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Psychotherapieforschung und Therapeutische Praxis

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Präsentation zum Thema: "Psychotherapieforschung und Therapeutische Praxis"—  Präsentation transkript:

1 Psychotherapieforschung und Therapeutische Praxis
PD Dr. Dr. Ralf Pukrop

2 Man behält… 20 % durch Hören 30 % durch Sehen
50 % durch Hören und Sehen 70 % durch Hören, Sehen und Diskutieren 90 % durch Hören, Sehen, Diskutieren und Tun

3 Ablauf und Inhalt 15.15 – 16.45 Uhr:
Trends, Evidenzbasierte Psychotherapie, Quiz, Effektivität / Effizienz 16.45 – Uhr: Pause 17.15 – Uhr: Effektivität II, Therapeut, Patient, QS

4 Inhaltsverzeichnis 1 A. Historischer Hintergrund
B. Aktuelle Entwicklungen 1. Anzahl / Diversität von Therapeuten 2. Eklektische / integrative Praxis 3. Evidenzbasierte Praxis 4. Kurzzeittherapien C. Evidenzbasierte Medizin / Psychotherapie - Begriffsklärungen: EbM, RCT, EST - Kritik an EbM - Methodische Grundlagen: Ergebnismessung - Methodische Grundlagen: Klinische Bedeutsamkeit D. Effektivität und Effizienz - Generelle Wirksamkeit von Psychotherapie - Störungsspezifische Wirksamkeit (Depression, Angst) - Vergleich mit Psychopharmaka - Vergleich mit Placebo - Langzeitwirkung von Psychotherapie - Therapiedosis

5 Inhaltsverzeichnis 2 D. Effektivität und Effizienz (Fortsetzung)
- Negativer Effekt von Psychotherapie - Therapienvergleich - Dismantling (Therapiekomponenten) - Allgemeine Wirkfaktoren - Effizienz (Praxistransfer und Kosten/Nutzen) E. Patientenmerkmale - Klinische Merkmale - Soziodemografische Merkmale - Personmerkmale - Interpersonelle Merkmale - Aptitude by Treatment Interaction F. Therapeutenmerkmale - Beobachtbare Traits - Beobachtbare States - abgeleitete Traits - abgeleitete States G. Qualitätssicherung

6 A. Historischer Hintergrund

7 A. Historischer Hintergrund 1
1924 – Ende 50-er Jahre: Dominanz von Freud et al 1942: Carl Rogers (klienten-zentrierte Therapie) 1958: Wolpe: Psychotherapy by Reciprocal Inhibition 1962 (Ellis) bzw (Beck): Kognitive Therapie Zwei bedeutsame Neuerungen: Aufzeichnung der Therapiestunde (Entmystifizierung) Einführung von Ratingskalen (quantifizierbarer Output)

8 A. Historischer Hintergrund 2
1952: Eysenck-Review von 24 Studien: keine Evidenz für Effektivität von Psychotherapie Psychoanalyse ist weniger effektiv als keine Behandlung Seit 1970: erste Reviews Seit 1980: erste Metaanalysen (Smith et al, 1980)

9 B. Aktuelle Entwicklungen und Trends

10 B. Aktuelle Entwicklungen 1
1. Anzahl und Diversität praktizierender Psychotherapeuten wächst Vor 1945: fast nur Ärzte; Klin. Psychologie = Testpsychologie Seit 50-er Jahren: unabhängig praktizierende Psychologen Soziale Motivation: Versorgungsengpässe bei unterversorgten Populationen: Mittellose, Drogenabhängige, forensischer Bereich, chronisch (psychisch) Kranke Psychotherapeutische Aktivitäten durch Sozialarbeiter, Pflegepersonal, Schulpsychologen, kirchliche Mitarbeiter, Pädagogen, diverse Berater (Drogen, Ehe, Leben), Philosophen, Paraprofessionelle Ökonomische Motivation: Unterversorgung, Routinisierung der Behandlung, (ökonomische) Ressourcenknappheit führt zu stärkerem Einbezug von weniger gut Ausgebildeten

11 B. Aktuelle Entwicklungen 2
2. Dominanz integrativer / eklektischer Praxis Zunahme der Therapieformen: 60-er Jahre: 60 1975: 125 1980: 200 1986: 400 Systematische Erforschung von z.B. 250 Therapien X 150 Störungen (Diagnosen) erfordert etwa 47 Millionen Vergleiche

12 B. Aktuelle Entwicklungen 3
2. Dominanz integrativer / eklektischer Praxis Eklektizismus: Verwendung von Interventionstechniken aus unterschiedlichen theoretischen Systemen Integrationismus: theoretische Verknüpfung unterschiedlicher Ansätze 50% - 66% der Psychotheraputen arbeiten eklektisch Leider: kein Konsens über effektivste Techniken / Strategien: Garfield & Kurtz (1977): bei 154 eklektischen Psychologen Kombinationen theoretischer Orientierungen Integrationismus: Society for the Exploration of Therapy Integration (SEPI); Handbook of Psychotherapy Integration (Norcross & Goldfried, 1992)

13 B. Aktuelle Entwicklungen 4
3. Integration von Forschung und Praxis: Evidenzbasierte Praxis Trend zu spezifischen Behandlungen bei spezifischen Diagnosen mit spezifischen Outcome-Maßen Trend zu klinischen Richtlinien und manualisierten Therapien zur Vereinheitlichung, Qualitätssicherung und Kostensenkung Trend zu empirisch gesicherten Therapieformen

14 B. Aktuelle Entwicklungen 5 4. Betonung von Kurzzeittherapien
Bis 50-er Jahre: Psychotherapie = Langzeittherapie Deutschland eines der wenigen Länder, wo (psychoanalyt.) Langzeittherapien vom Gesundheitssystem unterstützt werden In US-amerikanischen Praxen liegt durchschnittliche Sitzungsanzahl bei 5 Sitzungen (Hansen et al, 2002)

15 B. Aktuelle Entwicklungen - Zusammenfassung
1. Größere Anzahl und Diversität von Psychotherapeuten 2. Dominanz eklektischer / integrativer Praxis 3. Orientierung an evidenzbasierter Praxis 4. Betonung von Kurzzeittherapien

16 C. Evidenzbasierte Medizin / Psychotherapie (EbM)

17 C. EbM 1 – Definition Evidenzbasierte Medizin (Sackett 1996):
„EbM ist der gewissenhafte, ausdrückliche und vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patienten. Die Praxis der EbM bedeutet die Integration individueller klinischer Expertise mit der bestmöglichen externen Evidenz aus systematischer Forschung.“ Sachverständigenrat (Gesundheitswesen) im Gutachten 1999: nur 4% medizinischer Dienstleistungen eindeutig evidenzbasiert, 45% einfachere Evidenz, 51% ohne wissenschaftliche Evidenz

18 (individuelle Erfahrungen &
C. EbM 2 Therapeut (Fähigkeiten & Erfahrung) Patient (individuelle Erfahrungen & Präferenzen) Externe Evidenz (Wissen aus Studien) EbM EbM = Externe Evidenz = Empirisch gesicherte Therapien (EST) = Randomisierte Kontrollierte Studien (RCT) ?

19 C. EbM 3 – EST:Empirisch Gesicherte Therapien
„Empirisch Gesicherte (Supported) Therapien (EST) nach APA“: - randomisierte kontrollierte Studien (oder kontrollierte Einzelfallstudie) - EST effektiver als keine, Placebo oder alternative Behandlung - EST = etablierte Behandlung - manualisierte Behandlung - valide und reliable Diagnosen (spezifische Population) - valide und reliable Ergebnismessung - mindestens 2 unabhängige Studien (mindestens N=3 Fälle bei Einzelfallstudien) für definitive Effektivität (in Dtld. nach WBP Studien) - mindestens 1 (bzw. N=3 Fälle) für mögliche Effektivität

20 Messung 2: Nach Therapie Messung 3 bis n: Follow-Up
C. EbM 4 – RCT:Randomisierte Kontrollierte Studie / Trial (Evidenzlevel 1 als Goldstandard) THERAPIE A mit Adhärenz- prüfung Keine Therapie Warteliste Placebo Therapie B Randomisierung = Patienten Therapeuten Setting Messung 1: Vor Therapie Messung 2: Nach Therapie Messung 3 bis n: Follow-Up

21 C. EbM 5 – Richt- und Leitlinien
Richtlinien: Handlungsregeln einer gesetzlich oder rechtlich legitimierten Institution, die für den Rechtsraum dieser Institution verbindlich sind und deren Nichtbeachtung definierte Sanktionen nach sich ziehen kann Leitlinien: systematisch entwickelte Handlungsregeln mit dem Zweck, Ärzte und Patienten bei der Entscheidung über angemessene, wissenschaftlich begründete und fachlich kompetente Maßnahmen der Krankenversorgung unter spezifischen medizinischen Umständen zu unterstützen

22 C. EbM 6 - Leitlinien Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF; derzeit von 1000 Leitlinien 84 auf Psychiatrie / Psychotherapie bezogen Kritik: niedergelassene Psychotherapeuten, Leistungsträger, Patienten nicht vertreten; in AWMF sind psycholog. Psychotherapeuten nicht Mitglied; Leitlinien aufgrund der in Richtlinien fixierten Schulenbindung nur begrenzt umsetzbar Expertenhandeln kann nicht in Wenn-Dann-Regeln kodifiziert werden

23 C. EbM 7 – Negative Kritik Medizinisches Modell der EbM auf Psychotherapie nicht übertragbar: keine abgrenzbaren Störungen (multifaktoriell, Komorbiditäten); im Gegensatz zur Körpermedizin sind kommunikative und zwischenmenschliche Fertigkeiten entscheidend und nicht evidenzbasiertes Forschungswissen Ablehnung des ätiologischen Krankheitsmodells zugunsten eines konditionalen Modells (Krankheit nicht kausal naturwissenschaftlich, sondern in Abhängigkeit vom Lebensstil und der Interpretation des Patienten; s. funktionale Bedingungsanalyse in VT oder systemtheoretische Ansätze) Gefahr der Vereinseitigung / Überbewertung (Wert von Trinkwasser oder Fallschirmen auch nicht evidenzbasiert) in RCT-Forschung nicht repräsentative Stichproben (geringe externe Validität), Kontrolle von Störvariablen schaltet therapierelevante Variablen aus, Vernachlässigung der Komorbidität Ergänzung der EbM um narrative based medicine (NbM) als hermeneutische Ergänzung denkbar (Deutung der ‚Geschichten‘ von Patienten und Klinikern)

24 C. EbM 8 – Positive Kritik im Rahmen der QS besteht Notwendigkeit, Therapieerfolge zu objektivieren; dazu reicht signifikanter Therapieeffekt nicht aus (alternative Erklärungen müssen im Sinne von ‚Störfaktoren‘ ausgeschlossen werden) Psychotherapie hat sich bis 1950 mit hermeneutisch generierten Annahmen begnügt (erst kontrolliertes Hinterfragen und Überprüfen ermöglicht Wissenschaft und Legitimation) oft Scheingefechte (niemand fordert Doppelblind-Studien; viele Studien sind intern und extern valide) RCTs und Einzelfallstudien, Prozess- oder Prozess-Outcome-Studien sind ergänzende, nicht alternative Methoden Orientierung an Therapieverfahren (VT, PA, TfPT, GT…) falscher Ordnungsgesichtspunkt (diese Unterscheidungen sind für Therapieergebnis relativ irrelevant); sinnvoller ist Orientierung an empirisch gesicherten Wirkfaktoren

25 C. EbM 9 – Outcomemessung Quelle der Beurteilung von Wirksamkeit:
- Patientenselbstbeurteilung - Patiententestleistung - Therapeutenrating - Dokumente (z.B. Arztbesuche, Schulnoten) - Ratings durch bedeutsame Andere - unabhängige Expertenurteile 41% der Studien: nur Patientenselbstbeurteilung (PSB); 23%: PSB + Therapeutenrating

26 C. EbM 10 – Outcomemessung Zielgrößen:
- Symptome: Rückfälle, spezifische Symptome, Diagnosen - soziales Funktionsniveau - Arbeitsfähigkeit - kognitives oder anderes Leistungsniveau - Allgemeines Funktionsniveau / Gesundheitszustand - subjektive Lebensqualität / Zufriedenheit

27 C. EbM 11 – Outcomemessung Chaos: in 348 Studien 1430 Maße (davon 840 nur einmal verwendet) Gleicher Name bedeutet nicht gleiches Instrument (z.B. 12 Versionen der Hamilton Rating Scale for Depression) Am häufigsten verwendete standardisierte Instrumente ( ): Selbstbeurteilung Therapeutenbeurteilung Angehörige Beck Depressionsinventar Global Assessment of Functioning Marital Adjustment In State-Trait-Anxiety Inventory Hamilton Rating Scale for Depression Symptom Checklist-90-Revised Inventory of Interpersonal Problems

28 C. EbM 12 – Outcomemessung Probleme: Auswahl der Outcomekriterien:
Beispiel: Levine & Argle (1978): 16 Männer mit Erektionsstörungen Outcome Performanz: 69 % Outcome Paarzufriedenheit und Stabilität (1 Jahr Follow-up): 6.3 % (1 Paar) Therapeutenurteile überschätzen Therapieeffekte: Beispiel: Depressionstherapie (mittlere Effektgrößen): Hamilton Rating Scale for Depression: 1.57 Beck Depressionsinventar:

29 C. EbM 13 – Outcomemessung Retrospektive Messungen („mir geht es besser…“; Zufriedenheit) täuschen größere Effekte vor als Prä-/Postmessungen mit Differenzangabe (auf standardisierten Skalen): Effektgrößen 2.1 zu 1.1 (Korrelation zwischen beiden Arten: 0.30) Zusammenfassung: Größere Therapieeffekte, wenn: - Therapeuten statt Patienten oder Angehörige urteilen - globale retrospektive Veränderungsmessungen / Zufriedenheiten statt Prä- Post-Differenzen - spezifische Ziele/Symptome statt mehr distale Größen (Arbeit,Persönlichkeit) - Effekte zeitnah zur Therapie statt nach längerem Intervall erhoben werden

30 C. EbM 14 – Klinische Bedeutsamkeit
Statistische Bedeutsamkeit: Beobachtete Veränderung ist nicht zufällig Aber: Statistische Bedeutsamkeit impliziert nicht klinische Bedeutsamkeit der Veränderung Beispiele: Rückgang im BDI von 29 auf 24 Punkte kann bei großer Stichprobe statistisch signifikant werden, ist aber klinisch nicht bedeutsam; oder: zusätzlicher Gewichtsverlust von 5 kg bei Adipositas

31 C. EbM 15 – Klinische Bedeutsamkeit
Normative Vergleiche: Nach Therapie unterscheiden sich Patienten nicht mehr von der Norm (maximal 1.5 Standardabweichungen vom Normwert; klinisch begründeter Cut-Off-Wert) Soziale Validierung: subjektive Einschätzung durch bedeutsame Andere Subjektive Lebensqualität der Patienten

32 C. EbM 16 – Klinische Bedeutsamkeit
Effektgrößen: d = Mittelwert nachher – Mittelwert vorher gepoolte Standardabweichung Beispiel: vor Therapie von 20 Hypochondern: 4 Arztbesuche/Monat (Std =5) nach Therapie: 2 Arztbesuche / Monat (Std =3) 2 – 4 = (Vorzeichen irrelevant) 4

33 C. EbM 17 – Klinische Bedeutsamkeit
Interpretation: d = 0.2 schwacher Effekt (Perzentil: 58%, dh im Mittel sind Behandelte so gut wie 58% der Unbehandelten) d = 0.5 mittlerer Effekt (Perzentil: 69%) ab d = 0.8 starker Effekt (Perzentil: 79%) Alternative Effektgröße: Korrelationskoeffizient r (2 * r entspricht etwa d)

34 C. EbM 18 - Effektgrößen d = 0 50 % Outcome

35 C. EbM 19 - Effektgrößen d = 1.0 50 % 84 %

36 C. EbM 20 – Kumulative Analysen
Meta-Analysen (Smith & Glass, 1977): Aggregation der Effektgrößen über verschiedene Studien hinweg Vorteile: Quantifizierung der Effizienz; subjektive Verzerrung geringer als in Literaturübersichten; Moderatorvariablen können identifiziert werden; politischer Nutzen Kritik: Vergleich extrem unähnlicher Studien; Unterrepräsentation nicht signifikanter Ergebnisse Daher: bei großer Streuung der Effektgrößen über verschiedene Studien Suche nach Moderatoren; Publikationsbias statistisch kontrollieren (fail safe N)

37 D. Effektivität und Effizienz

38 D. Effektivität 1 - Begriffsklärungen
Effektivität (Wirksamkeit): Nachgewiesene Wirkung der Therapie auf Zielgrößen (Outcome) Effizienz (Nutzen): nachgewiesene Generalisierbarkeit der Wirkung auf andere (klinische, ökonomische, diagnostische) Rahmenbedingungen Prozessforschung: Was passiert in Psychotherapiesitzungen ? (hier auch qualitative Verfahren) Ergebnis-/Outcome-Forschung: Welche unmittelbaren oder langfristigen Veränderungen bewirkt eine Psychotherapie ? (s. EST, RCT)

39 D. Effektivität 2 Im Zuge gestiegener Kosten und knapper Ressourcen werden für politische Entscheidungen immer wichtiger: Wieviele Sitzungen sind notwendig ? Welche Ausbildung muss der Therapeut haben ? Welche Behandlungsformen sind empirisch gesichert ? Empirisch gesicherte Therapieformen: Versuch des Überlebens innerhalb einer biologistisch orientierten psychiatrischen Landschaft mit ihren enormen pharmaindustriellen Ressourcen im Rücken Effektivität von Kurzzeittherapien in ‚Pferderennen‘ untereinander und gegen pharmakologische Methoden (s. Reinecker & Fiedler, 1997; Strauss & Kächele, 1998)

40 D. Effektivität 3 – Generelle Wirksamkeit
Frühe Metaanalysen (z.B. Smith et al, 1980; 475 Einzelstudien): mittlerer Effekt von d=0.85 beim Vergleich behandelter und unbehandelter Gruppen unmittelbar nach Therapieende Das bedeutet: der durchschnittlichen therapierten Person geht es besser als 80 % der untherapierten Personen Megaanalysen (z.B. Lipsey & Wilson, 1993; 302 Metaanalysen): Durch Gewichtung mit Stichprobengrößen Relativierung des Effektes auf d=0.47 (Range 0.40 bis 0.60) Das bedeutet: der durchschnittlichen therapierten Person geht es besser als etwa 70% der untherapierten Personen Fazit: Psychotherapie ist definitiv effektiv

41 D. Effektivität 4 – Störungsspezifische
Wirksamkeit Depression: durchschnittliche Effektgröße 0.82 (besser als 80% der Unbehandelten; Gloaguen et al, 1998); unmittelbar nach Therapieende etwa 50% der ambulanten Patienten vollständig remittiert zentrale Schussfolgerung: starker Effekt von Kurzzeittherapien (KVT, TfPT, IPT), aber nur bei 25% - 33% hält Effekt länger als 1.5 Jahre (daher Rückfallprophylaxe mit weniger intensiven Erhaltungsphasen nötig)

42 D. Effektivität 5 – Störungsspez. Wirksamkeit
Angststörungen (incl. PTSD): durchschnittliche Effektgröße d=1.14 (besser als 87 % der Un- oder anders Behandelten; Lambert, 2004); in diesem Bereich fast nur VT-Studien Metaanalysen (zB van Balkom et al, 1997; Anthony & Barlow, 2002): Wirksamkeit der Exposition bei phobischen Symptomen eindeutig (70-80% gebessert), bei Panikattacken weniger eindeutig Einfluss des Schweregrades: 94% der leicht Agoraphobischen nach Therapie panikfrei, aber nur 52% der schwer Agoraphobischen Kognitive Therapie (Fehlinterpretation der Erregung als gefährlich): bei Panikstörungen erfolgreicher als Entspannungstraining oder Imipramin (Clark et al, 1994) nach 15 Monaten ohne Panikattacke: 80% kognitive Therapie, 47% Entspannungstraining, 50% Imipramin Kognitive Therapie reduziert Häufigkeit von Panikattacken; Reduzierung des Vermeidungsverhaltens jedoch erst nach zusätzlichem Expositionstraining (Van Hout et al, 1994)

43 D. Effektivität 6 – Vergleich mit Pharmaka
Depression: Pharmakotherapie reduziert Symptome, aber keine Evidenz, dass zugrundeliegendes Risiko auch vermindert wird (Hollon & Shelton, 2001); daher Empfehlung der APA, Medikation sehr langfristig zu verabreichen (in GB Rezepte für Antidepressiva seit 1991 jährlich um 10% gestiegen) nach Metaanalyse (Gloaguen et al 1998) VT um d=0.38 effektiver als Pharmakotherapie; andere Analysen zeigen vergleichbare Wirkung von psychodynamischen Therapien, VT und Pharmaka (Burnand et al, 2002; Leichsenring, 2002) Kombinationstherapie nur bei schweren Depressionen eindeutig überlegen, ansonsten inkonsistente Befunde (Burnand et al, 2002); Effektivität der VT durch zusätzliche Pharmakotherapie 10% - 15% höher besonders bei schweren Depressionen (vor alllem schnellere Wirkung) Rückfallrisiko nach VT oder IPT-Ende nur halb so hoch wie nach Pharmakotherapie, wenn Pharmakon abgesetzt; nach VT/IPT-Ende genauso hoch, wenn Pharmakotherapie weitergeführt (Hollon & Shelton, 2001)

44 D. Effektivität 7 – Vergleich mit Pharmaka
Angststörungen: Panikstörungen: Gould et al (1995; Metaanalyse über 43 Studien): Drop- Out-Quoten: VT 6 %; Benzo-Medikation 20 %; Kombination 22 %; Effektgrößen (gegenüber Unbehandelten): VT 0.68; Medikation 0.47; Kombination 0.56 hochpotente Benzodiazepine (Alprazolam) erhöht Flugangst, statt sie zu senken (Wilhelm & Roth, 1997); Kombination aus Exposition in vivo + Benzo bei Flugangst weniger effektiv als Exposition allein Bakker et al, 1998 (Metaanalyse): Exposition in vivo + Antidepressivum als effektivste Therapie für Panikstörungen; VT hat aber größere Langzeitwirkung Exposition gegenüber interozeptiven Reizen (CO2-induzierte Panik; Barlow et al, 2000): VT (mit oder ohne Placebo) mit interozeptiver Stimulation gleich wirksam wie Imipramin; klinisch gebessert nach 6 Monaten: 39% VT allein, 20% Imipramin, 26% VT + Imipramin, 13% Placebo; Rückfallquote nach 1 Jahr: 4% VT, 25% Imipramin, 4% VT + Placebo, 27% VT + Imipramin D. Effektivität 7 – Vergleich mit Pharmaka

45 30 Minuten Pause

46 D. Effektivität 8 – Vergleich mit Placebo
In pharmakologischen Studien sinnvoll, da biochemische Wirkung den psycholog. Effekten (Kontakt, Aufmerksamkeit, Erwartung) gegenübergestellt werden kann, aber in Psychotherapien werden spezifische psycholog. Faktoren (z.B. Konfrontation) unspezifischen psycholog. Faktoren (z.B. Wärme) gegenübergestellt werden Problem: wird ein unspezifischer Faktor nach seiner Benennung („Wärme des Therapeuten“) zu einer spezifischen Technik ? Metaanalyse (Grissom, 1996) über 46 Metaanalysen: Psychotherapie vs. Keine Behandlung d=0.75 Psychotherapie vs. ‚Placebo‘ d=0.58 Placebo vs. Keine Behandlung d=0.44

47 D. Effektivität 9 - Langzeitwirkung
Die meisten Studien berücksichtigen Follow-Ups bis zu max. einem Jahr (für diesen Zeitraum ist die Stabilität der Wirksamkeit weitgehend gesichert) Effektgrößen nach 1 Jahr für Panikstörungen 1.28, für Agoraphobie (Metaanalyse von Bakker et al, 1998 über 15 Studien) Metaanalysen zur Langzeitwirkung des Expositionstrainings: nach Jahren 68% bis 75% der Agoraphobiker / Panikpatienten immer noch besser oder deutlich besser als vor der Therapie nach 1.5 Jahren 58% stabil, 22% weiter verbessert, 20% rückfällig Depression: Rezidive bei etwa 30% nach 1 Jahr, 50% nach 2 Jahren (Gortner et al, 1998) Komorbide Achse-II-Störung vermindert die Stabilität bei affektiven Erkrankungen um das 7-fache (Ilardi et al, 1997); innerhalb von 6 Monaten 77% Rezidive mit PS vs. 14% ohne PS D. Effektivität 9 - Langzeitwirkung

48 D. Effektivität 10 - Therapiedosis
Beziehung zwischen Therapiedosis und Outcome ist negativ beschleunigte Kurve Metaanalyse von Howard et al (1986) über N=2431 Patienten: 14 % vor erster Sitzung verbessert 53 % nach 8 Sitzungen (1/Woche) 75 % nach 26 Sitzungen 83 % nach 52 Sitzungen Anzahl Sitzungen Outcome

49 D. Effektivität 11 - Therapiedosis
Wenn man klinisch bedeutsame Veränderungen zugrunde legt, ist die Beschleunigung geringer (Metaanalyse von Lambert et al, 2001 über N=6072 Patienten): Bei Patienten, die Therapie im dysfunktionalen Bereich beginnen, gilt: 50 % sind nach etwa 20 Sitzungen gebessert 75 % sind nach etwa 50 Sitzungen gebessert Bei weniger schwer gestörten Patienten gilt: 50 % sind nach 7 Sitzungen gebessert 75 % sind nach 14 Sitzungen gebessert

50 D. Effektivität 12 - Therapiedosis
Schnelle Besserung in ersten 3 Sitzungen ist starker Indikator für gutes Outcome der Therapie bei Depressionen insgesamt (Haas et al, 2002); dieser Befund stellt die spezifische Wirksamkeit von Techniken, die erst im Laufe der Therapie zum Einsatz kommen, in Frage; bei antidepressiver Medikation eher umgekehrt: schnelle Responder haben höhere Rückfallwahrscheinlichkeit

51 D. Effektivität 13 - Negativer Effekt
Verschlechterung von Patienten nach Therapie (etwa 5-10 %) Bei Depressionstherapien: etwa 1 % nach Therapeutenurteil, etwa 9 % nach Patientenurteil Besonders oft betroffen: Zwangsstörungen und Borderline Persönlichkeitsstörung Patientenmerkmale: zwischenmenschliche Schwierigkeiten und Schwere der Symptomatik Therapeutenmerkmale: geringe Empathie; Unterschätzung der Schwere der Problematik

52 D. Effektivität 14 – Therapienvergleich
Für VT liegen mit Abstand die meisten kontrollierten Therapiestudien vor (etwa 10x so viel wie für alle anderen Formen zusammen) Vergleich über verschiedene Studien hinweg nicht so effektiv wie innerhalb einer Studie Frühere Metaanalysen zeigen leichten Vorteil der VT gegenüber einsichtsorientierten Ansätzen (humanist. Und psychodynamische Therapien): Range für VT 0.50 bis 1.21 (Median: 1.05) und für psychodynamische / humanistische 0.25 bis 0.87 (Median:0.40) (z.B. Shapiro et al, 1982 mit 143 Studien; Grawe et al, 1994 mit 41 Studien) Kritik: Bias zugunsten der VT durch viele analoge Stichproben, wenig schwere Fälle, Messinstrumente auf experimentelle Bedürfnisse abgestimmt

53 D. Effektivität 15 – Therapienvergleich
Vor allem: Orientierung des Forschers führt zu Verzerrungen Metaanalyse von Gaffan et al (1995) zur Therapie von Depressionen: Kognitive Therapie im Mittel d=0.27 effektiver als behaviorale Therapie, psychodynamische Ansätze oder Pharmakotherapie; bei Kontrolle der theoretischen Orientierung des Forschers reduziert sich Vorteil auf d=0.17 Bei gleicher Analyse über 35 neue Studien aus letzten 10 Jahren zeigt sich diese ‚Orientierungsverzerrung‘ jedoch nicht (möglicherweise historischer Effekt); Bowman et al (2004): Metaanalyse über 14 ausgewählte Studien: mit Effekt von d=0.10 VT psychodynamischen Ansätzen überlegen Luborsky et al (1999): Orientierung des Untersuchers korreliert im Mittel zu r=0.85 mit Effektstärken der Therapievergleichsstudien (70% des Therapieerfolgs vorhersagbar)

54 D. Effektivität 16 – Therapienvergleich
neuere Metaanalyse von Wampold et al (1997): bei Kontrolle der theoretischen Orientierung des Forschers, Gewichtung des psychopathologischen Schweregrades (analoge Stichproben) und der reaktiven Natur spezifischer Maße keine signifikanten Unterschiede zwischen Therapieformen (‚DoDo-Bird‘) Insbesondere differieren theoretisch stark unterschiedliche Ansätze nicht deutlich in ihren Effektstärken Bsp-Studie: Shapiro et al (1994): Vergleich von VT und interpersoneller psychodynamischer Therapie bei Depression über 8 oder 16 Sitzungen (N=117 Patienten): weder Haupteffekt für Therapieform noch -dauer

55 D. Effektivität 17 – Dismantling
Vergleich von Aktivitätssteigerung, Aktivitätssteigerung + Bearbeitung dysfunktionaler Gedanken, Kognitive Therapie bei Depression: keine Unterschiede im Hinblick auf Symptome, Verbesserungsquote und Stabilität nach 6 und 24 Monaten (Jacobson et al, 1996) Auch keine Unterschiede im Hinblick auf spezifische Zielgrößen: Anzahl angenehmer Aktivitäten, automatische Gedanken, Attributionsstile (Hollon et al, 1990) EMDR – Wirkung ist unabhängig von Augenbewegungen (Boudewyn et al 1996; Devilly et al, 1998) Metaanalyse zu derartigen Komponentenanalysen (Ahn & Wampold, 2001): Subtraktion oder Addition einzelner Komponenten führt zu keinen signifikanten Unterschieden (somit sind Zweifel an den theoretischen Grundlagen zur Wirksamkeit angebracht)

56 D. Effektivität 18 - Allg. Faktoren
Für die relativ geringen Unterschiede zwischen therapeutischen Richtungen können allgemeine Faktoren verantwortlich sein, die in jeweiliger Theorie wenig betont werden (konsistent mit Placebo- Literatur, s.o.) Bsp. Castonguay et al (1996): nur allg. Faktoren (Arbeitsbündnis, emotionale Erfahrung des Patienten) sind positiv mit Therapieerfolg verbunden; ein spezifischer Faktor (dysfunktionale Gedanken) sogar negativ assoziiert (weil bei Problemen im Arbeitsbündnis stärker auf Techniken fokussiert oder weil Manual unflexibel angewandt) Schnelle frühe Response in Therapie (bevor spezielle Techniken extensiv angewendet werden) ist weitere Evidenz für Wirkung allg. Faktoren Fazit: es ist wichtig, diese Faktoren bewusst anzuwenden

57 D. Effektivität 19 – Allg. Faktoren
Bedeutung der allg. Faktoren steht in ironischem Kontrast zum Boom der Therapiemanuale und der empirisch gesicherten Therapien, die theoretisch spezifische Techniken als Hauptwirkfaktoren voraussetzen Bein et al (2000): niedergelassene Therapeuten erzielen gleiche Erfolge vor und nach einem manualisierten Training

58 D. Effektivität 20 – Allg. Faktoren
Einteilung allgemeiner Faktoren (tendenziell linearer Ablauf): 1. Unterstützungsfaktoren: Katharsis, Entkommen aus Isolation, positive Beziehungserfahrung, Vertrauen und Sicherheit, positive Erwartungen, Abnahme von Anspannung und Angst, Struktur durch Behandlungsrationale, Expertise des Therapeuten, Arbeitsbündnis und Identifikation mit Therapeut, Wärme / Respekt / Empathie / Akzeptanz / Echtheit 2. Lernfaktoren: Assimilation problematischer Erfahrungen, kognitives Lernen, Ratschläge, korrektive emotionale Erfahrungen (positive affektive Erregungen positiv mit Therapieergebnis assoziiert; negative Erregungen in Abhängigkeit von Therapeutenreaktion), Feedback, Einsicht, Reattributionen eigener Effektivität 3. Handlungsfaktoren: Verhaltensregulation, kognitive Bewältigung, Risiken bewältigen, Modelllernen, Übung / Hausaufgaben, Realitätsprüfung, Ausdauer

59 D. Effektivität 21 – Allg. Faktoren
Einteilung allgemeiner Faktoren nach Grawe, 1998): 1. Wirkfaktor Ressourcenaktivierung: Eigenarten des Patienten als positive Ressourcen nutzen 2. Wirkfaktor Problemaktualisierung: unmittelbare Erfahrbarkeit der Probleme zB durch Imagination, Rollenspiel, Einbezug von Partnern … 3. Wirkfaktor Problembewältigung: problemspezifische Maßnahmen, positive Bewältigungserfahrungen 4. Wirkfaktor motivationale Klärung: klareres Bewusstsein der Problemdeterminanten 5. Wirkfaktor Therapiebeziehung

60 D. Effektivität 22 – Allg. Faktor Arbeitsbündnis
4 Komponenten: affektive Beziehung des Patienten zum Therapeuten Fähigkeit / Motivation des Patienten zur Mitarbeit empathisches Verstehen des Therapeuten (nur von Bedeutung, wenn durch Patienten oder Dritte, nicht aber durch Therapeuten selbst eingeschätzt) Übereinstimmung im Hinblick auf Ziele der Therapie; Übereinstimmung der Wichtigkeit von Inhalten starker Prädiktor für Effektivität einer einzelnen Sitzung Krupnick et al (1996): Arbeitsbündnis erklärt sogar 21% des Therapieerfolgs bei pharmakologischer Depressionstherapie; Metaanalysen weisen Einfluss zwischen 7% und 17% aus

61 D. Effizienz 1 - Praxistransfer
Wirken Therapien auch jenseits klinischer Studien (universitäres Setting, selektierte Patienten / homogenere Kollektive, trainierte Therapeuten, manualbasiertes (statt eklektisches) Vorgehen, konsistente Behandlungsdosis, problemfokussiert statt großer Bereich an Problemen) In USA in klinischer Praxis durchschnittlich 3 – 5 Sitzungen (so dass hier Effekte wesentlich geringer sind als in klinischen Studien: nur etwa 10 % der Patienten klinisch bedeutsam gebessert)

62 D. Effizienz 2 - Praxistransfer
Metaanalysen von Shadish et al (1997, 2000) über 59 Metaanalysen (etwa 1000 einzelne Studien): Stufe 1: kein universitäres Setting, Rekrutierung über klinische Routinewege, Therapeuten aus Routinepraxis: 56 Studien Stufe 2: nicht manualbasiert, keine Adhärenzprüfung: 15 Studien Stufe 3: heterogene Patienten (Alter, Geschlecht, SES), heterogene Problembehandlung, kein spezielles Therapeutentraining, Therapeuten weitgehend frei in Wahl der Methode: 1 Studie Effektgrößen nehmen systematisch ab von 0.68 über 0.58 bis 0.51 Metaanalyse von Weisz et al (1992) in Kinder- und Jugendpsychotherapie: keine signifikanten Effekte mehr in klinisch repräsentativen Studien

63 D. Effizienz 3 – Kosten / Nutzen
Im Mittel vergehen 7.5 Jahre bis ein Patient adäquat behandelt wird Chiles et al (1999): Metaanalyse über 91 Studien mit verschiedenen Therapieformen: nach Psychotherapie: 16 % weniger Inanspruchnahme stationärer Einrichtungen Kontrollbedingung ohne Psychotherapie: 12 % gestiegene Inanspruchnahme Nettogewinn: etwa 25 % Unterschied in Nutzung medizinischer Einrichtungen nach Psychotherapie pro Person 2.5 Tage weniger Krankenhausaufenthalt

64 D. Effizienz 4 – Kosten / Nutzen
Rechenbeispiel: mehrjähriger Erfolg im Strafvollzug bei antisozialer Persönlichkeit liegt bei 40% Erfolg bei psychotherapeutischer Behandlung liegt bei 50% (dh Mehrgewinn durch Psychotherapie bei 10%) Mit eingesparten Kosten für 2 Wiederholungstäter können 2 ganze Therapeutenstellen finanziert werden

65 E. Patientenmerkmale

66 E. Patientenmerkmale 1 Patientenmerkmale sind bester Prädiktor für Therapieerfolg und insbesondere besserer Prädiktor als die Anwendung spezieller Techniken: etwa 40% der Varianz des Therapieerfolgs durch Patientenmerkmale bzw. deren Interaktion mit Therapeuten- und Therapieprozessmerkmalen erklärt (Lambert, 1992) Praktisch unendliche Liste von Merkmalen: genetische, biochemische, demografische, umweltbezogene, Persönlichkeits-, diagnostische…

67 E. Patientenmerkmale 2 - Inanspruchnahme
Epidemiolog. Studien: Etwa 30% der westlichen Bevölkerung wird in einem Jahr einen diagnostizierbaren psychopatholog. Zustand erreichen (davon wiederum weisen 55% - 60% die Merkmale von mehr als einer Störung auf) Nur etwa 13% der Personen mit psychischer Störung erfahren psychotherapeutische Dienstleistung Frauen eher als Männer; Jüngere eher als Ältere; mit emotionalen Problemen eher als nicht emotionale; ohne soziales Netz eher als mit Abbrecher: niedriges Einkommen; negative Therapieeinstellung; besonders Zwangspatienten und Patienten mit zusätzlicher Persönlichkeitsstörung (letztere zwischen 42% und 67% Abbrecher) Initialer negativer Eindruck des Therapeuten guter Prädiktor für Abbrecher

68 E. Patientenmerkmale 3 – Klinische Merkmale
Diagnose als Leitkriterium irreführend: ein depressiver Patient kann verheiratet und beruflich erfolgreich oder allein und arbeitslos sein; daher sind Zuordnungen einzelner Diagnosegruppen zu spezifischen Therapien simplifizierend Symptomschwere und –dauer sind konsistent mit geringem Therapieerfolg assoziiert Funktionale Einschränkungen (in Beruf, sozialen Beziehungen, Alltag), die Symptomen vorangehen oder folgen, sind deutlich negativ mit Erfolg assoziiert (besonders bei Depression, Sucht, Zwang) Komorbide Persönlichkeitsstörung: geringer Therapieerfolg und stärkere Residuen bei depressiven (besonders Borderline und zwanghafte PS), Angst- (besonders Borderline, Vermeidende), Zwangs- (besonders schizotype: nur 7% mit beiden Diagnosen gebessert) und Essstörungen (besonders Cluster B) Fazit: Manuale zu wenig auf Besonderheiten bei komorbider PS ausgerichtet

69 E. Patientenmerkmale 4 – Soziodemografie
Alter i.d.R. irrelevant für Abbruchquote oder Erfolg (Ausnahme: Erfolg bei Substanzmissbrauch bei jüngeren Personen geringer) Ältere Depressive ebenso behandelbar wie jüngere (aber: Effektgrößen geringer bei Selbstbeurteilung und 1.15 bei Expertenurteil; Moderator: kognitive und körperliche Defizite; Pinquart, 1998) Sozioökonomischer Status: inkonsistente Ergebnisse (wenn, dann mit vorzeitigem Abbruch assoziiert) Geschlecht: kein genereller Effekt; auch bei geschlechtsspezifischen Prävalenzen (z.B. Depression) kein Effekt Geschlechtskomplementarität zwischen Patient und Therapeut: kein genereller Effekt Minoritäten / ethnischer Hintergrund: an sich ohne Effekt, wenn Therapeut Glaubwürdigkeit herstellen kann Fazit: geringer Einfluss soziodemograf. Merkmale, wenn Therapeut sich anpasst

70 E. Patientenmerkmale 5 – Personmerkmale
Therapiemotivation: Positive Erwartungshaltung geht vor allem mit geringerer Therapiedauer einher, manchmal auch mit mehr Erfolg Patienten mit negativer Erwartungshaltung (aber nicht mit schwereren Symptomen) werden von Therapeuten als schwierig eingeschätzt Daher: dem Patienten früh ein Rationale vermitteln für positive Erwartungshaltung (Strukturierung der Therapie insbesondere bei Depressiven wichtig für Erfolg) Veränderungsmotivation: stärkerer Prädiktor als Art und Schwere der Probleme

71 E. Patientenmerkmale 6 – Interpersonelle Merkmale
Fähigkeit, vor der Therapie Beziehungen zu führen ist nur inkonsistent mit Arbeitsbündnis in Therapie assoziiert Gute Beziehungsfähigkeit impliziert gutes Arbeitsbündnis, aber schlechte Beziehungsfähigkeit impliziert kein schlechtes Arbeitsbündnis Arbeitsbündnis: s.o. Patientenmerkmale wichtiger als Therapeutenmerkmale

72 E. Patientenmerkmale 7 – ATI Aptitude by Treatment Interaction (ATI)
Konsistente Menge von 6 Patientenmerkmalen (Beutler et al 2000): 1. Funktionales Niveau (Alltag, Beruf) 2. Subjektive Belastung 3. Soziale Unterstützung 4. Problemkomplexität (Komorbidität, Chronizität) 5. Patientenwiderstand (Reaktanz; Compliance) 6. Coping-Ressourcen

73 E. Patientenmerkmale 9 – ATI
Therapeuten, die sich an 6 Merkmale anpassen (und nicht einfach an Diagnosegruppe), erzielen im 6-Monats-Follow-up bei Generalisierter Angststörung besseres Ergebnis (Beutler et al, 2000): funktionales Niveau: intensivere oder weniger intensive Behandlung subjektive Belastung: Unterstützung oder Anregung Widerstand des Patienten: direktiver oder weniger direktiv (zB provokative Strategien) Copingfähigkeiten (external und internal): externalisierende Verhaltens- oder internalisierende Einsichtsstrategie Fazit: empirische Basis für ATI noch gering; wahrscheinlich schwacher Gesamteffekt, aber besser als nur an Diagnose anpassen

74 E. Patientenmerkmale 10 – Zusammenfassung
Folgende Patientenmerkmale haben großen Einfluss auf Therapieergebnis: Schwere bei Erkrankungsbeginn und Anzahl vorangegangener Episoden jüngeres Alter bei Erstmanifestation motivationale Merkmale komorbide Persönlichkeitsstörungen beeinträchtigen eher Rezidivquote und negative Effekte sind durch geeignete ATI-Strategien kompensierbar

75 F. Therapeutenmerkmale

76 Therapeutenmerkmale 1 Aufgrund verstärkter Manualisierung und randomisierter Studien weniger Interesse an Therapeutenmerkmalen in letzten 10 Jahren (Therapeutenmerkmale sind gegenüber Behandlung an sich Fehlervarianz) Im Mittel klären Therapeutenmerkmale etwa 10% der Varianz des Therapieergebnisses auf

77 Therapeutenmerkmale 2 Einteilung auf 2 Dimensionen: Extra-Therapie Traits vs. Intra-Therapie States; beobachtbare vs. erschlossene Merkmale 1. Beobachtbare Traits: Geschlecht: in Metaanalyse (Bowman et al 2001) schwacher, aber konsistenter Effekt im Sinne besserer Ergebnisse durch weibliche Therapeuten (d=0.04); kein Interaktionseffekt mit Geschlecht der Patienten Alter: konfundiert mit Erfahrung und theoret. Orientierung des Therapeuten; kein genereller Haupteffekt; Interaktion mit Alter der Patienten: Therapeuten > 10 Jahre jünger als Patienten haben schlechteste Ergebnisse

78 2. Beobachtbare States (innerhalb der Sitzung):
Therapeutenmerkmale 3 2. Beobachtbare States (innerhalb der Sitzung): Professionelle Disziplin: Smith et al (1980): leichter Vorteil von Psychologen gegenüber Psychiatern (r=0.28) Blatt et al (1996): schwach, moderat und stark effektive Therapeuten für Depressionen diskriminanzanalytisch untersucht: effektivere Therapeuten hatten psychologischeren Ansatz (vs. biologischen) und waren eher Psychologen (vs. Mediziner; r=0.48); Erfahrung und Art der Behandlung waren irrelevant

79 Therapeutenmerkmale 4 2. Beobachtbare States:
Professionelle vs. Paraprofessionelle: was geht über Wärme und gute Ratschläge hinaus ? Klassische Studie (Strupp, 1980): Professoren in Beratungsfunktionen genauso effektiv wie professionelle Therapeuten (gegenüber Kontrollgruppe aus Studenten) aus der Perspektive der Patienten, Therapeuten und unabhängiger Beurteiler Metaanalyse (Bowman et al, 2001) zum professionellen Status (Professionelle, Laien, Studenten) erbringt Effektgröße d=0.08 (aber: Ausbildung und Erfahrung nicht getrennt) Metaanalysen zu Ausbildung und Erfahrung (Crits-Christoph, 1991; Stein & Lambert, 1995): Effekte von d=0.42 bzw. d=0.30 Vier Studien separieren Ausbildungseffekte und Erfahrung und finden Effektgrößen für die Erfahrung von r = bis 0.72 (Blatt et al, 1994; Hupert et al, 2004; Luborsky et al, 1997; Propst et al, 1994)

80 Therapeutenmerkmale 5 2. Beobachtbare States
Verwendung von Manualen: bisher 145 Manuale für 51 (von 397 möglichen) diagnostischen oder Problemgruppen Megaanalyse (Lipsey & Wilson, 1993) über 302 Metaanalysen erbringt keine Unterschiede zwischen hoch strukturierten manualisierten Therapien und mehr naturalistischen Settings, wenn Schwere der Störungen kontrolliert Emmelkamp et al (1994): Manualisierte vs non-manualisierte Behandlung mit VT bei Zwang: r = -.11 bis -.3 Schulte et al (1992): Manualisierungseffekt r=0.12 bei Panikstörungen Bein et al (2000): r=0.02 für psychodynamische Therapeuten vor und nach dem Erlernen eines Manuals Hupert et al (2001): kein Einfluss von Adhärenz und Kompetenz bei Panikstörungen Fazit: Anfänger können von Manualen profitieren; für erfahrene Therapeuten bisher wenig Evidenz

81 Therapeutenmerkmale 6 2. Beobachtbare States:
Kommunikationsstil (2 Dimensionen des Interpersonalen Circumplex: freundlich vs. Feindselig; dominant vs. Unterwürfig): beste Therapieergebnisse (r=0.53) bei Komplementarität mit Patient auf Freundlichkeitsdimension und Reziprozität auf Dominanzdimension Ausnahme: bei Suchtproblemen ist zu freundliche Haltung mit weniger Erfolg assoziiert; bei reaktanten Patienten ist zu dominante Haltung weniger erfolgreich Mittlere Effektgröße des Kommunikationsstiles aber nur bei r=0.08

82 Therapeutenmerkmale 7 2. Beobachtbare States:
Verbale Verhaltensweisen: Verwendung emotionsbesetzter Wörter korreliert mit Therapieerfolg; Einführung neuer Themenbereiche durch Therapeuten korrelieren mit Sitzungsergebnis (r=0.79) Anzahl verbaler Therapeutenäußerungen korreliert positiv mit Therapieerfolg bei Panikpatienten in VT (r=0.60 bis 0.83) Übereinstimmung zwischen verbalen und nonverbalen Kommunikationskanälen ist bei Therapeuten größer, wenn sie über als wenn sie mit Patienten sprechen (Effekt auf Therapie aber unklar)

83 Therapeutenmerkmale 8 2. Beobachtbare States
Supervision: bisher wenig Studien; bisherige Evidenz zeigt keinen Effekt auf Therapieerfolg; klare Tendenz, dass Supervisoren die Arbeit von theoretisch gleich ausgerichteten Supervisanden besser beurteilen Hausaufgaben: Therapien mit Hausaufgaben erfolgreicher als ohne (d=0.18; Metaanalyse Kazantizis et al, 2000); Zusammenhang von Hausaufgaben-Compliance und Therapieerfolg r=0.22 Wichtiger Mediator: Akzeptanz des Hausaufgabenrationale durch Patienten (sonst kein signifikanter Effekt) Selbstoffenbarung: geringer, aber signifikanter Effekt auf Entlastung und Depressivität (r=0.14); bei weniger rezeptiven Patienten aber möglicherweise auch schädlich

84 Therapeutenmerkmale 9 3. Abgeleitete Traits
Persönlichkeit kaum noch untersucht; bisher keine konsistenten Beziehungen zwischen Therapeutenpersönlichkeit Persönliches Wohlbefinden: schwache, aber signifikante Beziehung von r=0.12 in Metaanalysen; Burnout führt in Selbstbeurteilung der Therapeuten zu negativem Therapieergebnis Effekt von Therapeuten in Therapie (etwa 3% - 7% der Patienten): kein konsistenter Effekt auf bessere Ergebnisse

85 Therapeutenmerkmale 10 3. Abgeleitete Traits
Schwul-lesbische Orientierungen (Interessengemeinschaft AFFIRM, Rabasca, 2000) Bedeutung für Therapieerfolg noch unklar, aber: Therapeuten tendieren dazu, Pathologie zu übertreiben und persönliche Schuldgefühle zu festigen bei schwul-lesbischen Patienten (insbesondere bei HIV- Patienten) Homosexuelle Patienten haben durchschnittlich mehr Therapeuten gesehen und längere Therapien gemacht als heterosexuelle Patienten Keine Evidenz für Einfluss (fehlender) Kompatibiliät in sexueller Orientierung auf Therapieerfolg

86 Therapeutenmerkmale 11 4. Abgeleitete States:
Arbeitsbündnis / therapeutische Beziehung: s.o. (Einfluss liegt zwischen 7% und 17% Varianzaufklärung) Theoretische Orientierung: s.o. (Einfluss liegt unter 10% Varianzaufklärung des Therapieerfolgs)

87 Zusammenfassung Der Therapieerfolg setzt sich in etwa aus folgenden Komponenten zusammen: Patientenmerkmale (vor allem klinische): ~ 40 % Allg. Wirkfaktoren (incl. Beziehung): ~ 40 % Spezielle Methoden: ~ 10 % Therapeutenmerkmale: ~ 10 %

88 G. Qualitätssicherung

89 G. Qualitätssicherung 1 Literatur:
Härter et al (2003). Qualitätsmanagement in der Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe Herzog, Stein & Wirsching (2000). Qualitätsmanagement in Psychotherapie und Psychosomatik. Stuttgart: Thieme. Externe QS = Vergleich der Dienstleistung (Istwert) mit definierten Standards (Sollwert) durch Kostenträger, Auftraggeber, Patient / Kunde Interne QS (Qualitätsmanagement): Vergleich von Ist und Soll innerhalb der Institution mit Ziel der Qualitätsverbesserung

90 G. Qualitätssicherung 2 - Mittel
Dokumentation: freie oder strukturierte Berichte über einzelne Therapiestunden; Patientenfragebögen vor allem Therapieziele und Qualität der therapeutischen Beziehung standardisierte Doku-pflicht von Verlauf und/oder Ergebnis ?! (Gefahr: Konzentration auf schnellen Erfolg versprechende Patienten; hoher Aufwand ohne Nutzen und Ausgleich) Qualitätszertifikate: Bestätigung, dass bestimmte Standards erfüllt werden (eher in Bezug auf Strukturqualität und damit nur für Institutionen anwendbar) Qualitätszirkel / Supervision / Intervision Externe QS: Gutachterverfahren (evtl. erweitert um Abschlussberichte); Psychotherapierichtlinien; verpflichtende Teilnahme an Weiterbildungsveranstaltungen / Zertifizierungen CME; Erhebung der Patientenzufriedenheit Orientierung an Evidenzbasierter Medizin und Leitlinien

91 G. Qualitätssicherung 3 - Dokumentation
Zeitlicher Rahmen: mindestens bei Beginn und Ende der Therapie nach Möglichkeit auch im Verlauf (Monitoring): nach etwa Sitzungen; alle 4 Sitzungen; jede Sitzung (s. Systematische Verlaufsbeobachtung SVB) Inhaltlicher Rahmen: symptomspezifische Erhebung (BDI, STAI, LOI etc.) individuelle Ziele und deren Erreichung (zB Goal Attainment Scaling GAS) therapeutische Allianz (HAQ; nur im Verlauf) Allgemeines Funktionsniveau (GAF, EB-45…) bzw. Subjektive Lebensqualität Beurteiler: mindestens Patient selbst; möglichst auch Therapeut

92 G. Qualitätssicherung 4 - Lebensqualität
Subjektive Lebensqualität (Basisdimensionen): Körperliches Wohlbefinden Psychisches Wohlbefinden (Depressivität ?!) Soziales Wohlbefinden Funktionalität im Alltag

93 G. Qualitätssicherung 5 - GAS Ich kann allein einkaufen
Goal Attainment Scaling (GAS) zur individualisierten Veränderungsmessung zB bei Agoraphobie: kann allein aus dem Haus gehen, kann allein einkaufen, kann allein Rolltreppe fahren, kann allein verreisen gar nicht problemlos Ich kann allein einkaufen

94 G. Qualitätssicherung 6 - SVB
Grundidee: Ergebnis- und Verlaufsbeobachtung Rückmeldung in laufende Behandlung und Nutzung für Therapie 3 kurze Fragebögen: Ergebnisfragebogen EB-45 zur psychischen Belastung; Helping Alliance Questionnaire zur Therapeutischen Allianz; Selbstwirksamkeitsfragebogen Ablauf: Patient füllt 10 Minuten vor jeder (mindestens jeder 4.) Sitzung Bögen am PC im Wartezimmer aus (mit eigenem Code) Vorteile: keine Papierberge; sofortige Auswertung ohne Mehraufwand (Nutzung zur jeweils nächsten Stunde) Rückmeldung an Therapeuten über Verlaufskurven mit möglichen Risikoindikatoren zu negativer Prognose Referenzkurven zu Patienten mit gleicher Diagnose, Symptomschwere, Alter, Geschlecht, anfänglicher Verlauf (Non-Responder / Responder)

95 G. Qualitätssicherung 7 - SVB
Kritik: Monitoring nicht nötig, da Therapeut Erfolg gut abschätzen kann aber (Meyer & Schulte, 2002): Erfolgsprognosen des Therapeuten nach einer Sitzung korrelieren nicht mit seiner Beurteilung am Ende der Therapie, mit Patientenurteil oder mit psychometrischen Ergeniskriterien am Ende, wohl aber mit Wahrnehmung der Ablehnung/Akzeptanz durch Patient Interpretation und Handlungsrelevanz der Risikoindikatoren unklar: spätes Ansprechen 8Non-Responder) und Abweichen vom Referenzverlauf erfolgreich behandelter Patienten als Risikoindikatoren Non-Responder, über deren Verlauf Therapeuten Rückmeldung erhalten, haben kürzere Behandlungsdauer (Lambert et al, 2001) Software unter: Dr. Matthias Richard; Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie Universität Würzburg


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