Vorlesung X Selbstmedikation und alternative Medizin Prof. Dr Vorlesung X Selbstmedikation und alternative Medizin Prof. Dr. Jürgen Hoyer Dresden, 02. Juli 2015
Gesundheitspsychologie 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Gliederung Selbstmedikation Der Placebo-Effekt Alternative Medizin 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Selbstmedikation = Behandlung von Krankheiten / Beschwerden oder Einnahme von Medikamenten ohne ärztliche Rücksprache rezeptfreie Medikamente (und Hausmittel) 4,3 Milliarden EUR jährlich (~1/5 der verschriebenen) durch Praxisgebühr Verzicht auf Arztbesuch oder Einnahme von „Restbeständen“ Stiftung Warentest (2002): 40% der getesteten Medikamente „nicht geeignet“ 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Beispiel Generalisierte Angststörung Diffuse Symptome laden zur Selbstmedikation ein 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
DSM-IV Kriterien für Generalisierte Angststörung (GAS) Übermäßige Angst und Sorge (furchtsame Erwartung) bezüglich mehrerer Ereignisse oder Tätigkeiten (wie etwa Arbeit oder Schulleistungen), die während mindestens 6 Monaten an der Mehrzahl der Tage auftraten. Die Person hat Schwierigkeiten, die Sorgen zu kontrollieren. Drei der folgenden Symptome: Ruhelosigkeit, leichte Ermüdbarkeit, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Muskelspannung, Schlafstörungen Sorgen sind nicht auf eine andere Achse-I-Störung beschränkt (z.B. Angst, sich zu blamieren) Relevante Beeinträchtigung Symptome nicht direkt auf Drogen, medizinische Störungen, affektive oder psychotische Störungen zurückzuführen (Abgrenzung zur Depression) DSM-V: GAS-Definition mit geringfügigen Textveränderungen beibehalten! 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Epidemiologie 12-Monatsprävalenz (BRD): 2,2% (z.B. Jacobi et al., 2014) Lebenszeitprävalenz (USA): 2,9% (z.B. Kessler et al., 2012) Geschlechterverteilung: Frauen sind beinahe doppelt so häufig betroffen wie Männer Verlauf: Inzidenz: in jedem Alter möglich, insb. Aber bei älteren Menschen (anders als bei anderen Angststörungen) Verlauf: chronisch (meist retrospektive Daten) Hauptproblem in der Versorgung: selten vom Hausarzt erkannt und selten versorgt (Wittchen, Kessler, Beesdo, Krause, Höfler & Hoyer, 2002) 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Beispiel Generalisierte Angststörung Alles, was gegen „Ängste und Nervosität“ hilft: Kava-Kava Klosterfrau Melissengeist „Kuren“ Ginkgo biloba (Tebonin) Lavendelöl Bibliotherapie Gute Ratschläge 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Sorge dich nicht… / Don‘t worry… Dale Carnegie (1888-1955) weltweite Auflage: über 15 Millionen weit über 100 Monate auf diversen Bestsellerlisten Erstauflage: 1944 („How to stop worrying and start living“) Bobby McFerrin (*1950) „Don‘t worry!“ funktioniert nicht mehr: Patienten mit GAS können z.B. einer Fernsehsendung nicht mehr richtig folgen, weil sie eigentlich mit ihren Sorgen beschäftigt sind und diese eben nicht „abstellen“ können 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Johann Wolfgang von Goethe: "West-östlicher Divan„ (Ginkgo Biloba) Dieses Baumes Blatt, der von Osten Meinem Garten anvertraut, Gibt geheimen Sinn zu kosten, Wie's den Wissenden erbaut. Ist es ein lebendig Wesen, Das sich in sich selbst getrennt? Sind es zwei, die sich erlesen, Dass man sie als eines kennt? Solche Frage zu erwidern, Fand ich wohl den rechten Sinn; Fühlst du nicht an meinen Liedern, Dass ich eins und doppelt bin? 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Ginkgo biloba bei Angststörungen? (Wölk, Arnoldt, Kieser1 & Hoerr1, 2007; 1Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG) Eingesetzt als Demenzmedikament (Wirkung umstritten) bei Älteren angstreduzierender Effekt beobachtet auch bei Jüngeren? Empirie N = 107 (> ¾ GAS; Rest Anpassungsstörung) 3 Gruppen: Placebo, niedrige Dosis, hohe Dosis Outcomes: HAMA, CGI, EAAS (Erlanger Skala für Angst, Aggression, Spannung), Beschwerdeliste Ergebnis: G.b. war dem Placebo überlegen (in allen Maßen) 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie … eine der verwendeten Methoden: Hamilton Anxiety Scale (HAMA) (Wölk et al., 2007) = Fremdbeurteilungsinstrument zur Einschätzung des Schwere- grades einer Angststörung (nicht der Diagnose) 14 Items Fremdrating: 0 (nicht vorhanden) bis 4 (ernst) Beispielitems: intellekt. Beeinträchtigung: Konzentration & Gedächtnis somatische Beschwerden: Muskelschmerz, Bruxismus kardiovaskuläre Symptome: Schwäche, Herzklopfen, Brustschmerzen, Tachykardien (Puls ) ängstliche Stimmung: Sorgen, Katastrophisieren Furcht: vor Fremden, allein zu sein, der Dunkelheit 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
… HAMA Scores (Wölk et al., 2007) 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Ginkgo biloba als Alternative? (Wölk et al., 2007) G.b. ist sicher und gut akzeptiert, bes. unter Älteren keine Gefahr der Abhängigkeit (vs. z.B. Benzodiazepine) Aber: HAMA erfasst auch intellektuelle und körperliche Symptome Wirkmechanismus weitestgehend unklar Diagnostik in der Studie rein klinisch (orientiert am DSM, aber keine standardisierte Diagnosestellung) Co-Autoren 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Alternative Medizin und Generalisierte Angst: Effekte wie durch Psychotherapie!(?) (Hoyer & Moeser, in Vorb.) ES = 2.8 Alternative Behandlungsmethoden für GAS (within-effects) Studie Methode N total N treat prä HAM-A Score mean (SD) Behandlungs-dauer post HAM-A Score mean (SD) Dubois et al (2010) Balneotherapie 237 117 24.4 (3.7) 8 Wochen 12.4 (4.8) Woelk & Schläfke (2010) Lavendelöl (Silexan) 77 40 25.0 (4.0) 6 Wochen 13.7 (6.7) Sherman et al (2010) Massage 69 23 24.8 (5.7) 12 Wochen 14,9 (6.2) Bonne et al (2003) Klassische Homeopathie 44 22 31.4 (7.2) 10 Wochen 21.7 (11.6) Bystritsky, Kerwin & Feusner (2008) Rosenwurz 10 23.4 (6.0) 14.10 (8.06) Boerner et al (2003) Kava 129 43 23.14 (3.19) 8.37 (7.44) Woelk et al (2007) Ginko biloba 107 67 4 Wochen 480 mg 32 30.7 (5.2) 14.3 (7.3) 240 mg 35 29.7 (5.5) 12.1 (8.6) 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
… ähnlich uneindeutig: Tebonin und Demenz (I) Weinman et al., 2010; BMC Geriatrics 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
…ähnlich uneindeutig: Tebonin und Demenz (II) Weinman et al., 2010; BMC Geriatrics 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Johanniskraut (Hypericum; St. John‘s Wort) Eingesetzt als „natürliches“ Antidepressivum. Bei leichten und mittelschweren Depressionen Wirkung vergleichbar mit Antidepressiva; überlegen gegenüber Placebo (Röder, Schäfer & Leucht, 2004; Linde et al. 2005); jüngst in Frage gestellt: die neuesten und besten Studien zeigen kleinere Effekte (Werneke, Horn & Taylor, 2004) Potentielle Nebenwirkung: Lichtallergie; Wechselwirkungen mit Asthma-, Herzmedikamenten oder der Pille Beschleunigt Abbau anderer Medikamente in der Leber: bis zu 10-fache Dosen nötig (z.B. SSRI - Antidepressiva) Was, wenn Johanniskraut nicht hilft – katastrophisierende Interpretation? 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Befunde von der Güte der Studien abhängig Linde K, Berner M, Egger M, Mulrow C. St John's wort for depression: Meta-analysis of randomised controlled trials. British Journal of Psychiatry 2005;186:99-107. 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Vorteil (?) Weniger Absetzen des „Medikaments“ (Linde et al, 2007) 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Übersicht: Wirkungsgrad pflanzlicher Medikamente bei Angststörungen (Hoyer & Köllner, 2015) 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Beispiel für Nebenwirkungen bei der Selbstmedikation: „Bestäubungsmittel“ (SZ-Magazin) Ich bin nasensprayabhängig. Meine Nase ist immer verstopft. Frei atmen kann ich nur, wenn ich mir alle fünf bis sechs Stunden ein Schnupfen-medikament in die Nase sprühe. Tue ich das nicht, fühle ich mich, als wäre eine Vakuumpumpe an meine Nase angeschlossen, als würden die Nasenlöcher zubetoniert .. Entzug: Man kann wochenlang nicht schlafen, denn vor allem nachts ist die Nase ständig verstopft. Man hat Kopfschmerzen, wird übellaunig, befindet sich in einem permanenten Dämmerzustand, der Mund ist ausgetrocknet, man hechelt wie ein Hund. Und überhaupt: Wenn man andauernd durch den Mund atmet, sieht man ja auch etwas dümmlich aus. Trotzdem, ich will nicht länger Junkie sein. 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Selbstmedikation – Gefahren Medikamentencocktails (auch bei Selbstmedikation parallel zu Behandlung ohne Wissen des Arztes) Verzögerung des Arztbesuchs Nebenwirkungen beachten (wirklich den Apotheker gefragt?) „Natürlich“ ≠ Ungefährlich: Nebenwirkungen (Kava Kava: Leberschäden vermutet; Zulassung ausgesetzt) Abhängigkeitspotential: Schmerz-/Abführmittel, sogar Nasenspray 1,5 Mio. Medikamentenabhängige in D, davon >1 Mio. Benzodiazepin-Abhängige 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Selbstmedikation – Fazit Nur bei leichten, diagnostisch sicher einzuschätzenden Beschwerden Zeitlich beschränkt (max. 1-2 Wochen), niemals Dauergebrauch Bei Verschlechterung sofort zum Arzt Packungsbeilage beachten, Apotheker fragen Viel hilft nicht zwangsläufig viel, sondern kann auch viel schaden (Keine Wirkung ohne Nebenwirkung) Wechselwirkungen beachten (chronische Erkrankungen)! Aber: nicht selten hilft es doch ! PLACEBO-Effekt ! 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Gliederung Selbstmedikation Der Placebo-Effekt Alternative Medizin 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Der Placeboeffekt (I) (Kaptchuk, 2002) = unspezifischer Effekt durch das Ritual der Behandlung und den (gestärkten) Glauben an Besserung, bei Anwendung nicht wirksamer Medikamente oder Behandlungen. Einige Jahrhunderte neben Erbrechen und Schwitzen der medizinische Wirkmechanismus Wirkung der Hälfte aller Medikamente vor 1950 vermutlich durch Placebowirkung (biochemische Wirksamkeit in Folge zweifelhaft, Shapiro & Shapiro, 1997) Kulturabhängig: Wirkung bei Magengeschwüren: Deutschland 60%; Brasilien 6% – Schamanen und Rituale von heute? Auch Tiere und Kinder sprechen auf Placebos an 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Der Placeboeffekt (II) (Rief, Hofmann & Nestoriuc, 2008) Placeboeffekt wird in klinischen Studien berücksichtigt (links) Trennung spezifischer Effekt (Medikament) vs. unspezifischer Effekt (Placebo) problematisch Patienten können oft anhand von Nebenwirkungen des Medikaments erkennen, ob sie in der Versuchsgruppe sind – Erwartungen werden bestärkt (rechts) Daher sog. „aktive Placebos“ Placebo Placebo Medikament Medikament Placebo Placebo 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Der Placeboeffekt (III) (de Saintonge & Herxheimer, 1994) Ausmaß des (zusätzlichen) Placeboeffekts ~ Behandlungsart bzw. - ritual: Infusion > große Kapseln > kleine Tabletten Qualität: gelbe Pillen wirken eher stimulierend/antidepressiv weiße eher schmerzlindernd Richtung: wenn Ärzte ärgerlich, abweisend: negativ (Nocebo) Steigerung wenn sie zeigen, dass sie an Wirkung glauben 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Nocebo-Effekt (I) (Engelhardt, 2004; Rief, Hofmann & Nestoriuc, 2008) Placebos (Medikamente ohne Wirkstoffe) können ebenfalls unerwünschte Nebenwirkungen haben: Müdigkeit, Kopfschmerz, Nervosität, Übelkeit, Durchfall,… … die nicht durch die pharmakologische Wirkung des Medikaments erklärt werden können = Nocebo-Effekt Eine Erklärung: leichte körperliche Symptome sind in der Bevölkerung weit verbreitet, diese werden durch das Placebo besser wahrgenommen und auf das Medikament attribuiert 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Nocebo-Effekt (II) (Engelhardt, 2004; Rief, Hofmann & Nestoriuc, 2008) Circa 20% der gesunden Vergleichspersonen in einer Medikamentenstudie erlebten Nebenwirkungen, obwohl sie in der Placebo-Bedingung waren (Rosenzweig, Brohier & Zipfel, 1993). Rief et al. (2009): Nebenwirkungen in Depressions-Behandlungsstudien in der Placebobedingung höher, wenn es um Trizyklika (relativ starke Nebenwirkungen) gegenüber SSRI (geringere Nebenwirkungen) ging! Nocebo-Effekte häufiger, wenn behandelnder/verschreibender Arzt verärgert oder zurückweisend Kann Ursache für Non-Compliance sein Überschneidung mit optimalem Arztverhalten (Vorlesung 9) 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Zurück zum Placebo-Effekt… (I) Moseley et al. (2002): Chirurgie als Placebo Arthrose – Schmerzen im Knie: Kniespülung plus Glättung des Knorpels Vergleich: Tatsächliche therapeutische Arthroskopie (Spülung; mit/ohne Glättung) vs. einfache Schnitte (nur Operationswunde = Placebo) Ergebnis: Keine Unterschiede bzgl. Knieschmerzen und Beschwerden nach 1 und 2 Jahren Jährlich in Dtld. ca. 400.000 Arthroskopien 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Zurück zum Placebo-Effekt… (II) McRae et al., 2004 Ebenfalls kein Unterschied zwischen der tatsächlichen und der nur vorgetäuschten (sham surgery) OP (Stammzellentransplantation bei Parkinson-Erkrankung). Diejenigen Patienten verbesserten sich am meisten, die glaubten, sie hätten tatsächlich die OP erhalten. 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie (Explizite) Erwartungen und (implizite) Konditionierungen sind vermutlich beide beteiligt (vgl. z.B. Stewart-Williams & Podd, 2004) 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Vom Placebo lernen (I) (Kaptchuk, 2002) Der Placeboeffekt ist Element jeder (guten) medizinischen Behandlung: Aufmerksamkeit & Anteilnahme Beeinflussung und Steuerung von: Erwartungen (Wirksamkeit der Behandlung/Handlungs-Ergebnis-Erwartungen) Angst (Optimismus vs. Risikowahrnehmung) Selbstaufmerksamkeit Aktivierung sehr früh konditionierter Reaktionen: krank: Arzt (weißer Kittel) -> Besserung Therapeutisches Verhalten, das den Placeboeffekt verstärkt, findet sich oft in unkonventionellen Therapiesettings! (TCM) 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Vom Placebo lernen (II) (Kaptchuk, 2002) Placeboeffekt schon in der Ausbildung explizit als therapeutischen Mechanismus berücksichtigen! Faktoren identifizieren und nutzen, die Wirkung maximieren & Nebenwirkungen minimieren Placeboeffekt am größten, wenn Kombination mit spezifischer Behandlung langfristige, alleinige Wirkung zweifelhaft: vgl. emotions-orientierte Bewältigungsstrategien (vs. problem-orientierte) 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Bewusste Gabe von „Placebo“: ethisch vertretbar? (Engelhardt, 2004) Transparenz und Partnerschaft (Compliance) vs. gute Unterhaltung mit positivem Effekt (Placebo)? Dilemma: je besser Patient informiert und aufgeklärt, desto resistenter gegenüber Placebowirkungen Bedeutung für Arzt (Lüge?) und Arzt-Patient-Verhältnis? langfristige Folgen, wenn Placeboeinsatz bekannt wird? Wirkung von Placebos früher als Beweis für einen „eingebildeten Kranken“ – schlicht falsch Der Placeboeinsatz i.e.S. (Scheinbehandlung) ist ethisch problematisch und vermutlich auch gar nicht notwendig! 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Gliederung Selbstmedikation Der Placebo-Effekt Alternative Medizin 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
TCM – Akupunktur (I) (Kaptchuk, 2002) ? TCM – Akupunktur (I) (Kaptchuk, 2002) Akupunktur wirkt Gegen Erbrechen nach Operation/Chemotherapie und Übelkeit bei Schwangerschaft Gegen Zahnschmerzen Unklar: Chronischer Schmerz Rückenschmerz (LBP) Kopfschmerz Akupunktur ist bei chronischem Knieschmerz (Arthrose) und chr. Rückenschmerzen (Lendenwirbelsäule) Kassenleistung! 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
TCM – Akupunktur (II) (Leibing et al., 2002) Akupunktur bei chronischem Rückenschmerz (low back pain) besser als Placebo? N = 131; Patienten mit mind. 6 Monaten LBP 3 Gruppen: Gruppe 1: Physiotherapie Gruppe 2: Physiotherapie + 20 x Verum-Akupunktur Gruppe 3: Physiotherapie + 20 x Sham-Akupunktur = Placebo-Akupunktur: oberflächlich (nicht so tief) und nicht an Akupunkturpunkten, sonst identisch = aktiver Placebo! (s.o.) 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
TCM – Akupunktur (III) (Leibing et al., 2002) Ergebnis: (Verum)-Akupunktur ist Kontrollgruppe (1) überlegen bzgl.: Schmerzintensität Behinderung durch Schmerz psychischer Stress Auch noch nach 9 Monaten, aber schwächer V-Akupunktur ist S-Akupunktur nur in der Reduktion des psychischen Stress überlegen; nicht aber in Bezug auf: Schmerzintensität, Behinderung durch Schmerz Spricht das jetzt für oder gegen Akupunktur? 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Rubrik „Die spannende Studie“ . 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Inanspruchnahme (u.a. Astin, 1998) Wer nimmt alternative Medizin in Anspruch? Eher Frauen Höhere Bildung Hohe Körpersensibilität, Gesundheitsverhalten Chronische Krankheit, Schmerzen, fortgeschrittener Tumor Verminderte Lebensqualität Psychische Belastung Ökologische Grundeinstellung, Interesse an Spiritualität Aber nicht unzufriedener mit Schulmedizin 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Homöopathie (Jonas, Kaptchuk & Linde, 2003) Vergleich mit Placebo: selten effektiver als Placebo Wirksamkeit bei bestimmten Erkrankungen: vereinzelt für Grippe, Allergien und Durchfall bei Kindern (negative Befunde für sehr viel mehr Symptome) Biologische Effekte: unklar Hohe Individualisierung der Therapie Therapeut hat Zeit Fazit: Keine Wirksamkeitsbelege, aber mit Sicherheit ein guter Placebo! 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Massage (Meyer, Rounds & Hannum, 2004) Einmalige Anwendung senkt: Angst, Blutdruck, Puls, nicht aber Schmerz Mehrere Anwendungen vermindern Angst, depressive Symptome, Schmerzempfinden Mechanismen weitgehend unklar, aber 2 Pfade: Psychologischer Mechanismus: Zuwendung, Intimität Körperlicher / Physiologischer Mechanismus: gate control, Durchblutung, Parasympathikus, Förderung gesunden Schlafes 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Servan-Schreiber Herzkohärenztraining (Harmonisierung von Herzschlag und Atmung) = Biofeedback HRV EMDR Tagesrhythmus steuern durch Sonnenaufgangssimulation Akupunktur Omega-3-Fettsäuren Bedeutung körperlicher Aktivität („Prozac or Puma") emotionale Kommunikation Liebe 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Alternative Medizin: Alternative wozu? – Schulmedizin vs. evidence based medicine (Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V.) EbM = beweisgestützte Medizin, d.h. Beantwortbare Frage aus dem klinischen Fall ableiten („Könnte es dadurch besser werden, dass…“) Recherche in klinischer Literatur Kritische Bewertung der recherchierten Literatur (Evidenz) bezüglich Validität/Brauchbarkeit Anwendung der ausgewählten und bewerteten Evidenz beim individuellen Fall Bewertung der eigenen Leistung 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Schulmedizin vs. evidence based medicine Großteil gängiger medizinischer Praxis ist nicht evidenzbasiert. Beispiel: Infusion bei Hörsturz mit durchblutungsfördernden Substanzen nur im deutschsprachigen Raum heute: kein Unterschied zu Placebo (Infusion mit NaCl) Grenzen der EbM: Mangel an Evidenz & Reproduzierbarkeit monokausales Geschehen sehr selten klinische Studien nicht immer umsetzbar (seltene Krankheiten; doppelblind bei Akupunktur/Placebo-Studien?) 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Schulmedizin vs. Alternativmedizin Grundsätzlich verschiedene Auffassungen von: Empirie: Reproduzierbarkeit vs. Einzelfall Kausalität: biochemische Gesetze vs. Analogiedenken (z.B.) Wiss. Standards: randomisiert, doppelblind vs. ? Im 18. Jhd. gab es diesen Unterschied noch nicht! 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Fazit – alternative Medizin Oberstes Kriterium: keinen Schaden anrichten Kein Ersatz für konventionelle Therapien bei ernsten Erkrankungen Gefährlich, wenn als Ersatz gesehen Evtl. Ressource, wenn ergänzend eingesetzt Unspezifischer Placeboeffekt sehr wahrscheinlich Je nach Passung Krankheit – Arzt – Setting – Patient sogar Verstärkung des Placeboeffekts 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Weiterführende (ethische) Fragen Ist Medizin nur für Krankheit zuständig, oder auch für Gesundheit (=Lebensqualität, Wohlbefinden, Wellness) Wie sind die neuen Möglichkeiten der Medizin zu werten, z.B. im Bereich der Reproduktionsmedizin (Mutter mit über 60 als Kassenleistung?) oder der „Schönheitschirurgie“? Wellness = letztlich eine Privatsache? EU-Berentung „weil ich aufgrund des Missbrauchs immer irgendwelche Symptome haben werde“? Unser Verständnis von Krankheit und Gesundheit bestimmt die Antworten (1.Vorlesung)! 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Direkte Wirkung ist unwahrscheinlich! Gingko/ Rotwein/ Johanniskraut... Depression (mindert) 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Indirekte und unspezifische Effekte sind wahrscheinlicher Gingko/ Rotwein/ Johanniskraut... Depression (kein Effekt) Pos. Erwartungen Mehr Aktivität Erleichterung 2.7.2015 Gesundheitspsychologie
Gesundheitspsychologie Fragen Erklären Sie den Placeboeffekt – auch an einem Beispiel! Überlegen Sie sich Mechanismen, über die ein Placebo Wirkung entfalten kann! Was verstehen Sie unter Selbstmedikation? Wie bewerten Sie sie? Begründen Sie Ihre Antwort! Was ist ein Nocebo-Effekt? Nennen Sie Einflussgrößen! Wie kann man die Wirkung unkonventioneller Therapien vor dem Hintergrund des Placeboeffekts und Ihnen bekannter Konzepte wie Selbstaufmerksamkeit, Optimismus und Selbstwirksamkeit erklären? Sie erfahren vom Patient, dass dieser sich neben der Behandlung bei Ihnen auch noch von einem Geistheiler in Hinblick auf seinen Bluthochdruck behandeln lässt. Wie sollten Sie reagieren? Ihr Ziel: Arzt-Patienten-Verhältnis und Compliance fördern/sichern. 2.7.2015 Gesundheitspsychologie