Erich Fromm Ein fast vergessener Klassiker der Sozialpsychologie

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 Präsentation transkript:

Erich Fromm Ein fast vergessener Klassiker der Sozialpsychologie Henning Kurz Henning Kurz | 2000

Inhaltsübersicht Leben und Werk Ansatz Fromm und die „Frankfurter Schule “ Fromms sozialpsychologische Studien Fromms Idee eines humanistischen Sozialismus Fromms Menschenbild Aktualität Henning Kurz | 2000

„Ich wurde geboren als einziges Kind – was schon ganz schlimm ist – von zwei sehr neurotischen Eltern, überängstlichen Eltern aus einer sehr orthodox jüdischen Familie auf beiden Seiten mit Traditionen von Rabbinern“ (Erich Fromm) Henning Kurz | 2000

Erich Fromm: Leben und Werk 1900: Geb. in Frankfurt/M. als einziger Sohn orthodox-jüdischer Eltern Studium der Soziologie, Psychologie und Philosophie 1926: Abkehr vom orthodoxen Judentum 1930: Mitglied des Instituts für Sozialforschung („Frankfurter Schule“) 1933: Emigration in die USA 1941: „Die Furcht vor der Freiheit“ 1947: „Psychoanalyse und Ethik“ 1956: „Die Kunst des Liebens“ 1973: „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ 1976: „Haben oder Sein“ 1980: Gestorben in Locarno Henning Kurz | 2000

Karl Marx (Soziologie): Sigmund Freud (Psychoanalyse): Erich Fromms Ansatz: Analytische Sozialpsychologie Karl Marx (Soziologie): Der Mensch als Gesellschaftswesen Sigmund Freud (Psychoanalyse): Der Mensch als Individuum Psychoanalytischer Ansatz: Neoanalyse (Humanistische Psychologie) (R) Henning Kurz | 2010

Ökonomische Rahmenbedingungen Gesellschaftscharakter Individuum Gesellschaftscharakter (Summe der für die Menschen einer Gesellschaft typischen Charakterzüge) Werte, Ideale (R) Henning Kurz | 2010

Entfremdung Von der Arbeit Von der Natur Von anderen Menschen Von sich selbst (R) Henning Kurz | 2010

Fromm und die „Frankfurter Schule“ Erich Fromm war die „personifizierte Verbindung von Soziologie und Psychoanalyse“ (Wiggershaus: Die Frankfurter Schule, Reinbek 2010, 21): Methode der Gesellschafts-Charakter-Forschung Ab 1930 Leiter der Sozialpsychologischen Abteilung des Instituts (bis 1939) Studien: Die Entwicklung des Christusdogmas. Eine psychoanalytische Studie zur sozialpsychologischen Funktion der Religion (1931) Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches (erst 1980 posthum publiziert). „Fromms Beitrag zur Herausbildung dessen, was heute ´frühe Kritische Theorie´ genannt wird, ist zweifellos höher zu veranschlagen als dies in den meisten einschlägigen Darstellungen getan wird“ (Bonß) Bruch mit dem Institut wg. inhaltlicher und persönlicher Differenzen Henning Kurz | 2000

Fromms sozialpsychologische Studien Berliner Arbeiter- und Angestelltenerhebung: Autoritärer Charakter (Methode: Fragebogen; tiefenpsychologische Analyse). Erst 1980 publiziert unter dem Titel „Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches. Eine sozialpsychologische Untersuchung“ (bearbeitet und herausgegeben von Wolfgang Bonß). Ergebnis: Die Arbeiterschaft ist mitnichten immun ggü. der NS-Ideologie. Untersuchung zum Gesellschaftscharakter eines mexikanischen Dorfes: Fromm und seine Mitarbeiter analysierten jahrelang mit großem personellem und methodischen Aufwand alle Erwachsenen des Dorfes (Methode: Tiefeninterviews, Gespräch 2-4 Stunden; Rorschachtest, TAT; aufwändige Schulung der Auswerter und Evaluation der Analysen); Ergebnis: „Daher stellt die Charakterstruktur den selektiven Faktor dar, der zur Anpassung eines Teiles der Bevölkerung und zum gesellschaftlichen Abstieg und zur Schwächung eines anderen führt“ (Fromm). Henning Kurz | 2000

Fromms Idee eines humanistischen Sozialismus/Sozialistischen Humanismus „Verstärkt wird die(se) irrationale Reaktion auf die Wörter ´Sozialismus´ und ´Marxismus´ noch durch die erstaunliche Ignoranz derjenigen, die hysterisch werden, sobald sie diese Wörter hören“ (Fromm, Wege aus einer kranken Gesellschaft, 1955) „Ich bin ein demokratischer Sozialist, aber diese Antwort ist heute so vieldeutig, dass sie kaum genügt, um einen Standpunkt zu kennzeichnen. Meine politische Orientierung ist ein sozialistischer Humanismus, mir geht es um eine Gesellschaft, in der die optimale Entwicklung des einzelnen und seiner Freiheit das Ziel der gesellschaftlichen Organisation ist“ (1980) Henning Kurz | 2000

Fromms Menschenbild (Kennzeichen des unneurotischen, reifen Menschen) Fähigkeit, in liebender Weise auf andere bezogen zu sein Autonomie Selbsterkenntnis Ambivalentes Selbsterleben Ambivalentes Wirklichkeitserleben Realitätssinn Nach Rainer Funk: Die Aktualität Fromms, 2009. Henning Kurz | 2000

Adäquate Selbsteinschätzung Neurotische Haltung zum eigenen Selbst Selbstlosigkeit Selbstliebe Selbstsucht Minderwertigkeitskomplex „Gotteskomplex“ (Größenwahn) Adäquate Selbsteinschätzung Henning Kurz | 2000

Das Individuum zwischen Biophilie und Nekrophilie Wachstumssyndrom Progressions-ebenen Unabhängigkeit, Freiheit Biophilie Liebe zum Nächsten, Fremden, Natur „Normal“ Narzissmus Regressions-ebenen Nekrophilie, analer Charakter Inzestiöse Symbiose, Mutterbindung Verfallssyndrom Erich Fromm: Die Seele des Menschen Henning Kurz | 2000

Assimilationsprozess Sozialisationsprozess Individuum Assimilationsprozess Sozialisationsprozess rezeptiv ausbeuterisch hortend produktiv symbiotisch destruktiv narzisstisch liebend Henning Kurz | 2000

Die Furcht vor der Freiheit Industriegesellschaft Agrargesellschaft Industriegesellschaft Minimale Freiheit - Maximale Sicherheit Maximale Freiheit – Minimale Sicherheit Lokale, religiöse und soziale Verwurzelung stiftet Identität Lokale, religiöse und soziale Entwurzelung führt zur Identitätskrise Ich weiß, wer ich bin und wo ich hingehöre Wer bin ich? Henning Kurz | 2000

Der autoritäre Charakter AberAberglaube, Klischee, Kategorisierung und Schicksalsdeterminismus Autoritätshörigkeit/-unterwürfigkeit Festhalten an Hergebrachtem, Konventionellem Identifikation mit Machthabern, Überbetonung der gesellschaftlich befürworteten Eigenschaften des Ich Sado- masochistischer Charakter passiv aktiv Veranlagung, an die Existenz des Bösen in der Welt zu glauben und unbewusste emotionale Impulse nach außen zu projizieren Übertriebene Bedenken bezüglich sexueller Geschehnisse Tendenz, Verstöße gegen hergebrachte Werte ahnden zu wollen Ablehnung des Subjektiven, Imaginativen und Schöngeistigen Allgemeine Feindseligkeit, Herabsetzung anderer Menschen -Veranlagung, an die Existenz des Bösen in der Welt zu glauben und unbewusste emotionale Impulse nach außen zu projizieren -Übertriebene Bedenken bezüglich sexueller Geschehnisse -Tendenz, Verstöße gegen hergebrachte Werte ahnden zu wollen -Ablehnung des Subjektiven, Imaginativen und Schöngeistigen Henning Kurz | 2000 -Allgemeine Feindseligkeit, Herabsetzung anderer Menschen

Der religiöse Fundamentalismus als autoritärer Reflex auf den postmodernen Optionenoverkill Der religiöse Fundamentalismus beantwortet alle Fragen endgültig und mit dem Anspruch absoluter Gültigkeit Fehlende Ambiguitätstoleranz Konventionell-stereotype Denkweise Intoleranz Narzissmus (bisweilen als Altruismus getarnt) Ablehnung der historisch-kritischen Perspektive Unkritische Unterwerfung unter eine rigide Ideologie und unter eine Macht jenseits des Menschen Starre Hierarchie innerhalb der Gruppe Humorlosigkeit Henning Kurz | 2000

Die existentielle Verunsicherung des postmodernen Marketingcharakters Neurotische Lösung des Konflikts (regressiver Eskapismus) Flucht ins Autoritäre: Fundamentalismus, Populismus Flucht in inszenierte Realitäten: Hedonismus Verunsicherung (Kollaps der klassischen Koordinatensysteme) Produktive Lösung: „Realitätsprinzip“ (Freud): Ontologische Unsicherheit aushalten (Ambiguitätstoleranz) Henning Kurz | 2000

Der Narzisst als Prototyp der Marketinggesellschaft Kennzeichen: Fehlende Empathie, fehlende Akzeptanz von Regeln, fehlende adäquate Selbsteinschätzung, dissoziale Orientierung, Eitelkeit, Infantilismus, innere Substanzlosigkeit. In der Marketinggesellschaft wird der Narzissmus zum Karrierebeschleuniger, der Neurotizismus zur Schlüsselqualifikation. Henning Kurz | 2000

(Leitmotiv und Strukturprinzip, das alle Lebensbereiche durchdringt) Der Verfall der Liebe in der zeitgenössischen kapitalistischen Gesellschaft Die Liebesbeziehung zur gegenseitigen sexuellen Befriedigung Die Liebesbeziehung als möglichst gut funktionierendes Teamwork Die Liebesbeziehung, um geliebt zu werden, ohne selbst zu lieben Marketing-Prinzip (Leitmotiv und Strukturprinzip, das alle Lebensbereiche durchdringt) Die Frage „Wie wirke ich auf andere?“ verdrängt den Klassiker „Wer bin ich?“ Henning Kurz | 2000

Fromms Religionsbegriff Bewusstsein Unsicherheit, Entfremdung (Krise) Grundfragen (Bedürfnis nach Orientierung): „Freiheit“ Wahlmöglichkeit (Chance) Religion Bietet ein absolutes, endgültiges und universales Koordinatensystem; einen „Rahmen der Orientierung“ und ein „Objekt der Hingabe“ (E. Fromm) Unterdrückung (Heteronomie) Befreiung (Autonomie) Henning Kurz | 2000

Märchen, Mythen, Träume Symbolsprachen Traum Poesie Religion Kleiden Gemeintes in Bilder Symbolsprachen interpretationsbedürftig Henning Kurz | 2000

„Die Industriegesellschaft kümmert sich gar nicht mehr um den Menschen „Die Industriegesellschaft kümmert sich gar nicht mehr um den Menschen. Sie kümmert sich nur um eines: wie viel produziert wird. Der Mensch ist nur noch ein Instrument, um mehr und mehr zu produzieren und zu konsumieren. Mit anderen Worten: Damit wir eine gesunde Wirtschaft haben, brauchen wir einen kranken Menschen.“ (Erich Fromm) Henning Kurz | 2000

Lektüretipps Die Furcht vor der Freiheit (1941) Psychoanalyse und Ethik (1946) Psychoanalyse und Religion (1949) Wege aus einer kranken Gesellschaft (1955) Die Kunst des Liebens (1956) Anatomie der menschlichen Destruktivität (1974) Haben oder Sein (1976) www.erich-fromm.de www.fromm-gesellschaft.de Henning Kurz | 2000

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Henning Kurz | 2000