IFFB für Gerichtsmedizin und Forensische Neuropsychiatrie

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 Präsentation transkript:

IFFB für Gerichtsmedizin und Forensische Neuropsychiatrie Ringvorlesung 2006/07 - IZMS “Lebensräume des Geistes im Mittelalter - Klöster und Universitäten” Montag, 11. Dezember 2006, 18-19.30 Uhr, Ort: HS 380 des Institutsgebäudes für Gesellschaftswissenschaften, Rudolfskai 42 mortui vivos docent ... ein Blick der heutigen universitären Gerichtsmedizin auf frühere Epochen... Jan Kiesslich IFFB für Gerichtsmedizin und Forensische Neuropsychiatrie

pathologische versus gerichtsmedizinische obduktion autopsie (gr. autosia) obduktion sektion (anatomisch) leichenöffnung postmortale befunderhebung obduktion durch einen bader montpellier, um 1400 pathologische versus gerichtsmedizinische obduktion

moderne obduktion sichere todeszeichen leichenstarre (rigor mortis) leichenflecken / totenfleken (livores mortis) fäulnis verletzungen, welche mit dem leben nicht vereinbar sind ...

moderne gerichtliche obduktion - allgemeiner ablauf auffindesituation / kontext (beifunde) äußere befunderhebung (hautveränderungen/verfärbungen,sichtbare verletzungen, würgemale, strommarken, strangmarken, petechien, spezifische todeszeichen, et.c.) innere untersuchung eröffnung der 3 leibeshöhlen (kopf, brust, abdomen) untersuchung/sektion einzelner organe histologie (patho), toxikologie, DNA-typisierung

frühgeschichte / antike: ägypten: ca. 3000 v.chr., mumifikation - rein religös, keine medizinischen aspekte (im heutigen sinn) innere organe durch kleine einschnitte entfernt (kanopen), gehirn durch die nase

frühgeschichte / antike: mesopotamien: seit sargon I. (3500 v.chr.) haruspices & hepatospices (eingeweide/leber) vorhersagen / prophezeihungen  tiere “obduktionen” von menschen: krankheiten sind das resultat übernatürlicher / göttlicher einwirkung - göttliche absichten können aus den eingeweiden bzw. leber herausgelesen werden...

antike - griechenland: erste anatomische aufzeichnungen um 500 v.chr. (zur zeit des hippokrates 460-377 v.) h.: blutkreislauf (zentrum herz), niere - ausscheidung; gute kenntnisse der äußeren anatomie - sozial/kulturell  keine sektionen an menschen - gewisse einblicke durch tiere und beobachtungen an wunden und am schlachtfeld (!)... tiersektionen zur vergleichenden anatomischen forschung von aristoteles (384-322 v.chr.) systematisch betrieben herophilus (335-280 v.chr.) führte vivi-sektionen an menschen (!, vermutl. delinquienten) und öffentliche sektionen durch - prostata, duodenum, torcular herophilii, rete mirabile (primaten), “erster anatom”

antike - griechenland: im klassischen griechenland: krankheiten  mißverhältniss der körpersäfte  keine relevanz physischer manifestationen an den organen  keine notwendigkeit zur obduktion außerdem: die leiche galt als etwas unantastbares und muß so schnell wie mögisch begraben werden - nicht bestattet werden war eine der schlimmsten strafen - sicher auch: hygienische motive galen (129-216 n.chr.): prägt die medizin der nächsten 1400 jahre... war u.a. für wundversorgung römischer gladiatoren zuständig er führte (meist öffentliche) (vivi)sektionen an affen, schafen, schweinen,... durch menschliche sektionen waren weiterhin kein thema galens kenntnisse beruhten auf vergleichender anatomie - v.a. durch die untersuchung von menschenaffen

spätantike / frühes mittelalter: im frühmittelalterlichen westeuropa: kaum/keine sektionen - religiöse vorstellungen - glaube an die heiligkeit des unversehrten körpers durchaus aber zwischen dem 4. & 12 jh. n.chr im östlichen griechenland: berichte von pseudo-eustathius (ca. 325 n.chr.) und symeon des Theologen (949-1022 n.chr.) über sektionen an leichen von hingerichteten theophanes (752-818): “ein abtrünniger vom christlichen glauben (...) hände und füße wurden abgetrennt und der brustkorb des noch lebenden vor aller augen eröffnet...”  sektionen um die die ursachen und die natur von krankheiten zu verstehen (weniger anatomisches interesse)

mittelalter: im mittelalterlichen england, deutschland und frankreich keine eigentlichen sektionen zum medizinischen erkenntnis-gewinn, aber: entfernen der eingeweide (vorbereitung für ein begräbnis) aber auch vollständige zerstückelung eines leichnams (v.a. heilige!) - verteilung der körperteile als reliquien - aufbewahrung in schreinen oder altären zerteilen einer leiche für den transport: z.b. henry I. von england: starb 1135 n.chr. in rouen, wollte aber in reading bestattet werden... der kopf wurde abgeschnitten, das gehirn, augen und eingeweide entnommen und in rouen bestattet, der restliche leichnam wurde eingesalzt und in ochsenhäute für den transport verpackt (eingenäht) ... als der zug caen erreichte sonderten die überreste fäulnisflüssigkeit ab und der gestank war so schlimm, daß die begleiter in “horror and faintings” verfielen...

z.b. henry I. von england: rouen - caen - reading... ...ca. 550 km... (mit dem auto)

mittelalter: o.a. praktiken waren im italien des 12. und 13. jh. nur selten papst bonifaz VIII untersagte 1299 das zerteilen von leichen fürs begräbnis bei exkommunikation. england 13. jh.: ... auch keine sektionen... ... vermutlich aufgrund religiös-ethischer motive... ... krankheit und tod wurden als strafe für sünden / gottes wille / ratschluß verstanden... ... sicher aber auch wegen infektionskraknheiten: pest, später auch pocken - ansteckungsrisiko? ... angst vor scheintoten (lazarus phänomen)

 natürliche todesursache. - oder doch gift? mittelalter: geburtsstätte der autopsie im heutigen sinne war das italien des ausgehenden 13. jahrhunderts: frühester bericht: cremona 1286: obd. zur klärung der todesursache nach einer epidemie berichte von fra salimbene: über einen arzt der “vergleichen-de anatomie” mit hühnern betrieb (abszess am herzen) - erste pathologische obd. an einem verstorbenen erste gerichtliche obd.: 1302, bologna, zu klärung der verdächtigen todesumstände des “schwarze azzolino”: brach während dem essen zwischen seinen gästen zusammen - gift?: arsen, schierlling, digitalis? - körper verfärbte sich innerhalb von stunden zuerst oliv, dann schwarz... obduktion ergab eine ansammlung von blut im gebiet der lebervenen, ansonsten keine befunde...  natürliche todesursache. - oder doch gift?

natürliche todesursache??? oder doch gift? erste gerichtliche obd.: 1302, der “schwarze azzolino”: natürliche todesursache??? oder doch gift? gift: schierling, arsen, digitalis morphologisch nicht nachweisbar blutstauung vor der leber: nicht ursächlich für ein ableben  kammerschwäche - in folge herzversagen???

natürliche todesursache??? oder doch gift? erste gerichtliche obd.: 1302, der “schwarze azzolino”: natürliche todesursache??? oder doch gift? verfärbung von “oliv nach schwarz”: folge der leichenfäule (jedenfalls nicht von den hier genannten giften) bei moderaten temperaturen innerhalb von 18-24 stunden sauna: nach 3 stunden - gletscherspalte: fast gar nicht

1348 florenz: obd. von pestopfern (vom schatzmeister finanziert) mit detaillierten beschreibungen der äußeren und inneren befunde  mittelalterliche pest ist aufgrund der signifikant unterschiedlichen befunde verschieden von der ende des 19. jh. auftretenden beulenpest (yersinia pestis - übertragen v.a. durch ratten) italienische renaissance (1400-1550): verbot der sektion durch bonifaz VIII im jahr 1299 (exkommunikation!!!)... 1410 wurde papst alexander von pietro d´argelata obduziert papst sixtus IV (1471-84) erlaubte die sektion für anatomiestudenten in padua und bologna (später von papst clemens VII bestätigt...)

italienische renaissance (1400-1550): mitte des 15. jh. war die leichenöffnung in florenz quasi selbstverständlich; eine weigerung der obduktion eines verstorbenen wurde von antonio benivieni als “unüblich und der erwähnung wert (...)” bezeichnet... benivieni publzierte 1507 das erste pathologie-handbuch: “de abditis nonnullis ac mirandis morborum et sanationum causis” ... über einige bermekenswerte und verborgene ursachen von krankheiten und deren heilung... ... mit einigen autospie berichten - nach heutigen maßstäben - eher ungenau und kurz: “ein mann, welcher nach wiederholtem erbrechen verstarb (...) nach der eröffnung des leichnams zeigte sich, daß sich der verdauungstrakt verschlossen hat und im unteren bereich sich verfestigt, sodaß nichts mehr den weg hindurch fand und der tod unvermeidbar folgte...  megacolon

1532: reguläre einführung der “gerichtlichen leichenöffnung” durch karl V.: “constituto criminalis carolina” 1556: sanktionierung der Autopsie durch die röm.kath. kirche andreas vesalius (1514-1564), geb. in brüssel, arbeitete aber fast ausschließlich in padua... meist an den leichen hingerichteter... 1543: “de humanis corpori fabrica”

case report: friedrich barbarossa: nach umberto ecos baudolino: “...barbarossa schlief in einem verschlossenen raum mit einem kamin ... mit teer beheizt ...” b. würde früh morgens von seinen begleitern gefunden: ohne atem, ohne farbe, ohne puls/herzschlag, glieder starr, leichenblaß... reanimation? sichere todeszeichen? 1190

case report: friedrich barbarossa: was könnte passiert sein? - geschlossener raum mit einem schlecht belüfteten ofen - unvollständige verbrennung - zu wenig sauerstoff für die verbrennung - entstehung von CO  kohlenmonoxid (CO) vergiftung!!! 0,1 % CO in der atemluft tödlich (300 X höhere affinität an hämoglobin als sauerstoff - zelluläres ersticken .... irreversibel!

case report: friedrich barbarossa: was könnte passiert sein? - geschlossener raum mit einem schlecht belüfteten ofen  kohlenmonoxid (CO) vergiftung!!! typische farbe der livores: links: normal rechts: “schweinchenrosa”, tyisch bei CO

case report: friedrich barbarossa: interpretation: b. würde früh morgens von seinen begleitern gefunden: ohne atem, ohne farbe, ohne puls/herzschlag, glieder starr, leichenblaß...  b. war in einer tiefen bewußtlosigkeit / komatös fraglich: steife glieder, fahle farbe - totenflecken?

case report: friedrich barbarossa: interpretation: b. würde früh morgens von seinen begleitern gefunden: ohne atem, ohne farbe, ohne puls/herzschlag, glieder starr, leichenblaß...  lazarus phänomen (scheintot) z.b. bei intoxikation durch CO denkbar: steife glieder, gesichtsfarbe... reanimierbar! überleben fraglich (eher unwahrscheinlich)

case report: friedrich barbarossa: interpretation: b. würde früh morgens von seinen begleitern gefunden: ohne atem, ohne farbe, ohne puls/herzschlag, glieder starr, leichenblaß...  wirklich tot (ganz tot) plausibel: fahle farbe, steife glieder in einem warmen raum nach 2-3 stunden entstehung und lösung des rigor mortis abhängig von der umgebungstemperatur, je wärmer desto schneller

? case report: friedrich barbarossa: laut eco: ... “es hätte genügt den (schein)toten kaiser mit kalten kopfumschlägen fußbädern belebenden ölen.... zu behandeln.... ?

case report: friedrich barbarossa: was weiter geschah: ... um den (vermeintlichen) tod des kaisers zu vertuschen warfen die begleiter den leblosen körper in einen fluß (saleph, anatolien, Juni (!) 1190 - gebrigsfluß - niedrige temperaturen?)... wiederbelebung... lazarus effekt durch das kalte (?) wasser ??? laut eco: b. kommt wieder zu bewußtsein, schluckt aber viel wasser und ertrinkt... b. trieb maximal 2 minuten im wasser, tauchte unter und wieder auf, wurde schließlich (tot) aus dem wasser gezogen;

case report: friedrich barbarossa: laut eco: “... ein toter im wasser bläht sich nicht auf - dies geschieht nur bei einem lebendigen, der ertrinkt...” - stimmt nicht. wenn man einen toten ins wasser wirft, geht dieser (zunächst) unter und: wenn man ertrinkt: geht man auch unter (schaumpilz?) aufdunsen und in der folge aufschwimmen: folge von fäulnisprozessen abhängig von der temperatur

case report: friedrich barbarossa: historische berichte: b. fällt beim überqueren des flusses vom pferd und ertrinkt wegen der schwere seiner rüstung b. nimmt ein kühlendes bad nach dem langen ritt und ertrinkt (möglicherweise ein herzinfarkt)

leichenöffnung - motivlage: religiöse / rituelle: mumifikation, eingeweideschau, reliquien, bestattungsmethoden - / -bräuche anatomische: über den aufbau und die funktion des (menschlichen) körpers  “künstlerische” medizinisch / pathologische: über die ursache und wirkung von krankheiten, todesursache forensische / gerichtsmedizinische: todesursache aus kriminalistischer sicht

VO Archäometrie VO Alte DNA 101.299, 2 st./3cr., 101.536, 2 st./3cr., KEINE Teilnehmerbeschränkung DONNERSTAGs, 10:45 - 12:15 Uhr, Hörsaal der Gerichtsmedizin Ignaz Harrer - Straße 79 am Gelände der Christian Doppler-Klinik Jan Kiesslich Interfakultärer Fachbereich für Gerichtsmedizin und Forensische Neuropsychiatrie Ignaz Harrer-Straße 79 A-5020 Salzburg tel. ++43-(0)662-8044-3804 fax. ++43-(0)662-8044-3829 jan.kiesslich@sbg.ac.at http://www.sbg.ac.at/gem/