Ein Kindheitstraum „Wir Kanalbewohner schauten in unserer Kindheit vom Ufer den Frachtschiffen zu, die in den 50er- und Anfang der 60er-Jahre Kohlen, Holz und sonstige Güter transportierten. Die Schiffe kamen aus Haren, Papenburg, aus dem Ruhrgebiet und manchmal aus Emden. Immer hatte ich daran gedacht, dieses kleine Gewässer vor unserer Haustür hat im Grunde doch Anschluss zu allen Weltmeeren.“
Im November 1998 auf einer Geburtstagfeier sagten Helmut und ich: „Wir fahren mit unserem kleinen Stahlboot von Nordhorn nach Norderney.“ Eine Schnapsidee – unmöglich oder doch machbar? Was zunächst so dahin gesagt wurde, bekam im Laufe der folgenden Monate immer konkrete Formen. „Das ist unmöglich, das schafft ihr nie“. Ihr sauft vorher ab, kommt nicht durch die Schleusen.“ Auf Geburtstagsfeiern und sonstigen Zusammenkünften war es lange Zeit Thema Nr. 1. Das ist eine Wetterlage, so die Aussage von Jochen Wissing, Sportbootlehrer. Umfangreiche Vorbereitungen wurden in Angriff genommen. Gewässer- und Seekarten, Tidenkalender, Strömungsatlas, Lektüre, Schleusenkalender und Telefonnummern, alles was zu Sicherheitseinrichtung gehört, wie Schwimmwesten, Bootshaken, Anker, Leinen, Reservekanister und ein Ersatzmotor wurden beschafft. Das Boot wurde beim Wasser- und Schifffahrtsamt Meppen angemeldet. Es bekam das Kenzeichen: EL – HG 5
Als Starttermin wurde der 30 Als Starttermin wurde der 30. Juni 1999, morgens um 7:00 Uhr, festgelegt. Am Mittwoch, dem 30. Juni 1999, wurde morgens um 6:30 Uhr das Boot gepackt. Die Grew bestand aus Hermann Borgmann, Helmut Brinker, Willi Rosen und Heinz Borgmann. Gerd Jörg und Martin wollten uns mit dem Fahrrad und Zelt auf dem Landweg begleiten. Hermanns Anhänger mit Plane wurde zum Schlaf- und Transportwagen umgebaut.
Viele Schaulustige hatten sich am Südufer eingefunden. Helga Egbers spielte bei der Abfahrt das Lied: „Muss i denn zum Städele hinaus“.
Um 7:13 Uhr starteten wir den Motor, und die Reise begann…
Ems-Vechte-Kanal, Kotting-Brücke, Lee-Durchlass, Tower, Thien-Brücke, Runde Brücke. Hier unterhielten sich Gerd Jorg und Martin mit Bernd Runde und erzählten ihm von den Leuten, die gleich mit dem kleinen Boot unter seiner Brücke durchführen. „Da redt de nooit…“, hefft he secht.
und den Dortmund-Ems-Kanal Gegen 8:45 Uhr erreichten wir Hanekenfähr und den Dortmund-Ems-Kanal
Nach dem Frühstück um 10:30 Uhr – Weiterfahrt. Eine halbe Stunde später, km 163,9, Schleusen Meppen-Teglingen, Hub 7,50 m. Unsere kleine Nussschale wurde 7.5 m runter gelassen. Das Schleusetor wurde beim Öffnen hochgezogen, das Wasser tröpfelte uns auf den Kopf. Die Schleuseaktionen waren kein großes Problem. Helmut und Hermann hielten unseren Kahn an Schwimmpollern oder Leitern fest.
Schleusen Meppen - Teglingen
Hub 7,50 m Ausfahrt
Am nächsten Morgen gegen 6:30 Uhr waren wir vor der Schleuse Herbrum und schleusten mit einem holländischen Motorschiff, das Torf geladen hatte. Hinter der Schleuse beginnt das Tidenrevier der unteren Ems.
Nach Emskilometer 225,82 beginnt mit km 0,0 eine neue Kilometrierung und es gilt die Seeschifffahrtsstraßenordnung. Wir wollten vormittags noch Emden erreichen und telefonierten mit der Schleuse Oldersum. Der Schleusenwärter sagte: „Wenn ihr euch beeilt, könnt ihr es noch schaffen“. Wir machten mit dem Ebbstrom eine erstaunlich schnelle Fahrt. Die Eisenbahnbrücke Wehner, km 8, kam in Sicht. Hier bemerkte man deutlich, dass Hochwasser schon einige Stunden zurück war. Eine Welle von über 1 m Höhe rollte auf unser Heck zu. Wir wurden hochgerissen, der Motor heulte auf, Helmut und Hermann wurden einen halben Meter von ihren Sitzen hochgeschleudert. Unser Boot klatschte auf die zweite und dritte Welle. Das war eine Schrecksekunde. Wir bekamen ca. 200 L Wasser ins Boot, aber sonst ging alles gut.
Kesselschleuse in Emden Wir fuhren jetzt auf dem Ems-Seitenkanal nach Emden.
Stadtgewässer in Emden Gegen 12 Uhr erreichten wir die Borßumer Schleuse und fuhren von der Schleuse in das Fehntjer Tief – ein Stadtgewässer in Emden. Wunderschöne Häuser mit Grundstücken bis ans Wasser, viele mit Bootsliegeplätzen und Stegen am Garten. Ein einmaliges Wasserbauwerk, das unter Denkmalschutz steht. Stadtgewässer in Emden
Über Wirdum und Grimersum erreichten wir Greetsiel Über Wirdum und Grimersum erreichten wir Greetsiel. Unsere Fahrt ging bei gutem Wetter durch das Speicherbecken, Fahrzeit eine Stunde bis zur Seeschleuse Greetsiel.
Dann öffneten sich die großen Schleusentore Dann öffneten sich die großen Schleusentore. Die Weite des Wattenmeers vor uns. Recht voraus in weiter Ferne die Insel Juist und an Steuerbord voraus Norderney. So heißt es in der Seefahrersprache.
Nach 3 km klang das Motorengeräusch unseres Außenbordes irgendwie anders. Willi brummelte: „Es ist nicht besonders tief hier“, und plötzlich hatten wir Grundberührung – 1000 m vor dem Prickenweg. Wir versuchten durch Aussteigen und Schieben, ein eventuelles Sandbankhindernis zu überwinden, aber das Wasser lief schneller ab, als erwartet, und unser Boot stand. Es war ungefähr 17 Uhr. Das bedeutete: Übernachtung im Wattenmeer. Hochwasser kommt gegen 3:00 Uhr nachts wieder. Unsere „Arsche Noah“ im Wattenmeer
Den Abend verbrachten wir mit Klönen und Kartenspielen – Knack bis 23:00 Uhr. Dann hockten wir uns, so gut es ging, zum Schlafen in unser Boot. Zwischen Ersatzmotor, Reservetanks, Fendern und anderen Utensilien. Ein Sternenhimmel, wie man ihn selten sieht, überspannte uns. Viele Sternschnuppen waren zu sehen. Vor uns immer noch sichtbar die Lichter von Juist. Auch der vordere Teil von Norderney war sichtbar, der Leuchtturm hingegen nicht. Wir schliefen so gut es ging bis 1:00 Uhr, als Helmut rief: „Das Wasser kommt wieder!“ Glucksende Geräusche an der Bordwand machte es auch hörbar. Im Mondschein flimmernd, mit kleinen Wellen, wie ein Waschbrett, kam das Wasser zurück.
Wir fuhren zur Tonne Richtung Fahrwasser Norderney. Kurz vor der Hafeneinfahrt plötzlich die auslaufende Fähre. Wir ließen sie an Steuerbord passieren, dann eine Wende, Wind und Wellen von achtern und ganz langsam in den Hafen eingelaufen – um 6:50 Uhr am Samstag Morgen, dem 3. Juli 1999.
Fast ein Jahr hatten wir davon geredet, geträumt, manchmal gezweifelt. Und wir haben es geschafft! Wir klopften uns auf die Schultern, mit feuchten Augen, aber unbeschreiblichem Gefühl – nach 223 km.