Hans Jochen Schiewer Textualität Das Verhältnis von ‚Fassung‘ und ‚Werk‘ in der Vormoderne.

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 Präsentation transkript:

Hans Jochen Schiewer Textualität Das Verhältnis von ‚Fassung‘ und ‚Werk‘ in der Vormoderne

Ein ritter sô gelêret was Daz er an den buochen las Swaz er dar an geschriben vant: Der was Hartman genant, dienstman z Ouwe. (Armer Heinrich, vv. 1-7)

Gesellschaftliche Identität: Ritter Stand: Ministeriale Bildungsgrad: litterat Adresse: Ministeriale zu Aue

Hartmanns Œuvre ‚Erec’, Artusroman ‚Iwein’, Artusroman ‚Gregorius’, Höfisierung des Textsorte ‚Legende‘ in Romanform, ‚Armer Heinrich’, fromme Kurzerzählung ‚Klagebüchlein’, minnetheoretische Abhandlung Minnesang (18 Lieder).

Fassungs-Begriff „(Text-)Fassungen sind unterschiedliche Aus- führungen eines insgesamt als identisch wahrgenommenen Werks. Sie können auf den Autor, aber auch auf fremde Personen zurück- gehen. Fassungen können sich voneinander durch Wortlaut, Form und Intention unter- scheiden. Sie sind durch partielle ‚Textidentität’ aufeinander beziehbar und durch ‚Textvarianz’ voneinander unterschieden (Scheibe, 28).“ (Bodo Plachta, Reallexikon I, S. 567)

Werk-Begriff „Im Kontext von Literatur und Literatur- wissenschaft [...] meint Werk das fertige und abgeschlossene Ergebnis der literarischen Produktion, das einem Autor zugehört und in fixierter, die Zeit überdauernder Form vorliegt, so daß es dem Zugriff des Produzenten ebenso enthoben ist wie dem Verbrauch durch den Rezipienten.“ (Horst Thomé, Reallexikon III, S. 832).

Joachim Bumke: „Von Fassungen spreche ich, wenn 1. ein Epos im mehreren Versionen vorliegt, die in solchen Ausmaß wörtlich übereinstimmen, dass man von ein und demselben Werk sprechen kann, die sich jedoch im Textbestand und/oder in der Textfolge und/oder in den Formulierungen so stark unterscheiden, dass die Unterschiede nicht zufällig entstanden sein können, vielmehr in ihnen ein unterschiedlicher Formulierungs- und Gestaltungswille sichtbar wird; und wenn 2. das Verhältnis, in dem diese Versionen zueinander stehen, sich einer stemmato-logischen Bestimmung widersetzt, also kein Abhängigkeits- verhältnis im Sinne der klassischen Textkritik vorliegt, womit zugleich ausgeschlossen wird, dass die eine Version als Bearbeitung der anderen definiert werden kann; vielmehr muß aus dem Überlieferungsbefund zu erkennen sein, dass es sich um „gleichwertige Parallelversionen“ handelt.“ (Die vier Fassungen der Nibelungenklage, S. 32)

Bumkes Begriff der ‚Bearbeitung‘ Unter einer Bearbeitung verstehe ich eine Textfassung, die eine andere Version desselben Textes voraussetzt und sich diesem gegenüber deutlich als sekundär zu erkennen gibt.

‚geselle Hartman, nû sage, Wie erwerte inz der lîp?‘ Erec, V. 9169f. ‚Nû swîc, lieber Hartman: Ob ich ez errâte?‘ Erec, V. 7493f.

Die Handschriften des 'Armen Heinrich' AStraßburg, Stadtbibliothek, Cod. A 94 (1870 verbrannt), 80 Bll., Quart/Kleinfolio, zweispaltig, 1. H. des 14. Jhs., 27 Texte, elsässisch. BaHeidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 341 (= H als Mären- handschrift), 374 Bll., 30,8 x 22,5 cm, zweispaltig, 1. Viertel des 14. Jhs., 215 Texte, südl. Ostmitteldeutsch mit bair. Spuren. BbGenf-Cologny, Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 72 (früher Kálocsa, Erzbischöfliche Bibliothek, Ms. 1) (= K als Märenhandschrift), II Bll., 34,2 x 25,5 cm, zweispaltig, 1. Viertel des 14. Jhs., 200 Texte, südl. Ostmitteldeutsch mit bair. Spuren. CBerlin, Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 923,7a, 2 Bll. frgm., *11-12 x 8 cm, einspaltig, Verse nicht abgesetzt, 1. H. des 13. Jhs., textliche Umgebung unbekannt, alemannisch. DMünchen, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 5249, 29a/30a, 2 Doppelbll., 14,5 x 10 cm, einspaltig, Verse nicht abgesetzt, 2. Hälfte des 14. Jhs., Freidank, bairisch. EMünchen, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 5249,29b, 3 Einzel- u. 1 Doppelbll. frgm., *32 x 25 cm, dreispaltig, um 1300, 'Aristoteles und Phyllis', 'Die gute Frau', Cato, Freidank, westalemannisch. FFreiburg i. Br., Universitätsbibliothek, Hs. 381, Bl. 72r, Exzerpt Vv

Handschriften-Stemma für den ‚Armen Heinrich‘ (nach Mettke)

V. 126a-b (E/B) mit Kontext (V ): nû sehet wie genaeme er ê der werlte waere, er wart nû als unmaere, ze heuwe wart sîn grüenez gras, der ê der werlte venre was, daz in niemen gerne sach

V. 126a-b (E/B) mit Kontext (V ): nû sehet wie genaeme er ê der werlte waere, er wart nû als unmaere, daz in niemen gerne sach ze heuwe wart sîn grüenez gras, der ê der werlte venre was,

V. 126a-b (E/B) mit Kontext (V ): nû sehet wie genaeme er ê der werlte waere, er wart nû als unmaere, daz in niemen gerne sach ze heuwe wart sîn grüenez gras, der ê der werlte venre was,

V. 652a-d (C) mit Kontext (V ): daz dîn vater unde ich gerne leben, daz ist durch dich. waz solde uns lîp unde guot, waz solde uns werltlîcher muot, swenne wir dîn enbaeren? dune sult uns niht beswaeren. jâ, soltû, liebe tohter mîn, unser beider vreude sîn, [...]

V. 652a-d (C) mit Kontext (V ): daz dîn vater unde ich gerne leben, daz ist durch dich. jâ, soltû, liebe tohter mîn, unser beider vreude sîn, [...] waz solde uns lîp unde guot, waz solde uns werltlîcher muot, swenne wir dîn enbaeren? dune sult uns niht beswaeren.

V. 652a-d (C) mit Kontext (V ): daz dîn vater unde ich gerne leben, daz ist durch dich. jâ, soltû, liebe tohter mîn, unser beider vreude sîn, [...] waz solde uns lîp unde guot, waz solde uns werltlîcher muot, swenne wir dîn enbaeren? dune sult uns niht beswaeren.

V. 654a-b (B) für C erschlossen Gierach 267 mit Kontext (V. 654a-56) unser liebe âne leide, unser liehtiu ougenweide unsers lîbes wünne, ein bluome in dînem künne, [...] unser liebe âne leide, unser liehtiu ougenweide

V. 662a-d (BC) mit Kontext (V ): dû muost von gotes hulden iemer sîn gescheiden; dz koufest an uns beiden. wiltû uns, tohter, wesen guot, sô soltû rede und den muot durch unsers herren hulde lân, diu ich von dir vernomen hân. Muoter, ich getrûwe dir [...]

V. 662a-d (BC) mit Kontext (V ): dû muost von gotes hulden iemer sîn gescheiden; daz koufest an uns beiden. Muoter, ich getrûwe dir [...] wiltû uns, tohter, wesen guot, sô soltû rede und den muot durch unsers herren hulde lân, diu ich von dir vernomen hân.

Der Schluß des 'Armen Heinrich' (A:)Nû sprâchen si alle gelîche, beide arme unde rîche, ez waere ein michel vuoge. dâ wâren phaffen genuoge, die gaben si im ze wîbe. Die gaben sie im zv einer elichē kone. Nach wertlicher wone Wolden sie beide niht. Zweier engel zv versicht Schein an in beiden Do sie sich mvsten scheiden Er hette sie wol beslafen Nach wertlichem schafen Vor gote er sichez getroste Er tet sich in ein kloster Vnd bevalch sich der vrien Gotes mvter sente marien Da bi in einen tvm. Wie mocht er immer baz getvn B-Schluß nach Ba:

Der Schluß des 'Armen Heinrich' (A:) do besâzen si gelîche daz ewige rîche. alsô müezez uns allen ze jungest gevallen! den lôn den si dâ nâmen, des helfe uns got! Âmen. (Vv nach Gärtner) Da ver dienten sie beide geliche Daz vrone himelriche Daz lon mvz vns allen Zv ivngest gevallen Daz sie da genamen Des helfe vns got amen Dvrch siner martir ere Nv en ist der rede niht mere. (Vv einschließl. der Plusverse 1513a- m u. 1520a-b in B; Text nach Ba) B-Schluß nach Ba:

Der arme Heinrich, ATB-Ausg., S._XXI