Ingo Bode Bergische Universität Wuppertal

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Allgemein Privat und Gesetzlich Leistung Pflegestufen Finanzierung
Advertisements

Bedeutung beruflicher Weiterbildung für Unternehmen
Eine Region mit Potential Die Region Hellweg-Sauerland: mit qkm größer als das Saarland Einwohner produzieren 14,1 Mrd. BIP Die Industrie.
Herausforderungen und Perspektiven in der ambulanten pflegerischen
„Beitrag der Häuser der Familie zur Infrastrukturentwicklung im
BGF in Salzburg | Seite 2 Ausgangssituation in Salzburg 82,5 % Kleinstunternehmen; 14,3 % Kleinunternehmen Bereits Unterstützungsleistungen.
- 1 - Kleinstädte in ländlichen Räumen Projektziele: Untersuchung von deutschen Kleinstädten (bis 7000 Einwohner) in unterschiedlichen Typen ländlicher.
Pflegesituation in Oberberg / Rhein Berg Klaus Ingo Giercke AWO Mittelrhein
Verwaltungsreform in Rheinland-Pfalz Gunnar Schwarting Mainz/Speyer
Der Kapitalmarkt in der Strategie von Lissabon Ganz offensichtlich erforderlich sind Fortschritte im Bereich der Portfoliobeschränkungen für die Anlagetätigkeit.
Dienstleistungen für Unternehmerinnen
Arbeitsgruppe 2 Arbeit und Beschäftigung
Qualitätsentwicklung und Nachhaltigkeit im Kontext häuslicher Pflegearrangements Entwicklungstrends und Perspektiven Doktorarbeit am Fachbereich Human-
IT und TK Ausgaben je Einwohner
Prekäre Beschäftigung in Europa
Berufliche Kompetenzentwicklung
Eine neue „kreative Klasse“ Kreative Milieus
Finanzierung von Fundraising Wo kommt das Geld fürs Fundraising her? Referent: Kai Fischer Dresden, 9. Sept
die Misere von Betroffenen Berno Schuckart-Witsch
Netzwerk Selbsthilfe Bremen e.V. Gegründet 1982 = über 25 Jahre Erfahrung in der Unterstützung von Initiativen, Vereinen und Selbsthilfegruppen aus den.
Freiwilligendienste aller Generationen (FDaG) Zentrale Bausteine der Freiwilligendienste aller Generationen 46 Leuchtturmprojekte für Kommunen und Träger.
Gewinn für Patienten durch einen ganzheit-lichen Ansatz bei der Versorgungsgestaltung Berlin, den 07. November 2012 Prof. Dr. h.c. Herbert Rebscher | Vorsitzender.
Neu-EU-BürgerInnen aus Bulgarien und Rumänien in Duisburg Impulsvortrag zum Thema Selbstständigkeit Angel Alava-Pons, GFW Duisburg,
Der Wert des Alters im demographischen Wandel
Die Betriebliche Altersvorsorge
Existenzgründung Eine Alternative für mich?. Tamara Braeuer Technische Zeichnerin Maschinenbau Technikerin für Betriebswissenschaft seit 1992 Unternehmensberaterin.
Regierungsprogramm. 10 Themen für den Info-Stand Projektgruppe Regierungsprogramm.
Modul 2 – Wohnen im Alter –kommunale Herausforderungen
4. TECHNOLOGIEKOORDINATIONSSITZUNG Aktivitäten & Anliegen der Wirtschaftskammer 8. Oktober 2013 Wirtschaftskammer Österreich, Wien Rudolf Lichtmannegger.
Das südöstliche Westfalen (HSK und Kreis Soest) ist ein starkes Stück NRW. mit qkm größer als das Saarland Einwohner produzieren 14 Mrd.
Le défi démocratique: Quelle corrélation entre le niveau de la démocratie et le degré de la protection sociale ? Conseil de lEurope – Com. Sociale/Santé/Famille.
Präsentiert von Eva, Laura, Michaela & Sarah
Mobile – Entlastungsangebote für pflegende Angehörige
EU E-Government Benchmarking Capgemini 2004/2005
Inter- und Intra-Generationen-Unterstützungen
Kommunale Gesamtkonzepte zur Kulturellen Bildung
Quelle Graphik: [Zugriff ]
Catherine Comte Statistisches Amt des Kantons Basel-Stadt
Generation 50plus - „Frisch, Fröhlich, Alt“
Bundesrepublik Deutschland
Grundlagen: Kantonales Gesetz über familienergänzende Kinderbetreuung:
Perspektive Gemeinwesen? Prof. Dr. Albrecht Rohrmann
Das Motto Gleiche Arbeit Gleiches Geld Leiharbeit fair gestalten.
Mindestsicherung und Arbeitsmarktintegration in der Steiermark Fachtagung vom 3. März Seite 1 Stadt Zürich Sozialdepartement Arbeitsintegrationsangebote.
... und wer hilft mir ?.
Umsetzungsergebnisse zum NRW-Förderinstrument Bildungsscheck Veranstaltung: Berufliche Qualifizierung von Migrantinnen und Migranten am 28. November 2007.
Liselotte-Gymnasium Mannheim
Ueberwachung und Steuerung von Gegenstaenden:
ÖGB BÜRO CHANCEN NUTZEN
Bürgerschaftliches Engagement im Umfeld von Pflege
Das Angebot für ältere vereinsamte oder isolierte Menschen Silbernetz Präsentation für Förderer und Sponsoren Start Social
Univ.-Prof. Dr. Ada Pellert Donau-Universität Krems Department für Weiterbildungsforschung und Bildungsmanagement Vorschläge zur Implementierung einer.
Kooperation von Jugendhilfe und Wirtschaft Chance einer gelingenden Partnerschaft.
Armutsgefährdung in Deutschland Kinder 15,7 % (arm) jährige Männer 16 % Frauen 18 % Alleinerziehende 35,2 % Erwerbslose 69,2 % Beschäftigte.
Prof. Hildegard Theobald, Universität Vechta Fachtagung
1 Versorgung pflegebedürftiger Bürgerinnen und Bürger in den Niederlanden und in Deutschland – Zorg voor huelpbehoevenden NL/D.
Willkommen bei CNW Creative New World GmbH RELOCATION SERVICES - unsere Leistungen um die nationale und grenzüberschreitende Mobilität von Familien, Einzelpersonen.
Pflegevollversicherung Diakonie ver.dient Tarifverträge
Pflegereform(en) 2014 Stückwerk oder der große Wurf?
Marburger Allianz für Menschen mit Demenz
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss ● Grundsätze wirksamer und verlässlicher ● Sozialleistungssysteme (2015/SOC 520) ● Berichterstatter: Prof.
Der rechtliche Rahmen für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
Swiss Logistics Public Award Medienkonferenz vom 2. November 2015 Dr. Dorothea Zeltner Kamber.
Landeshauptstadt München Sozialreferat Amt für Soziale Sicherung Hilfen im Alter, bei Pflege und Betreuung Dipl. Soz.Gerontologe David Stoll Seite.
Soziale Arbeit in Polen – Organisation und Finanzierung, Chancen und Herausforderungen Prof. Dr. Piotr Błędowski Warsaw School of Economics (SGH) Institute.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Thurgau Tabea Stöckel
STRUKTUR UND HERAUSFORDERUNG DER UNTERNEHMENSNACHFOLGE IN SÜDTIROL Urban Perkmann Bozen,
Die Entwicklung der Pflegeressourcen im Bereich der Altenpflege
 Präsentation transkript:

Ingo Bode Bergische Universität Wuppertal Frankreich: Häusliche Pflegearrangements, öffentliche Regulierung und der informelle Raum Ingo Bode Bergische Universität Wuppertal

Gliederung Einleitung Institutionelles Arrangement und öffentliche Regulierung Angebotsstrukturen Der informelle Raum

1. Einleitung Die Pflegeagenda in Frankreich Eher komfortable Rahmenbedingungen …  Altersquotient (old age dependency ratio) um die 25% (Deutschland: 30%)  Fertilitätsrate bei über 2.0  Zunahme behinderungsfreier Lebenserwartung (alleine um 3 Jahre im 10-Jahres-Rhythmus) und allgemeiner Anstieg der Lebensautonomie (v.a. zwischen den Generationen 1903-12 und 1913-22)

aber durchaus absehbare Spannungen …  abnehmende Altersmortalität (französische Frauen mit Rekordlebenserwartung: 83 Jahre)  Enttraditionalisierung biografischer Lebensmuster  mittelfristig absehbarer Versorgungsengpass im privaten Raum

2. Institutionelles Arrangement und öffentliche Regulierung Häusliche Pflege wird in Frankreich über ein Dreifachregime gesteuert: das Regime der « soins à domicile » (Behandlungspflege), - spezialisierte Behandlungspflegedienste (SIAD) sowie - freiberufliche « Krankenschwestern » (infirmières libérales) das Regime der « Allocation personnelle d’autonomie » (Haushaltspflege) - 1.078.000 Empfänger (Ende 2007), davon 61% in häuslicher Pflege - 411 € / monatlich im Durchschnitt, je nach Pflegestufe (plus Eigenbeteiligung an « Pflegehilfsplänen », im Schnitt 82 €) Bewilligung der Haushaltspflegeleistung durch die Départements  25% der Anträge abgelehnt wg. geringfügiger Pflegebedürftigkeit  Bewilligungen im Schnitt zu 28% unter der möglichen Obergrenze

Haushaltshilfezuschüsse (aide ménagère) von den Sozialkassen (2007 für ca. 300.000 Personen) sowie (in kleinerem Umfang) von den Kommunen für Personen, die keinen Zugang zu den anderen beiden Pflegeregimes haben (Restpflege)  unbekannte Versorgungslücke (Schätzungen gehen davon aus, dass weniger als die Hälfte des von den Senioren artikulierten Versorgungsbedarfs befriedigt wird)

Entwicklung der Empfängerzahlen Quelle: Espagnol 2008

Entwicklung der Selbstbeteiligung Eigenbehalt Zuwendung Conseil général

Der Weg zur institutionellen Unterstützung Erstellung eines Hilfsplans bei einem Pflegeteam (équipe médico-sociale) des Départements, auf der Basis eines Hausbesuchs und einer Bedarfsevaluation Festlegung eines Versorgungspakets im Rahmen einer staatlich fixierten Obergrenze (de facto) Vorschlag von Diensten durch das Pflegeteam, als Angebot für die Leistungsempfänger (Ko-optationsverfahren mit Ausstiegsoption)

Das institutionelle Arrangement häuslicher Pflege in Frankreich CSPA Départements Krankenkassen öffentliche Regulierung „grè à gré“ (deklariert) übrige Sozialkassen Gewerbliche Unternehmen Familie Dienstleister (associations prestataires) Infirmières libérales (Behandlungspflege) Vermittelte Dienste (associations manadataires) Pflegeprozess

Die französischen Besonderheiten öffentlich „bezahlte“ Familienpflege (Ehepartner sind ausgeschlossen) schwach ausgebildet (weniger als 1/10 aller Leistungsempfänger beschäftigt Angehörige) es gibt insgesamt eine relativ breit angelegte institutionelle Förderung nicht-somatischer Pflege Haushaltsnahe Dienste sind seit langem Gegenstand aktiver Sozial- und Beschäftigungspolitik … mit hohem Prekaritätspotenzial  zuletzt im Rahmen eines groß angelegten Förderprogramms zu haushaltsnahen personenorientierten Diensten (services à la personne), gestützt durch neue Ko-Finanzierungs- und Subventionsverfahren (Arbeitgeberschecks; Steuerabsetzung)

3. Angebotsstrukturen Ein widersprüchlicher Organisationsrahmen… Behandlungspflege ist hochgradig institutionalisiert und medizinisch-professionell reguliert Das institutionelle Design der Haushaltspflege betont den Dienstleistungscharakter der Pflege und setzt (normativ) auf Professionalisierung (Normaljobs, Ausbildungszertifikate etc.)  allerdings von einem niedrigen Niveau aus …  … und vor dem Hintergrund von wachsender Vermarktlichungstendenzen, die in bestimmter Weise Professionalisierungsprozessen entgegenwirken

Tendenzen im Anbietersystem (Bereich Hauspflege) … mit reichlich Dynamik rasche Zunahme gewerblicher Haushaltshilfedienste einigen Jahren (von niedrigem Niveau aus) Anstrengungen der gemeinnützigen Anbieter, neue Domänen zu besetzen und Marketingsstrategien zu fahren Aufkeimen lokalen Anbieterwettbewerbs (Durchbrechen des o.g. Ko-Optationsverfahrens durch einzelne Départements)

öffentliche Regulierung 4. Der informelle Raum CSPA Départements Krankenkassen öffentliche Regulierung grè à gré (deklariert) Sozialkassen Gewerbliche Unternehmen Familie Dienstleister (associations prestataires) Infirmières libérales (Behandlungspflege) Vermittelte Dienste (associations manadataire Pflegeprozess

Der Raum für informelle Pflege in Frankreich Spezifischer Markt: relativ breiter Ausbau niedrigschwelliger seniorenorientierter Dienste Spezifischer Zuschnitt des Angebots: die „sans-papiers“ Nordafrikas Spezifische Ventile: nicht-deklarierte Stunden (anstelle nicht-deklarierter Tätigkeit)

Versuche der Raumverschließung Schaffung verschiedener Formen vereinfachter Sozial- und Steuerregistrierung Umfangreiche Steuerabzugsmöglichkeiten, auch für Unternehmen, die betriebliche Sozialleistungen finanzieren Erleichterung des Zulassungsverfahrens für private Anbieter v.a. bei niederschwelligen personenorientierten Diensten

« Chèque emploi-service universel » ein Instrument, um privaten Arbeitgebern die Organisation häuslicher Beschäftigungsverhältnisse zu erleichtern - entweder in Gestalt einer reinen Anmeldehilfe (Abwicklung der sozialversicherungsrechtlichen und steuerlichen Formalitäten - oder als Bezahlmedium (einschließlich der Anmeldehilfefunktion) für die Beschäftigten in jedem Fall impliziert der Einsatz des Schecks eine Anmeldung, wobei die Anmeldestelle die Abgabenpflichten errechnet und erledigt die Nutzung des Schecks eröffnet Steuer(abzugs)vorteile bis zu 50% der aufgewendeten Mittel der Scheck kann von Arbeitgebern und Sozialkassen (als freiwillige Sozialleistung) ausgehändigt werden

Eine Erfolgsstory? Die Entwicklung deklarierter Haushaltspfege (einschließlich Kinderbetreuung) Scheck-Arrangements Scheck CES Kinderbetreuungshilfe Scheck CESU Sozialversicherungskonten (Quelle: ACOSS 63, Stat 2/2008)

Schluss Häusliche Pflegearrangements in Frankreich sind Gegenstand einer durchaus weitgreifenden öffentlichen Regulierung Die jüngere Entwicklung ist gekennzeichnet vom paradoxen Nebeneinander von Professionalisierung und Deregulierung Der informelle Raum wird „bearbeitet“ durch spezifische Instrumente und erscheint insgesamt weniger prominent als in Deutschland