Römische Rechtsgeschichte 19. Nov. 2012

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 Präsentation transkript:

Römische Rechtsgeschichte 19. Nov. 2012 Lehrstuhl für Römisches Recht, Privatrecht und Rechtsvergleichung Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

§ 11 Reichsrecht und Volksrecht L. Mitteis, „Reichsrecht und Volksrecht in den östlichen Provinzen des Römischen Kaiserreichs“, 1891 Untersuchung des Verhältnisses zwischen römischem Recht und dem (lokalen) Recht der Provinzen. Problem: Personalitätsprinzip  keine systematische Erstreckung des römischen Rechts auf Bewohner der Provinzen.  aber römischer Statthalter als Gerichtsherr und römischer Kaiser als Letztinstanz. Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Einige Daten zu Roms Provinzen 241 v. Chr.: Sizilien erste römische Provinz 146 v. Chr.: Africa römische Provinz 129 v. Chr.: Provinz Asia (Reich des Attalos III.) 30 v. Chr.: Ägypten römische Provinz 4-6 n. Chr.: Pannonia römische Provinz 98-117 n. Chr.: Trajan: Provinz Dacia, Provinz Arabia, Provinz Armenia, Assyria und Mesopotamia = grösste Ausdehnung des römischen Reiches 212: Constitutio Antoniniana Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Provinzialverwaltung: Militärische Kontrolle Steuereintreibung (über publicani) lex provinciae zur Organisation der Provinzen (nicht für alle bezeugt) Entsendung eines Statthalters, dessen Aufgabengebiet («provincia») die Verwaltung des Gebietes ist Statthalter erlässt ein Edikt, in dem er die Prinzipien seiner Amtsführung ankündigt (edictum provinciale) Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Q 46 = D. 26.2.26pr. Pap. 4 resp. Inskription: Papinian libri responsorum = wahrscheinlich tatsächlicher Fall 2. Paraphrase: ius nostrum (= röm. Recht) kennt keine Vormundschaft der Mutter über die Kinder rechtsirrige Erteilung der Vormundschaft durch einen Provinzstatthalter führt nicht zu Vertrauensschutz vielmehr kann der Nachfolger (Statthalter) die zutreffende Rechtslage wieder herstellen (= der Mutter die Vormundschaft entziehen) Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Interpretation: Widerspruch zwischen römischem Recht und Provinzialrecht nach römischem Recht: Frauen können keine Vormünder sein, vgl. Q 45 (Ausnahme durch princeps könnte interpoliert sein); nur Männer können testamentarisch oder magistratisch zum Vormund eingesetzt werden von einigen Provinzen, v.a. Ägypten, bekannt, dass Frauen Vormünder ihrer unmündigen Kinder sein können. (2) Lösung des Widerspruchs Personalitätsprinzip: ägyptische Frau müsste weiterhin Vormund ihrer Kinder sein können. ABER: praeses provinciae (Statthalter) ist römischer Magistrat, der zwingende Regeln des römischen Rechts zu respektieren hat. Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Q 47 = D. 2.14.7.12 Ulp. 4 ad ed. Inskription: Ulpian, Ediktskommentar Paraphrase: Stipulationsklausel, die an alle (formlosen) Verträge angefügt wird, begründet nicht nur ein pactum und damit exceptio pacti. Stipulationsklausel begründet auch die Klage aus der Stipulation (actio ex stipulatu). Ausnahme: Stipulationsklausel ist ohne Willen zur Begründung einer Stipulation hinzugefügt. Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Stipulationsformel Stipulation: Austausch von Wortformeln, ursprünglich ius civile (spondeo), später auch ius gentium (promittere oder auch auf Griechisch). Beurkundung: «A hat versprochen; B hat sich versprechen lassen» (= Stipulationsformel). Übernahme dieser Protokollierungsformel in den Provinzen, um Verträge zu beurkunden, auch wenn KEINE Stipulation stattgefunden hat («Stipulationsfloskel»). Nachahmung der römischen Urkunde im Glauben oder zur Vortäuschung eines nach römischem Recht wirksamen Geschäftes. Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Ulpians Umgang mit der Stipulationsklausel: Ulpian kennt offenbar die provinziale Praxis, Stipulationsklauseln ohne Stipulation zu verwenden. «nicht nur pactum, sondern auch Stipulation»: Bewusstsein, dass nur pactum gewollt sein wird Warnung vor der naheliegenden Auffassung als Stipulation (nach römischem Recht) Beweislastentscheidung: Stipulation, aber Gegenbeweis (provinzialer Rechtsanschauung) zulässig. Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Q 48 = Constitutio Antoniniana Inskription: Caracalla = Marcus Aurelius Severus Antoninus (188-217), röm. Kaiser von 211-217 P. Giss. 40 = Papyrus aus Ägypten (wohl 215 n. Chr.); 1901 entdeckt. 2. Paraphrase: Dank für Errettung an die römischen Götter: Vermehrung der Gläubigen durch Bürgerrechtsverleihung an Fremde Verleihung des Bürgerrechts an alle „Bewohner des Erdkreises“ (orbis) mit Ausnahme der dediticii Bürgerrechtsverleihung auch als Teilhabe am Sieg Caracallas Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Allgemeine Bürgerrechtsverleihung: römisches Bürgerrecht kann verliehen werden. Besteuerung bleibt bestehen = Bürgerrecht des Herkunftsortes bleibt ebenfalls bestehen. «Doppelbürgerrecht»: Die Neubürger haben die Wahl, ob sie sich nach römischem Recht beurteilen lassen (vor Gericht) oder nach einheimischen Recht. Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Dediticii Kein Bürgerrecht nach der Constitutio Antoniniana «Staatenlose» Unterworfene, die nicht versklavt worden waren, denen aber auch keine politische Autonomie belassen war. Formlos freigelassene Sklaven (= nicht nach ius civile wirksame Freilassung, daher kein römisches Bürgerrecht) Freigelassene mit krimineller Vergangenheit (ebenfalls kein Privileg, um römisches Bürgerrecht zu erlangen) Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Motive der Constitutio Antoniniana «Errettung aus Not» = Anspielung auf die Ermordung Getas? Unruhe im Palast? Verehrung aller Götter durch alle Fremden = severische Ideologie einer allgemeinen Gleichheit und allgemeinen Gottunterworfenheit (Buraselis) Ulpians Vorstellung eines von der aequitas naturalis beherrschten, für alle Menschen geltenden Rechts? Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Bewertung: Keine vollständige Neuerung: Bürgerrechtsverleihungen an grössere Einheiten des Reiches schon vorher Oberschicht auch in den Provinzen weitgehend romanisiert Vertrauen in römische Rechtspflege (Statthalter) schon vorher weit verbreitet Wirkung auf die «Volksrechte»: Provinziale Rechte schon vorher an römische Eigenheiten angepasst (politischer Druck) Bisher bestehende Autonomie der provinzialen Rechtsordnungen bleibt bestehen, aber Verlust an Attraktivität. Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Zusammenfassung: Römische Provinzen und ihre Verwaltung Wechselwirkungen zwischen Provinzialrecht und römischem Recht (Beispiele) Constitutio Antoniniana Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux