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Gibt es neun Lebensbereiche

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Präsentation zum Thema: "Gibt es neun Lebensbereiche"—  Präsentation transkript:

1 Gibt es neun Lebensbereiche
Gibt es neun Lebensbereiche? Kritische Rückfragen an die ICF-Komponente „Aktivitäten und Teilhabe“ aus soziologischer Sicht Vortrag auf der ICF-Anwenderkonferenz am in Stendal Dr. Dietrich Engels ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH Weinsbergstraße 190, Köln

2 Gliederung (1) Fragestellung (2) Rückfragen zur Systematik der Kategorien (3) Verhältnis von Aktivitäten und Teilhabe (4) Fazit

3 1. Fragestellung Lebensbereiche der Komponente „Aktivitäten und Teilhabe“: 1. Lernen und Wissensanwendung 2. allgemeine Aufgaben und Anforderungen 3. Kommunikation 4. Mobilität 5. Selbstversorgung 6. häusliches Leben 7. interpersonelle Interaktionen und Beziehungen 8. bedeutende Lebensbereiche (Erziehung/Bildung, Arbeit und Beschäftigung, Wirtschaftliches Leben 9. Gemeinschafts-, soziales, staatsbürgerliches Leben (Menschenrechte, Religion, pol. Partizipation, Freizeit etc.) 1. Werden die Gütekriterien einer Klassifikation erfüllt? logische Begründung: Kategorien sind schlüssig abgeleitet Vollständigkeit: Aktivitäten und Teilhabe werden vollständig abgebildet Diskjunktivität: die Kategorien sind trennscharf und überschneidungsfrei Eindeutigkeit: einzelne Sachverhalte können eindeutig zugeordnet werden 2. Wird sachgerecht zwischen Aktivitäten und Teilhabe unterschieden?

4 2. Rückfragen zur Systematik der Kategorien
1. Kompetenzerwerb und kompetentes Handeln Innerhalb des Lebensbereichs 1 „Lernen und Wissensanwendung“: Unterscheidung zwischen Teilbereich 1.3 „Aktivitäten der Wissensanwendung“ und Teilbereich 1.2 „Lernen“ als Weg zum Erwerb der erforderlichen Kompetenzen 1.3 „Wissensanwendung“ vom 2. Lebensbereich „Allgemeine Aufgaben und Anforderungen bewältigen“ klar trennbar? nicht: „gehen lernen“ als Kompetenzerwerb - „Mobilität“ als Kompetenzanwendung; „Selbstversorgung lernen“ - „Selbstversorgung ausführen“  Trennung von Kompetenzerwerb und Kompetenzanwendung nur an einer Stelle – inkonsistent

5 2. Rückfragen zur Systematik der Kategorien
2. Untrennbarkeit von Kommunikation und Interaktion jede Kommunikation ist in eine soziale Beziehung eingebunden und bringt diese zum Ausdruck (Sprechakttheorie von Searle 1969) Interaktionen und soziale Beziehungen werden durch Kommunikation konstituiert (Theorie des kommunikativen Handelns, Habermas 1981) in der ICF: Kommunikation (Bereich 3) wird in die Interaktion von Sender (3.1) und Empfänger (3.2) eingebettet; Interaktion (Bereich 7) erfolgt durch (verbale und nonverbale) Kommunikation (z.B. d7101 Anerkennung in Beziehungen, d7103 Kritik in Beziehungen) Es gibt keine Kommunikation ohne Interaktion und keine Interaktion ohne Kommunikation. Daher ist eine Trennung beider Lebensbereiche nicht sinnvoll. Interaktion Person 1 Person 2 Kommunikation Sachverhalt

6 2. Rückfragen zur Systematik der Kategorien
3. Hierarchie bedeutender und weniger bedeutender Lebensbereiche Lebensbereich 8: „Bedeutende Lebensbereiche“ („Major Life Areas“): Teilhabe an den Teilsystemen „Erziehung/ Bildung“, „Arbeit/ Beschäftigung“ sowie „Wirtschaft“ wird als „bedeutend“ ausgezeichnet der 9. Lebensbereich umfasst weitere Bereiche gesellschaftlicher Teilhabe, die offensichtlich als weniger bedeutend („minor“?) eingeschätzt werden (auf der dritten Ebene: „Religion und Spiritualität“, „Menschenrechte“, „Politisches Leben“, „Erholung/ Freizeit“ etc. Wie wird diese Trennung begründet? Die Vorstellung, dass materielle Existenzsicherung wichtiger sei als (religiöse, ethische, menschenrechtliche) „Werte“, wäre problematisch (Primat der Wirtschaft über die Ethik?) Trennung/ Hierarchie dieser Bereiche aufheben

7 2. Rückfragen zur Systematik der Kategorien
4. Abbildung psychischer Beeinträchtigungen Körperliche und kognitive Beeinträchtigungen sowie Sinnesbeeinträchtigungen werden teilweise sehr detailliert beschrieben. Die emotionale/ psychische Dimension kommt demgegenüber zu kurz. Ergebnis einer Faktorenanalyse über die 9 Lebensbereiche nach Form der Beeinträchtigung: Quelle: ISG / transfer Aktenanalyse 2017/2018, N = 1.796 Mögliche Aspekte, die zu ergänzen wären, könnten sein: Emotionen (Freude, Liebe, Ärger, Trauer) ausdrücken Enttäuschungen ertragen, Krankheiten bewältigen (Frustrationstoleranz) mit psychischen Belastungen umgehen (allenfalls allgemein in d240 „Stress aushalten“ adressiert) Vertrauen bilden Lebensziele planen

8 3. Verhältnis von Aktivitäten und Teilhabe
1. „Aktivität“ und „Teilhabe“ aus soziologischer Perspektive In der ICF werden „Aktivität“ und „Teilhabe“ nicht eindeutig voneinander unterschieden. Soziologisches Verständnis: Handlungstheorien beschreiben, wie Personen Ziele entwickeln und diese unter Einsatz ihrer verfügbaren Ressourcen und Nutzung gesellschaftlicher Handlungsmöglichkeiten zu erreichen versuchen Gesellschaftstheoretische Ansätze beschreiben Organisationen/ gesellschaftliche Teilsysteme, die sich fortentwickeln, indem sie bestimmte Elemente einbeziehen und andere ausgrenzen (Inklusion und Exklusion nach der Systemtheorie von Niklas Luhmann) Einbeziehung beider Perspektiven erforderlich: Handeln von Personen und Einbeziehung/ Ausgrenzung durch gesellschaftliche Teilsysteme

9 3. Verhältnis von Aktivitäten und Teilhabe
2. Exkurs: Dimensionen der Lebenslage und Schwellen der Inklusion „Lebenslage“: Gesamtheit der sozialen Zusammenhänge, in denen Personen ihre materiellen und immateriellen Möglichkeiten nutzen (der Handlungsspielraum, den Personen in unterschiedlichen Lebensbereichen haben, um Aktivitäten auszuüben; Weisser 1956)

10 3. Verhältnis von Aktivitäten und Teilhabe
3. Perspektivwechsel: Teilsysteme der Gesellschaft mit ihrer Eigenlogik Perspektivwechsel auf die Ebene der gesellschaftlichen Organisationen bzw. Teilsysteme, wie diese nach ihren Regeln und „Eigenlogiken“ einzelne Elemente in das System einbinden und andere ausgrenzen Beispiel: Das Bildungssystem orientiert sich primär an der Vermittlung von Qualifikationen, das Wirtschaftssystem am Ziel der Produktivität, das Gesundheitssystem an der Kuration von Krankheit und Förderung von Gesundheit etc.

11 3. Verhältnis von Aktivitäten und Teilhabe
4. Teilhabe an der Gesellschaft „Teilhabe“ kann aus dieser Perspektive als Einbindung („Inklusion“) auf der Ebene gesellschaftlicher Teilsysteme beschrieben werden. Diese Systeme selbst können einbindende Unterstützung leisten oder ausgrenzende Barrieren aufbauen. Für Menschen mit Beeinträchtigungen können diese Teilsysteme unterschiedlich „inklusiv“ sein: ein inklusives Bildungssystem ist leichter zugänglich als ein exklusives, auf Eliteförderung hin orientiertes Bildungssystem ein inklusiver Arbeitsmarkt bietet Arbeitnehmern mit verminderter Leistungsfähigkeit eher eine Zugangschance als ein exklusiver Arbeitsmarkt mit hohen Leistungsanforderungen inklusiv ausgerichtete Freizeitangebote können von allen genutzt werden, während exklusive Freizeitangebote diejenigen ausschließen, für die die Zugangsschwellen zu hoch sind auch ein angespannter Wohnungsmarkt oder die Ökonomisierung des Gesundheitssystem verstärken Barrieren mit diskriminierender Wirkung. Die Definition „Teilhabe heißt … Aktivität plus Handlungsbereitschaft“ (Handbuch BEI BW, S. 15) ist unzureichend, weil zu der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Person die Inklusionsbereitschaft der Gesellschaft hinzukommen muss. Diese Erweiterung der Perspektive erfordert ein Verständnis gesellschaftlicher Teilsysteme, das in der bisherigen ICF-Anwendung unzureichend ausgeprägt scheint.

12 3. Verhältnis von Aktivitäten und Teilhabe
5. Beispiel für Verhältnis von Aktivitäten und Teilhabe Klarer zu unterscheiden sind „Aktivitäten“ als Handeln von Personen und „Teilhabe“ als gesellschaftliche Einbindung; anknüpfend an die derzeitige Beschreibung etwa so: Modell Person – Umwelt Modell gesellschaftliche Teilhabe Erwerbssystem Person Person Vereine Umwelt - physische Barrieren Familie - Vorurteile etc. Frage: Wie handelt die Person in ihrer Umwelt? Wie handeln gesellschaftliche Systeme?

13 4. Fazit Die Erweiterung eines biologisch-medizinisch verengten Behinderungsbegriffs in Richtung auf einen bio-psycho-sozialen Begriff unter Berücksichtigung der Wechselwirkung mit der physischen und sozialen Umwelt ist ein bedeutender Fortschritt. Eine kritische Prüfung der neun Lebensbereiche zu „Aktivitäten und Teilhabe“ hat ergeben: Eine Trennung von Kompetenzerwerb und Kompetenzanwendung wird nicht konsistent vorgenommen. Kommunikation ohne Interaktion sind untrennbar und können nicht auf zwei Bereiche aufgeteilt werden. Die Unterscheidung von „8. Bedeutende Lebensbereiche“ und „9. Gemeinschafts-, soziales, staatsbürgerliches Leben“ ist nicht begründbar und sollte zugunsten einer Pluralität gesellschaftlicher Teilsysteme aufgegeben werden. Die Beschreibung der Aktivitäten und Teilhabe konzentriert sich auf körperliche und kognitive Einschränkungen, während emotionale/ psychische Aspekte zu kurz kommen. Klarer zu unterscheiden sind „Aktivitäten“ als Handeln von Personen (d.h. einschließlich der Personenmerkmale) und „Teilhabe“ als gesellschaftliche Einbindung (einschließlich der Umweltmerkmale). Komponente „Aktivitäten und Teilhabe“ bedarf aus soziologischer Sicht einer Weiterentwicklung: „Aktivitäten“ sollten im Anschluss an soziologische Handlungstheorien systematisiert werden. „Teilhabe“ sollte im Anschluss an soziologische Theorien gesellschaftlicher Systeme ausgearbeitet werden.

14 Vielen Dank fÜr Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Dietrich Engels ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH Weinsbergstraße Köln Tel – Web:


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