Schulbuchstudie Migration und Integration –

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 Präsentation transkript:

Schulbuchstudie Migration und Integration – Ergebnisse und Empfehlungen Dr. Inga Niehaus Fachtagung „Diversity und Migration in Lernmitteln“ LVR-Zentrum für Medien und Bildung, Düsseldorf 27.05.2015

(Einwanderungsbedingte) Diversität im Schulbuch – Befunde der Schulbuchforschung Schulbuchuntersuchungen zum Thema Diversität: Fokus ist Darstellung von Migration/Flüchtlingen, Islam/Muslim*innen, Afrika/Afrikaner*innen, Rassismus Studien zu Migration im Schulbuch (Thomas Höhne/Thomas Kunz/Frank- Olaf Radtke 2005 und Tammo Grabbert 2010, Dirk Lange/Sven Rößler 2012): Stereotype Abbildungen und hierarchisierende Gegenüberstellungen von „wir/sie“, „fremd/eigen“, „deutsch/ausländisch“ Arbeitsmigration oder Flucht als primäre Ursachen von Migration (Fokus: Süd-Nord-Wanderung) Migrant*innen als Opfer gesellschaftlicher, ökonomischer und ökologischer Bedingungen

(Einwanderungsbedingte) Diversität im Schulbuch – Befunde der Schulbuchforschung GEI-Studie zur Darstellung von Islam/Muslim*innen in europäischen Schulbüchern (2011) Homogenisierung und Essentialisierung in den Islamdarstellungen/Repräsentationen von Muslim*innen: Unvereinbarkeit von „dem Islam“ mit einem „modernen Europa“ Studien zu Rassismus/Darstellung von Afrika und Weißsein (Katrin Osterloh 2008, Elina Marmer 2013, Florian Grawan 2014): Reproduktion kolonialer Repräsentationen und sprachlich manifestierter Rassismus, Weißsein als normativer Maßstab (Deutschsein=Weißsein)

Migration und Integration im Schulbuch durchgeführt im Auftrag der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Januar - Juli 2014) Sample 65 aktuell zugelassenen Schulbüchern aus den fünf Bundesländern Bayern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Berlin und Brandenburg (qualitative Untersuchung) Fragestellung Wie wird Migration und Integration in Bezug auf gesellschaftliche Vielfalt in deutschen Schulbüchern dargestellt und inwiefern tragen Schulbücher zu einer zunehmenden Akzeptanz von Diversität bei?

Diversity Education-Ansatz Repräsentation, Anerkennung, Wertschätzung und Inklusion von Verschiedenheit (normativer Ansatz) Differenzen sind nicht einfach gegeben, sie werden sozial konstruiert (analytischer Ansatz) Thematisierung gesellschaftlicher Dominanz- und Ungleichheitsverhältnisse (Antidiskriminierungsansatz) Fokus: gesellschaftliche Normalisierung von Diviersität (affirmativer Ansatz)

Diversität im Schulbuch – bildungspolitische Prämissen KMK-Empfehlungen zur Interkulturellen Bildung und Erziehung in der Schule 2013: Schule soll Vielfalt zugleich als Normalität und als Potenzial für alle wahrnehmen und Schulbücher sollen „im Hinblick darauf geprüft werden, ob die vielschichtige, auch herkunftsbezogene Heterogenität der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt ist.“

Migration und Integration im Schulbuch Methodisches Vorgehen: Diskursanalyse Analysedimensionen: Sachliche Dimension: Definitionen, Bezeichnungen und Thematisierung von Migration und Integration Soziale Dimension: Erfahren, wahrnehmen und gestalten von Migration und Integration Zeitliche Dimension: gesellschaftlicher Wandel und Erzählungen von Migration Räumliche Dimension: räumliche, geopolitische Darstellung von Migration Pädagogisch-didaktische Dimension: Adressierung der Lernenden/Vermittlung

Migration und Integration im Schulbuch Ergebnisse (sachliche Dimension) Deutschland wird explizit als Einwanderungsland beschrieben, in dem Menschen unterschiedlicher Herkunft ihre Heimat gefunden haben. Problematisierung von Migration (konfliktträchtig, krisenhaft) überwiegt gegenüber der Darstellung von Diversität als Normalfall. Bezeichnungspraxen: Begriffe wie z.B. „Ausländer“, „Fremde“ „Migranten“ und „Menschen mit Migrationshintergrund“ werden häufig nicht unterschieden. Migrant*innen werden als (Armuts-) Flüchtlinge, Illegale, Notleidende bezeichnet und es werden herkunfts- und religionsbezogene Gruppenbezeichnungen sichtbar, die eine kulturalisierende Wirkung haben: „die Türken“ oder „die Muslime“

Migration und Integration im Schulbuch Ergebnisse (sachliche Dimension) Integration gilt in den Schulbüchern als unbedingt notwendig für die Einwanderungsgesellschaft, wird aber nicht konkretisiert und differenziert (Bildungsbereich, Arbeitswelt, politische Partizipation). Die Erwartung einer Anpassungsleistung von Menschen mit Migrationsgeschichte an die deutsche Gesellschaft wird in den meisten Schulbüchern hervorgehoben (Leistungen des Staates für die Integration werden stets positiv dargestellt)

Migration und Integration im Schulbuch Ergebnisse (sachliche Dimension) Beispiel für die Darstellung von Integration: „Die einwandernden Fremden bilden in ihrer neuen Heimat eine Minderheit: Sie bringen andere Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuche mit, sprechen eine andere Sprache. Für die Einheimischen gelten die eigenen Lebensweisen und Einstellungen als die Norm. Von den Minderheiten wird erwartet, dass sie dies im Zusammenleben übernehmen. Jeder Unterschied wird schnell als Bedrohung empfunden. Die Folge ist eine Ausgrenzung…“ (SozBLN 1, 43).

Migration und Integration im Schulbuch Ergebnisse (soziale Dimension) Migrantinnen und Migranten werden nicht als aktiv Handelnde dargestellt, sondern als passiv Betroffene, die auf widrige Umstände reagieren Darstellung von Einzelschicksalen: Hervorhebung der „Entwurzelung“, Heimatlosigkeit, Hilfebedürftigkeit von Migrant*innen (Empathie) Gegenüberstellung des gebenden und helfenden Staates einerseits und der hilfeempfangenden Migrant*innen anderseits (bezogen auf Aufnahme von Flüchtlingen/ Arbeitsmigrant*innen und daran anschließende Integrationsprozesse)

Migration und Integration im Schulbuch Ergebnisse (zeitliche Dimension) Überwiegend wird Migration nicht systematisch im Zusammenhang mit gesellschaftlicher Mobilität betrachtet (aktuell und historisch) Migration und Integration werden als Faktoren für/von gesellschaftlichen Wandels betrachtet Fehlender Zusammenhang von historischen Prozessen, die strukturelle Ungleichheit verursacht haben (Folgen des Kolonialismus) Ökonomisches Wachstum und gesellschaftliche Modernisierung gelten als Voraussetzung für Integration

Migration und Integration im Schulbuch Ergebnisse (räumliche Dimension) Differenzierte und raumbezogene Betrachtung des Themas Migration: globale Wanderungsbewegungen einzelner Menschen oder bestimmter Gruppen werden dargestellt und es wird zwischen Binnen- und Außenwanderung unterschieden (z.B. GeoBAY 1, 61). Fokus der Darstellung liegt auf grenzüberschreitender Nord-Süd- Migration, partiell auch Ost-West-Migration Bedrohung für nationalstaatliche Ordnung Migration als Folge struktureller Ungleichheiten des Bevölkerungswachstums und der Bevölkerungsverteilung im globalen Maßstab

Migration und Integration im Schulbuch Ergebnisse (pädagogisch-didaktische Dimension) Aufgabenstellungen berücksichtigen selten, dass die persönlichen Bezüge der Schüler*innen beim Thema Migration sehr unterschiedlich sein können. Die meisten Arbeitsaufträge sind aus Perspektive der Dominanzgesellschaft (nicht-migrantisch) formuliert. Beispiele für Aufgabenstellungen: „Ist die multikulturelle Gesellschaft ein Fluch oder ein Segen?“ (SozBAY 1, 81) „Formuliere mögliche Zukunftswege für ausländische Kinder. Welche Ziele sollte eine Integrationspolitik verfolgen?“ (SozNRW 1, 109)

„Doch wie steht es eigentlich mit unserem Wissen über ‚sie‘, die Ausländer?“ (SozNRW 1, 82)

Migration und Integration im Schulbuch Ergebnisse Beispiele für Aufgabenstellungen: „Welche Erfahrungen hast Du mit Aussiedlern gemacht? Wie kann ihre Integration verbessert werden?“ (GeschSN 1, 224) Projektaufgabe „Auf Spurensuche – verschiedene Kulturen in unserer Stadt“ (GeoNRW 3, 160f.): „Wir untersuchen fremde Kulturen am Schulort“ Migrantinnen und Migranten werden zum Objekt gemacht und die Lernenden zum (diskriminierenden) Sprechen über sie aufgefordert.

Migration und Integration im Schulbuch Ergebnisse (pädagogisch-didaktische Dimension) Ansatzweise Anerkennung der unterschiedlichen Erfahrungen mit und Positionen zu Migration und Integration (z.B. Gedicht „Ausländer“ in SozBDB 2, 29)

Migration und Integration im Schulbuch Empfehlungen Bildungsmedienverlage Sicherstellung der gesellschaftlichen Vielfalt in der Autorenschaft und in den Redaktionen (z.B. mehr Schulbuchautorinnen und -autoren mit Migrationshintergrund) Bereitstellung und Inanspruchnahme eines kritischen Lektorats: systematische Einbeziehung der fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen, erziehungswissenschaftlichen und bildungspraktischen Expertise

Migration und Integration im Schulbuch Empfehlungen Schulbuchautorinnen und Schulbuchautoren Abbilden der demografischen Realität in Deutschland (in Bild und Text) und Präsentation von Migration als „gesellschaftlicher Normalfall“ Kritische Auseinandersetzung mit Bezeichnungspraxen (z.B. Vermeidung verallgemeinernder Gruppenbezeichnungen : „die Türken“, „die Deutschen“) Migration und Integration/Inklusion auch in ihren Potenzialen aufzeigen (Diversität als wichtige und nützliche gesellschaftliche Ressource – Mehrsprachigkeit/Interkulturelle Kompetenz)

Migration und Integration im Schulbuch Empfehlungen Lehrerausbildung/-fortbildung Curriculare Verankerung von Diversity Education in der Lehrerausbildung – einschließlich des kritischen Umgangs mit Bildungsmedien (z.B. analog zum Modell der Bremer Lehrerausbildung) Mehr Angebote für Lehrerfort- und -weiterbildung und stärkere Verbreitung von bereits vorhandenen ungleichheits- und diversitätssensiblen Unterrichtsmaterialen

Diversity hat viele Gesichter (Auszug aus einem aktuellen Politikschulbuch)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit