Direkte Demokratie im europäischen Vergleich

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 Präsentation transkript:

Direkte Demokratie im europäischen Vergleich Stefan Vospernik Ebensee, 8. Oktober 2014

Einleitung Direkte Demokratie meist aktuell, wenn ein politisches System in der Krise ist Wer kann gegen direkte Demokratie sein? Verabsolutierung des Volkswillens als Problem – auch das Volk kann irren Als politischer Akteur muss das Volk innerhalb des Rechtsstaates agieren Wer direkt wird, ist auf der sicheren Seite

Historische Entwicklung Die Wiege der direkten Demokratie steht... in Amerika (Connecticut 1639) Erstes Referendum in Flächenstaat 1778 Napoleonische Plebiszite bringen direkte Demokratie in Verruf Schweiz und US-Staaten begründen Tradition der Volksbegehren Drei Wellen der Direktdemokratisierung in Europa: 1920er, 1970er und 1990er Jahre

DD in Europa heute Volksabstimmungen in allen entwickelten Demokratien außer Deutschland (nach 1945) 29 Referenden in 1940er Jahren 197 Referenden in den 1990er Jahren In der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts überholte der Rest Europas erstmals den Spitzenreiter Schweiz

Ein vielfältiges Phänomen In den meisten Staaten ein Instrument der Regierung (Präsident: F, ROM, ISL) Opposition oder Volk können nur in kleinerer Zahl von Staaten Referenden erzwingen Obligatorische Volksabstimmungen fast überall, führen aber meist ein Schattendasein (Ausnahme: IRL, DK, CH)

Thematische Schwerpunkte Länderspezifische Häufungen (IT: Wahlrecht, DK: EU-Verträge, LIT: Privatisierung) Ein Drittel von 183 Volksabstimmungen der Jahre 1990-2012 entfällt auf nur drei Themen: Privatisierung und Wahlrecht (je 22) und EU- Verträge (21) Mehrheit der Abstimmungen bezieht sich auf Fragen des politischen Systems (70) Es folgen Wirtschaft/Soziales (46), Außenpolitik (34) und Menschenrechte (27)

Niedrige Beteiligung als Problem Durchschnittliche Beteiligung 46,5 Prozent Um 26,5 Prozentpunkte unter der vorangegangenen Parlamentswahl In vielen Staaten gelten Quoren, meist ein 50-prozentiges Beteiligungsquorum (Nachteil: Belohnt Boykottverhalten) In 74 von 123 Fällen wurde das Quorum verfehlt, nur in 60 Fällen gab es keines

Fallbeispiele Jedes Referendum hat seine Geschichte, jedes Land seine spezifische Tradition Litauen: Einsatz gleichzeitig mit Wahlen zur Mobilisierung (Regierung und Opposition) Portugal: Lösung umstrittener Fragen der konservativen Moral (Abtreibung) Frankreich: Politisch verbindliche Volksabstimmungen (EU-Verträge)

Staatsgründung Logische und zugleich umstrittene Form der Anwendung direkter Demokratie Meist keine freie Entscheidung – Neue Machthaber lassen Status Quo legitimieren Estland 1991 – große russische Minderheit 78 Prozent Ja, Beteiligung 83 Prozent Misstrauen zwischen den Volksgruppen blieb – Dominierende Esten schlossen Russen aus dem Stimmvolk aus

Erneuerung der Demokratie In Umbruchszeiten ist direkte Demokratie besonders gefragt – große Staatsreformen per Referendum (Italien, Belgien, Frankreich) Auch hier meist nur Legitimierung schon erfolgter Weichenstellungen Italien 1991 – Gegen das Establishment stimmen 95,6 Prozent der Italiener für eine Wahlrechtsreform Implosion des Machtkartells als Folge Neues Parteiensystem nimmt 1994 Gestalt an

EU-Volksabstimmungen Europäische Integration zählt zu den häufigsten Abstimmungsmaterien In Krisenzeiten hat EU mehr Unterstützung Europapolitik als cross-cutting cleavage: Parteien haben wenig zu melden Dänemark: Sozialdemokratische Wähler ungeachtet von Stimmempfehlung skeptisch Referendum 1986: Ja-Mehrheit trotz mehrheitlicher Nein-Empfehlung der Parteien

Machtmittel des Präsidenten Schlechter Ruf von Referenden wegen Missbrauchs durch autoritäre Herrscher Auch demokratische Staatsoberhäupter setzen dieses Machtmittel ein Rumänien: Präsident lässt parallel zu Wahlen über populäre Reformthemen (Wahlrecht, Verkleinerung des Parlaments) abstimmen und verbreitert so seine Machtbasis Absetzungsreferendum 2012 macht ihn zur „lahmen Ente“

Pyrrhussiege für die Opposition Regierung verliert Referendum und gewinnt darauffolgende Wahl (Österreich 1978) Volksabstimmungen daher zwieschneidiges Schwert für Opposition (Irland: Je höher die Referendumszahl, umso schlechter schneidet sie bei nächster Wahl ab) Slowenien: Konservative Opposition bringt reihenweise Gesetze zu Fall, vorgezogene Neuwahlen gewinnt dann aber Linkspartei

Drang zum Elitenkonsens Bürger sind kein willfähriges Stimmvolk – Nur 72 von 183 untersuchten Referenden gingen im Sinne der Initiatoren aus Regierungen versuchen, Opposition ins Boot zu holen (bei obligatorischen Referenden) Irland: 36 Verfassungsreferenden seit 1959, nur in sieben Fällen agierte Regierungspartei allein – alle diese Referenden gingen verloren Nebeneffekt: Schwächung der größeren Oppositionspartei bei Wahlen

Irland: „Papierform“ und Referendumsergebnis

Hohe Referendumsfrequenz – Opposition verliert

Wohin tendiert Direktdemokratie? Finanzielle Belastungen und Sozialkürzungen haben einen schweren Stand – aber nicht alle Vorlagen dieser Art scheitern Gegen Privatisierungen und für Arbeitnehmer- rechte (Sonntagsöffnung) – aber auch für Wirtschaftsfreiheit Umweltvorlagen (z.B. gegen Atomkraftwerke) haben meist gute Erfolgsaussichten

DD und Menschenrechte I Furcht vor Einschränkung durch Referenden Europäische Menschenrechtskonvention als effektiver Schutz, implizites und explizites Verbot grundrechtswidriger Abstimmungen Trotzdem einige bedenkliche Voten, z.B. über das Verbot von Minaretten in der Schweiz Mitunter werden persönliche Freiheitsrechte gestärkt (Portugal, Malta) Stimmbürger in moralischen Fragen aber meist konservativer als Politiker

DD und Menschenrechte II Am heikelsten sind Abstimmungen über ethnische Minderheiten, zementieren nur bestehende Kräfteverhältnisse ein Ethnische Referenden können positiv wirken, wenn historisch-nationalistischer Ballast abgeworfen wird (Kärnten, Irland) Lettland mit langer Tradition ethnischer Volksabstimmungen, gemischte Bilanz Tiefpunkt: Volksabstimmung über „Ausgelöschte“ in Slowenien

Trend zu mehr DD irreversibel? Können dem Volk einmal zuerkannte „Rechte“ wieder genommen werden? Mehrere Beispiele für Abschaffung direktdemokratischer Rechte nach negativen Erfahrungen Deutschland und Estland waren Vorreiter direkter Demokratie in der Zwischenkriegszeit – heute nur noch Restbestände Slowenien baute Volksrechte jüngst zurück

Die bessere Demokratie? (I) In vielen Staaten sind Referenden fester Bestandteil der Politik, eingesetzt von versch. Akteuren und mit besonderen Schwerpunkten Niedrige Stimmbeteiligung als Problem – Grund oft Thema oder Boykottaufruf, bei einigen wenigen Referenden sogar höhere Beteiligung als an Wahl (Schottland) Insgesamt folgen die Stimmbürger den Empfehlungen der Parteien

Die bessere Demokratie? (II) Der Einsatz von Volksabstimmungen durch Ein-Parteien-Regierungen ist ineffizient Oppositionelle Volksrechte gehen einher mit starken Parlamenten Aber: Keine höhere Demokratiezufriedenheit Mit der Anzahl der Referenden steigt auch der Prozentsatz von Bürgern, die meinen, dass ihre Stimme NICHT zählt Neue Demokratien: Größere Unzufriedenheit in Staaten mit kürzlich stattgef. Referenden

Starkes Parlament – oppositionelle Direktdemokratie

Referendumszahl und Partizipationswahrnehmung

Kürzliche Volksabstimmung - Demokratiezufriedenheit

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!