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Grundkurs praktische Philosophie 10
Grundkurs praktische Philosophie 10. Januar 2005 Politische Gerechtigkeit Text: John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt 1975, Originalausgabe Oxford 1972, § 2 Abs. 1, §§ 3 – 4 (!)
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Stand der Dinge Gegensatz der antiken und der modernen politischen Philosophie: Nach Aristoteles finden Menschen ihrer Natur nach ein gutes Leben nur in einem politischen Leben. Nach Hobbes errichten Menschen Staaten, weil allein so das Interesse jedes Einzelnen an Frieden gewährleistet wird.
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13. 12. 2004 Gegeben die moderne Position, nach der Staaten künstlich sind:
welche moralische Grundlage haben dann die Anforderungen, die von den Staaten an die Einzelnen gestellt werden? Keine, sagt der Anarchismus, die weitest gehende Antwort auf diese Frage. Der philosophische Anarchismus rät den Einzelnen, diesen Anforderungen zu gehorchen oder nicht, je nach dem, was gefordert und wie die Forderung durchgesetzt wird
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20. 12. 2004 Gegeben die anarchistische Position ist falsch und es gibt legitime Staaten:
was verlangen wir von einem legitimen Staat? Antwort des Liberalismus, der herrschenden Position in Praxis und Theorie: wir verlangen die unbedingte Wahrung eines Freiheitsraums der Einzelnen.
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Freiheit wird vom Liberalismus als Nicht-Gehindertsein der Einzelnen, vor allem als Nicht-Gehindertsein durch politische Stellen verstanden (negative Freiheit im Sinne von I. Berlin). Freiheit als Selbstbestimmung oder sogar Selbsterfüllung (positive Freiheit im Sinne von Berlin) interessiert Liberale nicht.
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Ergänzung Zweifel an der Unterscheidung zwischen negativem und positiven Begriff der Freiheit: Frei ist jemand immer so weit, wie er nicht gehindert ist, dies oder jenes zu tun. (Siehe MacCallum.) Aber wenn man abmißt, wie frei jemand ist, sind alle Hindernisse in Rechnung zu stellen, nicht nur politische, wie der Liberalismus will, sondern auch wirtschaftliche und natürliche.
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Was verlangen wir von einem legitimen Staat? – Gerechtigkeit.
„Gerechtigkeit ist die erste Tugend gesellschaftlicher Einrichtungen.“ (John Rawls, erster Satz von Theory of Justice.) Mit diesem Satz werden politische Institutionen, nicht nur die Verhaltensweisen der Menschen in diesen Institutionen, moralischen Forderungen unterstellt. In diesem Sinne spricht man von „politischer Gerechtigkeit“. Siehe etwa Gosepath, Gleiche Gerechtigkeit, S. 9: Gerechtigkeit ist die zentrale moralische Kategorie im politisch-sozialen Bereich.
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Verhältnis zwischen einem liberalen und einem gerechten Staat
Klar scheint, daß ein liberaler Staat nicht unbedingt gerecht ist. Andererseits meinen viele, so auch Rawls, daß eine liberale politische Ordnung selbst eine Forderung der Gerechtigkeit ist. So ist vielleicht ein gerechter Staat immer ein liberaler Staat, aber ein liberaler ist nicht immer ein gerechter. Gerechtigkeit als der weiter gehende Antrag.
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Politische Gerechtigkeit – Platon
Platons „Staat“ ist die wichtigste Theorie von politischer Gerechtigkeit. Gerecht ist nach Platon der Staat, der den Einzelnen die ihnen angemessenen Aufgaben zuweist. Die Fähigkeiten der Einzelnen, denen ihre Aufgaben im Staat angemessen sein sollen, sind ungleich. Herrschaft ist daher in der Natur begründet.
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Platon bestimmt auch Gerechtigkeit als individuelle Tugend nach dem politischen Muster:
Gerecht ist ein Mensch, in welchem der zum Herrschen geeignete Teil dieses Menschen, nämlich seine Vernunft, über seine anderen Strebenskräfte, etwa seine Begierden, die Oberhand behält.
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Politische Gerechtigkeit – christliches Denken
Im christlichen Abendland bleibt dieser Gedanke erhalten, nur daß hinter der Natur ihr Schöpfer die Gerechtigkeit einer naturgemäßen Herrschaft garantiert. Paulus (Röm 13, 1-2): „es gibt keine Obrigkeit außer von Gott; die bestehenden aber sind von Gott eingesetzt. Somit widersteht der, welcher sich der Obrigkeit widersetzt, der Anordnung Gottes“.
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Politische Gerechtigkeit – christliches Denken
Zudem betrachtet das Christentum Gott selbst als Herrn. Schon damit ist grundsätzlich Herrschaft gerechtfertigt.
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Politische Gerechtigkeit – neuzeitliche Bedingungen
Der Gedanke, daß politische Gerechtigkeit in der Angemessenheit von Herrschaft an eine Naturordnung besteht, wird in der Neuzeit unüberzeugend. Das liegt an politischen Entwicklungen, so an dem Erstarken der italienischen Republiken, aber auch an theologischen Veränderungen: Gott bleibt zwar Herr der Natur, aber er spricht nicht mehr durch sie.
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Politische Gerechtigkeit – neuzeitliche Bedingungen
Freiheit: von Natur aus sind Menschen nicht einer Herrschaftsordnung unterworfen. Gleichheit: das Interesse an der Errichtung einer politischen Ordnung, die nun nicht mehr in der Natur begründet werden kann, ist wegen der Verletzlichkeit eines jeden bei allen gleich.
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Politische Gerechtigkeit – neuzeitliche Bedingungen
Das Problem für denjenigen, der von einem legitimen Staat nicht nur Wahrung der Freiheit, sondern auch Gerechtigkeit verlangt, ist jetzt also: Wodurch beweist sich eine politische Ordnung von Freien und Gleichen als gerecht, besonders da die politische Ordnung ihre Freiheit weiter einschränken und sie nicht gleich behandeln wird? Hier darauf eingehen: die klassischen neuzeitlichen Staatstheorien verlangen eben von einem legitimen Staat nicht Gerechtigkeit, sondern Sicherheit, Recht oder kollektive Freiheit.
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Politische Gerechtigkeit – neuzeitliche Bedingungen
Das Problem ist also, wie Platon zu sagen, wann eine politische Ordnung gerecht ist, ohne sich doch wie Platon auf eine gegebene Naturordnung zu berufen, der angemessen zu sein dann Gerechtigkeit ausmacht. Hier darauf eingehen: die klassischen neuzeitlichen Staatstheorien verlangen eben von einem legitimen Staat nicht Gerechtigkeit, sondern Sicherheit, Recht oder kollektive Freiheit.
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