Panel: Multikulturalismus, Diversity und Citizenship -------------------------------------------- Die deutschsprachige Fachdebatte: Auf dem Weg von Interkultureller.

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 Präsentation transkript:

Panel: Multikulturalismus, Diversity und Citizenship -------------------------------------------- Die deutschsprachige Fachdebatte: Auf dem Weg von Interkultureller Pädagogik zu Diversity Education? (Berlin, 14. Februar 2008) (Rudolf Leiprecht, Interdisziplinäres Zentrum für Bildung und Kommunikation in Migrationsprozessen / IBKM Oldenburg)

Gliederung Die internationale Fach-debatte und das ‚Ausland als Argument‛ in der deutschsprachigen Fach-debatte Hinweise zum Kulturbegriff Zwei zentrale Argumentationslinien zur Begründung, kompetent auf die Herausforderung der Einwanderungsgesellschaft einzugehen Diversity Education

1. Die internationale Fachdebatte und das ‚Ausland als Argument‛ in der deutschsprachigen Fachdebatte

Ähnlichkeiten in vielen europäischen Ländern Die Fachdebatten in den Sozial- und Erziehungswissenschaften um Multikulturalismus und Diversity und um interkulturelle und rassismuskritische Konzepte in Bildung und Erziehung weisen in einigen europäischen Ländern durchaus Ähnlichkeiten auf. Die Fachdebatten entstehen in der Folge von Einwanderungsprozessen in der Nachkriegszeit und beziehen sich auf die Lage von eingewanderten Minderheiten, wobei in vielen Ländern (z.B. Niederlande, Belgien, Großbritannien) mehr oder weniger stark kulturelle Unterschiede thematisiert werden (vgl. hierzu Auernheimer 1990, 21).

Unterschiede in vielen europäischen Ländern Im Gegensatz zu Deutschland hat in den Niederlanden und in Großbritannien die koloniale Einwanderung eine große Bedeutung im Fachdiskurs. Viele Eingewanderte haben hier im Kontext von Kolonialgeschichte bereits früh Staatsbürgerschaftsrechte bekommen. Dies hat Auswirkungen auf politische Debatten und die Mitbestimmungs-möglichkeiten von Eingewanderten, aber auch auf die Zusammensetzung des Personals in den Einrichtungen und Organisationen der (faktischen) Einwanderungsgesellschaften.

Das ‚Ausland als Argument‘ Anregende Gesichtspunkte für die Dis-kussion in Deutschland waren z.B.: frühe Bemühungen in GB, Antidiskrimi-nierungsgesetze einzuführen; liberale Minderheitenpolitik in den NL der 1980er Jahre, in deren Folge u.a. ein kom-munales Wahlrecht für Eingewanderte eingeführt wurde; die Integrationskurse (Inburgeringsbe-leid) Ende der 1990er Jahre in den NL, die als Modell für die bundesdeutsche Ge-setzgebung Pate standen; die verschiedenen Theoriedebatten in D zu Wanderungsprozessen, Multikultura-lität oder Rassismus, die wichtige theo-retische Impulse aus GB und den NL erhielten; aber eben auch die Debatten nach den terroristischen Anschlägen in den New York (2001), Madrid (2004) und London (2005) und nach der Ermordung von Theo van Gogh (2004). Tenor oft: Ende der multikulturellen Gesellschaft?

2. Hinweise zum Kulturbegriff

Zum Kulturbegriff (Ia) (siehe Handout!)

Zum Kulturbegriff (Ib) Originalbericht: DIE ZEIT Nr. 21 vom 18. Mai 2006 Originaltitel: Alle schauten weg Der Täter ein Mann, das Opfer eine Frau – in Deutschland heißt so etwas ‚Familiendrama‘. Ein Fall aus Sachsen-Anhalt. Von Florian Klenk

Zum Kulturbegriff (II)

Zum Kulturbegriff (III)

Zum Kulturbegriff (IV) Ein sehr verbreitetes problematisches Verständnis: das Marionettenmodell (Leiprecht 2001, 33)

3. Zwei zentrale Argumentationslinien zur Begründung, in Schule und Bildungs-system kompetent auf die Herausforderung der Einwanderungs-gesellschaft einzu-gehen

Argumentationslinie Ia Wir brauchen einen angemessenen Umgang mit Einwanderung im Schul- und Bildungssystem. Jedes dritte Kind in Deutschland - wobei regional große Unterschiede zu konstatieren sind - kommt heute aus einer Familie mit Migrationshintergrund. Leider ist hier eine erhebliche soziale Schieflage zu konstatieren: Die Leistungen von Bildungs- und Schulsystem, um Kindern und Jugendlichen mit Migrationshinter-grund Chancengleichheit zu gewähren, müssen im Durchschnitt nach wie vor als unzureichend bezeichnet werden. Auch die internationalen Schulleistungs-studien, die auf eine enge Koppelung zwischen der Herkunft aus einer Familie mit Migrationshintergrund und unzu-reichenden schulischen Lernerfolgen hinweisen, zeigen dies. Solchen Schief-lagen im Bildungs- und Schulsystem muss entgegen gewirkt werden, denn in ihnen steckt mittel- und langfristig erheblicher sozialer Sprengstoff.

Argumentationslinie Ib Allerdings darf aus dieser Perspektive kein Verelendungsdiskurs werden. Deutlich ist, dass Migrationserfahrungen, Mehrfachidentitäten, Multiperspektivitäten und Mehrsprachigkeiten überaus nützliche Ressourcen sein können, Schule und Bildungssystem diese Ressourcen aber bisher nicht in positiver Weise aufgegriffen haben und auch hier Migration meist negativ konnotiert wird. Eine Ressourcenorientierung in Bezug auf Migrationserfahrungen, Mehrfachidentitäten, Multiperspektivitäten und Mehrsprachigkeiten ist notwendig. Dabei dürfen die realen Probleme für Schülerinnen und Schüler nicht vernachlässigt werden, aber es müssen vor allem auch die Defizite der Organisationen im Schul- und Bildungssystem mit in den Blick genommen werden.

Resultat von individualisierender und kulturalisierender Defizitorientierung

Argumentationslinie IIa Schule und Bildungssystem müssen ihre ‚Klientel‘ insgesamt auf ein Leben in gesellschaftlichen Verhältnissen vorbereiten, die von fortschreitender Globalisierung, Internationalisierung, europäischer Integration und anhaltenden Migrationsbewegungen geprägt sind. Die Mehrsprachigkeit, die räumliche Mobilität, die grenzüber-schreitenden Beziehungsnetz-werke und die Anzahl favorisierten Lebensweisen in den Gesell-schaften nehmen zu. Alle Schülerinnen und Schüler müssen sich in solchen gesell-schaftlichen Verhältnissen zurecht finden.

Argumentationslinie IIb Dabei ist auch in Betracht zu ziehen, dass die Schülerinnen und Schüler nicht nur mit der sich fortsetzenden und weiter zunehmenden Zuwanderung anderer Menschen zu tun bekommen, sondern eben auch die eigene Migration in ein anderes Land oder in eine andere Region nicht unwahrscheinlich sein wird, genauso wenig wie beispielsweise die Beschäftigung in einem internationalen Unternehmen oder die Orientierung an einer sprachlich, länderbezogen und sozial heterogenen Kundschaft im Dienstleitungsbereich.

Argumentationslinie I: Soziale Schieflagen im Schul- und Bildungssystem beseitigten. Argumentationslinie II: Vorbereitung aller Schülerinnen und Schüler auf ein Leben in einer pluriformen und mehrsprachigen Welt. Die Argumentationslinie II bietet sich für eine inhaltliche Bestimmung von Citizenship Education an. Beide Argumentationslinien müssen in der Perspektive professioneller Praxis im Schul- und Bildungssystem verbunden werden.

4. Diversity Education

Mehr als eine Differenzlinie berücksichtigen

Helma Lutz/Norbert Wenning (2001): Kategorie Grunddualismus Geschlecht männlich – weiblich Sexualität hetero – homo ‘Rasse’ / Hautfarbe weiß – schwarz Ethnizität dominante Gruppe – ethnische Minderheit(en) = nicht ethnisch – ethnisch Nation / Staat Angehörige – Nicht-Angehörige Sprache dominante – nicht-dominante Religion säkular – religiös Kultur ‘zivilisiert’ - ‘unzivilisiert’ (geograph.) Herkunft autochthon (‘angestammt’) – zugewandert Sesshaftigkeit / sesshaft – nomadisch Nord – Süd / West – Ost the West – the rest Klasse / Sozialstatus ‘oben’ – ‘unten’ / etabliert – nicht etabliert Eigentum reich/wohlhabend – arm Gesundheit ohne ‘Behinderungen’ – mit ‘Behinderungen’ Alter / Generation Erwachsene – Kinder / alt – jung (jung – alt)

Kontraproduktives Alltagsverständnis von Makrofaktoren wie Kultur, Ethnizität, Geschlecht, Klasse I Kultur, Ethnizität, Geschlecht und Klasse erscheinen als statische, einheitliche und verdinglichte Größen; diejenigen, die einem bestimmten Geschlecht, einer bestimmten Kultur, einer bestimmten Ethnizität, einer bestimmten Klasse zugeordnet werden, werden als durch diese Makrofaktoren festgelegt betrachtet;

Kontraproduktives Alltagsverständnis von Makrofaktoren wie Kultur, Ethnizität, Geschlecht, Klasse II ihre Lebensäußerungen werden auf die Wirkung dieser Makrofaktoren reduziert; Kultur, Ethnizität, Geschlecht und Klasse werden auf diese Weise als (quasi) naturhafte Größen konstruiert.

Diversität als Leitkategorie (I) Mit Diversity Education wird statt Kultur Diversität als Leitkategorie und Erfahrungswirklichkeit betont, und Diversität legt es auch im alltäglichen Sprachgebrauch nicht nahe, sich kulturelle Einheiten und einheitliche (kulturelle) Identitäten vorzustellen.

Diversität als Leitkategorie (II) „Nicht mehr der ethnische Unterschied, die interkulturelle Besonderheit und Differenz stehen im Vordergrund der Betrachtung, sondern die Verschiedenheit an sich als Strukturelemente moderner Gesellschaften. Die politische und pädagogische Herausforderung wird also nicht mehr in einem Merkmal gesehen, das sich zu einem Stigma entwickeln kann, sondern es wird zuerst nach den sozialen Kontexten gefragt (…) und erst dann danach, wie darin Ethnizität, Geschlecht oder Alter eine bestimmte Rolle spielen.“ (Schröer 2006, 1)

Heterogenität als Normalfall (I) Chancenungleichheit in Schule und Bildungssystem entsteht weitgehend auch dadurch, dass die Zugänge, Lehrpläne, Lerninhalte und Lehrmittel systematisch auf die Bestände, Techniken und Sprache der privilegierten und dominierenden Gruppen ausgerichtet sind, von dort aus die Meßlatte einer vorgestellten Normalität errichtet wird und damit aber es kaum noch einen Bezug zum Lebensalltag eines großen Teils der Schülerinnen und Schüler gibt (vgl. Thurler/Schley 2006, 25).

Heterogenität als Normalfall (II) Managing Diversity sollte im Bildungs- und Sozialbereich auf den bewussten Umgang mit sozialer Heterogenität zielen, wobei einerseits ‚Heterogenität als Normalfall‘ betrachtet und andererseits einseitigen Zuschreibungen, Festlegungen und Benachteiligungen entlang verschiedener Differenzlinien gezielt entgegen gearbeitet wird.

Mehrere Ebenen mit in den Blick nehmen Dabei verweist die Managing-Perspektive stets darauf, dass es nicht nur um Reflexions- und Sensibilisierungsprozesse auf interaktiver und individueller Ebene geht, sondern auch die jeweiligen Bildungs- und Sozialeinrichtungen als Organisationen thematisiert und organisatorische Entwicklungsprozesse auf den Weg gebracht werden müssen.

Nachfragen? Kommentare? Ende?