanischen Sprachgeschichte Germanische Völker in Italien Germanismen im Italienischen Ostgoten Langobarden Franken grigio guadagnare guardare schiena trappola tappo

Wichtige Etappen der romanischen Sprachgeschichte (3) Ausbau, Standardisierung und die Herausbildung romanischer Nationalsprachen

Beginnen wir bei Italien…

Italien Italien wurde unter dem byzantinischen Kaiser Justinian im 6. Jh. n.Chr. bis 1860 nie als politische Einheit regiert. Es kam zur Herausbildung zahlreicher Dialekte, die seit dem Mittelalter neben dem Mittellateinischen in der Literatur sowie in der Gebrauchsprosa Verwendung fanden. An den Höfen Norditaliens wurde auch die altprovenzalische Dichtung gepflegt. Die erste bedeutende Literatur in einer italoromanischen Varietät stammt aus Süditalien am Hofe Friedrichs II. (Sizilianische Dichterschule).

Italien Zwischen dem späten 13. und der Mitte des 14. Jhs. entstand die wichtigste Literatur aus der Toskana, genauer gesagt aus Florenz. Sie wurde in ganz Italien rezipiert. Zu den wichtigsten Vertretern gehören Dante Alighieri (Divina Commedia), Giovanni Boccaccio (Decamerone) und Francesco Petrarca (Canzoniere). In seinem Traktat De vulgari eloquentia setzt sich Dante Alighieri als erster mit der sprachlichen Zersplitterung Italiens auseinander. Außerdem sucht Dante in De vulg. eloqu. nach einer gemeinsamen Dichtersprache für ganz Italien, das lediglich eine geographische Größe darstellte, keine politische.

Italien Die Literatur blieb bis zum 19. Jahrhundert ein wichtiges Identifikationsmittel für die Elite im politisch und dialektal zersplitterten Italien. Die heutige italienische Standardsprache basiert auf der Florentiner Literatursprache des 14. Jahrhunderts. Hätte sich in Italien bereits im Mittelalter eine zentrale politische Macht etablieren können, wäre die Standardsprache heute sicherlich eine andere.

Italien Wieso basiert das moderne Italienische auf der Literatursprache eines mittelalterlichen Stadtdialekts? Florentiner Texte des 14. Jhs. lassen sich auch heute noch relativ problemlos verstehen. Der Grund: Seit dem frühen 16. Jahrhundert wurde die 150 Jahre alte Literatursprache mit Hilfe von Texten, Grammatiken und Wörterbücher gelernt, wie das (im 15. Jh. rekonstruierte) klassische Latein (Cicero = Modell für die Prosa, Vergil = Modell für die Lyrik). Es wurde allerdings über Jahrhunderte hinweg über das geeignete Sprachmodell gestritten (= Questione della lingua).

Italien Die Questione della lingua Es gab im 16. Jh. folgende Hauptströmungen: Anhänger des Lateinischen: Ablehnung der it. Volkssprache (sie ist durch Sprachmischung der Völkerwanderungszeit entstanden und daher minderwertig) Anhänger der Volkssprache (gleichzeitig auch gute Kenner des Lateinischen) Anhänger des Florentischen des ausgehenden Mittelalters Anhäger des modernen Florentinischen (wie es im 16. Jh. gesprochen wurde) [nur in Florenz] Anhänger einer höfischen Mischsprache

Italien Die Questione della lingua Durchgesetzt haben sich die Anhänger der Florentiner Literatursprache des ausgehenden Mittelalters. Die Anhänger stammten alle nicht aus Florenz oder der Toskana, sondern aus anderen Dialektzonen (insbes. aus Nord- und Süditalien). Die schriftliche Überlieferung der Texte, die seit dem späten 15. Jh. auch gedruckt wurden, ermöglichte die systematische Erlernung wie eine Fremdsprache. Die Grammatiken des 16. Jhs. beschrieben ausschließlich die Literatursprache des 14. Jhs., nicht die Sprache der Gegenwart wie in Spanien und Frankreich).

Italien Etappen des Erfolges - Sprachpflege 1516: erste gedruckte Grammatik (G.F. Fortunio, Regole grammaticali). 1525: der venezianische Kardinal Pietro Bembo veröffentlicht seine programmatische Schrift Prose della volgar lingua. In der zweiten Hälfte des 16. Jhs. beginnt sich P. Bembos Modell auch in Florenz durchzusetzen. 1583: Literaten gründen in Florenz die Accademia della Crusca, welche das mittelalterliche Florentinische institutionalisiert. 1612: es erscheint in erster Auflage das normative und puristischeVocabolario degli Accademici della Crusca.

Italien Bis zur staatlichen Einigung (1860) dominierte P. Bembos Sprachmodell. Das Italienische war jedoch eine fast ausschließlich geschriebene Sprache. In der Alltagskommunikation verwendeten auch gebildete Sprecher normalerweise den örtlichen Dialekt. Nach der Proklamation des Königreichs Italien stellte sich das Problem der Schaffung einer gesamtitalienischen Sprache, die nicht nur geschrieben, sondern auch gesprochen wurde. Der Mailänder Schriftsteller Alessandro Manzoni machte sich bereits in den 30er Jahren des 19. Jhs. Gedanken über eine gesamtitalienische Sprechsprache. Sprachliches Vorbild sollte der gesprochene Florentiner Dialekt der Oberschicht werden. Dies Modell wurde im späten 19. Jh. von der Regierung übernommen.

Italien Die Geschichte der italienischen Sprache unterscheidet sich grundlegend von der Geschichte anderer europäischer Sprachen. Das Französische, Spanische und Portugiesische entwickelten sich seit dem Mittelalter auf der Basis gesprochener Sprachen zu Nationalsprachen. Das Italienische entwickelte sich seit dem 16. Jh. aus einer bereits 200 Jahre alten Literatursprache zur Nationalsprache. Ohne den Einfluss einer numerisch bedeutsamen Sprecherschaft wie in Frankreich oder Spanien waren die strukturellen Veränderungen daher sehr gering.

… nun zu Frankreich…

Frankreich Wir erinnern uns… Dante Alighieri unterschied in seinem Traktat De vulgari eloquentia (ca. 1305) in Bezug auf die Volkssprache in Frankreich zwischen einer lingua oc und einer lingua oil (= nfrz. oui) Die lingua oil wurde in der nördlichen Hälfte gesprochen und hatte sich relativ weit vom Lateinischen fortentwickelt. Sie gliederte sich in diverse Dialekte (Pikardisch, Wallonisch, Normannisch…), wobei der Dialekt von Paris [Ile-de-France] (seit dem 19. Jh. als „Franzisch“, frz. „francien“ bezeichnet) mit der Macht des Königshauses an Bedeutung gewann. Die lingua oc im Süden war konservativer als die lingua oil und näher an der lat. Ausgangssprache (nahe am Katalanischen). Sie gliederte sich ebenfalls in verschiedene Dialekte, bildete aber frühzeitig eine relativ einheitliche Literatursprache heraus.

Frankreich Die französische Sprache hat sich im Laufe der Jahrhunderte aus dem Dialekt von Paris entwickelt. Sie brachte seit dem Mittelalter bedeutende Literatur hervor. Sie emanzipierte sich zunehmend von der Dominanz des Mittellateinischen im schriftlichen Bereich: Sie löste das Lateinische bereits im Mittelalter als alleinige Urkundensprache ab. Sie fand Verwendung in Philosophie und Wissenschaft (z.B. Medizin) Sie wurde auch außerhalb (Nord)Frankreichs gepflegt, z.B. in Oberitalien (Marco Polos Reisebericht wurde in altfranzösischer Sprache verfasst).

Frankreich In der Renaissance erführ das Französische am Pariser Konigshofzahlreiche Einflüsse aus dem Italienischen, was zu gewissen Abwehrreaktionen bei einem Teil der intellektuellen Elite Frankreichsführte. Henri Estienne, Deux dialogues du nouveau langage francois italianizé (1578) Buchdrucker und Grammatiker begannen mit der Regulierung der Sprache: Einige der Grammatiker versuchten (ohne Erfolg), die frz. Orthographie zu reformieren, z.B. Louis Meigret mit seinem Werk Le Trette de la grammere françoeze (1550).

Frankreich Sprachpolitik und Sprachpflege 1539: das erste frz. Sprachgesetz Ordonnance de Villers-Cottérêts Festlegung des Französischen bei Gericht Im 17. Jahrhundert bekommt die Sprache des Pariser Hofes Vorbildcharakter Seit 1605: Einfluss des Hofdichters François de Malherbe (puristisches Sprachmodell) Schaffung sprachpolitischer Institutionen 1634: Gründung der Académie française unter der Schirmherrschaft von Kardinal Richelieu 1647: Vaugelas, Remarques sur la langue françoise Unterscheidung zw. BON USAGE und MAUVAIS USAGE 1694: Dictionnaire de l‘Académie française

Frankreich Sprachpolitik und Sprachpflege Intensivierung der Sprachpolitik nach der FRANZÖSISCHEN REVOLUTION Politische Propaganda zunächst in den Minderheitensprachen (z.B. auf Okzitanisch) Volksbefragung zur Verbreitung der französischen Standardsprache in Frankreich (Enquête Grégoire) Sprachpolitische Wende Französisch für das ganze Volk Bekämpfung der frz. Dialekte Bekämpfung der ethnischen Minderheitensprachen

… werfen wir nun einen Blick auf die Iberische Halbinsel…

Die Iberische Halbinsel Auf der Iberischen Halbinsel haben sich unterschiedliche Sprachgruppen herausgebildet. Kastilisch Katalanisch Aragonesisch Leonesisch Galizisch Mozarabisch (romanische Sprache im arabischen Herrschaftsgebiet) Erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der sprachlichen Situation hatten die Eroberung durch die Araber 722 und die bis 1492 andauernde Reconquista.

Die Iberische Halbinsel Mit der Reconquista schoben sich die Sprachen des Nordens nach Süden Besonders erfolgreich waren das Kastilische im Zentrum sowie das Galizische im Westen.

Arabismen Spanisch Portugiesisch alcalde alfombra azucar atalaya (…) alfalate alfândega almofada (…)

Bezeichnung der Sprachen, die aus dem Vulgärlatein hervorgegangen sind Eugeniu Coseriu unterscheidet zwischen PRIMÄREN, SEKUNDÄREN und TERTIÄREN DIALEKTEN

Bezeichnung der Sprachen, die aus dem Vulgärlatein hervorgegangen sind PRIMÄRE DIALEKTE haben sich direkt aus dem gesprochenen Lateinischen der Alltagskommunikation (= Vulgärlatein) weiterentwickelt z.B. Kastilisch, Katalanisch, Aragonesisch … SEKUNDÄRE DIALEKTE Können aus primären Dialekten entstehen… Andalusisch hat z.B: sich im Zuge der Reconquista aus dem Kastilischen entwickelt. TERTIÄRE DIALEKTE Die lokale/regionale Variante der Standardsprache, z.B. die SPANISCHE Standardsprache, wie sie in Andalusien gesprochen wird.

Die Iberische Halbinsel Die spanische Sprache basiert auf dem Dialekt Kastiliens Das Kastilische dehnte sich im Zuge der Reconquista nach Süden aus Es wurde insbesondere im 13. Jh. unter Alfons X (Alfons der Weise) ausgebaut. Verwendung als Urkundensprache Literarische Werke Wissenschaftliche Fachliteratur (u.a. Übersetzungen aus dem Arabischen Das Asturisch-Leonesische und das Aragonesische wurden im Schriftverkehr zunehmend kastilianisiert und am Ende ganz durch das Kastilische abgelöst

Die Iberische Halbinsel Das Galizische dehnte sich im Rahmen der Reconquista ebenfalls nach Süden aus (heutiges Portugal). Im Galizischen entstanden große literarische Werke, die auch von Alfons dem Weisen geschätzt wurden. Im ausgehenden Mittelalter wurde das Galizische immer weniger im schriftlichen Bereich verwendet. Im Laufe der Jahrhunderte wurde es dann auch in der gesprochenen Sprache immer mehr vom Kastilischen beeinflusst. Im von Kastilien unabhängigen südlicheren Sprachgebiet des Galizischen hat sich mit der Entstehung von Portugal das Portugiesische herausgebildet (= Sprachspaltung).

Die Iberische Halbinsel Einen Ausbau erfuhr ebenfalls das Katalanische durch Bedeutende Literatur Wissenschaftliche Traktate Urkunden etc. Nach der Vereinigung der Königreiche Kastilien und Aragon im späten 15. Jh. verlor das Katalanische immer mehr an Bedeutung. Das Kastilische wurde neben dem Portugiesischen Kolonialsprache. Nachdem Katalonien im spanischen Erbfolgekrieg bis zuletzt die „falsche Seite“ unterstützt hatte, wurde das Katalanische im 18. Jahrhundert aus dem öffentlichen Leben verbannt.

Die Iberische Halbinsel Sprachpolitik und Sprachpflege Obwohl bereits unter Alfons X. das Kastilische gefördert wurde, gab es keine Sprachpolitik im heutigen Sinne. Der humanistische Gelehrte Elio Antonio de Nebrija wollte das Kastilische in seiner Gramática castellana (1492) vor Veränderung und Verfall bewahren. Nebrijas kastilische Grammatik stieß bei seinen Zeitgenossen auf ein eher geringes Interesse, sie schätzten vor allem seine Introductiones latinae.

Die Iberische Halbinsel Sprachpolitik und Sprachpflege Während des 16. Jhs. entstanden zahlreiche Grammatiken und Wörterbücher. Bis zum 18. Jahrhundert veränderte sich das Spanische vor allem auf phonetisch-phonologischer Ebene (revolución fonológica). Eine institutionalisierte Sprachpolitik gab es erst nach dem spanischen Erbfolgekrieg unter der Dynastie der Bourbonen (sie brachten den Zentralismus nach frz. Vorbild nach Spanien). 1713: Gründung der Real Academia Española nach dem Vorbild der FlorentinerAccademia della Crusca und der Académie française. 1714: offizielle Anerkennung durch Philipp V. 1726-39:Diccionario de autoridades in 6 Bänden. 1771: Grámatica de la lengua castellana.

Die Iberische Halbinsel Die Real Academia Española ist in der spanischsprachigen Welt bis heute eine wichtige Instanz.

Literaturhinweise zur selbständigen Nachbereitung  Reinhard Kiesler: Einführung in die Problematik des Vulgärlateins. Tübingen 2006. Wolfgang Pöckl / Franz Rainer / Bernhard Pöll: Einführung in die romanische Sprachwissenschaft. 3., neu bearbeitete Auflage. Tübingen 2003, S. 26-33. Christpoph Gabriel /Trudel Meisenburg: Romanische Sprachwissenschaft. Stuttgart 2007, S. 71- 89. Johannes Kabatek / Claus D. Pusch: Spanische Sprachwissenschaft. Tübingen 2009, S. 241- 297. Horst Geckeler / Wolf Dietrich: Einführung in die französische Sprachwissenschaft. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. 4., durchgesehene Auflage. Berlin 2007. Johannes Klare: Französische Sprachgeschichte. Stuttgart u.a. 1998.

Literaturhinweise zur selbständigen Nachbereitung  Wolf Dietrich / Horst Geckeler: Einführung in die spanische Sprachwissenschaft. 4., durchgesehene und aktualisierte Auflage. Berlin 2004, S. 119-171. Andreas Wesch: Grundkurs Sprachwissenschaft. 2001, S. 120-156. Annegret Bollée / Ingrid Neumann-Holzschuh: Spanische Sprachgeschichte. Stuttgart u.a. 2003. Paul Teyssier: História da Língua Portuguesa. Lisboa 1984. Eduardo Blasco Ferrer: Handbuch der italienischen Sprachwissenschaft. Berlin 1994, S. 114-173.