Europäische Wirtschaftsgeschichte (II)

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 Präsentation transkript:

Europäische Wirtschaftsgeschichte (II) Eine ökonomische Perspektive auf die europäische Geschichte vom Ersten Weltkrieg bis heute Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Über diese Vorlesung Ökonomische Perspektive auf historische Entwicklungen: Was können wir mit ökonomischer Theorie verstehen, was nicht? Wie haben außerökonomische Faktoren (Schocks) die Wirtschaft beeinflusst? Voraussetzungen Grobe Orientierung im historischen Kontext (Lesetipp: N. Davies 1997: Europe. A History) EWG I sehr nützlich (etwa VL zu Demographie, Goldstandard) Grundlegende Methoden: Alles was sie aus der VWL kennen (sollten) Grundlagen der Ökonometrie Kontrafaktische Analyse Historische Quellenkritik Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Fragestellungen “… wie es recht eigentlich gewesen”: Mythen, Legenden und neue Forschung “The Big Picture” – Überblick, historische Einordnung Pfadabhängigkeiten in ökonomischen Entwicklungen Historische Entwicklungen als Fallstudien mit Blick auf aktuelle Probleme Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Ad 1: Mythen, zum Beispiel …“die Hyperinflation hat den deutschen Mittelstand vernichtet“ …Die Nazis haben die Weltwirtschaftskrise durch „Keynesianische“ Politik (avant la lettre) beendet: Autobahnbau, etc. …Ludwig Erhardt hat das westdeutsche Wirtschaftswunder hervorgebracht Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Ad 2: Big Picture Welchen historischen Hintergrund haben moderne ökonomische Probleme, etwa Kapitalmarktentwicklungen und die Geschichte des Weltwährungssystems Der deutsche Arbeitsmarkt seit 1949 Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Ad 3: Pfadabhängigkeiten In der ökonomischen Theorie spielen Pfadabhängigkeiten eine zunehmende Rolle (David 1985, Arthur 1990, Fujita, Krugman, Venables 2000) Einmalige Ereignisse können sehr langfristige Folgen haben, etwa der Verlust an Marktpotential durch Grenzverschiebungen, oder Standortentscheidungen in Netzwerkindustrien Die Geschichte ist voll von solchen Beispielen - etwa: warum befindet sich der größte deutsche Flughafen ausgerechnet in Frankfurt am Main ? UND WARUM NICHT IN BERLIN ??? Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Ad 4: Historische Fallstudien zu aktuellen Fragen Wie lange dauert es, bis politische Grenzen aus der Wirtschaft verschwinden? Die Deutsche Einigung 1834-1871 Polnische Wiedervereinigung 1918/19 Deutsch-deutsche Wiedervereinigung 1989/90 Die Osterweiterung der EU? Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Das Programm Datum Thema 15. Juli 2006 Einführung und Folgen des Ersten Weltkriegs I: allgemeine Strukturprobleme und Hyperinflation Folgen des EWK II: das Reparationsproblem und das internationale Währungs- und Kreditsystem Osteuropa in der Zwischenkriegszeit. Ein Überblick Die Weltwirtschaftskrise am Beispiel Deutschland, USA und Polen NS-Wirtschaft I: Binnenwirtschaft NS-Wirtschaft II: „Großraumwirtschaft“, Außenwirtschaft 22. Juli 2006 Blockintegration I: der Westen Blockintegration II: der Osten Gab es ein deutsches Wirtschaftswunder? Standortfolgen der Deutschen Teilung Der westdeutsche Arbeitsmarkt seit 1949 Das Ende von Bretton-Woods und aktuelle Kapitalmarktentwicklungen Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Organisation VL ist Wahlfplichtfach Wirtschaftsgeschichte und Wahlfach VWL-Politik Abschluss mit Klausur (60 Minuten) Alle Folien im Blackboard Semesterapparat in der Bibliothek (ca 100 Bücher ) Einige Texte stehen zusätzlich als download im Netz Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

in medias res Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Folgen des Ersten Weltkriegs Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen („Zwischenkriegszeit“) war besonders in Europa eine Phase der wirtschaftlichen Stagnation Die Tabelle zeigt durchschnittliche jährliche Wachstumsraten BIP Bevölkerung BIP/ Kopf Europa USA Japan 1890-1913 2,2 0,7 1,4 2,0 1913-1950 0,5 0,9 1950-1973 4,8 0,8 4,0 2,9 8,0 1973-1994 2,1 0,4 1,7 2,8 Quelle: Feinstein et al (1997), S. 7, 9 Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Folgen des Ersten Weltkriegs (2) Während 1890-1913 der Außenhandel schneller wuchs als die (schnell zunehmenden) Nationaleinkommen, nahm zwischen 1913 und 1938 der Außenhandel trotz wachsender Einkommen ab: die Einkommenselastitzität wurde negativ Die Tabelle zeigt durchschnittliche jährliche Wachstumsraten Frankreich Deutschland GB USA Japan 1890-1913 2,8 5,3 2,6 3,9 8,9 1913-1950 -0,4 -2,2 -2,3 0,8 7,1 Quelle: Feinstein et a. (1997), S. 10 Länder, die vom Kriegsgeschehen weniger berührt waren, bauten ihre Anteile am Welthandel aus, insbesondere Japan in asiatischen Märkten, die bisher britisch oder französisch dominiert waren Dieser Einbruch im Europäischen Handel verlief in zwei Wellen: unmittelbar während und nach dem Krieg und im Verlauf der Weltwirtschaftskrise (dazu später mehr) Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Folgen des Ersten Weltkriegs (3) Die Zwischenkriegszeit war auch von einer bis dahin unbekannten Arbeitslosigkeit gekennzeichnet (auch wenn Vergleiche auf Grund der Datenlage problematisch sind) Die Tabelle zeigt die durchschnittlichen Arbeitslosenquoten in F, D, GB (unter grober Berücksichtigung von Definitionsunterschieden), ab 1950 in F, D, GB und Italien 1921-29 1930-38 1950-59 1960-73 1974-81 1982-89 1990-93 8,3 15,8 4,2 2,5 5,2 8,8 9,2 Quelle: nach Eichengreen/ Hatton (1988), S. 9 Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Folgen des Ersten Weltkriegs (4) Zugleich nahm die Arbeitsproduktivität deutlich zu, schneller sogar als in der Zeit 1890-1913 Warum?  Es kam zu zahlreichen Innovation, bzw. zur Verbreitung und Umsetzung von Innovationen (etwa im Bereich der Arbeitsorganisation in der Automobilindustrie [„Taylorismus“, „Fordismus“]), in D etwa unterstützt durch Selbstorganisationen der Wirtschaft (RKW) Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate im Output pro Arbeitsstunde (für 12 europäische Staaten) 1890-1913 1,7 1913-29 2,2 1929-50 1,5 1950-73 4,6 1973-92 2,1 Quelle: Feinstein et al. (1997), S.12 Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Folgen des Ersten Weltkriegs (5) Die Zwischenkriegszeit war also durch „pathologische Entwicklungen“ gekennzeichnet (Desintegration, Arbeitslosigkeit, Stagnation), aber es gab gewaltiges ökonomisches Potential  Vermutung, dass die Probleme bei den politischen Rahmenbedingen lagen Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Strukturprobleme der Zwischenkriegszeit Es gab große „exogene“ Schocks Millionen Menschen starben durch Krieg und seine direkten Folgen (in R 1,7 Mio., in F 1,4 Mio., in D 1,8 Mio., in Ö-U 1,2 Mio. in GB 1 Mio.) Der Krieg führte zu massiver Reallokation von Ressourcen (weg von der Produktion von Konsum- und Investitionsgütern hin zu Kriegsmaterial dessen Zweck die eigene Zerstörung ist, also notwendig unproduktiv), nach dem Krieg mußte diese Reallokation rückgängig gemacht werden Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Strukturprobleme der Zwischenkriegszeit (2) Neue Rigiditäten erschwerten die Anpassung an diese Schocks neue politische Rolle der Arbeiterschaft (Gewerkschaften, Parteien) erschwerte Lohnanpassungen Kartelle, staatlich gestützte Monopole, und riesige Konzerne die zum Teil im Krieg entstanden waren behinderten Preiswettbewerb [ Stackelberg entwickelt in dieser Zeit seine Theorien] In Folge des Krieges und der „Pariser Vorortverträge“ [Versailles, St. Germain-en-Laye, Trianon, Sèvres, Neuilly] entstanden zahlreiche neue Barrieren für Handel, Kapital, Arbeit und Kommunikation: etwa 11000 km neue Zollgrenzen, neue Währungen, neue Gesetze und nationale Verwaltungen etc. http://www.ieg-maps.uni-mainz.de/maps5a.htm Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Strukturprobleme der Zwischenkriegszeit (3) Gestiegene Staatsverschuldung, gestiegene Staatsausgaben Die Staatsausgaben explodierten in allen kriegsführenden Staaten seit 1914: Verteidigungsausgaben (als % von BIP) in D von 14% (1914) über 41% (1915) bis 53% (1917), in GB von 9% (1914) auf 38% (1917) Die Finanzierung fand meist über Kreditaufnahme (Kriegsanleihen), zum Teil über die Notenpresse, selten über Steuererhöhungen statt (letzteres am ehesten in GB, am wenigsten im Deutschen Reich)  Geldmenge stieg schon während des Krieges überall Zu einem wesentlichen Teil waren die Gläubiger nach 1918 im Ausland (Kriegskredite von GB an F, von USA an GB und F; dazu kam das Reparationsproblem [nächste VL]) Schließlich mußte der Staat ganz neue Ausgaben finanzieren: Beseitigung direkter Kriegsfolgen, Arbeiterschaft fordert erhöhte Sozialleistungen des Staates ein Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Strukturprobleme der Zwischenkriegszeit (4) Probleme des internationalen Währungs- und Kreditsystems Nach Kriegsausbruch 1914 setzten fast alle europäischen Staaten die Konvertierbarkeit der Währungen in Gold aus  Goldstandard wurde „unterbrochen“ [Krieg als „contingency“] Durch Ausweitung der Geldmenge (bei Vernichtung realwirtschaftlicher Werte) konnten nach 1918 die Währungen selten zum Vorkriegskurs in Gold konvertiert werden  Abwertungswelle Zwischen verbündeten Staaten entstanden Zahlungssysteme und Kreditverflechtungen deren Verbindlichkeiten nach 1918 eingefordert wurden dazu kamen enorme Reparationsforderungen (zum Teil mit dem Ziel die eigenen Auslandsschulden zu begleichen) Der Goldstandard (GS) war weniger als vor 1914 zum internationalen Währungssystem geeignet, weil er kaum Spielraum für nationale Geldpolitik ließ, aber binnenwirtschaftliche Ziele immer wichtiger wurden  dennoch wurde versucht, den GS wiederherzustellen Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Hyperinflation (1) Die unmittelbare Nachkriegszeit war von Inflationstendenzen geprägt, die sich allerdings nur in einigen Fällen zu Hyperinflation entwickelten Die Tabelle zeigt die Entwicklung von Konsumentenpreisindices (1914 = 100) 1918 1920 1922 1924 1926 Österreich 1163 5115 263938 86 103 Deutschland 304 990 14602 128 141 Italien 289 467 481 618 Frankreich 213 371 315 395 560 GB 200 248 181 176 171 Quelle: Feinstein et al (1997), S. 39 Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Hyperinflation (2) Unmittelbar nach dem Krieg kam es zu einem kurzen Wirtschaftsboom mit starkem Preisanstieg Ab 1920 schwenkte die Weltwirtschaft in eine Rezession, der einige wenige Staaten entkamen, u.a. Deutschland Während der Rezession sanken die Preise im allgemeinen, in Deutschland und Österreich (und Ungarn, Polen und Russland) dagegen entwickelte sich aus der Inflation eine Hyperinflation In Deutschland etwa stiegen die Grosshandelspreise zwischen August 1922 und November 1923 um 335% pro Monat (Holtfrerich 1986, S. 17) Wo lagen die Ursachen dieser Entwicklung? Und welche Folgen hatte das? Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Hyperinflation (3) Es gab eine heftige zeitgenössische Debatte zu den Ursachen der Hyperinflation, mit im wesentlichen zwei Theorien unterlegt Zahlungsbilanztheorie Quantitätstheorie Zu 1: Zahlungsbilanztheorie es wurde argumentiert dass in D ein schon während des Krieges bestehendes Leistungsbilanzdefizit (konstanter Bedarf an Importen, wegbrechende Exportmärkte) durch die neuen Grenzziehungen usw. verschärft wurde Dazu kamen Reparationsleistungen (Warenlieferungen ins Ausland ohne gegenläufige Geldleistungen)  wachsender Bedarf an Fremdwährung  Steigender Wechselkurs (Reichsmark immer weniger wert gg. Dollar)  hohe Preise der Importgüter führen zu Inflation aller Güter Zusätzlich steigt das Haushaltsdefizit und der Anreiz die Notenpresse zu betätigen  Hyperinflation Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Hyperinflation (4) Zu 2: Quantitätstheorie Dagegen argumentierten die Quantitätstheoretiker, dass die Ursache nicht im Ausland, sondern im Deutschen Reich selbst lag Das Haushaltsdefizit des Staates nach dem Krieg (u.a. durch Reparationsforderungen verschärft) schuf Anreize zum Geld drucken Die Zinsen waren historisch auf einem Tiefstand (moderne Ergänzung: die Erwartungen über den zukünftigen Wert des Geldes trieben die Umlaufgeschwindigkeit in die Höhe)  dadurch entstand Inflation, die v.a. über die ständige Erwartung weiterer Inflation in Hyperinflation umschlug Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Hyperinflation (5) Beide Theorien helfen, die Hyperinflation gerade in Deutschland zu verstehen Nach der Quantitätstheorie (I. Fischer) gilt: M V = P Y (mit M: Geldmenge, V: Umlaufgeschwindigkeit, P: Preisniveau, Y Reales Volkseinkommen)  das Preisniveau muss steigen, wenn die Geldmenge und/ oder die Umlaufgeschwindigkeit steigen und/ oder das reale VEK sinkt Im wesentlichen war ein Anstieg von M und V verantwortlich, ergänzt um negative Schocks bei Y (Holtfrerich 1986) Warum ausgerechnet in D?  Das deutsche Reich hatte eine problematische Finanzstruktur (als Erbe des Kaiserreichs): das Reich verfügte über wenige Steuereinnahmen, im Verhältnis zu starken Ländern; aber es konnte die Notenpresse betätigen Aus dem selben Grund wurde auch schon ein Grossteil des Krieges über Anleihen und Inflation, nicht aber über Steuern finanziert  das Problem hatte die Weimarer Republik geerbt Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Hyperinflation (6) Die Umlaufgeschwindigkeit stieg exponentiell mit steigendem Preisniveau, da die Leute stark verunsichert waren: man erwartetet nur noch schlimmeres (sieh dazu Haffner: „Geschichte eines Deutschen“ 2000) Die bis 1923/ 24 ungeklärte Höhe der Reparationen befeuerte weitere Sorge vor Inflation  was waren die Folgen? Vielschichtig, hier nur Umverteilung von Einkommen  Gläubiger verlieren, Schuldner gewinnen Alte These: die Hyperinflation hat am stärksten den deutschen Mittelstand getroffen; ist das so zu halten? Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Hyperinflation (7) Die zwei niedrigsten Vermögensklassen verdoppelten ihren Anteil am Gesamtvermögen zwischen 1913 und Dez. 1923 Die mittleren Klassen steigerten ihren Anteil ebenfalls Die oberen Vermögensklassen (über 0,5 Mio. RM 1913) verloren dramatisch  die Verlierer der Hyperinflation waren nicht Arbeiter oder Unternehmer, sondern va Besitzer von Großvermögen, die Gläubigerpositionen innehatten (Holtfrerich 1986, S. 275 ff.) Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Wiederherstellung des GS und Rückkehr zur Normalität (?) Ab 1924 kam es zu einer Stabilisierung der Lage Währungsreform, Dawes Plan zur Ableistung der Reparationen, Neuordnung des Internationalen Währungssystems  wie hing das alles zusammen? Welche Rolle spielten die Reparationen? Wurden sie überhaupt geleistet? Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006