Ingeborg Bachmann ( ): Das Buch Franza (1965/66; 1978; 1995)

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 Präsentation transkript:

Ingeborg Bachmann (1926-1973): Das Buch Franza (1965/66; 1978; 1995)

Dieses Buch will erzählen von den Verbrechen, die heute begangen werden. Vom Virus Verbrechen, der nach zwanzig Jahren nicht weniger wirksam ist als zu der Zeit, in der Mord an der Tagesordnung war, befohlen und erlaubt. Vorrede zu Lesungen (1966)

„Todesarten“: erstmals erwähnt 1963 Malina (1971) Simultan (1972) 1973 † Ingeborg Bachmann 1978 Werkausgabe: postum: Der Fall Franza Requiem für Fanny Goldmann 1995 „Todesarten“-Projekt: Das Buch Franza

Heimkehr nach Galicien Galizien: Kronland der Monarchie Galicia: nordspanische Region Gallizien: Dorf im Kärntner Drautal

Jordanische Zeit Jordanien Fluß Jordan Name des Ehemanns [Film: Mordprozeß Dr. Jordan, 1949]

Die ägyptische Finsternis Da sprach der Herr zu Mose: Streck deine Hand zum Himmel aus; dann wird eine Finsternis über Ägypten kommen und es wird stockdunkel werden. Mose streckte seine Hand zum Himmel aus und schon breitete sich tiefe Finsternis über ganz Ägypten aus, drei Tage lang. Man konnte einander nicht sehen und sich nicht von der Stelle rühren, drei Tage lang. Wo aber die Israeliten wohnten, blieb es hell. Exodus, 10,21-23

Wenn ein Zug durch den Semmeringtunnel fährt, wenn die Rede davon ist, daß er nach Wien fährt [...] und Wien hier also nicht Wien sein kann, weil hier nur Worte sind [...] Wer also wird etwas sagen und was sich zusammensetzen lassen aus Worten – alles, was es beinahe gibt, und vieles, was es nicht gibt. Das Papier aber will durch den Tunnel, und eh es einfährt (aber da ist es schon eingefahren!), eh es, da ist es noch unbedeckt mit Worten, und wenn es herauskommt, ist es bedeckt und beziffert und eingeteilt, die Worte formieren sich, und mitgebracht aus der Finsternis der Durchfahrt (bei nur blauer Lampe) rollen die Einbildungen und Nachbildungen, die Wahnbildungen und Wahrbildungen ans Licht, rollen heraus aus einem Kopf, kommen über einen Mund, der von ihnen spricht und behauptet und es verläßlich tut wegen des Tunnels im Kopf, aber auch dieser Tunnel ist ja nicht da, ein Bild nur, von Zeit zu Zeit unter einer bestimmten Schädeldecke, die aufzuklappen auch wenig Sinn hätte, denn da wäre noch einmal nichts, keiner der beiden Tunnel.

1964 Bachmanns Ägyptenreise (Staatsbesuch des irakischen und des jemenitischen Präsidenten anlässlich des Abschlusses der ersten Bauphase des Assuan-Staudamms; Nassersee; Wadi Halfa)

[...] wenn man das eine Mitteilung nennen konnte und er der Champollion sein sollte, der erstmals Helle in eine Schrift brachte, mit der er sich lieber beschäftigen wollte. Vor dem Tunnel, eh er die Königs-kartuschen einerseits („Kleines Wörterbuch der Ägyptologie“) und ein Telegramm der österreichischen Bundespost andererseits zu studieren aufhören mußte, hatte er die Gewißheit.

Jean-François Champollion (1790-1832)

Stein von Rosette; Entzifferung 1822

Unter den geschlossenen Lidern lief ein Zeichenband, mit schwarzweißen Ornamenten bedeckt, es lief und lief, und die Hieroglyphen walzten über ihre Augen, unter ihren Augen-deckeln. Die Augen wieder offen, blitzschnell geöffnet trotz des Drucks, damit diese unentzifferbare Schrift ins Stocken kam. Versiche-rung, daß alles noch da war, wieder das Zimmer. Ein schaler warmer Geruch vom Nil. Ein Ende mit der Schrift. Ein andrer Anfang.

Königin Hatschepsut (15. Jhdt. v. Chr.)

Durch Thutmosis III. getilgte Insignien im Tempel der Hatschepsut

Sigmund Freud / Josef Breuer: Studien über Hysterie (1895) „Fälle“: Anna O., Emmy v. N., Lucy R., ...

Ich – sie kam wieder nicht weiter, und sie weinte nicht nur, es war noch etwas anderes, das von dem Weinen nur die Tränen hatte, sie zitterte und ihr Körper tat etwas mit ihr, was er nicht niederhalten konnte mit den Armen, in einer Konvulsion, in immer stärkeren Zuckungen, sie schlotterte und wollte ihn wegstoßen und krampfte sich dann wieder an ihn [ ... ], und als sie zusammenknickte, als hätte sie weder Muskeln noch Knochen, und als er jetzt ihren Kopf in einer Hand liegen hatte, wenn sie also nicht tot war, nein, das war sie nicht, todkrank [ ... ]

Luce Irigaray (* 1932): frz. Psychoanalytikerin; Freud-Kritik, Kritik des „Phallogozentrismus“

[...] wie war der Satz gegangen, den Franza ihm immer gesagt hatte, die Jordans waren nicht zu besiegen, die Liebe aber ist – der Satz hatte ganz anders geheißen, es war ihr Kult-Satz gewesen: unter hundert Brüdern.

Robert Musil (1880-1942) „Der Mann ohne Eigenschaften“ (1930/33/43): Ulrich und Agathe – der „andere Zustand“

Isis und Osiris (1923) Auf den Blättern der Sterne lag der Knabe Mond in silberner Ruh, Und des Sonnenrades Nabe Drehte sich und sah ihm zu. Von der Küste blies der rote Wind, Und die Küsten leer von Segeln sind. Und die Schwester löste von dem Schläfer Leise das Geschlecht und aß es auf. Und sie gab ihr weiches Herz, das rote, Ihm dafür und legte es ihm auf. Und die Wunde wuchs im Traum zurecht, Und sie aß das liebliche Geschlecht. Sieh, da donnerte die Sonne, Als der Schläfer aus dem Schlafe schrak, Sterne schwankten, so wie Boote Bäumen, die an Ketten sind, Wenn der große Sturm beginnt. Sieh, da stürmten seine Brüder Hinter holdem Räuber drein, Und er warf den Bogen über, Und der blaue Raum brach ein, Wald brach unter ihrem Tritt, Und die Sterne liefen ängstlich mit. Doch die Zarte mit den Vogelschultern Holte keiner ein, so weit er lief. Nur der Knabe, den sie in den Nächten rief, Findet sie, wenn Mond und Sonne wechseln, Aller hundert Brüder dieser eine, Und er ißt ihr Herz, und sie das seine. Isis und Osiris (1923)

[...] er ist gekommen aus Wien, in dem Trostmantel, um mich heimzuholen, nein, in dem schrecklichen Mantel, den er abwirft, aber er ist es nicht. Mein Vater. Ich habe meinen Vater gesehen. Er wirft seinen Mantel ab, seine vielen Mäntel ab. [...] Aber es ist nicht er. Er ist nicht mein Vater. Wer ist er denn? [...] Aber schwarz und finster und jetzt über den Strand kriechend, sich wälzend, kam es. Gott kommt auf mich zu [...]

Ich bin ein einziger Spätschaden, keine Erinnerungsplatte, die ich auflege, die nicht mit einem schrecklichen Nadel-gekratze losginge, kein Sommertag, auf den nicht ein Giftsprühregen niederginge, keine Nacht, von der ich nicht zwanghaft denke, er hat sich seine Notiz gemacht, keine Vergeßlichkeit, die nicht in Fehlleistung und Bedeutungswahn begraben worden wäre.

Holothuria atra – schwarze Seegurke/-walze

[. ] sie lachte und lachte und lachte – [ [...] sie lachte und lachte und lachte – [...] ihr Lachen, die Einfallsstelle für die Dekomposition [...]

Michail Bachtin (1895-1975): „Karnevalisierung“ (Literatur und Karneval, dt. 1969)

Julia Kristeva (* 1941): Wenn der Mann sich also der symbolischen Ordnung des Vaters entzieht [...], dann könnte er lachen. Das Mädchen hingegen wird beschenkt von der symbolischen Ordnung, wenn es sich mit dem Vater identifiziert. Nur so findet sie Anerkennung [.. ]. Hier bringt nun aber der Zustrom von mütterlichen, unsinnigen Rhythmen, die dem Satz im Bereich des Sprechens vorangehen, keine Erleichterung und löst kein Lachen aus, sondern zerstört vielmehr ihren symbolischen Panzer, wodurch sie ekstatisch, nostalgisch oder wahnsinnig wird. [ ... ] Eine Frau hat nichts zu lachen, wenn die symbolische Ordnung zusammenbricht.