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 Präsentation transkript:

7 ALLTAGSGEDÄCHTNIS Eysenck & Keane, Ch 8 Autobiographisches Gedächtnis Augenzeugenberichte Dauerhafte Gedächtnisinhalte (Memorable memories) Prospektives Gedächtnis Literatur: G. Cohen: Memory in the real world. 2nd ed. Hove (UK): Psychology Press, 1996

7.1 Autobiographisches Gedächtnis Gedächtnis für selbst erlebte Ereignisse (auch Ziele, Pläne, Emotionen, gesehene Filme, etc.) mehrere Gedächtnistypen involviert, nicht eindeutig einer Gedächtniskategorie zuordenbar z.B. bestimmte Urlaubserinnerung: episodisch, aber auch deklarativ (es war mein 1. Urlaub in XY, ich hatte einen blauen Golf, etc.) Charakteristische Eigenschaft nach Brewer (1986): starker Bezug zum eigenen Selbst-System Erinnerung an persönliche Geschichte notwendig für Selbst-Identität

Conway (1996) Autobiographisches Gedächtnis: nicht exakte Aufzeichnungen sondern persönliche Interpretation von Ereignissen, (dabei relevant: Ziele, Pläne, Voreingenommenheiten, Bewertungen, etc.) Inhalte des Autobiographischen Gedächtnis weniger abstrakt als andere Gedächtnisinhalte (z.T. erstaunliche Details, insbesondere sensorische-perzeptuelle)

Struktur des Autobiographischen Gedächnisses Conway (1996): drei Ebenen Lebensperioden Generelle Ereignisse Ereignis-spezifisches Wissen

1. Lebensperioden längere Zeitperioden – typischerweise Jahre definiert durch wichtige fortdauernde Situationen z.B.: Zusammenleben mit XY Berufstätigkeit in Firma K.,... auch Ziele, Pläne, Themen , Emotionen der Lebensperiode repräsentiert ermöglicht Zugang zu weiteren gespeicherten Inhalten, die mit Lebensperiode verknüpft Lebensperioden überlappend Lebensperioden sind besonders effektive cues für das autobiographische Gedächtnis

2. Generelle Ereignisse spezifischer als Ebene 1, besteht aus Aufzeichnungen von wiederholten und längeren Ereignissen (Z.B. Urlaub in X) typische Zeitabschnitte: Tage bis Monate können Zugang zu sehr detaillierten sensorisch-perzeptuellem ereignisspezifischen Wissen ermöglichen Generelle Ereignisse können selbst wieder auf andere generelle Ereignisse bezogen sein (mit diesen assoziiert), zu kleineren thematischen Gruppen zusammengefasst werden

3. Ereignis-spezifisches Wissen chronologisch geordnete Details (auch z.B.: Bilder, Empfindungen, Gerüche, Gedanken, etc.) oft ausschliesslich ereignisspezifisches Wissen typische Zeitabschnitte: Sekunden bis Stunden

Erinnerungen über die Lebensspanne Frühkindliche Amnesie: Erwachsene können kaum Ereignisse erinnern, die vor dem Alter 3.5 bis 4 erlebt wurden Erklärungen kontrovers, Lit. z.B.: Cowan, N. (ed.) (1997): The development of memory in childhood. Hove (UK): Psychology Press

Beispiele für Erklärungen für frühkindliche Amnesie Hirnstrukturen, die noch nicht entwickelt sind Fehlen einer narrativen Struktur (Nelson, 1993) Autobiographisches Gedächtnis erst dann, wenn Kinder komplette Sätze sprechen können und ihre Erfahrungen in verbaler Form erzählen können. narrative Form enthält: wer, was, wo, wann, warum, wie Howe & Courage (1997): Kognitives Selbst entwickelt sich am Ende des 2. Lebensjahres. Dieses bildet Rahmen, in den Erlebnisse eingeordnet werden. Problem: Ursache schwer zu isolieren, weil verschiedene mögliche Ursachen (z.B. Sprachentwicklung, Selbst- Entwicklung) konfundiert

Generell: übliche Vergessenskurve: je weiter zurück, desto weniger erinnert Erinnerungen alter Personen: besonders viele Erinnerungen aus Jahren ca. zwischen 15 und 25. (Untersuchungen mit unterschiedlicher Anzahl von gegebenen cues kommen zum gleichen Ergebnis kein statistisches Artefakt (bei Durchschnittsbildung), Effekt zeigt sich in individuellen Daten

Mittlere Zahl von Erinnerungen aus der entsprechenden Dekade 1-10 11-20 21-30 31-40 41-50 51-60 61-70

Wie zuverlässig ist das Autobiographische Gedächtnis? zwei Problembereiche: vergessen falsch erinnern falsch erinnern, z.B. wegen Interferenzen Fehler vor und beim Einspeichern (Person X wurde fälschlicherweise als Frau Y identifiziert) aufgrund von Schlussprozessen beim Ergänzen z.B. Skripts subj.Korrelationen (intelligent, daher ehrlich) ich habe diese Alternative gewählt, daher muss sie diese gute Eigenschaft haben

Methoden der Untersuchung nur selten verfügbar: objektive Information über tatsächliches Geschehen Tagebuchstudien erlauben, später die Richtigkeit der Erinnerungen mit den früheren Tagebucheinträgen zu vergleichen Wagenaar (1986) (Einzelfallstudie) 2400 Eintragungen über 6 Jahre notierte pro Tag 1 oder 2 Ereignisse (was, wo, wann, wer beteiligt) Gedächtnistest in Periode von 12 Monaten (Anzahl der Cues pro Ereignis variiert)

freie Reproduktion von autobiogr. Vorfällen als Funktion der Zeit kritische Details 3 cues 1 cue Prozent Jahre freie Reproduktion von autobiogr. Vorfällen als Funktion der Zeit ( nach Wagenaar, 1986)

KONKLUSION aus verschiedenen Untersuchungen (z. B KONKLUSION aus verschiedenen Untersuchungen (z.B. Barclay, 1988; Neisser, 1988; Baddeley, 1998): Viele autobiographischen Erinnerungen im Wesentlichen korrekt, soweit es um generellen Ablauf geht. Fehler beim Versuch, detaillierte Information abzurufen (weil Datenbasis inadäquat). Daher verschiedenste Verzerrungen, z.B.: durch Erwartungen durch irreführende Fragen (z.B. Suggestivfragen) durch soziale Faktoren (z.B. Wunsch, guten Eindruck zu machen)

7.2 Augenzeugenberichte Bedeutung für Justiz aber auch: Selbstauskünfte von Klienten Kindheitserinnerungen systematische Erforschung von Augenzeugenberichten: Elizabeth Loftus Literatur: G. Cohen: Memory in the real world. 2nd ed. Hove (UK): Psychology Press, 1996 Loftus, E. F., Feldman, J. and Dashiell, R. (1995). The reality of illusory memories. In Schacter, D.L. (Ed.): Memory distortion. Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 47 - 68.

typische Experimente: 3 Phasen: 1. Präsentation von Film oder Bildserie (Unterschied zu Alltag, weil Ereignissen im Alltag oft keine Aufmerksamkeit zugewendet wird) 2. nachherige verbale Information ( = UV ) z.B. Lesen einer Beschreibung des Ereignisses 3. Gedächtnis-Test (z.B. Fragen, Wiedererkennung) zu Phase 2 (nachherige verbale Information ( = UV ) ) z.B. 2 Gruppen: irreführende Info richtige Info

z. B. : Exp, in dem Vpn einen Film sahen, in dem ein Auto z.B.: Exp, in dem Vpn einen Film sahen, in dem ein Auto an einem Stopsignal vorbeifährt Fragen: Gruppe 1: Wie schnell war da Auto, als es an der Stoptafel vorbeifuhr ? Gruppe 2: Wie schnell war da Auto, als es auf der Landstrasse an der Scheune vorbeifuhr ? Phase 3: %-Satz an Vpn, die berichten, die Scheune gesehen zu haben ( im Film keine Scheune ): Gruppe 1: <3 % Gruppe 2: 17 %

Suggestivfragen , z.B.: Haben Sie einen zerbrochenen Scheinwerfer gesehen ? Haben Sie den zerbrochenen Scheinwerfer gesehen ?  mehr positive Antworten Wie schnell war das Auto, als es in das andere rollte krachte  höhere geschätzte Geschwindigkeit Verzerrungen treten nicht immer auf !!!  Zeugen, die sich vorher öffentlich festlegen, bevor sie der irreführenden Info ausgesetzt werden, sind weniger anfällig  Plausibilität der irreführenden Info

Plausibilität der irreführenden Info z.B.: Loftus (1979): 1 Vpn sehen Bilderreihe, in der ein Mann eine grosse rote Geldtasche aus der Einkaufstasche einer Frau stiehlt. unmittelbar nachher: 98% der Vpn geben Farbe richtig an 2 Erzählende Beschreibung des Ereignisses (von angeblichem Psych-Prof) Version 1: falsche Angaben über Farben nebensächlicher Dinge (Halstuch) Version 2: falsche Angaben über Farben nebensächlicher Dinge (Halstuch) und falsche Info: Geldtasche braun. Reusltat Viele Vpn missgeleitet bei nebensächlichen Dingen, nur wenige bei Farbe der Geldtasche

Konklusion: Um wirksam zu werden, muss die irreführende Information sein:  plausibel,  nicht zu offensichtlich,  von einer Quelle stammen, der Autorität zuerkannt wird ( Quelle darf nicht vorher diskreditiert sein )  Irreführende Info umso wirksamer, je mehr Zeit vergangen

Wenn Menschen durch z.B. Suggestivfragen missgeleitet werden: Was geschieht mit der Original-Information im Gedächtnis ? Substitutions-Hypothese (Loftus): Die spätere falsche Info ersetzt oder transformiert das Original im Gedächtnis, das Original geht verloren Reaktions-Verzerrungs-Hypothese (response-bias) McCloskey & Zaragoza (1985) spätere falsche Info hat keinen Effekt auf das Original-Gedächtnis, aber verändert die Reaktionsbereitschaft In den meisten Fällen: Vpn hätten Original Info ganz oder teilweise vergessen, wählen aufgrund der falschen Info die falsche Antwort ( Siehe auch: Signalentdeckungstheorie)

McCloskey & Zaragoza (1985): Bei Interpretation der Ergebnisse derartiger Experimente: Wahrscheinlichkeiten für richtiges/falsches Antworten berücksichtigen! In beiden Gruppen: Grossteil der Vpn vergisst die Original Info angenommen folgende %-Sätze: Kontrollgruppe (richtige Zusatz-Info): 50% erinnern Original und geben korrekt wieder 50% vergessen und müssen raten, jeweils die Hälfte zufällig richtig oder falsch d.h.: insgesamt 75 % geben korrekte Antwort Experimentalgruppe (irreführende Info): 50% vergessen und müssen raten, wegen verzerrender Info wählt Mehrheit falsche Info d.h. bei Experimentalgruppe geringerer %-Satz an korrekten Antworten als Kontroll-Gruppe

Reaktionstendenz i.S. von McCloskey & Zaragoza experimentell bestätigt allerdings kann Reaktionstendenz nicht alles erklären: Experiment von Lindsay (1990): 1 Vpn sehen Dia-Serie, in der ein Arbeiter Geld und Taschenrechner aus einem Büro stiehlt 2 Anschliessend Beschreibung der Szene mit irreführender Information 3 Danach Mitteilung, dass die in der Beschreibung gegeben Information unrichtig war (damit Reaktionstendenz “rückgängig” gemacht) UV: leichte/schwierige Diskriminierbarkeit zwischen Information aus Dia-Serie und Beschreibung

Hauptresultate von Lindsay (1990): Irregeführte Vpn vergessen z.T. die Quelle der irreführenden Information Irreführende Information führt zu schlechterer Erinnerungsleistung (unabhängig von Reaktionsbereitschaft) Resultate insgesamt passen gut in die Rahmentheorie von Bartlett (1932): Erinnern beinhaltet einen Prozess der Rekonstruktion: Die vorhandenen Informationen (auch allgemeines Hintergrundwissen) werden benutzt, um das Geschehen zu rekonstruieren