Das politische System der BRD

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Das politische System der BRD Die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland 29.04.2008 Vortrag im Rahmen des Habilitationsverfahrens an der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald Grundlagentext: Gert Pickel (2008): Politische Kultur und Demokratieforschung. In: Schrenk, Klemens H./Soldner, Markus (Hrsg.): Die Analyse demokratischer Regierungssysteme. Wiesbaden. Inkl. Folien verfügbar unter: http://www.uni-leipzig.de/~prtheol/relsoz/index.htm 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Aufbau der Stunde I. Definition und Verständnis von politischer Kultur II. Klassiker und Ansätze der politischen Kulturforschung Entwicklungsphasen der politischen Kultur in der Bundesrepublik Literatur zum Thema 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

I. Definition und Verständnis von politischer Kultur Differenzierung: normative versus analytische Betrachtungsweise 1) Normative Betrachtungsweise: Wertender, auf Hochkultur ausgerichteter Begriff mit Bezug auf politischen Stil und Umgangsformen  diffus und unklar 2) Analytische Betrachtungsweise: Deskriptiv-empirisches Verständnis aus angelsächsischem Raum  objektivierbarer mit konkreterem Systembezug  In Politikwissenschaft erfolgt überwiegend Verwendung der analytischen Betrachtungsweise 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Definition politischer Kultur Politische Kultur sind die gesammelten, auf das politische System ausgerichteten, Einstellungen und Wertorientierungen der Bürger eines Landes Kollektivbezug trotz Betrachtung der Individuen Einbezug der Bürger in die politische Analyse Bezug zwischen Struktur und Kultur des polit. Systems Untersuchung von Wertorientierungen + Einstellungen Politische Kultur = die subjektive Seite von Politik + kann ergänzt werden durch Symbole und Deutungskultur 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Ziele der politischen Kulturforschung Ermittlung der psycho-sozialen Bedingungen für eine zukünftige Systemstabilität ( Prognosefähigkeit) Einbezug des vergesellschafteten Individuums in die politikwissenschaftliche Analyse durch repräsentative Aussagen über Bevölkerungen (kollektive Einstellungen!) Aussagen über die Beziehung Bürger-Staat (bereits anfangs implizite) Referenz auf Demokratie als zentrales Objekt der Analyse Bereitstellung einer Grundlage für empirische Forschung Almond/Verba 1963/ Easton 1965, 1979 / Lipset 1981 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

II. Klassiker und Ansätze der politischen Kulturforschung Gabriel Almond und Sidney Verba (1963) „The Civic Culture“ und die Untertanenkultur Seymour Martin Lipset (1959, 1981) „Political Man“ und die Legitimität politischer Systeme David Easton (1965, 1979) das Konzept der politischen Unterstützung Ergänzungskonzepte: Ronald Inglehart (1979): Wertewandel westl. Gesellschaften Karl Rohe (1990): die symbolische Seite politischer Kultur 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Die Genese der politischen Kulturforschung Gabriel Almond/Sidney Verba Politische Kultur = „the particular distribution of patterns of orientation towards political objects among the members of the nation“ (Almond/Verba 1963: 13) 1963 The Civic Culture: Political Attitudes and Democracy in Five Nations. Princeton. Ausdruck in Einstellungen Folge von historischen Prozessen und individueller Sozialisation Langlebig und kollektiv Empirisch gewonnene Typologie Ende der 1950er Jahre 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Dimensionen politischer Überzeugungen nach Almond und Verba (idealtypisch!) Der Wert 1 bedeutet das Vorhandensein dieser Orientierung in der betrachteten politischen Kultur; 0 bedeutet ein Fehlen dieser Orientierung in einer politischen Kultur. 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Typen politischer Kulturen nach Almond und Verba Der Wert 1 bedeutet das Vorhandensein dieser Orientierung in der betrachteten politischen Kultur; 0 bedeutet ein Fehlen dieser Orientierung in einer politischen Kultur. 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Almond/Verba: The Civic Culture 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Empirisch aufgefundene: Typen der politischen Kultur 1959 1976 USA CC mit starker Partizipation „participant political culture“ GB CC mit schwacher Partizipation und Untertanenkultur „differential political culture“ CC mit schwächerer Partizipation u. Untertanenkultur West-deutschl. Untertanenkultur „political detachment and subject competence“ CC Italien „alienated political culture“ CC mit Einschränkungen Mexiko „alienation and aspiration“ 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Seymour M. Lipset und die Legitimität politischer Systeme Geb. 1922 - gest. 2006 Lehrstuhlinhaber u.a. in Harvard (1966-1975); Stanford (1979-90); George Mason University Fairfax Mitbegründer der Cleavage-Theorie (mit Stein Rokkan 1967) Kernautor der Politischen Soziologie 1959 Political Man. Baltimore. (erweiterte Neuauflage 1981) 1967 Party Systems and Voter alignments. Cross national perspectives. New York (+Rokkan). 2000 Class, Citizenship and Social Development. Chicago 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Das Zusammenspiel von Effektivität und Legitimität Lipset 1981: 68  Bezug zwischen Effektivität und Legitimität Bezug zwischen Ökonomie und Politik dynamische Prozesse zwischen den Formen 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

David Easton das Konzept der politischen Unterstützung 1917 in Toronto (Kanada) geboren Universitäten Harvard, Chicago, UCLA 1968-1969 Präsident der APSA Vorlage von zentralen Konzepten zur politischen Systemlehre (im Anschluss an T. Parsons) 1965 A Framwork for Political Analysis. Englewood Cliffs. 1965 A System Analysis of Political Life. New York 1990 The Analysis of Political Structure. London. 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Das Input-Output-Denken der politischen Kulturforschung Output-Seite Das politische System stellt Leistungen für die Bürger zur Verfügung (Gemeinwohl, konkrete Entscheidungen) Input-Seite Es gibt einen Rückfluss hinsichtlich der Leistungen des politischen Systems „Demands“ = Forderungen der Bürger an das System „Support“ = Unterstützung des Systems 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Konzept der politischen Unterstützung Diffus Diffus-Spezifisch Spezifisch Politische Gemeinschaft PolitischesRegime Autoritäten Identifikation mit der Politischen Gemeinschaft Regime-Legitimität Autoritäten-Legitimität Regime-vertrauen Autoritäten-vertrauen Zufriedenheit mit den alltäglichen Outputs 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

III. Entwicklungsphasen der politischen Kultur in der Bundesrepublik Vor 1945 Die Ausgangslage vor 1945 1945-1966: Wiederherstellung und Festigung der Demokratie in der Bevölkerung  Der Weg aus der Untertanenkultur 1967-1982: Partizipatorische Revolution und Differenzierung der politischen Einstellungen  Der Weg zur „Civic Culture“ 1983-1989: Politikerverdrossenheit und die Entwicklung zum kritischen Bürger  Von der Civic Culture zum kritischen Bürger 1989-2007: Die „Mauer in den Köpfen“ – politische Kultur in der Folge der Wiedervereinigung  Die Differenzierung der politischen Kultur 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Die Ausgangslage vor 1945 Kritische Haltung zu den politischen Institutionen  Obrigkeitsorientierung und Autoritätsgläubigkeit  beschädigter + im Wert überhöhter Nationalstolz  geringe Verankerung demokratischer Werte  fehlendes Interesse an politischer Beteiligung  in Breite stark begrenzter Kenntnisstand über Politik Ungünstige Rahmenbedingungen  Ideologische und parteipolitische Zerrissenheit  Ineffektivität des Parteienpluralismus  starke antidemokratische Rahmenbedingungen  fehlende politische Sozialisation und politische Bildung  Untertanenmentalität 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Wiederherstellung und Festigung der Demokratie (1946-1966) Pragmatische Distanzierung zu Vergangenheit mit Unsicherheit und Anomie in Wertestrukturen Kontrolle und Reeducation durch Besatzungsmächte ( wird von Außen kommend angesehen) Auch nach Zusammenbruch des Nazi-Regimes bleiben in einzelnen Bevölkerungsgruppen (kulturelle) „Legacies“ Ausrichtung auf Überleben und Wiederaufbau Starke Kopplung der Legitimität der Demokratie an ihren wirtschaftlichen Erfolg ↓ fördert eine eher unpolitische Haltung der Bürger 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Ausprägungen der politischen Kultur (1946-1966) Ausdruck: Geringes politisches Engagement und Interesse Starke Ausrichtung auf „entscheidende“ Obrigkeiten Starke Distanz zu eigener Beteiligung an Politik Suche nach Konfliktfreiheit, Harmonie und Sicherheit Aber auch zeitliche Entwicklung: Langsamer Aufbau von Vertrauen in das neue System Aufbau erster Legitimität über ökonomischen Erfolg K. Sontheimer (1990: 26): „eine rein repräsentative, mit autoritären Zügen versehene Variante der Demokratie“.  Untertanenmentalität mit demokratischen Elementen 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Indizien für die Reste der Untertanenmentalität Distanz zur Politik und zu politischer Beteiligung * 70% lehnten es 1955 ab, dass ihr Sohn Politiker wird und * nur ein Drittel der Deutschen gab 1953 an gelegentlich über Politik zu reden (acht Prozent häufig) Skeptische Haltung zum Parteiensystem * 1949 hatte mehr als die Hälfte der Deutschen kein Vertrauen in die Leistungen der Partien (51%); * 33% glaubte 1955 es wäre besser es gäbe nur eine Partei; * 1950 sahen 47% Parteienpluralität als nicht wichtig an (1960 = 21%, 1972 = 12%) Kaum Verankerung des politischen Systems * nur 7% 1959 stolz auf das politische System (1978: 31%) (USA 85%, GB 56%, IT 3% - Civic Culture Studie) 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Partizipatorische Revolution und Differenzierung der politischen Einstellungen (1967-ca.1980) Ab 1968 Infragestellung traditionaler Werte und Prinzipien Gegenbewegung zu autoritärer Gesellschaftsstruktur Verstärkter Einsatz verschiedener Partizipationsformen Forderung nach „mehr Demokratie“ Zweifel an der Legitimität der herrschenden Ordnung Am Repräsentationsprinzip (mehr direkter Einfluss der Bürger) Am Kapitalismus (mehr soziale Fürsorge) An der Umsetzung der Demokratie (mehr echte Demokratie) Am staatlichen Gewaltmonopol (weniger Kontrolle) An der kulturellen Manipulation der Bürger (Emanzipation) Steigende Forderungen gegenüber demokratischem Staat 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Gründe der partizipatorischen Revolution: Wandel der Werte in Teilen der jüngeren Generation von Ordnung, Sicherheit, Sparsamkeit zu Selbstverwirklichung + Anfragen an Kriegsgeneration mit Ziel der Aufarbeitung Bildungsexpansion + (ökonomischer) Wohlstand = Zunahme des Interesses an Politik und Teilhabe Politisierung der Gesellschaft  Ausprägung einer „Civic Culture“ und Entfernung von der Untertanenkultur der früheren Jahre 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Folgen der partizipatorischen Revolution: Differenzierung der Haltungen zur Demokratie und in den Entwicklungen der Werte zwischen Stadt und Land + Generationendifferenzen entstehen, die sich teilweise in Generationenkonflikten entladen Steigende (Bereitschaft zu) politische(r) Partizipation mit erstmalig breiter auftretenden unkonventionellen und auch illegalen Partizipationsformen Differenzierung der deutschen Gesellschaft Demokratisierungsschübe in verschiedenen Bev.-Gruppen Außerparlamentarische Bewegungen entstehen 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Indizien für partizipatorische Revolution Werteentwicklung Selbstverwirklichung (Erziehungsziel) 28%  31%  45%  52%  60%  82% 1951  1964  1972  1981  1998  2002 Zunahme Politikinteresse 1960 (30%)  1970 (50%)  1985 (45%) Anstieg der Wahlbeteiligung 1949 – 1972  von 78% auf 91% bei BTW Zunehmende Zufriedenheit mit der Demokratie 89%  81%  78%  70%  72%  79% 1975  1977  1980  1982  1985  1988 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Politikverdrossenheit und Entwicklung zum kritischen Bürger (1980-1989) Ab Anfang der 1980ern Anzeichen einer Krise der Glaubwürdigkeit von Politik in der Bevölkerung > Debatte um „Legitimitätskrise westlicher Demokratien“ Benannte Indizien: Seit den späten 1970ern erfolgt wieder ein Rückgang der politischen Beteiligung (auch WBT) Parteiidentifikation und -mitgliedschaften sinken, was auf die Erosion sozio-politischer Milieus zurückgeführt wird Verlust des Vertrauens in zentrale politische Institutionen  Zunehmende Distanzierung zur institutionalisierten Politik 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Politiker- und Parteienverdrossenheit … 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

… aber keine Politikverdrossenheit 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Parteien- und Politiker- nicht Politikverdrossenheit! Aber: weiterhin moderates politisches Interesse, breiter Rückhalt der Demokratie als Regierungsform in der Bevölkerung + Ablehnung antidemokratischer Alternativen Gründe: * Überhöhte Anforderungen an den Staat * anhaltende und wiederkehrende Effektivitätskrisen * Zweifel am Wirken von Politikern für das Gemeinwohl  Effektivitätskrise statt Legitimitätskrise  Kritische Bürger mit starker Legitimität der Demokratie an sich aber gleichzeitig steigender Unzufriedenheit mit den Parteien, Politikern und der Tagespolitik 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Die „Mauer in den Köpfen“ in der Folge der Wiedervereinigung (1989-heute) Neue Phase der politischen Kulturforschung Bislang einmaliger Vorgang der Verschmelzung zweier politischer Strukturen und Kulturen Aufeinandertreffen von unterschiedlicher Sozialisation und (zumindest kürzerer) historischer Prägung Hinweise auf Differenzen zwischen institutioneller und kultureller Vereinigung (insb. Haltung zur Demokratie) Debatte um pol.-kulturelle Integrationsprobleme der Ostdeutschen in die bundesdeutsche Demokratie (Sozialisation versus Situationsthese) Debatte: Verschwinden oder Konstanz der Differenzen 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Erklärungshypothesen für Ost-West-Differenzen 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Ost-West-Differenzen in den Einstellungen zur Demokratie Quelle: (PCND) 2000; sehr und eher zutreffend in Prozent. 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Ergebnisse der West-Ost-Debatten Kaum Differenzen in Legitimität der Demokratie Differenzen aber in der Zufriedenheit mit der aktuellen Demokratie und deren Effektivität Problem – Begründung für Differenzen sind umstritten Erklärung 1: Folge des DDR-Sozialismus und seiner kulturellen „Legacies“ kombiniert mit „Nostalgie“ Erklärung 2: Konsequenz aus unterschiedlichen sozio- ökonomischen Rahmenbedingungen Hinweise auf Erklärung 2, aber beide Erklärungen zusammen wirksam mit unterschiedlicher Stärke 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Extremismus und extremistische Einstellungen > Seit 1980ern Wiederaufkommen einer Extremismusdebatte insb. Rechtsextremismus (siehe 1950er Jahre) (temporäre) Wahlerfolge rechter Parteien (Institutionell) Ausbildung rechter Gruppierungen (Milieuspezifisch) Existenz ausländerfeindlicher Einstellungen (Kulturspezifisch) Stärkere Ausprägung in Ostdeutschland (Regional) Stärkere Ausprägung bei jüngeren Personen (Subkulturell) Differente Diskussion um Gründe für Entwicklung Differente Diskussion um Bewertung der Erkenntnisse 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Zusammenfassung zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland Anfangs Reste einer Untertanenkultur aufgrund der Prägung und Reflexion durch die Vorkriegszeit Frühe Entwicklung einer demokratischen politischen Kultur in der Nachkriegszeit  „Civic Culture“ Differenzierungen in den Haltungen zum politischen System  Institutionen, Politiker, Demokratie Breite Diskussion um Politikverdrossenheit  Protest, Extremismus, sinkendes Vertrauen Intensive Wiederbelebung der Diskussion nach der Wiedervereinigung  „Mauer in den Köpfen“ Deutlicher Bezug zur sozioökonomischen Situation 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Kernaussagen zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland Breite Akzeptanz der westlichen demokratischen politischen Kultur und der Demokratie Gemischte Haltung zur politischen Gemeinschaft (Nationalstolz versus Patriotismus) Zunehmende Unzufriedenheit mit Parteien und Politikern  Effektivitäts- und Vertrauenskrise Stabile Regionale Differenzen der politischen Unterstützung zwischen West- und Ostdeutschland Gleichzeitig: Kritischere Sicht der Bürger mit Wunsch nach mehr (direkter) Demokratie und Rückzug von Politik als „schmutzigem Geschäft“. 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

IV. Literatur –politische Kulturforschung Almond, Gabriel/Verba Sidney (1963): The Civic Culture: Political Attitudes and Democracy in Five Nations. Princeton. Easton, David (1975): A Re-Assesment of the Concept of Political Support. In: British Journal of Political Science 5: 435-457. Greiffenhagen, Martin/Greiffenhagen, Sylvia (2002): Politische Kultur. In: Greiffenhagen/Greiffenhagen (Hrsg.): Handwörterbuch zur Politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Opladen: 387-401. Pickel, Gert (2008): Politische Kulturforschung. In: Schrenk, Clemens/Soldner, Marcus (Hrsg.): Die Analyse demokratischer Regierungssysteme. Wiesbaden. Pickel, Susanne/Pickel, Gert (2006): Politische Kultur- und Demokratieforschung.. Eine Einführung. Wiesbaden. Lipset, Seymour M. (1981): Political Man. Baltimore. 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Literatur – politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland Breit, Gotthard (Hrsg.): Politische Kultur in Deutschland. Eine Einführung. Schwalbach. Greiffenhagen, Martin/Greiffenhagen, Sylvia (Hrsg.) (2002): Handwörterbuch zur Politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Opladen. Pickel, Susanne (1998): Vom Totalitarismus zur Demokratie – zwei Transformationen in Deutschland. In: Pickel/Pickel/Walz (Hrsg.): Politische Einheit – kultureller Zwiespalt? Frankfurt/Main: 19-58. Rudzio, Wolfgang (2003): Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. (6. Aufl.) Opladen: 543-576. Sontheimer, Kurt (1990): Deutschlands politische Kultur. München. Sontheimer, Kurt/Bleek, Wilhelm/Gawrich, Andrea (2007): Grundzüge des politischen Systems Deutschlands. München. 29.04.2008 Dr. Gert Pickel

Ausblick auf die nächste Stunde Datum: 05.05.2008 Thema: Parteien und Parteiensystem in der Bundesrepublik Deutschland 29.04.2008 Dr. Gert Pickel