Sabine Kräuter-Stockton Oberstaatsanwältin Saarbrücken

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Sabine Kräuter-Stockton Oberstaatsanwältin, Saarbrücken
 Präsentation transkript:

Der sog. Vergewaltigungsparagraf § 177 StGB Reformbedarf und -vorschlag Sabine Kräuter-Stockton Oberstaatsanwältin Saarbrücken 15.06.2015 Deutscher Juristinnenbund

§ 177 StGB (1) Wer eine andere Person mit Gewalt durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, nötigt, sexuelle Handlungen des Täters (…) an sich zu dulden oder an dem Täter (…) vorzunehmen, (…)

Fall 1 Ein Paar geht zusammen ins gemeinsame Schlafzimmer. Er sperrt von innen die Schlafzimmertür zu, stößt die Frau aufs Bett, hält ihre beiden Handgelenke über ihrem Kopf fest, legt sich auf sie, drückt mit den Knien ihre Beine auseinander und dringt in sie ein.

Ein Paar lebt seit Jahren zusammen Ein Paar lebt seit Jahren zusammen. Er schreit und prügelt sie immer, wenn ihm etwas nicht passt. Sie bemüht unentwegt, ihm keinen Anlass zu Gewalt zu bieten. Das letzte Mal, als er sie geschlagen hatte, ist schon einige Monate her. Sie fühlt sich ständig wie „auf dem Pulverfass“. Eines Nachts fordert er sie zu Sex auf. Sie sagt, sie ist zu müde. Er blickt sie scharf an – und sie macht aus Angst vor neuerlichen Schlägen, was er verlangt.

§ 177 Abs. 1 StGB (1) Wer eine andere Person mit Gewalt durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, nötigt, sexuelle Handlungen des Täters (…) an sich zu dulden oder an dem Täter (…) vorzunehmen, (…)

qualifizierte Drohung a) Der Täter fasst der Frau zwischen die Beine und droht: „Halt jetzt sofort still, oder es passiert was!“ b) Beide befinden sich im Hochhaus. Er droht: „Halt jetzt still, sonst werf‘ ich deine Katze aus dem Fenster!“

§ 240 StGB (1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter 1. eine andere Person zu einer sexuellen Handlung nötigt, (…)

§ 177 StGB (1) Wer eine andere Person mit Gewalt durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, nötigt, sexuelle Handlungen des Täters (…) an sich zu dulden oder an dem Täter (…) vorzunehmen, (…)

Kritik an § 177 StGB

Ein langjähriges Paar hat schon länger keinen Geschlechtsverkehr mehr Ein langjähriges Paar hat schon länger keinen Geschlechtsverkehr mehr. Am Tattag geht der Ehemann angetrunken zu Bett und will Sex. Sie dreht ihm den Rücken zu, er dreht sie zurück, schiebt das Nachthemd hoch und legt sich auf sie. Sie sagt, sie will nicht, er soll aufhören. Schließlich weint sie. Sie wehrt sich aber nur mit Worten, denn sie ist ihm körperlich unterlegen und ihr ist klar, dass es sonst aufgrund der Kräfteverhältnisse doch zu Geschlechtsverkehr kommen würde. Der Mann führt mit der Frau, die die ganze Zeit weint, den Geschlechtsverkehr aus.  

Voraussetzungen § 177 StGB - Sexuelle Handlungen - „Abnötigen“ der sexuellen Handlungen = ohne Einverständnis - Anwendung von Gewalt oder von (qualifizierter) Drohung oder - Ausnutzen einer schutzlosen Lage

Weitere Regelungslücken Gewaltbeziehung: Früher übte der Mann mehrfach Gewalt gegenüber der Frau aus, auch zur Erzwingung von Sex. Die Frau tut mittlerweile alles, was er will. Die letzte Gewalttat liegt Monate zurück. Er verlangt jetzt von ihr Analverkehr, sie lehnt ab und spricht von einer „Vergewaltigung“. Er dringt dennoch anal in sie ein, sie weint und windet sich vor Schmerzen, aber wehrt sich nicht aus Angst vor weiterer heftigerer Gewalt.

Weitere Regelungslücken Ältere Menschen Eine ältere Frau ist bettlägerig (nicht wider- standsunfähig im Sinn des § 179 StGB). Ein Nachbar besucht sie, greift unter die Bettdecke und berührt sie im Intimbereich. Sie wehrt sich mit Worten („Hören Sie sofort auf, was fällt Ihnen ein!? Ich könnte Ihre Mutter sein!“), leistet aber keine Gegenwehr, weil dies nicht erfolgversprechend scheint. Sie ruft auch nicht um Hilfe, weil ihr die Situation vor der Nachbarschaft extrem peinlich ist.

Weitere Regelungslücken einfache Drohung (Haustier, Kündigung, Abschiebung) Überraschungsangriff Der Täter greift im Sommer in der dicht gedrängten U-Bahn der jungen Frau unter den Rock und den Slip und berührt sie ein paar Sekunden lang im Intimbereich, bis sie ihr Erschrecken und ihre Panik überwindet und seine Hand weg stößt. In dem Moment lässt er dann auch sofort grinsend von ihr ab.

Schutz der Rechtsgüter - Vergleich „einfacher“ Eingriff in das Eigentum ohne Nötigungsmittel  Diebstahl § 242 StGB Eingriff in das Eigentum mit Gewalt/Drohung  Raub § 249 StGB „einfacher“ Eingriff in die Sexuelle Selbstbestimmung ohne Nötigungsmittel nicht strafbar Eingriff in die Sexuelle Selbstbestimmg. mit Gewalt/Drohung  Vergewaltigg. §177 EIGENTUM SEX. SELBSTBESTIMMUNG

Beispielsfälle Im PKW: Wegnahme des Smartphones Im PKW: Anfassen an der Brust und im Intimbereich Diebstahl Keine Straftat

Fazit: Die Wegnahme eines Handys ist grundsätzlich strafbar – außer wenn die Eigentümerin „Ja“ dazu sagt. Die sexuelle Handlung an der Frau ist selbst dann nicht strafbar, wenn die Frau ausdrücklich „Nein“ sagt.

Internationale Verpflichtungen CEDAW: UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau ECHR: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europaratskonvention “Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt” (Istanbul-Konvention)

Lösung Änderung des Sexualstrafrechts, insbesondere § 177 StGB Stellungnahme und Gesetzentwurf des Deutschen Juristinnenbunds

Sexuelle Misshandlung Wer ohne Einverständnis einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung an oder mit einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis 10 Jahren bestraft.

Weitere Regelungen Kinder unter 14 Jahren psychisch beeinträchtigte , kranke, schlafende, betäubte … Personen  Grundtatbestand Strafschärfungen: Tatbegehung und -Folgen

Folgen Jede und jeder kann auf einen grundsätzlichen Schutz der sexuellen Selbstbestimmung vertrauen, ohne sie aktiv verteidigen zu müssen. Aussage des Gesetzes: Auch wer sich passiv verhält, ist nicht grundsätzlich sexuell verfügbar.

Bedenken unbegründet Keine zusätzlichen Beweisschwierigkeiten: auch heute kaum objektive Beweise Keine ungerechtfertigte Beeinträchtigung der Rechte des Täters/der Täterin: es gibt kein Recht auf sexuellen Zugriff auf eine Person, die nicht einverstanden ist (bedingter) Vorsatz erforderlich

Fazit Internationales Recht, erkannte Schutzlücken und Wertungs- widersprüche verpflichten den Staat zum Handeln: JETZT! Einzelheiten zum Gesetzentwurf des djb unter http://www.djb.de/Kom/K3/14-14/ Danke für Ihre Aufmerksamkeit!