Gutes Leben braucht freie Zeit

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 Präsentation transkript:

Gutes Leben braucht freie Zeit Gutes Leben braucht freie Zeit! Plädoyer für eine neue Arbeitszeitdebatte PD Dr. Norbert Reuter Kongress „Gutes Leben für alle“ 20. bis 22. Februar / Wirtschaftsuniversität Wien

Wachstum, Arbeitsvolumen und Erwerbstätige

Produktivitätsfortschritt auf Abwegen

„Gutes“ und „schlechtes“ Wachstum der Arbeitsproduktivität „Gutes“ Produktivitätswachstum: bessere/effizientere Technik, bessere Organisation, Vermeidung von Arbeitsunfällen etc. „Schlechtes“ Produktivitätswachstum: Lohndumping, Zunahme unbezahlter Arbeitszeiten, höherer Leistungsdruck, weniger Pausen etc.  Vieles deutet darauf hin, dass der „schlechte“ Produktivitätszuwachs an Bedeutung gewinnt… (veränderte politische Rahmenbedingungen; Klagen der Beschäftigten, Zunahme Burnouts etc.)

Entwicklung der Arbeitszeit

Bedeutung von Arbeitszeitverkürzung In Deutschland ist seit 1825 die jährliche Arbeitszeit eines Beschäftigten um mehr als 50 Prozent gesunken; dies bedeutet rein rechnerisch und ohne Berück-sichtigung des Produktivitätsfortschritts ein Ver-zicht auf ein doppelt so hohes Einkommensniveau  höherer Zeitwohlstand statt Einkommenszuwachs

Verwendung des Produktivitätsfortschritts Gesamtwirtschaftliche Produktivitätssteigerung Diese kann genutzt werden für Lohnsteigerungen Arbeitszeitverkürzung oder eine Kombination aus beiden

weder zur Arbeitszeitverkürzung noch zur Reallohnsteigerung Verwendung des Produktivitätsfortschritts In der Vergangenheit ist der Produktivitätsfortschritt über viele Jahre nicht zur Steigerung der Wohlfahrt für die Beschäftigten genutzt worden. weder zur Arbeitszeitverkürzung noch zur Reallohnsteigerung

Was wäre wenn… die Verteilung zwischen Gewinnen und Arbeits-einkommen in Deutschland seit dem Jahre 2000 konstant geblieben wäre, entsprechend die Lohnquote zwischen 2000 und 2014 bei 72 % geblieben wäre?

Was wäre wenn… die Verteilung zwischen Gewinnen und Arbeits-einkommen in Deutschland seit dem Jahre 2000 konstant geblieben wäre, entsprechend die Lohnquote zwischen 2000 und 2014 bei 72 % geblieben wäre? + 1,2 Billionen Euro mehr für die Beschäftigten im Zeitraum 2000 bis 2014 allein für das Jahr 2014 hätte jeder Beschäftigte bezogen auf das Bruttoeinkommen im Schnitt gut 2.500 Euro mehr verdient.

Was wäre wenn… oder bei einem Stundenlohn von 24,30 Euro* hätte jede(r) Beschäftigte 2014 im Schnitt 104 Stunden weniger arbeiten müssen, also rund 13 Tage mehr Urlaub machen können – bei gleichem Einkommen! *Bruttolöhne und -gehälter je geleisteter Arbeitnehmerstunde 2014

Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten: Zunehmende Bedeutung von Zeitwohlstand

Das „Tretmühlenproblem“

Folgen „erzwungener“ Freizeitausdehnung Unternehmensberater, die in einem Experiment „gezwungen“ wurden, einen Tag in der Woche voll-kommen frei zu nehmen, bewerteten nach fünf Monaten ihre Arbeitssituation durchweg positiver als ihre Kollegen in konventionellen Teams. Quelle: Perlow, L. /Porter, S. (2010), S. 27; Grafik: M. Kopatz

Konsequenzen

Thema Zeitwohlstand auf die Agenda Auf niedrigem Einkommensniveau hat die Einkom-menssteigerung Priorität, da wichtige materielle Bedürfnisse befriedigt werden müssen; mit steigendem Einkommensniveau eröffnen sich Spielräume, den Wohlstand durch mehr Freizeit statt durch höhere Einkommen (Arbeitszeitverkür-zung/AZV) zu erhöhen; eine zusätzliche Einheit Freizeit steigert den persönlichen Wohlstand mehr als eine zusätz-liche Einheit Einkommen. Auch aus umweltpolitischer Sicht stellt AZV eine Möglichkeit dar, Wohlstand ohne zusätzliches Wachstum zu steigern.

Betriebliche Ebene „schlechte“ Produktivitätssteigerung verhindern; verteilungsneutralen Spielraum ausschöpfen; Wahlmöglichkeiten zwischen AZV und Lohn-erhöhung verbessern bzw. schaffen; bei AZV auch Arbeitsverkürzung sicherstellen; Bedeutung der unterschiedlichen Formen von AZV erhöhen/Tretmühlenproblem lösen (verkürzte Vollzeit für alle, Auszeiten, Sabbaticals, „Schnupper AZV“ etc.).  win-win-Situation: positive Folgen für die Beschäftigten, die Unternehmen und die Umwelt

Politische Ebene gewerkschaftlicher Durchsetzungskraft stärken (gesetzlicher Mindestlohn, Leiharbeit eng begren-zen, prekäre Beschäftigung bekämpfen, Mini-/ Midi-Jobs zurückdrängen); Arbeitszeitgesetz reformieren (z.Zt. max. 8 Stunden/Werktag)  „kürzere Vollzeit für alle“); Arbeitsschutz/gesundheitliche Vorsorge verbessern; Attraktivität von AZV erhöhen (gesetzliche Rückkehrregeln, Benachteiligung von Teilzeit abbauen).

… für diesen Wohlstand braucht man vor allem mehr Freizeit! Vielen Dank!

Fragen für Kleingruppe Ist die Annahme richtig, dass Zeitwohlstand im Vergleich zu Einkommenswohlstand an Bedeutung gewinnt? Wenn ja, warum ist das Thema AZV dann nicht stärker in der Debatte bzw. so schwierig im Rahmen von Tarifverhandlungen umzusetzen? Wenn nein, was sind die Ursachen? Bedeutet dies, das Wohlstand weiterhin nur auf die Ein-kommenshöhe bezogen wird? Wie lässt sich AZV stärker als Wohlstandszuwachs ins allgemeine Bewusstsein heben (nicht zuletzt aus Umweltgesichtspunkten heraus)?

Keynes‘ Stagnationsbegründung „(E)s mag bald ein Punkt erreicht sein, vielleicht viel eher, als wir uns alle bewusst sind, an dem die Bedürfnisse in dem Sinne befriedigt sind, dass wir es vorziehen, unsere weiteren Kräfte nicht-wirtschaft-lichen Zwecken zu widmen. Keynes, John Maynard: Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder, 1930

Keynes‘ Stagnationsbegründung „Es wird notwendig sein, sinnvollen Konsum zu fördern, Sparen zu mißbilligen - und einen Teil des unerwünschten Über-angebots durch vermehrte Freizeit zu absorbieren, mehr Urlaub (welches ein wunderbar angenehmer Weg ist, Geld loszuwerden) und kürzere Arbeitszeiten*.“ John Maynard Keynes: Das Langzeitproblem der Vollbeschäftigung, 1943 *15-Stunden Woche, vgl. John Maynard Keynes: Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder, 1930

Wertewandel? „Lange Zeit war das Wohlbefinden der Menschen maßgeblich durch die wirt-schaftliche Aktivität bestimmt. (…) Seit kurzem hat sich das menschliche Wohlbefinden allerdings von der nur materiellen Güterversorgung getrennt. Andere Aspekte des Lebens sind zunehmend wichtig geworden.“ Bruno S. Frey: Wachstum, Wohlbefinden und Wirtschaftspolitik, in: Roman Herzog Institut, Position Nr. 13, München 2012