Praktische Philosophie der Neuzeit

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Praktische Philosophie der Neuzeit Prof. Dr. Ludwig Siep Praktische Philosophie der Neuzeit 3. Bodin, Grotius

Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I Acht Kennzeichen der Souveränität nach Bodin (Sechs Bücher über die Republik, 1576): 1. Recht der Gesetzgebung (incl. Privilegien) 2. Entscheidung über Krieg und Frieden; 3. Recht der letzten Instanz; 4. Ernennung und Absetzung von Beamten; 5. Besteuerung; 6. Begnadigung; 7. Geldwertfestlegung; 8. Recht, Eide der Untertanen entgegenzunehmen. Bodin fordert die oberste (auch über-gesetzl.) Entscheidungsinstanz des Fürsten, die Permanenz der Regierung, die Zentralisierung der Rechtssprechung und der Rechtsdurchsetzung sowie das Verbot für die Teile, sich aus dem Staatsverband zu lösen und Verträge mit anderen Staaten bzw. Fürsten zu schließen. Es gibt aber ein Recht gegen den Tyrannen (der gegen das Naturrecht verstößt und außer Kriegsfällen in das Eigentum der Bürger eingreift) für andere Fürsten, evtl. die Generalstände (Aufl. nach 1586). Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I 2

Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I Hugo Grotius (de Groot) 1583-1645 Gelehrter, Politiker und Rechtsberater in den Niederlanden, Frankreich und Schweden Hauptziele: 1. Wiedervereinigung der christlichen Konfessionen durch vernunftgeleitete, gemäßigte Bibelauslegung 2. Lösung der Grundlagen des Rechts von ausschließlich theologischer Begründung („etsi deus non daretur“ – was aber ein sündiger Gedanke ist!) 3. Pazifizierung des Krieges (gegen beliebige, unbegründete Kriegführung mit allen Mitteln), Begründung des gerechten Krieges incl. des Rechtes bzw. der Pflicht von Staaten, gegen das Unrecht in anderen Staaten einzugreifen 4. Verrechtlichung des Verkehrs zwischen den Staaten auf der Grundlage des gemeinsamen Nutzens und der Rechte der Menschheit. Dadurch wurde Grotius zum Begründer des modernen Völkerrechts Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I 3

Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I „Vom Recht des Krieges und des Friedens“ (1625) Drei Teile: 1. Buch: Was ist Krieg, private und öffentliche Gewalt, wann ist Krieg gerechtfertigt? Antwort: Wenn man sich gegen Übergriffe auf das rechtlich Eigene wehrt. 2. Buch: Was ist Eigentum (rechtlich Eigenes), wie kann es erworben werden und was muss Gemeineigentum bleiben? 3. Buch: Was ist im Krieg rechtens und verboten? (Kriegserklärung, Kriegsverbrechen etc.) Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I 4

Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I Vorwort und 1. Buch. Vier Arten des Rechts: a) Naturrecht im weiteren Sinn, beruht auf Geselligkeitsstreben: wechselseitige Nicht-schädigung, Respekt vor dem Eigentum, Vertragstreue (justitia commutativa) b) Naturrecht im engeren Sinn, beruht auf Nützlichkeitsüberlegungen: zusätzlich zu (a) auch ungleiche Güterverteilung, Bevorzugung der Kompetenten (bei Ämtern), der Armen und der Verwandten c) Bürgerliches Recht, das auf Vertrag beruht. Erster Vertrag: Einer Mehrheit oder Obrigkeit zu gehorchen. Ferner: Gesetze und Verträge über den Austausch des Eigentums an Sachen und Leistungen. („Der Staat ist eine Verbindung freier Menschen, die sich des Rechtsschutzes und des Nutzens wegen zusammengetan haben“). d) Völkerrecht: Verträge über den Gebrauch gemeinsamer Güter, Recht zum Krieg. Ziel: Nutzen der Staaten, Herstellung einer Völkergemeinschaft (magna universitas) Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I 5

Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I Arten des Krieges: Bellum (physische Gewalt) kann 1. privat 2. öffentlich 3. gemischt sein. Ad 1. Privat sind die Gewaltsamkeiten zwischen Individuen, die entweder als Verteidigung gerecht oder als Übergriff Unrecht sind Ad 2. Öffentlich sind die erklärten Gewaltsamkeiten (Kriege) zwischen Staaten Ad 3. Gemischt sind legale Gewaltsamkeiten des Staates gegen seine Bürger (Rechtszwang, Strafe). Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I 6

Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I Recht zur Gewaltsamkeit kann entweder auf A. Verteidigung B. Wiederherstellung C. Strafe begründet werden C findet bei 1 (bellum privatum) nicht statt, B nur bei Unmöglichkeit staatlicher Mittel und beschränkt durch die Pflicht zur Nächstenliebe. Ein gerechter Krieg (öffentlicher Krieg als bellum justum) muss durch A-C begründet sein. Prävention ist nur bei drohendem Angriff, nicht bei wachsender Macht gerechtfertigt. Wiederherstellung muss gemäßigt sein und die kriegerischen Handlungen „zivilisiert“: Keine Übergriffe gegen Unbeteiligte, Gesandte etc. Aber Verpflichtung zum Eingriff für verfolgte Minderheiten (primär: konfessionell). A-C setzt Kriterien dafür voraus, was jemandem rechtlich zusteht bzw. was sein Eigentum ist. Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I 7

Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I 2. Buch. Es gibt für Grotius Eigentum an Sachen, Handlungen und Personen (Sklaven). Seine Eigentumstheorie ist nicht systematisch, sondern biblisch-historisch. (Vgl. R. Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant) Eigentum an Sachen (I) und Handlungen (II). (I) Ursprünglich Gemeineigentum und vorübergehender Gebrauch durch Einzelne. Entwicklung von Fertigkeiten, frühe Arbeitsteilung (Ackerbau und Viehzucht), sowie Ehrsucht (Turmbau zu Babel) führen zu gewaltsamen Konflikten. Dadurch Zerstreuung und Aufteilung der Territorien (Länder). Bevölkerungszunahme und Aufteilung unter Familien unter Ausnahme von Gemeineigentum (z.B. Brunnen). Von der vertraglichen Teilung unbeweglicher Güter ausgenommen sind unteilbare Elemente wie Wasser, Sandflächen, Luft. Staatsgesetze können aber die Benutzung von Meeresbuchten, Flüssen, Seen, Wäldern etc. einschränken (Ausnahme: Durchgang zu gerechten Zwecken). Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I 8

Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I (II) Drei Gründe für den Erwerb von Rechten an Handlungen anderer: Zeugung (Kinder), Einwilligung (Vertragspartner, Lohnarbeiter) und unerlaubte Handlungen anderer (Sklaverei). Kein unbeschränkter Waren und Arbeitsmarkt: Bestimmte Bedürfnisse müssen zu festgesetzten Preisen (und dafür nötige Produktionsleistungen) befriedigt werden können. Sklaverei- bzw. Unterwerfungsvertrag auch bei Völkern gerechtfertigt (bei letzteren auch ohne vorhergehende „Unrechtshandlungen“). Daraus entwickelt Grotius die Grundlagen des Privatrecht (Eigentumserwerb und –veräusserung, Vertragsrecht), des Strafrechts und des Staatsrechts. Von den Staatsformen lässt Grotius je nach Umständen sowohl Königsherrschaft (ohne Vertrag) wie Aristokratie (Senat) wie Volksherrschaft zu. Je nach der Staatsform ist auch Gewalteneilung („Gesetze, Gerichte und Obrigkeiten“) sowie verschiedene Formen des Widerstandes gerechtfertigt. Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I 9

Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I 3. Buch. Völkerrecht: Was im Kriege erlaubt ist (jus in bello), wie weit das Eigentum der Untertanen in Anspruch genommen werden darf, wie ein Krieg erklärt werden muss, warum man Feinde töten darf, Beschränkungen des Tötungsrechts (keine Rache etc.), welche Beute rechtens ist, Beschränkung hinsichtlich Verwüstung, Unterwerfung usw. Ein formeller Krieg findet zwischen Völkern statt, ansonsten handelt es sich um legitime Gewalt gegen „Räuber“ (heute „Terroristen“?). „Ein gerechter Krieg liegt vor, wenn er angekündigt und zur Wiedererlangung von Sachen oder zur Abwehr von Menschen geführt wird“. Zwei Voraussetzungen: Wer ihn anfängt, muss Souveränität besitzen und eine formelle Kriegserklärung geben. Auch in einem gerechten Krieg darf man nicht die töten, die gezwungen, unglücklich oder im Irrtum auf der Feindseite stehen. Auch die, die „nur anderen gefolgt sind“, soll man möglichst nicht töten. Unbeteiligte Frauen und Kinder dürfen nicht getötet werden. Bei der Bestrafung der für einen ungerechten Krieg Verantwortlichen soll man ihre Gründe berücksichtigen. Prof. Dr. Ludwig Siep - Praktische Philosophie der Neuzeit I 10