Blockintegration I: der Westen

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Blockintegration I: der Westen Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Der Welthandel 1945 Das multilaterale Welthandelssystem war bereits vor dem Krieg in Blöcke (um Frankreich, um Großbritannien, um die USA, um Deutschland) zerbrochen, zudem existierte ein Netz bilateraler Handelsabkommen Das Deutsche Reich hatte allerdings seit 1940 sein bilaterales Clearingsystem durch ein multilaterales Clearingsystem zu ersetzen begonnen (mit der deutschen Verrechnungskasse Berlin als zentraler Clearingstelle) das Ziel war dabei Plünderung, wenn auch in geordneter Form: zwischen 1940 und 1944 akkumulierte Deutschland gg Frankreich 8532 Mio RM Clearingschulden, gg den Beneluxstaaten 10966 Mio RM, gg Polen 4713 Mio RM Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Der Welthandel 1945 Bereits während des Krieges wurde am Aufbau einer neuen Welthandelshandelsordnung gearbeitet, Ende Juni 1944 wurde von 44 Staaten mit dem Abkommen von Bretton Woods ein Weltwährungssystem in Anlehnung an den Goldstandard geschaffen; Ziel waren feste Wechselkurse und ein liberales multilaterales Welthandelssystems Die USA waren aus dem Krieg als dominierende Macht hervorgegangen, sie hatten entscheidenden Einfluß auf alle weiteren Entwicklungen, nicht nur im militärischen Bereich, denn nach dem Krieg hatten die Europäer bei den USA wieder enorme Kriegsschulden den Europäern fehlten Devisen und konkurrenzfähige Exportprodukte um notwendige Importe (va Investitionsgüter) aus den USA zu finanzieren; Deutschland war als bisheriger Hauptzulieferer von Investitionsgütern zunächst ausgefallen Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Die Entstehung des GATT Die USA schlugen 1947 die Schaffung einer Internationalen Handelsorganisation (ITO) auf dem Prinzip liberaler multilateraler Abkommen vor, va. die Europäer fühlten sich aber noch nicht in der Lage ihren Handel vollkommen zu liberalisieren Dennoch wurden auf der int. Konferenz in Genf 1947 erste Handelsliberalisierungen vorgenommen, oft auf Grundlage der Meistbegünstigung und daher mit weltweiten Folgen Einige Prinzipien – va. die Meistbegünstigung - wurden im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) festgehalten und in einem Protocol of Provisional Application bis zur Ausarbeitung einer Welthandelscharta von 23 Ländern vereinbart Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Die Entstehung des GATT Das GATT verselbständigte sich, ohne daß es (zunächst) zur Gründung einer Internationalen Handelsorganisation oder zur Ratifizierung einer Welthandelscharta kam (WTO 1994 gegr.) GATT Büro in Genf Prinzip der Meistbegünstigung Ausnahmereglungen für Freihandelszonen und bei Zahlungsbilanzproblemen Bis 1962 5 GATT Konferenzen, immer mehr Mitglieder Ab 1963-67 (Kennedy-Runde) wurde statt über Einzelprodukte, über alle Tarife zusammen gesprochen, seit Tokio (73-80) über nichttarifäre Handelshemmnisse (NTBs) Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Kalter Krieg und “Marshallplan” Stalin forderte auf der Potsdamer Konferenz 1945 die gemeinsame Kontrolle der Alliierten über Deutschland, sowie weitgehende industrielle Demontagen in Deutschland Dahinter stand der Versuch, das Machtvakuum in Zentraleuropa nach der Deutschen Kapitulation durch die Sowjetunion aufzufüllen Nach der Kapitulation Japans war die Lage in Ostasien ähnlich 1947 kam es zum offenen Konflikt zwischen den Herrschafts-Ansprüchen der USA und der Sowjetunion: am 12. März 1947 verkündete Präsident Truman dem Kongreß die neue Strategie der amerikanischen „Eindämmungspolitik“ gg. der UdSSR (containment) Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Kalter Krieg und “Marshallplan” Zugleich erzwang die wirtschaftliche Entwicklung eine neue Strategie des Wiederaufbaus: Europa hatte einen enormen Bedarf an Rohstoffen (va. Kohle) und Investitionsgütern Dieser konnte nach 1945 nur über Importe aus den USA gedeckt werden, allerdings hatten die Europäer mangels starker Exportprodukte und Devisen ein Zahlungsproblem (Dollar-Gap) Verschärft wurde die Lage durch die europäische Missernte 1947 die zu Nahrungsmittelimporten aus den USA führte und ersten Anzeichen für Kapazitätsengpässe der USA  die USA hatten ein doppeltes Interesse daran, die deutsche Industrie schnell wiederaufzubauen Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Kalter Krieg und “Marshallplan” George Kennan und andere entwickelten eine Doppelstrategie Durch rasche Hilfe in ausgewählten strategischen Bereichen Vertrauen der Europäer (va. Der Deutschen) in die USA stärken und so Eindämmung der UdSSR betreiben Die europäische Arbeitsteilung wiederherstellen, um selbst tragendes Wachstum in Europa zu erzeugen und so die wirtschaftlichen Verpflichtungen der USA zu minimieren Für beide Aspekte spielte Deutschland eine zentrale Rolle Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Kalter Krieg und “Marshallplan” Ad 1: Marshallplan als vertrauensfördernde Maßnahme Am 5. Juni 1947 verkündet der US Außenminister G. Marshall an der Harvard Universitäten einen Plan zum Wiederaufbau Europas: die Prinzipien des multilateralen Welthandels sollten für ca. 4 Jahre außer Kraft gesetzt werden, um in Europa Die Infrastruktur rasch wieder aufzubauen Die Produktivität, va in der Energieversorgung zu steigern Die LW und Industrie zu rationalisieren Grundlagen für monetäre und finanzielle Stabilität zu schaffen Die damit verbundenen europäischen Zahlungsbilanzdefizite sollten durch langfristige Kredite der USA und der Weltbank und durch Schenkungen ausgeglichen werden Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Kalter Krieg und “Marshallplan” Der Marshallplan richtete sich an alle europäischen Staaten und war sichtbar ein Instrument der „containment strategy“ die UdSSR lehnte ihn ab und zwang Staaten in ihrem Einflussbereich auch abzulehnen: am 5. Oktober 1947 wurde in Belgrad das Kominform gegründet der Wiederaufbau Osteuropas sollte nach dem Molotow-Plan vonstatten gehen Gerade in Deutschland musste die Ankündigung der USA zu umfangreichen Schenkungen Vertrauen erzeugen: nach NS-Ideologie und NS-Propaganda hätte die Niederlage Ausbeutung und Hunger nach sich ziehen müssen Letzte Zweifel daran wurden für die deutsche Öffentlichkeit in der amerikanischen und britischen Luftbrücke während der Berlin-Blockade 1948/49 beseitigt: in 278228 Flügen wurde die Stadt mit 2,3 Mio. Tonnen Nahrungsmittel, Rohstoffe und anderem, das Bild des „Rosinenbombers“ begann das Bild von echten Bombern abzulösen Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Kalter Krieg und “Marshallplan” 16 europäische Länder nahmen den Plan an und unterzeichneten am 16. April 1947 die Konvention von Paris zur Gründung der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC), die konkrete Maßnahmen für die betreffenden Länder entwarf An Deutschland wurden 1948-52 insgesamt 1,7 Mrd. US$ vergeben, ein Großteil davon als Schenkung an die Länder, die aus rückfliessenden Mitteln das ERP-Sondervemögen (später KfW) bildeten; daneben spielten va. Nahrungsmittelprogramme (GARIOA, etc) eine Rolle Sowohl im Vergleich zu anderen Hilfsleistungen als auch bezogen auf den gesamten Außenhandel wird klar, dass der Marshallplan nur eine begrenzte Anschubhilfe war, relevant va. 1948 und 1949 Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Kalter Krieg und “Marshallplan” Hilfsprogramme für die westdeutsche Wirtschaft 1946-52 1945/46 1947 1948 1949 1950 1951 1952 Total US: GARIOA 75 237 788 503 177,8 11,9 0,4 1793 US: ERP - 142 420 302,6 415,8 114,1 1678 GB-Hilfe 264 363 90 32 1 750 Gesamt 537 600 1020 955 481 428 114 4135 Importe in die Westsektoren/ BRD 785 867 2237 2703 3503 3854 Quelle: Berger und Ritschl (1994) Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Kalter Krieg und “Marshallplan” Weniger die Höhe der Transfers als die Fokussierung auf “bottlenecks” und die Signalwirkung waren entscheidend: Buchheim/ Borchardt (1991) zeigen am Beispiel der Textilindustrie, dass 1948 nur ERP-Lieferungen von Baumwolle den Rohstoffmangel beheben konnten Zudem trugen in den Jahren 1949-51 die Rückflüsse aus den ERP-Mitteln in das ERP-Sondervermögen wesentlich zum Aufbau der Infrastruktur und des gesamten Kapitalstocks bei: 1949 21,8 %, 1950: 14,5%, 1951: 7% (Baumgart 1961) Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Kalter Krieg und “Marshallplan” [ War der Marshallplan also der Auslöser des “deutschen Wirtschaftswunders”? Wir kommen darauf zurück] Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Kalter Krieg und “Marshallplan” Ad 2: der zweite Aspekt des Marshallplans war die Schaffung selbsttragender Strukturen in Europa, die es erlauben würden das US-Engagement zu begrenzen Deutschland kam dabei eine doppelte Rolle zu: nur Deutschland konnte die USA als Lieferant von hochwertiger Steinkohle und von Investitionsgütern an die europäischen Nachbarn ersetzen Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Kalter Krieg und “Marshallplan” Va. gegen Widerstand Frankreichs setzten die USA den Wiederaufbau der deutschen Industrie und des Kohlebergbaus in privatwirtschaftlichen Strukturen durch Als Zugeständnis an Frankreich wurde auf der Konferenz von London Anfang 1948 eine internationale Ruhrbehörde gegründet, allerdings mit Vertretern Westdeutschlands Die Briten und Amerikaner begannen zugleich die Verwaltungsstrukturen ihrer Besatzungszonen zu vereinigen und schufen vollendete Tatsachen: im Bizonal Law No. 75 wurde die Reprivatisierung der Ruhrindustrie angekündigt, Frankreich musste akzeptieren Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Kalter Krieg und “Marshallplan” Ein weiterer Schritt zum Wiederaufbau Europas mit prominenter Rolle für Westdeutschland war die Gründung der Europäischen Zahlungsunion (EPU) am 19. September 1950 Auf Druck der USA wurde ein Verrechnungsverfahren eingerichtet, das von allen Reparationsforderungen gg. Deutschland unbeeinträchtigt war (letztere wurden auf getrennte Verhandlungen delegiert) Jeden Monat übernahm die EPU alle bilateralen Guthaben und Defizite Die Summe dieser Positionen wurde bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in einer Verrechnungswährung (1:1 zum US$) angeschrieben Am Ende jeden Monats musste in Dollar oder Gold abgerechnet werden [Volle Konvertibilität der Währungen wurde nicht vor 1958 erreicht] Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Kalter Krieg und “Marshallplan” die Teilnahme Westdeutschlands schuf dabei Anreize für andere Staaten ebenfalls teilzunehmen, um Zugang zu deutschen Exporten zu haben Das löste zugleich ein Kooperationsproblem, da die deutsche Überschuldung aus dem Krieg für jeden einzelnen Handelspartner ein Risiko im Falle eines Außenhandelsüberschusses darstellte: keiner hätte ohne die EPU Deutschland Handelskredit gewähren wollen, aber jeder wollte mit Deutschland handeln Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Die (West-)Europäische Integration Vor diesem Hintergrund begann in Frankreich allmählich ein Politikwechsel: man wollte die Initiative zurückgewinnen  Außenminister Robert Schuman schlug am 9. Mai 1950 die Gründung eines europäischen Marktes für Steinkohle und Stahl vor Neben Anfängen im Krieg (etwa die Gründung der Zollunion „Benelux“ zwischen Belgien, Niederlande und Luxemburg, die 1944 im Londoner Exil beschlossen wurde, oder der 1948 gegründeten Zollunion zwischen Frankreich und Italien „Francital“) war dies der entscheidende Schritt zur europäischen Integration Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Die (West-)Europäische Integration 1951 wurde in Paris (mit Wirkung zum 25. Juli 1952) die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl begründet, Mitglieder waren Frankreich, die Benelux-Staaten, Italien, und die Bundesrepublik Deutschland (Montanunion) eine Hohe Behörde sollte die Produktion fördern und die Produkte ohne Diskriminierung allen Mitgliedsstaaten zu einem festen Preis zur Verfügung stellen Ein Aspekt der Arbeit bestand in der Subventionierung der Steinkohleförderung auf Grundlage des Tinbergen-Berichts von 1953, der einen massiv wachsenden Bedarf prognostiziert hatte (Annahmen: Kernkraft unfinanzierbar, Transporte von Erdgas und Erdöl zu hoch  die Entwicklungen der 50er und 60er Jahre machten diese Annahmen zunichte. Riesige Erdöl und Erdgasvorkommen wurden entdeckt, die Suez-Krise 1956 führte zum Bau von Supertankern, die Transportkosten reduzierten; der Anteil der Steinkohle an der Energieversorgung der Montanunion file von 74% (1950) auf 31,3% (1967) Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Die (West-)Europäische Integration Der ökonomische Erfolg der Montanunion war also eher durchwachsen, politisch war sie sehr erfolgreich: Am 27. Mai 1952 unterzeichneten die Mitglieder den Vertrag der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (Plan Pleven) mit weitergehenden Schritten zu einer politischen Union, was aber das frz. Parlament 1954 ablehnte Als Ersatz wurde seit 1955 an einem intensiveren wirtschaftlichen Zusammenschluss über die Kooperation im Rahmen der OEEC hinaus gearbeitet (Plan Beyen): der Spaak-Bericht schlug 1956 die Schaffung eines gemeinsamen Marktes in drei Etappen vor: Zollunion, Harmonisierung von Infrastruktur- und Agrarpolitik sowie Abbau von NTBs, und Freizügigkeit von Arbeit, Kapital und Dienstleistungen Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Die (West-)Europäische Integration Großbritannien wurde zur Mitarbeit eingeladen, zog sich aber November 1955 zurück: sowohl eine gemeinsame Agrarpolitik als auch Integration über eine Zollunion hinaus wurde abgelehnt Am 25. März 1957 wurden die Römischen Verträge unterzeichnet welche die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (und die Europäische Atomgemeinschaft) begründeten Am 4. Januar 1960 wurde unter britischer Führung die Europäische Freihandelszone EFTA zwischen GB, Norwegen, Schweden, Dänemark, Österreich, der Schweiz und Portugal vereinbart, sie trat 1965 in Kraft Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Quantitative Entwicklung des Europäischen Handels Welche Folgen hatten diese unterschiedlichen Integrationsschritte für den Europäischen Handel? Zwei Arten von Evidenz: Welchen Anteil hatte Intra-Block Handel am gesamten Handel? Wie wurde der bilaterale Handel zwischen Ländern im Durchschnitt beeinflusst? Hat sich das im Zeitablauf geändert? Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Quantitative Entwicklung des Europäischen Handels Handel innerhalb der Blöcke und über Blöcke hinweg 1956-58 1962-64 1968-70 EC6 mit EEC6 44,1 53,4 60,8 EEC6 mit EFTA 29,7 25,6 19,0 EC6 mit anderen Industriestaaten 26,2 21,3 19,4 EFTA mit EEC6 27,1 29,1 32,3 EFTA mit EFTA 36,4 40,2 38,0 EFTA mit anderen Industriestaaten 36,5 30,7 Bayoumi/ Eichengreen (1995) Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Quantitative Entwicklung des Europäischen Handels Offenbar förderten die Römischen Verträge den Intra-Block Hnadel innerhalb des “Europa der Sechs”, die EFTA hatten weniger direkte Folgen Zugleich scheint im Fall der EEC6 der Handel mit Drittländern darunter gelitten zu haben Welchen Einfluss hatten Schwankungen in Angebot und Nachfragestruktur der einzelnen Länder und Veränderungen der Wechselkurse? Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Quantitative Entwicklung des Europäischen Handels Man kann auch schätzen, wlechen Effekt Mitgliedschaft in einem Blockauf den bilateralen Handel hat Gravity-Modell: ln(Tradeijt) = c0 + c1*ln(Yit) + c2*ln(Yjt) + c3*ln(distij) +…+ +c4*EC6ijt +c5*EFTAijt +c6*WK mit US$ + Fehlerijt Daten: bilateraler Handel zwischen 21 Industriestaaten 1953-1992 Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Quantitative Entwicklung des Europäischen Handels Trade Creation and Trade Diversion 1956-58 1959-61 1962-64 1965-67 1968-70 1971-73 EEC with EEC 0,02 0,11* 0,15** 0,13** 0,04 EFTA with EFTA 0,01 0,16** 0,21** EEC with EFTA -0,09 -0,1 -0,02 -0,05 EEC with other -0,03 -0,11* -0,08 -0,06 EFTA with other -0,00 0,08* Bayoumi/ Eichengreen (1995) Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Quantitative Entwicklung des Europäischen Handels Man sieht einen deutlichen Effekt der Römischen Verträge und des EFTA Abkommens Beides verschwindet in den 1970ern: Beitritt GB, Dänemarks zur EEC, Austritt aus der EFTA Handel zwischen EEC und EFTA 1956-73 leicht unterdurchschnittlich Handel zwischen EEC und Rest leicht unterdurchschnittlich, direkt nach 1958 signifikant: trade diversion Handel zwischen EFTA und Rest nur vor 1965 leicht unterdurchschnittlich, seit 1965 nicht Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Quantitative Entwicklung des Europäischen Handels Offenbar hatten die Schaffung von Freihandelszonen innerhalb Europas positive Effekte auf den Handel der Mitgliedsstaaten, ohne zugleich negative Effekte auf den Hndel mit Nicht-Mitgliedern zu haben Wirklich? Bessere Methoden… These einer Annäherung an alte Strukturen: Die geographische Struktur des Außenhandel Deutschlands war 1928 schon einmal recht ähnlich zur Struktur 1960 Man kann die Bildung der EEC von 1957 aus Daten von 1928 vorhersagen Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Ritschl und Wolf (2005) Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Quantitative Entwicklung des Europäischen Handels Die Struktur des Internationalen Handels 1928 hilft, die institutionelle Integration in Europa nach 1945 zu erklären 75% der Varianz im Bereich EEC6-Mitgleid oder nicht kann man so erklären Insbesondere Länder, die mit 1928 GB gut integriert waren sind mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht im Euroraum… Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Zusammenfassung Die Westintegration Europas war zunächst Ergebnis massiven US-amerikainischen Einflusses sowohl politisch (containment) als auch ökonomisch (selbsttragende Strukturen) hatten die USA Interesse an einem starken Westeuropa Der Schlüssel war dabei die Integration Westdeutschlands, da hier der grösste politische Widerstand (Frankreich) aber auch das zentrale ökonomische Potential (Kohle, Investitionsgüter) lagen Schritte auf diesem Weg waren der Marshallplan und die Europäische Zahlungsunion Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006

Zusammenfassung Die eigentliche europäische Integration seit der Montanunion lässt sich (auch) als französischer Versuch interpretieren, die Initiative zurück zu gewinnen Die Montanunion war zwar zunächst kein wirtschaftlicher Erfolg (und hatte auch problematische Langzeitfolgen), die Römischen Verträge als ihre Konsequenz waren allerdings schon. Dagegen spielte die EFTA eine untergeordnete Rolle, seit dem Austritt Großbritanniens umso mehr Waren also politische Entscheidungen ursächlich für Westeuropas Wiederaufstieg? Ein Vergleich mit den 1920ern legt nahe, dass der Erfolg nur möglich war, weil es gelang die alte europäische Arbeitsteilung auf Grundlage komparativer Vorteile wiederherzustellen Prof. Dr. Nikolaus Wolf FU Berlin, Sommer 2006