F. Kleinheins, Sprengeltagung Nov 09 Wetteifern und Wettstreiten im Barock; der konzertierende Stil, exemplarisch dargestellt an folgenden Werken Gabrieli: Sonata Pian e Forte Heinrich Schütz: Kleine geistliche Konzerte Johann Sebastian Bach: Brandenburgisches Konzert Nr. 5 D-Dur Antonio Vivaldi: Konzert op. 8 Nr. 4 L’Inverno „Der Winter“ für Violine und Streichorchester RV 297, aus: „Le Quattro Stagioni“ F. Kleinheins, Sprengeltagung Nov 09
„Le Quattro Stagioni“ als Sternchenwerk Problem: L‘Inverno aus den „Le Quattro Stagioni“ ist ein Sonderfall der Concerto-Komposition Notwendige Vorkenntnisse: „Standardform“ eines Solokonzerts in Ritornellform (evtl.) Kenntnis des Typus des Ripieno-Concertos/Mehrchöriges Konzert
Nützlich für „La Quattro Stagioni“ Charakteristika von Ritornellen: Durch welche/s Motiv , welche soggetti bekommt das Ritornell seine Identität (=>Wiedererkennungsmarke) Hilfskategorien: Auftakt/Volltakt, Intervalle, Satz Form: Wieviele Abschnitte sind typisch? (Absätze/Kadenzen) Dimension? Harmonik: Statisch? Pendelnd? Sequenzmodelle? Welche Stellen untersucht man? Dynamischer Wechsel? Satz (Homophon, Polyphon, Einstimmig?) Couplets: Dimension/ Motivik/ Harmonik/ Funktion im Satz/Verhältnis zur Begleitung FERNZIEL im Auge behalten: Schüler kommen mit jedem Konzertsatz klar.
Ritornell A - „untypisches“ Ritornell: es fehlt jegliche Melodik es beginnt mit der Bassstimme polyphone „Anfangsschichtung“ Anfang ohne „Tonika“, erst in T.6 entsteht erstmals die Tonika; Ritornell kadenziert auch nach c-Moll (V. Stufe)
Couplet 1 - „untypisches“ Couplet: es entfaltet sich nicht greift nicht Motive d. Rit A auf wird von Motiven von Rit A „unterbrochen
kürzeren Einsatzabstand diminuertes Achtelmotiv in Ritornell A‘, variiert (und verkürzt) durch: kürzeren Einsatzabstand diminuertes Achtelmotiv in Violine 1 (Sechzehntel) wirkt als Überleitungsteil zum Ritornell B - „eigentliches Ritornell“ es besitzt die charakteristische Mischung aus tanzhafter Motorik, Dynamik und melodischem Wieder- erkennungswert. befestigt kadenziell erstmalig die Tonika
Couplet 2 Variation von Couplet 1 : umgekehrte Bewegungsrichtung Stufenmelodik statt Dreiklangs- brechung übliche Dimensionierung eines „üblichen“ Couplets harmonischer Fluss moduliert ab T. 34 nach Es-Dur (III. Stufe) Solist konzertiert mit dem Ripieno, welches variierte Motive des Ritornells B spielt
sehr kurz (weil zu fröhlich) Ritornell A‘ könnte auch A‘‘ deklariert werden durch Durtonalität neuer, fröhlicher Charakter dennoch mit Überleitungsfunktion: Couplet 3 sehr kurz (weil zu fröhlich) erstmals „entspannte“ Viertel im b.c. lyrischste Stelle im 1. Satz Kombination aus C 1 (Dreiklänge) und C 2 (aufsteigende Richtung)
Ritornell A‘ (A‘‘) basslose Variante von A‘ lyrisches „Überhängsel“ von C3 in der Solovioline Länge des Anfangsritornell (=> ausgewogene Gesamtstruktur) Die vorgeschriebenen Doppelgriffe und die hohe Lage geben der Solovioline eine erhabene Position Funktion des Abschnitts: Vorbereitung des stürmischen Schlusses, Pendant zum Anfangsritornell
Ritornell B „Concerto-typischer“ Abschluss
A Vor Kälte zittert man inmitten des eisigen Schnees
A Vor Kälte zittert man inmitten des eisigen Schnees Ritornell A Triller = Zittern Sprünge werden weitgehend vermieden Melodik ist „eingefroren“ Satzteil lebt von bizarrer (spannungsgeladener) Harmonik: Eröffnungsakkord = verk. Septnonakk. mit Quartvorhalt gefolgt von weiteren Septimakkorden erst in T.6 entsteht erstmals die Tonika Ebenso raffiniert reiht Vivaldi T. 8 – 10 quintaufwärts Septimakkorde aneinander. Die waghalsige Rückung von T. 8 auf 9 mit ihrem drohenden Satzfehler (zwischen Violine 1 und Viola, "vermindert –rein, das lass' sein") wird in der Viola nur spärlich kaschiert.
B bei heftiger Böe eines bitterkalten Windes;
B bei heftiger Böe eines bitterkalten Windes; Couplet 1 Drei Mal, jeweils nach oben sequenziert, illustriert die virtuose Solovioline den „abscheulichen“ Wind mit fallenden und gebrochenen c-Moll-Dreiklängen und -Tonleitern in einer langen Zweiunddreißigstel- Kette. Nach jeder der drei solistisch dargestellten Windböen setzt das Ripieno mit dem repetierten c-Moll- Akkord ein, als Sinnbild des frierenden Menschen, gleichsam eine Rückblende zum Anfangsritornell.
C man läuft mit den Füßen unablässig stampfend
C man läuft mit den Füßen unablässig stampfend Ritornell B Das Anfangsmotiv repetierter Achtel bleibt aber ständig präsent; es diminuiert sogar auf Sechzehntel und Zweiunddreißigstel (jeweils in der zweiten Takthälfte) und bildet nun das "Zähneklappern" ab, oder das Anfangsmotiv erscheint in der jeweils ersten Takthälfte als ostinate Wechselnote innerhalb des Dreiklangs: Das tapfere Stampfen wider die Kälte.
„programmlos“(ohne Über- schriften), sie sind für Vivaldi Couplet 2 T. 26 - 46 sind weitgehend „programmlos“(ohne Über- schriften), sie sind für Vivaldi ein Freiraum, um den ersten Satz in eine „Concerto-Architektur“ zu formen,gleichzeitig werden die vorhandene Motive weiter verarbeitet. Die Zweiunddreißigstel-Windböen von Couplet 1 werden nun vielfältig variiert und ausgebaut: zunächst hauptsächlich in ansteigenden diatonischen Girlanden T.26 - 28, dann aber im Wechsel von fallenden und steigenden Vierer- und Achter-gruppierungen (T. 28 – 30) bis zur atemlosen, dreitaktigen Kette (T. 31 - 33) Das Continuo begleitet mit repetierenden Achteln des Anfangsmotivs
Das Wechselspiel von Solist und Orchester von Abschnitt T. 12 – 18 („frierender Mensch“) überträgt Vivaldi auf T. 33 – 38, aber in halbtaktig-gedrängter Form. Das Orchester besitzt ebenfalls nun "Wind-Funktion": Dieser Teil ist die Vorwegnahme des "Kriegs der Winde", wir er am Ende des Sonetts beschrieben wird. Vivaldi verwendet daher diesen Teil am Ende des dritten Satzes wieder.
Ritornell A‘ Überleitungsfunktion Dur-Variante des Ritornells vertritt evt. den warmen Scirocco (siehe 3. Satz), ebenso das kurze darauffolgende Mini-Couplet 3
D und wegen des strengen Frostes klappert man mit den Zähnen.
D und wegen des strengen Frostes klappert man mit den Zähnen. "Ober- und Unterkiefer“ klappern Bassinstrumente haben Pause Der Teil ist nun auf zehn Takte ausgedehnt und ist harmonisch beweglicher mit kurzen Quintfallsequenz- Anleihen mit den dazu gehörigen, barock-typischen Nonvorhalten. Die vorgeschriebenen Doppelgriffe und die hohe Lage geben der Solovioline eine erhabene Position. Funktion des Abschnitts: Vorbereitung des stürmischen Schlusses. Pendant zum Anfangsritornell
Zur Figurenlehre: Vivaldis bewusste Verwendung musikalisch-rhetorischer Figuren ist nicht nachgewiesen, aber deren Kenntnis ist vorauszusetzen. Ob es hier überhaupt sinnvoll ist, über „Figuren“ zu sprechen sollte gut überlegt und diskutiert werden. Etliche Motive könnten als Figuren beschrieben werden. Häufig wären z.B. Hypotyposis-Figuren, also malende und abbildende Figuren, wie eine "Tirata" und "Circulatio" in T. 12 um den Wind plastisch darzustellen (ebenso T. 26 ff.) oder das Stampfen der Füße nachzuzeichnen. Zum Konzertieren: Der erste Satz lebt, ganz in der Tradition des barocken Solokonzerts, vom Wetteifern zwischen Solisten und Tutti. Vivaldi beginnt diesen Satz, indem er zunächst Tutti-Teile blockartig mit den Couplets abwechselt. Diese Anordnung dramatisiert er, indem diese Wechsel schneller erfolgen lässt, bis in T. 33 ff. eine Wechselbeziehung zwischen Solisten und Tutti entsteht. In T. 47ff. wird aus einem "Gegeneinander" ein "Miteinander" – und dies in dreierlei Tempi.
2. Satz, Largo Ruhige und frohe Tage am Feuer, während draußen Hunderte vom Regen durchnässt werden. Die motivische Gestalt der Solo-Violinstimme Der Aufbau Der Satz/ dasProgramm
a)
b)
c) Ruhige und frohe Tage am Feuer, während draußen Hunderte vom Regen durchnässt werden.
Ruhige und frohe Tage am Feuer, während draußen Hunderte vom c) Obwohl Vivaldi nur den Violinen eine Funktion zuweist (Regen), drängt es sich auf, auch den anderen Stimmen eine Zuweisung in diesem raffiniert gestalteten Satz zu geben z.B. Solo-Violoncello => Feuerknistern. Viola => Wärme und Geborgenheit am Feuer. Solovioline => der genießende Mensch. Formen des Konzertierens Ruhige und frohe Tage am Feuer, während draußen Hunderte vom Regen durchnässt werden.
3. Satz, Allegro F Man geht auf dem Eis und zwar mit langsamem Schritt G aus Furcht, bei unvorsichtiger Bewegung hinzufallen. H man geht schnell, rutscht aus und fällt zu Boden; I geht erneut auf dem Eis und läuft schnell; L bis das Eis kracht und zerbricht; M Man hört sie aus der eisernen Pforte heraustreten, N Südostwind, Nordwind und alle Winde im Krieg: So ist der Winter, wie er Freude bereitet.
Sehr außergewöhnlicher Beginn eines Konzert-Schlusssatzes:
Sehr außergewöhnlicher Beginn eines Konzert-Schlusssatzes: Fünf Viertakter als monotone Sechzehntelkette, => (Kreis-) Bewegung Jeder Viertakter = 4 x eintaktige, ostinate Figur Ausdrucksgehalt : Monotonie einer Bewegung Nur Veränderung im Tonhöhenverlauf => Entfernungswechsel des Akteurs? Basso continuo : Orgelpunkt = Eisdecke Der Orgelpunkt dauert bis T. 90! Fernab jeder Konvention „malt“ Vivaldi sein Winterbild!
R4
r1 r1 R1 R1 r2 behutsame (Eisdecke!) "Übernahme d.Ripienos: Viola spielt die Terz zum vorhandenen Orgelpunkt, Violine 2 imitiert Violine 1+Solo Funktion von r1: Überleitungsteil R1 R1 „Camminar piano, e con timore“ Augmentation die ersten drei Töne von T. 20, "leise gehen" = "halb so schnell gehen" fallende Dreitonfiguren = sachte Gehen ab T. 29 " Schritt auf dem Eis" noch vorsichtiger Violine1 schiebt sich vorsichtig aufwärts Harmonisierung mit minimalen Tonschritten Violine 2 imitiert Violine 1 r2
r3 r3 r2 r2 S2 S2 obwohl erst in T. 48 "Cader à terra" steht, thematisiert der gesamte Formteil H von T. 40 – 51 das Hinfallen. r2 Die „große Kadenz“ => cadere = fallen umfasst nun eine Duodezime, kadenziert zur Tonika f-moll und beendet den ersten großen Formteil. r2 S2 S2 T. 52 – 72 (eigentlich bis T. 84) variiert den Anfangsteil S1
r3‘ r3': "Virtuosen-Variation" von r3 Schritte und „Ausrutscher“ auf dem Eis werden dreister
r2': (T. 80 – 84) => "Solo-Kadenz" als Var. von r2 eigentliche Kadenzierung wird durch r1 T. 85 – 88 hinausgezögert: Takt 93 nach c-Moll. r1
r3‘‘ r3", "Il Giaccio si rompe“ r3‘‘‘ r2 Das Eis bricht Variation von r3 (T. 42) Hinfallen wird zum Einbrechen im Eis großer Sprung Unisono des Orchesters. Die Kadenz nach c-Moll in T. 93 beendet den zweiten großen Formabschnitt. r3‘‘‘ r2
R1' R1‘ S 3 S 3 Il vento scirocco Vivaldi inszeniert "die Ruhe vor der Sturm" durch den warmen, milden Scirocco ab T. 106nur noch ein "Lüftchen“: Verzicht auf die Bassstimme =>Scirocco noch leichter und milder erstmaliges Weglassen des Orgelpunkts! elegantes Kadenzieren nach Es-Dur Bezug zum 1. Satz! S 3 „Il Vento Borea e tutti li Venti“ „Der Nordwind und alle Winde“ Der „Krieg der Winde beginnt“ Vivaldi verbindet die Ecksätze Ein fulminanter Schluss - wie sich‘s gehört! S 3
R 4: Bezug zum 1. Satz T.33 ff. R4