Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl1 Warum helfen? Sozialethische Gründe für zivilgesellschaftliches Engagement.

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Demokratie lernen – Wozu?
Advertisements

Ist der tote Körper eine Sache? Ein rechtlich-philosophischer Dialog
Werte & Standards der Kinder- und Jugendarbeit in Südtirol
Sinn – Bedürfnis, Notwendigkeit oder Auftrag?
Wolfgang Beer,
Den Menschen Hoffnung geben Wo Kirche lebendig wird.
Einführung in die Internationalen Beziehungen
3. Vorlesung „Sport und Gesellschaft“ Sport goes Pop: Entdifferenzierungsprozesse des Sports in spätmodernen Gesellschaften Anschluss an die 2. Vorlesung.
4. Gott und das Leid.
Geschichte der Geschichtswissenschaft Kurze überblicksartige Zusammenfassung – Ein Vorschlag.
Corporate Citizenship – Teil 1
Der KVW ist ein Sozialverband mit gesellschaftspolitischem Einsatz.
1. Die kommunitaristische Kritik an Rawls
IX. Prinzipien Christlicher Sozialethik III:
VII. Prinzipien Christlicher Sozialethik I
II. Was ist Christliche Sozialethik?
IX. Christliche Sozialethik als Strukturenethik
VI. Die Sozialethik des Capabilities approach
Institut für Christliche Sozialwissenschaften Universität Münster Christlicher Glaube in säkularer Gesellschaft 9. Sitzung Kritik des Säkularisierungsparadigmas.
Familienpolitische Ansätze
Grundwissen: Rousseau Direkte Demokratie
Universität Leipzig. Unterricht Ganztagsangebote Externe Angebote.
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
Sozialraumorientierung als moderne Maxime für Professionalität in der Sozialen Arbeit - Gesellschaftspolitische, fachliche und organisatorische Umsetzungsbedingungen.
Capability Approach – was ist das?
International Disability Alliance
Kommentar zum Vorschulkonzept Kaleidoscoop
EuropaRAThaus Erklärung Für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger „Wir einigen keine Staaten, wir verbinden Menschen“ (Jean Monnet) Anlässlich.
Evangelische Jugend im Kirchenkreis An Nahe und Glan Kinderfreizeit 2007 und 2008 Ein Beitrag zur Frage: Was soziale Bildung Plus auch ist.
Pfarrgemeinderatswahl Pfarrgemeinderat Wer ist das? Der Pfarrgemeinderat besteht aus gewählten Frauen und Männern und dem Pfarrer sowie anderen.
„…womit soll man salzen?“
Kirche und Wirtschaft – wie wirksam können christliche Prinzipien sein? Dr. Arnd Küppers, Stv. Direktor, Katholische Sozial-wissenschaftliche Zentralstelle,
Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz
Willkommen Welcome Bienvenido
Bürgerschaftliches Engagement
Strukturelle Koppelung und die „Autonomie“ des Sozialen Wolfgang Zierhofer Impulsreferat zur Tagung: Umwelt als System – System als Umwelt? Systemtheorien.
1 Forschungsbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften: Bürgerschaftliches Engagement und Sozialkapital in Vorarlberg 2010 Bürgerschaftliches Engagement.
UNITED NATIONS Educational, Scientific and Cultural Organization Kulturelle Vielfalt UNITED NATIONS Educational, Scientific and.
法學德文名著選讀(一) Lektion 1 范文清 / 蕭雯娟.
Religion unterrichten – aber wie ? Einführung in die Planung und
Gier nach Beute Zwölf Thesen gegen die Maßlosigkeit
Welche Ehrenamtlichen brauchen wir? Die schwierige Frage nach dem Bedarf Mentorentreffen des Fortbildungsverbunds Straffälligenhilfe.
Perspektive Gemeinwesen? Prof. Dr. Albrecht Rohrmann
Dorfverschönerung Golzheim „putzmunter“.
Ehrenamt als wertvollste Form erneuerbarer Energie Schwaz, am 10. März 2012 LAD-Stv. Dr. Dietmar Schennach 1 Ehrenamt als wertvollste Form erneuerbarer.
Zielvorstellungen religiöser Erziehung
Menschenrechte und Menschen mit Behinderungen
Die Rentner und ihre PK Stille Gesellschafter;...auch in turbulenten Zeiten? BVG-Apéro vom 5. Dezember 2005 im Käfigturm Bern innovation zweite säule.
Unternehmen und Unternehmensmerkmale
1. Bedürfnisse Bedürfnisse sind Ausdruck eines subjektiv empfundenen Mangels, verbunden mit dem Wunsch, diesen Mangel zu beseitigen. Bedürfnisbefriedigung.
VIA-Elterntraining Inhalt Besprechung der Hausaufgabe
Wer wir sind und was wir machen:.
Einführung „Humanistischer Ansatz“
„Die rechtliche Dimension des Gesundheitsbegriffs“
Ruedi Winkler www.kiss-zeit.ch Strategische Eckwerte von KISS Vorbereitungssitzung für Klausurtagung.
Identität europäisch gedacht ?!?
Politik in der Demokratie - Leben ist nicht Schicksal Einige Thesen zur Reflexion und Diskussion über Politische Bildung von Andi Gross Pädagogische Hochschule.
8 Biblische Leitsätze, die uns führen
Freiheit und Gerechtigkeit
Herzlich Willkommen zur 11
Kann Politik ehrlich sein? D‘ Sunne schiint für alli Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Diskussion EUSTaCEA Schritt 3 Aktivität 1 (Langversion) WeDO For the Wellbeing and Dignity of Older People Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen.
Diskussion EUSTaCEA Schritt 3 Aktivität 1 (Kurzversion) WeDO For the Wellbeing and Dignity of Older People Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen.
1. Demokratiekonferenz in der VG Saarburg 29. Mai 2015.
Das Fach „Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde“ stellt sich vor
Partizipation im Übergang – gemeinsam gestalten
Basierend auf den Arbeiten von
1 Gemeinwohl- Ökonomie, ein zukunftstaugliches Wirtschaftsmodell? Nachhaltigkeit.
 Verfassungsgesetze und Bestimmungen des Bundesrechtes › Gesetze › Einzelne Bestimmungen › Staatsverträge  Beschluss 1920  Unterbrechung
Folie 1 Kulturelle Vielfalt: eine ethische Reflexion Peter Schaber (Universität Zürich)
 Präsentation transkript:

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl1 Warum helfen? Sozialethische Gründe für zivilgesellschaftliches Engagement

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl 2 Warum helfen? - sozialethische Gründe für zivilgesellschaftliches Engagement (1)Vorfrage: Von welchem Helfen reden wir? (2)Solidarität aus Freiheit: von barmherziger Fürsorge an die Schwelle zum zivilgesellschaftlichen Engagement (3)Zivile Solidarität als Erfordernis des republikanischen Projekts (4)Solidarität als Vollzugsraum menschenwürdiger Existenz (5)Nachfrage: Sind wir wirklich „Hüter unseres Bruders?“

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl 3 (1) Vorfrage: Von welchem Helfen reden wir?  breites Spektrum des Helfens  zwischen dem ‚fürsorgliche Stillen‘…  …Nachbarschaftshilfe…  …gesetzlicher Krankenversicherung…  …Entwicklungszusammenarbeit…  … und dem ‚an der Hand des anderen Sterben‘  von der Vielfältigkeit sozialen Helfens zur Vielgestaltigkeit zwischenmenschlicher Solidarität  Arbeitsdefinition: Solidarität  gemeinsam dem einen verpflichtet (‚in solidum obligari‘)  gemeinsame Sache machen

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl 4 (1) Vorfrage: Von welchem Helfen reden wir?  Unterscheidungen: Typen der Solidarität  spontan versus gestaltet (‚Hilfeimpuls bei schreiendem Unrecht‘ versus ‚zwangssolidarische Versicherungssysteme‘)  wechselseitiges versus einseitiges Erfolgsinteresse (‚win-win‘ versus ‚barmherzige Fürsorge‘)  Reziprozitäterwartung versus aufgeklärtes Gemeinwohlinteresse  sozialethisch entscheidende Frage: „Warum solidarisch sein?“  ohne unmittelbaren Reziprozitätserwartungen  in einer Welt, in der es sich ohne sie prima facie besser leben lässt

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl 5 (1) Vorfrage: Von welchem Helfen reden wir?  Behauptung: gute Gründe für gestaltete Solidarität  aufgeklärtes Gemeinwohlinteresse am gemeinsam zu gestaltenden ‚guten Leben‘ (‚republikanische Idee‘)  aufgeklärtes Gemeinwohlinteresse am Gelingen einer Subjektwerdung aller im Medium zwischenmenschlicher Beziehung (‚Personwerdung im emphatischen Sinn‘)  NB.: Gemeinwohl = aufeinander abgestimmte Eigen- und Fremdinteressen

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl 6 (2) Solidarität aus Freiheit: von barmherziger Fürsorge an die Schwelle zum zivilgesellschaftlichen Engagement  egoistischer Altruismus: barmherzige Fürsorge  klassische Form der Solidarität ohne Reziprozitätserwartungen  Gefahr paternalistischer Attitüden ‚einspringende‘ versus ‚vorausspringende‘ Fürsorge barmherziges Mitleid in der Pose selbstgefälliger Ichsucht  Motiv nicht ‚gleichheitsverträglich‘

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl 7 (2) Solidarität aus Freiheit: von barmherziger Fürsorge an die Schwelle zum zivilgesellschaftlichen Engagement  alteritätszentriertes Eigeninteresse: kommunikative Freiheit  Dimensionen personaler Freiheit negative Freiheit positive Freiheit kommunitäre Freiheit  strategische Freiheit  kommunikative Freiheit  Gemeinsame Sache machen als sozialer Erlebnisraum kommunikativer Freiheit  Motiv grundsätzlich ‚gleichheitsverträglich‘  an der Schwelle zum zivilgesellschaftlichem Engagement

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl 8 (3) Zivile Solidarität als Erfordernis des republikanischen Projekts  Zwischenbemerkung: zivile Öffentlichkeit (‚Zivilgesellschaft‘)  historisch: zivile Öffentlichkeit als Gegenpol zu obrigkeitsstaatlichem Steuerungsmonopol  intermediärer Bereich zwischen Staat, Markt, Privatsphäre  Gesamt an nichtstaatlichen Aktivitäten zwecks Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten (vorstaatlich, nicht vorpolitisch)  nicht nur geistreich, sondern handgreiflich öffentlich räsonierend wie praktisch gestaltend Diskurslandschaften wie Projektlandschaften  zivilgesellschaftlich solidarisches Engagement  Ermöglichung kommunitärer Freiheiten aller  notwendig nur wegen Staats-, Markt- und Individualversagen?

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl 9 (3) Zivile Solidarität als Erfordernis des republikanischen Projekts  These: zivile Solidaritäten = Bedingungen der Möglichkeit zur Verwirklichung sozialer Demokratie als zeitgemäße Manifestation des republikanischen Projekts  ziviler Solidaritäten: „Solidarität mit den anderen Mitgliedern einer Gemeinschaft als Bürger, die rechtlicher Anerkennung, sozialer Wertschätzung und Fürsorge entspringt, zielt auf die Befähigung zur selbst organisierten Bewältigung des guten Lebens in Gemeinschaft.“ G.Frankenberg)

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl 10 (3) Zivile Solidarität als Erfordernis des republikanischen Projekts  republikanische Idee und soziale Demokratie  res publica als Projekt gemeinschaftlicher Verwirklichung des guten Lebens eines jeden  soziale Demokratie als Fundamentalnorm (‚body-Maß-Index‘) bundesstaatlicher Verfassung  Demokratie  freie Selbstorganisation aller Betroffener  demokratische Herrschaft durch dreifache Rückbindung an das Staatsvolk („government for, of and by the people“ A.Lincoln)  herrschaftsorientierend, herrschaftslegitimierend, herrschaftsausübend  demokratietheoretische Spielarten elitär, gouvernemental, harmonieorientiert korporatistisch, moderierend, kompromissorientiert egalitär, emanzipativ, konfliktorientiert  Hochform: partizipative Demokratie auf allen Ebenen

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl 11 (3) Zivile Solidarität als Erfordernis des republikanischen Projekts  unerlässliche Voraussetzung: Sozialstaatlichkeit in einem spezifischen Sinne traditionell: soziale Sicherheit durch Gewährleistung objektiver Sicherungssysteme und Stabilisierung subjektiver Sicherheitsbefindlichkeit spezifisch: ‚sozial‘ als Erzeugung und Verstetigung sozialer Nähen und ziviler Solidaritäten (immaterielle Ressource menschenwürdiger Lebenslagen)  Erzeugung jener mentalen wie praktisch gelebten Bindungskräfte, die die partizipatorische Demokratie als säkulare Staatsform notwendig bedarf, aus sich selbst heraus aber (als nicht mit seinen Zwangsmitteln) garantieren kann  Republikanisches Projekt notwendig an praktisch gelebte zivile Solidaritäten (‚zivilgesellschaftliches Engagement‘) rückgebunden

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl 12 (4) Solidarität als Vollzugsraum menschenwürdiger Existenz  Vermutung: bislang liberales individualistisches Menschenbild als anthropologische Hintergrundgewissheit  das andere Menschenbild: Person als Beziehung  per-sonare (durchtönernd)  Ich-Identität im Vollzug beziehungsreicher Geschehnisse zu anderen Identitäten  Solidarität als  wechselseitige Anerkennung als Gleichberechtigte wie Gleichbedürftige  Ereignisraum menschenwürdiger Existenz  nicht instrumentell, sondern existentiell bedeutsam  Aufbruch von „Ichlingen“ zu „Wirlingen“

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl 13 (4) Solidarität als Vollzugsraum menschenwürdiger Existenz  Nebenbemerkung zur Neuformatierung des sozialen Engagements  vom Ehrenamtlichen = unbezahlte, außerberufliche, produktive Tätigkeit im Auftrag einer gemeinwohlorientierten Organisation  zum Freiwilligen = prosoziales Engagement wg. Gewinn von Lebenssinn, innerer Befriedigung, biographischer Passung zum Lebensentwurf  Polarität zwischen Gemeinwohl vs. Selbstverwirklichung „Wirling“ vs. „Ichling“  normative Formatierung notwendig

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl 14 (5) Nachfrage: Bin ich wirklich „Hüter meines Bruders?“  Zivilgesellschaftliche Solidarität für andere als spezifische Form der Gabe  freiwilliges Geben/Helfen (Beziehungsaspekt) eigener immaterieller Gaben/Hilfen (Inhaltsaspekt) ist Ausdruck solidarischer Selbstbindung an das, wessen der Empfänger der Gabe/Hilfe bedarf und was ihm aufgrund seiner Würde als Mensch eigentlich je schon gebührt  weniger ein „Weggeben des Eigenen‘, mehr ein ‚Zugeben dessen, was dem Anderen als Gehöriges eigentlich je schon eignen sollte‘  Solidarität für andere kein Ausdruck ungeschuldeter Barmherzigkeit sondern Ausdruck geschuldeter Gerechtigkeit