Neue Wohlfahrtsmärkte: Von der Sozial- zur Verbraucherpolitik

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Allgemein Privat und Gesetzlich Leistung Pflegestufen Finanzierung
Advertisements

Pflege in Deutschland im Kontext europäischer Pflegesysteme Ergebnisse des EU-Projektes ANCIEN, WP1 Vortrag auf der Sitzung des EU-Ausschusses der GVG.
Arzneimittelversorgung nach der Gesundheitsreform
Die Sozialversicherung in Deutschland Dr. Harry Fuchs, Düsseldorf
Ulrich Freese, stellv. VorsitzenderG/GKV/GKV-Reform/Folien/GKV-WSG – Bezirk Leipzig Fassung-2.ppt 1 Ulrich Freese Stellv. Vorsitzender der IG.
EU-Bildungspolitik – Aktionsprogramm Lebenslanges Lernen
Solidarische Alterssicherung Einführung in das Rentenmodell
Die Säulen des Sozialstaates
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
Einordnung der Produktpolitik Instrumenteller Ansatz
Integrierte Versorgung im Kontext Gemeindepsychiatrischer Verbünde
bAV-Workshop mit Jounalisten
08./ , Seminar Frauen – arm dran Gabriele Wegner, DGB Bezirk Nord, Abteilungsleiterin Sozialpolitik Frauen – arm dran? Sozialstaat der Zukunft.
Nachhaltigkeit - Was ist das eigentlich?
Neoliberalismus in der Praxis Aktuelles Politikfeld Sozialpolitik.
Christine Egerszegi-Obrist, Ständerätin, Mellingen
Der Wert des Alters im demographischen Wandel
AUSBILDUNG FÜR ALLE Ausbildungsplatzsituation März 2008 DGB-Bezirk Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt Abteilung Arbeitsmarktpolitik, Abteilung Jugend,
5 Versichern beruhigt 5 Versichern beruhigt.
2 Existenzwichtige Vermögensbildung
Mehr als Beschäftigte haben ihr Votum abgegeben!
Private Sozialversicherungen
1 VVO-Studie: Vorsorgebewusstsein hui, Finanzwissen pfui Dr. Wolfram Littich Präsident des Versicherungsverbands Dr. Louis Norman-Audenhove Generalsekretär.
Arbeitsgruppe 6: Tagesbetreuung für Kinder C. Katharina Spieß DIW Berlin und FU Berlin Professur für Familien- und Bildungsökonomie 22. Februar 2013.
How do Caritas organisations adopt to these requirements ? Berlin, May 7, 2008 Dr. Christopher Bangert.
1 4. Reformen in Deutschland Prof. Dr. Michael Hüther Direktor, Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
Gute Planung zahlt sich aus.
Ein Blick in die Zukunft: Was war, was ist, was kommt?
Département de la santé, des affaires sociales et de l'énergie Service de la santé publique Departement für Gesundheit, Sozialwesen und Energie Dienststelle.
2. Qualitätsmanagement – Tagung des BSV, Luzern, 9. – 10.April 2001 Empfehlung 1: Gründung eines Nationalen Zentrums für Patientensicherheit (NZPS), zur.
VVO – Jugendstudie zur Finanzbildung
Generation 50plus - „Frisch, Fröhlich, Alt“
Sollte nicht Lernen und Lehren an der Universität mehr Freude machen?
Stand Für alle Zahnärzte von DAMPSOFT G R U P P E N K R A N K E N V E R S I C H E R U N G.
Prof. Dr. Dieter Grasedieck
Mächtigster Konkurrent der Wirtschaft
Sabine Marschel DRK Kreisverband Naumburg / Nebra e.V.
Anmerkungen zur Finanzierung von staatlichen Alterssicherungssystemen
Kurzinformation zur Tarifeinführung PflegeBahr Vertriebsinformation 29. Januar 2013.
Fachforum auf dem 7. Berlin-Brandenburger Pflegetag
Weichenstellung in der sozialen Sicherung: Wohin geht der Weg? Bernd Raffelhüschen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Universität Bergen, Norwegen.
1 Auf den nächsten Seiten wird unser Leistungskatalog, der individuelle Lösungen für alle Fragen rund um die Pflege, Betreuung und Unterstützung älterer.
Deutsche Krankenversicherung: Eine Option für das chinesische Gesundheitssystem? - Perspektive der gesetzlichen Krankenversicherung - Berlin, 27. Mai 2009.
NKV-News 03/2013 NÜRNBERGER Pflegevorsorge
Erstellt: Dr. Tschuffer 1 System der Sozialversicherungen (BSVG u. ASVG) für die DienstgeberInnen und DienstnehmerInnen in der Land- und Forstwirtschaft.
Der Super-Schüler.
Nockherstraße München Dr. Wolfgang Mack Miteinander oder Nebeneinander? Perspektiven der Kooperation von Schule und Jugendhilfe.
Von Unternehmen und Unternehmern
Für einen Neuen Generationenvertrag Igm_ki/nms_dv_
Zur Zukunftsfestigkeit der Europäischen Sozialstaaten
Medizinische Ethik und Unternehmensethik
von Torben Sonntag, Bilal Khan, Florian Görgen und Maurice Noll
Der Markt für Glücksspiele und Wetten
Das Programm Ländliche Regionen langfristig als attraktive Lebensräume erhalten.
4) Kaufmännische Realisierung
Vertikale Integration
Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss ● Grundsätze wirksamer und verlässlicher ● Sozialleistungssysteme (2015/SOC 520) ● Berichterstatter: Prof.
TEO - Tvornica Elektro Opreme Sarajevo Die Elektroausstattungs fabrik wurde 1976 als Unternehmen für die Herstellung von Niederspannungseinrichtungen.
Augsburg Jugend Sozialversicherungssysteme in Deutschland Ortsjugendausschuss der IG Metall Verwaltungsstelle Augsburg.
Landeshauptstadt München Sozialreferat Amt für Soziale Sicherung Hilfen im Alter, bei Pflege und Betreuung Dipl. Soz.Gerontologe David Stoll Seite.
Gesetzliche Sozialversicherungen in Deutschland. Idee der Versicherungspflicht  Für einen Großteil der Bevölkerung sollen die großen Lebensrisiken abgemildert.
Workshop D Referenten: Susanne Wischmeyer und Andreas Bötel 10. Landesfachtag Wirtschaft/Politik „Die Zukunft des Sozialstaats“
Das Soziale an der Marktwirtschaft Aus: Stratenschulte E.D.: Wirtschaft in Deutschland. Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 2006.
Pflegestützpunkt Hettstedt gefördert durch:. Modellprojekt zur Errichtung eines Pflegestützpunktes in Hettstedt (Landkreis Mansfeld-Südharz/Sachsen-Anhalt)
VB 2, Abteilung Sozialpolitik 1 Was müssen Versicherte über die Zusatzbeiträge der Krankenkassen wissen?
1 Gesundheit und Pflege: Das meinen die Parteien zu wesentlichen Forderungen der IG Metall.
versicherungen vergleichen
 Präsentation transkript:

Neue Wohlfahrtsmärkte: Von der Sozial- zur Verbraucherpolitik PD Dr. Wolfram Lamping Neue Wohlfahrtsmärkte: Von der Sozial- zur Verbraucherpolitik Beitrag für den zweiten Workshop von DIW und FES „Wissenschaft und Politik im Gespräch: Perspektiven forschungsgeleiteter Verbraucherpolitik“, 22.10.2010, Berlin.

1. Neue Herausforderungen im Sozialstaat Rückzug des Sozialstaates aus alten Sicherungsversprechen Größere Räume politisch gewollter Eigenverantwortlichkeit Höherer Anteil auf dem Markt produzierter Sicherungsleistungen Stärkere Einforderung marktanalogen Verhaltens im Sozialstaat Wachsende Anforderungen an die Bürger, sich zu rationalen Managern ihrer Sicherungsportefolios weiter zu entwickeln Nutzung der neuen Wohlfahrtsmärkte ist mit Blick auf Verhaltensanforderungen und Verteilungsfolgen hoch anspruchsvoll

2. Verbraucher auf Wohlfahrtsmärkten – vier Beispiele Weniger Generösität, mehr marktbasierte Leistungen und eine stärkere Aktivierung der Individuen: Oberflächenindikatoren eines neues Sozialstaatsverständnisses Wahlentscheidungen rationaler und aufgeklärter Individuen sowie traditionelle Konsumentenfähigkeiten werden auf dem Markt der sozialstaatlichen Produkte und Dienstleistungen immer wichtiger Individuen sollen zunehmend aktive, informierte, selbstkontrollierte und selbstverantwortliche Unternehmern ihrer selbst werden und klassische Marktfähigkeiten entwickeln

2. 1. Arbeitslosenversicherung und aktivierende 2.1 Arbeitslosenversicherung und aktivierende Arbeitsmarktpolitik (2003-2005) Stärkere Mitwirkungspflichten der Arbeitssuchenden (z.B. Eingliederungsvereinbarung) Neue Reziprozität von Rechten und Pflichten Vermittlungsgutschein (Auswahl privater Dienstleister; kaum Transparenz auf dem Vermittlungsmarkt; creaming) Bildungsgutschein (Auswahl zwischen verschiedenen Weiterbildungsträgern)

2.2 Gesetzliche Krankenversicherung (2004, 2007 und 2010) Mehr Wahl durch u.a. Spezifische Tarife (Hausarzt-Tarife, Teilnahmebonusse für die Einschreibung in Programme) Individuell zugeschnittene Tarife in Form von Kostenerstattungs-Tarifen, Selbstbehalt-Tarifen, Beitragsrückerstattungs-Tarifen, Bonussystemen Zudem haben Versicherte ein Kassenwahl- sowie ein außerordentliches Kündigungsrecht bei Beitragserhöhungen (Zusatzbeitrag) ihrer Kassen und und sollten ferner zusätzliche private Versicherungen aufgrund wachsender Leistungslücken in der GKV abschließen.

2.3 Gesetzliche Rentenversicherung (2001) Marktschaffung durch Einführung der geförderten privaten Zusatzversicherung („Riester-Rente“) Großer individueller Entscheidungsraum (Abschluss eines Vertrags oder nicht; Höhe des Eigenanteils, Anlageform etc.) Wahl zwischen unterschiedlichen Anbietern und unterschiedlichen zertifizierten Anlageformen Hohe Marktintransparenz und Folgenunsicherheit Selektive Inanspruchnahme der Riester-Rente

2.4 Gesetzliche Pflegeversicherung (1995) Pioniergesetz Auswahl geeigneter Pflege-Anbieter (ambulante, teilstationäre oder stationäre Anbieter) auf einem wenig transparenten Wettbewerbsmarkt Unterschiedliche Preise, Leistungen und Qualitäten der Anbieter Pflegegeld oder Pflegesachleistung (ambulante Pflege) Notwendigkeit zusätzlicher privater Vorsorge (Pflegezusatzversicherung) für nicht von der GPV abgedeckte oder nicht ausreichend finanzierte Leistungen

2.4 Gesetzliche Pflegeversicherung (1995) Pflege als Wohlfahrts- und Wachstumsmarkt – neue/alte Herausforderungen für den Verbraucherschutz Problemkomplex „Qualität/Leistungserbringung“ („Pflege-TÜV“) Problemkomplex „finanzielle Zusatzvorsorge/Finanzdienstleistungen“

3. Schlussfolgerungen Optimistische Grundannahmen der neuen deutschen Sozialpolitik Gefahr: In den neuen Entscheidungsräumen brechen neue soziale Ungleichheiten v.a. entlang der Dimensionen Einkommen, Bildung und Risiko auf und drohen, sich über ungleiche Zugangschancen und die unterschiedliche Nutzung der neuen Wahlmöglichkeiten zu verfestigen. Mögliche Folge: Keine Entscheidungen zu treffen oder riskante (Fehl-) Entscheidungen zu treffen aufgrund von Markttransparenz, unvollständigen Informationen, hoher Komplexität, unvollständigen Informationen, hoher Komplexität und oft unkalkulierbaren Langfrist-Folgekosten von Entscheidungen

3. Schlussfolgerungen Herstellung von Markttransparenz sowie Initiierung, Förderung und Ausbau von adäquaten, neutralen und verlässlichen Informations- systemen eine wichtige Zukunftsaufgabe des Sozialstaats Die Verbraucherpolitik hat Mühe, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten