Parteibindungen und die Einstellung zu Parteien und Politikern Referentinnen: Isabel Grammes, Nadya Konrad 10.01.06 Parteibindungen und die Einstellung zu Parteien und Politikern
Gliederung 1. Einleitung 2. Der sozialpsychologische Ansatz der Wählerforschung 3. Determinanten des Wahlverhaltens Parteiidentifikation Issue-Orientierung Kandidatenorientierung 4. Zusammenfassung der Ergebnisse
Der sozialpsychologische Ansatz der Wählerforschung Michigan- oder Ann-Arbor-Ansatz Hauptwerk der Forschergruppe (Angus Campell, Philip E. Converse, Warren E. Miller, Donald E. Stokes): „American Voter“ (1960) Politische Einstellungen wichtigste Determinanten der Wahlentscheidung
Determinanten-Trias Parteiidentifikation, Kandidatenorientierung sowie Orientierung an Sachthemen kurzfristige Wahlentscheidung erklären Einzelne, kurzfristig vorgelagerte Faktoren unmittelbaren Einfluss auf das Wahlverhalten
Kausalitätstrichter (funnel of causality) Issue-Orientierung Wahlentscheidung Parteiidentifikation Kandidaten-Orientierung Vorgelagerte Faktoren, z.B. Sozialstruktur
Parteiidentifikation „langfristig stabile affektive Bindung an eine politische Partei“ lässt Politik interessant und wichtig erscheinen, „färbt“ die individuelle Wahrnehmung des politischen Geschehens prägt das Wahlverhalten, das von ihr jedoch infolge kurzfristiger Einflüsse abweichen kann beeinflusst als eine Art Schlüsselvariable prägend die positive und/oder negative Beurteilung von Parteien
Anwendung in Deutschland seit 70er Jahren folgende Fragestellung: „Viele Leute in der Bundesrepublik neigen längere Zeit einer bestimmten Partei zu, obwohl sie auch ab und zu eine andere Partei wählen. Wie ist das bei Ihnen? Neigen Sie –ganz allgemein gesprochen – einer bestimmten politischen Partei zu?“
Erwerb und Entwicklung von Parteiidentifikationen in der Jugend besonders wichtige Phase für die Entwicklung von Parteiidentifikationen in diesem Lebensabschnitt werden Parteiidentifikationen erworben großer Einfluss elterlicher Parteibindungen anfangs vergleichsweise schwach ausgeprägt, wenig gefestigt und leicht beeinflussbar politische Erfahrungen, die Parteibindung widersprechen, können zu einer Abkehr von ihr führen
Faktoren der Stabilisierung und Intensivierung Parteibindungen beeinflussen Eindrücke vom aktuellen politischen Geschehen, determinieren sie aber nicht vollständig können auf Parteibindung wirken Keine Selbstverständlichkeit, dass sich eine einmal erworbene Parteibindung intensiviert und stabilisiert strukturierende Wirkung und Stabilität begrenzt, hängen von gesellschaftlichen und politischen Randbedingungen ab -> kein unmoved mover
Einfluss der Parteiidentifikation auf Wahlverhalten Rolle der Parteiidentifikation als „standing decision“, die Wahlentscheidung vorprägt Gilt einerseits für Wahlbeteiligung Andererseits für die Richtungsentscheidung
vier Fragestellungen: „Mir bedeutet diese Partei sehr viel. Es ist mir nicht gleichgültig, was mit ihr passiert.“ „Die Partei an sich bedeutet mir weniger, aber sie hat zurzeit die besseren Politiker.“ „Ich fühle mich dieser Partei nicht besonders verbunden, allerdings habe ich sie in der Vergangenheit oft gewählt.“ „Die Partei an sich bedeutet mir weniger, aber sie macht zurzeit die bessere Politik.“
Formen der Parteineigung: „echte Identifizierer“ im Sinne des Ann-Arbor-Ansatzes „Pseudo-Identifizierer“, für die nicht nur affektive Elemente eine Rolle spielen „Nicht-Identifizierer“: keinerlei Parteibindungen
Empirische Befunde Parteibindungen großen Einfluss auf Sympathieeinschätzung der Parteien negativste Beurteilung der Parteien bei Nicht-Pis bei Ostdeutschen Bewertung der Parteien grundsätzlich schlechter, zudem eine sinkende Akzeptanz zu beobachten trotzdem: Bewertungen relativ positiv Keine generelle Politikverdrossenheit!
Makrokonzepte auf der Basis der Parteiidentifikation Konzept der Normalwahl (normal vote) von Converse (1966) gibt an, wie eine Wahl ausgehen würde, bei der keinerlei Kurzfristfaktoren die Stimmverteilung im Aggregat beeinflussten
Parteineigung zudem Einfluss auf perzipierte Einflussmöglichkeiten Einschätzung der eigenen Kompetenz wächst mit der Bindung an eine Partei Geringe Unterschiede im Ost-West-Vergleich Responsivität der Parteien sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland negativer beurteilt Parteibindung beeinflusst auch hier Beurteilung
Stabilität und Wandel der Parteineigungen im Aggregat größeren Schwankungen unterlegen Zunehmend positivere Bewertung der Parteien im Westen/ sinkende Akzeptanz im Osten Akzeptanz jedoch starken Veränderungen unterworfen, nur ein geringer Anteil der Befragten verfügt über stabile Orientierungen
vier mögliche Fälle: maintainig election deviating election converting election realigning election
Tab.: Klassifikation von Wahlen nach dem Normalwahl-Ergebnis und dem Abschneiden der Normalwahl-Mehrheitspartei(en) Normalwahl-Ergebnis Abschneiden der Normalwahl-Mehrheitspartei(en) Sieg Niederlage Kontinuität maintainig election deviating election Wechsel converting election realigning election
Anteil der Parteianhänger in Deutschland 1977-2002
Issue-Orientierung Einfluss von Sachfragen auf das Wahlverhalten Idealistische Voraussetzung: Wahlen sind ideologisch als kollektive Entscheidung über den politischen Kurs eines Gemeinwesens zu betrachten, damit ein Wahlsieg als Wählerauftrag gewertet werden kann, bestimmte Policies zu verwirklichen.
Das Issue-Konzept Vorteil: keine konzeptionellen Probleme der internationalen und intertemporalen Übertragbarkeit Nachteil: Terminus „Issue“ alle Fragen, die in der politischen Auseinandersetzung auftreten können, ganz gleich, worauf die sich substantiell beziehen alle Fragen, die sich auf staatliche Policies beziehen; issue = politische Sachfrage
Issue-Unterscheidung nach Politikfeldern, z.B. umwelt- vs. verteidigungspolitische Fragen allgemeine und spezifische Issues, z.B. wirtschaftspolitische Ausrichtung vs. Details des Steuersystems Dauerhaftigkeit, z.B. Verteilungsfragen vs. Irak-Krieg soziotropisch (landesweite Situation) und egozentrisch (Umgebung einer Person) retrospektive (in die Vergangenheit gerichtete Einstellungen) und prospektive (in die Zukunft gerichtete) Urteile Valenzissues (Sachfragenen denen die meisten zustimmen) vs. Positionenissues (kontroverse Inhalte), z.B. wirtschaftliche Prosperität vs. Atomenergie
Issue-Unterscheidung II aus e und f entstehen insgesamt vier, darunter aber zwei besonders wichtige Typen: In die Vergangenheit gerichtete Leistungsbewertung als Determinante des Stimmverhaltens, d.h. Belohnung oder Bestrafung für (Fehl-)Verhalten Prospektives Urteil über Policy-Positionen, d.h. einen Auftrag an den Wähler als Wahlsieger
Sachfragenorientiertes Wählerverhalten Bedingungen: issue familarity: Wähler müssen Sachfragen überhaupt zur Kenntnis nehmen intensity of issue opinion: Müssen ihnen gewisse Bedeutung zuschreiben und eine eigene Meinung dazu besitzen issue positions of parties: Müssen zwischen den konkurrierenden Parteien oder Kandidat Unterschiede wahrnehmen
Positionsbezogene Sachfragen A) Distanzmodell: wählt die mit geringster Distanz B) Richtungsmodell: wählt die, die den eigenen Standpunkt am vehementesten vertritt Leistungsbezogene Sachfragen Wählt die Partei oder den Kandidaten der die beste Leistung erbracht hat
Sachfragenorientiertes Wählerverhalten Um schließlich von genuin sachfragenorientiertem Stimmverhalten sprechen zu können, müssen die Issue-Orientierungen unter Kontrolle anderer Einstellungen einen Einfluss auf das Wahlverhalten haben
Wichtigkeit Nicht alle Sachfragen sind gleich wichtig für das Wahlverhalten: z.B. ist es leichter eine Meinung zu allgemeinen Fragen zu haben, als zu spezifischen; These der kognitiven Mobilität: formale Bildung gut, politisches Interesse gut etc. führt zu wachsender Bedeutung sachfragenorientierten Wählens eher befähigt über Sachfragen abzustimmen.
Rolle der politischen Elite äußere Notwendigkeit oder Agenda-Setting-Strategie intensive Diskussion oder totschweigen
Große und kleine Parteien Stimmabgaben für Parteien mit klar profilierten Sachaussagen überdurchschnittlich stark von Issue-Orientierung beeinflusst. Daher eher ein Mittel für „kleine“ Parteien, da große Angst vor Spaltung der Wählerschaft haben.
Fazit zur Issue-Orientierung Kein wirklicher Regierungsauftrag: Es sprechen nicht DIE Wähler insgesamt ein Urteil, sondern verschiedene Wählersegmente senden unterschiedliche inhaltliche Botschaften an Parteien und Kandidaten aus. Empirisch gesehen ist die Leistungen wichtiger. „Daher sind auch hier Wahlen weniger als Richtungsentscheidungen aufzufassen denn als kollektives Urteil über die Performanz der Regierung.“
Kandidatenorientierung wurde vernachlässigt, weil es nicht der Vorstellung von Wahlen als kollektiver Sachentscheidung entsprach Menschen und ihre Entscheidungen wichtig, Erosion der Parteienbindung und wachsende Bedeutung von KandidatInnen in Wahlkämpfen
Konzeptionelle Fragen Für USA entwickelt, aber: Präsidentialismus ist ungleich einer parlamentarischen Demokratie USA-Parteien stark auf Personen zugeschnitten vs. Regierungskabinett und Parteiführung [daher wird meist der Kandidat für das exekutive Spitzenamt betrachtet KanzlerIn] Wegen schwieriger Randbedingungen werden schwächere Kandidateneffekte als in den USA erwartet.
Konzeptionelle Fragen II Inhaltliche Orientierung hat sich gewandelt Kandidat nicht als Vertreter einer Partei oder Policy-Postition betrachtet sondern nach politischen und unpolitischen Kandidatenmerkmalen Weiterentwicklungen: 4: Kompetenz, Führungsqualitäten, Integrität, Empathie 5: Kompetenz, Integrität, Verlässlichkeit, Charisma und persönliche Merkmale noch keine akzeptierten Vorstellungen, also so lang: rollennahe, politische und rollenferne, unpolitische Eigenschaften betrachten
Zur Entstehung und Zusammen-setzung von Kandidatenorientierungen 1. Reaktion auf momentane Erfahrungen mit dem Kandidaten kann stark schwanken Hoffnung für Imagekampagnen etc. 2. Umwelt irrelevant, Einschätzung geschieht anhand von Stereotypen egal, wie Politiker sich benehmen Real: Mischung aktueller Eindrücke und bestehender Dispositionen
Wirkungen von Kandidatenorientierungen auf das Wahlverhalten Man muss nicht nur eine Kandidatenpräferenz haben, sondern auch danach wählen (und Parteiidentifikation ausschließen).
Einfluss Art und Menge des Medienkonsums Direkt- oder Parlamentswahlen Lenkung der politische Kommunikation durch die politische Elite Veränderung der politischen Kommunikation, etwa eine zunehmende Personalisierung von Wahlkampfführung und der Medienberichterstattung könnte Kandidateneinflüsse stärken.
Empirisch Bivariat starker Zusammenhang zwischen Kandidatenorientierungen und Wahlverhalten, jedoch schrumpft der Kandidateneffekt deutlich, sobald man Parteiidentifikation und andere Determinanten des Wählerverhaltens kontrolliert. Auf die Individualebene kann Kandidatenorientierung großen Einfluss haben, auf Aggregatebene hat es jedoch keinen entscheidenden.
Schluss Ansatz leistungsfähig. kann stabiles und wechselndes Wahlverhalten erklären Kandidaten- und Sachfragen bei instabilem Wahlverhalten heran gezogen Flexibilität. Auf andere politische Systeme anwendbar Kann eher die Aufmerksamkeit auf eine Reihe von potentiellen Einflussgrößen lenken, als theoretisch begründete und präzise Aussagen zu formulieren, welche Faktoren zu berücksichtigen sind und wie stark sie ins Gewicht fallen
Dies bedeutet Die Kräfte, die Wahlverhalten stabilisiert haben sind schwächer geworden Bürger werden somit unberechenbarer Wollen von Eliten stärker umworben werden Wettbewerbsdruck auf Parteien und Kandidaten wächst, aber man weiß die Kriterien nicht.
Und nun freuen wir uns auf die Diskussion… Vielen Dank! Und nun freuen wir uns auf die Diskussion… 10.01.06 Parteibindungen und die Einstellung zu Parteien und Politikern