SS 2002 Experimentalvortrag Wasserstoffperoxid 19.06.02
1. Allgemeine Eigenschaften 2. Vorkommen 3. Physiologische Wirkung Gliederung 1. Allgemeine Eigenschaften 2. Vorkommen 3. Physiologische Wirkung 4. Historie 5. Darstellung 6. Verwendung
1. Allgemeine Eigenschaften Summenformel H2O2 farb- und geruchlose Flüssigkeit im wasserfreiem Zustand: sirupartig mit Wasser in allen Mengenverhältnissen mischbar 30%iges H2O2 kommt als „Perhydrol“ in den Handel sehr schwache Säure H2O2 (aq) + H2O HO2- (aq) + H3O+ (aq)
Molekülgeometrie verdrilltes Molekül ⇨ Verringerung der Abstoßung der freien Elektronenpaare der Sauerstoffatome geschwächte Bindung (O-O), weil Abstoßung noch vorhanden ⇨ metastabile Verbindung ⇨ starkes Bestreben zum Zerfall
Allgemeine Eigenschaften hohes Zerfallsbestreben unter großer Wärmeentwicklung: -1 -2 0 2 H2O2 (aq) → 2 H2O + O2 (g) ↑ ∆H° = - 98 kJ/mol Zerfall wird initiiert durch Bildung von OH-Radikalen: HOOH → 2 HO∙ ∆H° = 211 kJ/mol HO∙ + H2O2 → H2O + HO2∙ HO2∙ + H2O2 → H2O + O2 + HO∙ jedoch sehr langsam bei Zimmertemperatur
Allgemeine Eigenschaften Erhöhung der Zersetzungsgeschwindigkeit durch Katalysatoren (z. B. Schwermetalle, Alkalien oder andere Verunreinigungen) ⇨ Versuch 1 Deshalb: Zugabe geringer Mengen (ca. 100 - 1000 ppm) an Stabilisatoren z. B. Chelatbildner, Stannate oder Phosphate, die Metallionen komplexieren
Versuch 1 – Katalytische Zersetzung Reagenzglas 1: Beispiel für homogene Katalyse ⇨ katalytische Wirksamkeit der Eisenionen beruht auf wechselseitigen Redoxübergang Fe(III) ⇄ Fe(V) Kremer-Stein-Mechanismus: +3 -1 +3 -1 Fe3+(aq) + H2O2 (aq) FeOOH2+(aq) + H+(aq) +3 -1 +5 -2 -2 FeOOH2+(aq) + H+(aq) FeO3+(aq) + H2O +5 -2 -1 +3 0 -2 FeO3+(aq) + H2O2 (aq) Fe3+(aq) + O2 (g) ↑ + H2O
Versuch 1 – Katalytische Zersetzung Reagenzglas 2: Beispiel für heterogene Katalyse ⇨ Bildung und Zersetzung eines höheren instabilen Manganoxids MnO2 (s) + H2O2 (aq) “MnO3“(s) + H2O “MnO3“(s) + H2O2 (aq) MnO2 (s) + H2O + O2 (g) ↑ Reagenzglas 3: Auswertung in Kapitel 3
2. Vorkommen In sehr niedrigen Konzentrationen natürlich vorkommende Substanz: im Wasser (1 – 30 μg/L) in der Atmosphäre (0,1 – 1 ppm) in allen aerob lebenden Zellen (z. B. menschliche Atemluft 300 - 1000 μg/m3) Kuriosität: Bombardierkäfer (Brachinus crepitans / Brachinus explodens)
Bombardierkäfer Käfer produziert mit seinen Drüsen Hydrochinon und Wasserstoffperoxid (bis zu einer Konzentration von 28,5 %) Substanzen dienen als Abwehrstoffe gegen Freßfeinde
3. Physiologische Wirkung Wie kommt H2O2 in den Organismus? Endreaktion der Atmungskette ⇨ aus Sauerstoff kann das toxische Superoxid-Ion O2- gebildet werden: 2 O2-(aq) + 2 H+(aq) H2O2 (aq) + O2 (g) Folgen? in höheren Konzentrationen: Zellgift Deshalb: Schutzmechanismen, in Form von H2O2-zersetzenden Enzymen (Katalase / H2O2-Oxidoreduktase) ⇨ Versuch 2 Superoxid- Dismutase
Versuch 2 – Physiologische Wirkung H2O2 als Zellgift: Reagenzglas 1 (ohne H2O2): NH3 (aq) + H2O NH4+(aq) + OH-(aq) ↳ pH > 8,3 → Umschlag des farblosen Phenolphthalein nach rot + H2O + NH3 (aq) Harnstoff Carbamidsäure CO2 (g) + NH3 (aq) Urease spontan
Versuch 2 – Physiologische Wirkung Reagenzglas 2 (mit H2O2): Urease wird durch H2O2 irreversibel geschädigt, deshalb kein Umschlag des farblosen Phenolphthaleins + H2O
Physiologische Wirkung Schutzmechanismen: Reagenzglas 3 (von Versuch 1): Katalysator im Blut ist das Enzym Katalase, welches in der Lage ist H2O2 sehr schnell zu zersetzen Katalase: ∙ eines der effektivsten Enzyme (ein Katalasemolekül zerlegt in einer Sekunde 3·1011 H2O2-Moleküle) ∙ enthält 4 Hämgruppen mit Fe(III) ∙ Hauptaufgabe ist Zerstörung des Zellgifts H2O2
4. Historie 1818 erstmalige Darstellung durch Thenard mit Bariumperoxid als Ausgangssubstanz ⇨Versuch 3
Versuch 3a – Darstellung Reaktion ist mit einem Fällungsvorgang und einer Säure-Base-Reaktion nach Brønsted verknüpft: BaO2 (s) + H2SO4 (aq) BaSO4 (s) ↓ + H2O2 (aq) weiß O22-(aq) + 2 H3O+(aq) H2O2 (aq) + 2 H2O Abstumpfen des Reaktionsmilieus: BaCO3 (s) + 2 H3O+(aq) + SO42-(aq) BaSO4 (s) ↓ + CO2 (g) ↑ + 3 H2O
Versuch 3b – Nachweis mit Titanoxidsulfat Reaktion ist mit einer Ligandenaustauschreaktion verknüpft: formal: -2 -1 -1 -1 -2 [TiO]SO4 (aq) + H2O2 (aq) [TiO-O]SO4 (aq) + H2O gelb genauer: -2 -1 -1 -2 [Ti(OH)2(H2O)4]2+(aq) + H2O2 (aq) [Ti(O2) · aq]2+(aq) + 6 H2O H3O+
Historie 1818 erstmalige Darstellung durch Thenard mit Bariumperoxid als Ausgangssubstanz bleichende und desinfizierende Wirkung wurde erkannt 1873 erste Anlage zur fabrikmäßigen Herstellung von 3%igen H2O2 aus BaO2 bei Schering in Berlin 1896 technische Produktion von 3-8%igen H2O2 bei Merck in Darmstadt 1905 industrieller Durchbruch mit einem Deutschen Reichspatent zur Herstellung auf elektrolytischem Weg über die Peroxodischwefelsäure (ca. 28%ige Lösungen) 1953 erste großtechnische Anthrachinon-Autoxidations-Anlage in Memphis/Tennessee
5. Großtechnische Darstellung heute 2-Alkyl-anthrahydrochinon H2O2 (30-40%) (in H2O) Edukt 2 2-Alkyl-anthrachinon H2 (Pd) O2 → + H2O2 Produkt Edukt 1 2-Alkyl-anthrachinon H2 (Pd) O2 → + H2O2 Produkt Edukt 1
H2O2-Bedarf (Weltmarkt) Bedarf steigt weltweit jährlich um mehr als 10%
6. Verwendung 1831 Publikation von Heinrich Wilhelm Kurrer: „ Diese Flüssigkeit [...] wird, wenn man es erst in großem wohlfeil zubereiten gelernt hat, zur Vervollkommnung der Bleichkunst wesentlich beitragen.“
Verwendung Lösung als Bleichmittel in der Papier- und Zellstoffindustrie und in der Textilindustrie 3-8%ige Lösung für medizinische und kosmetische Zwecke ⇨Versuch 4 in gebundener Form als Waschmittelkomponente (“festes“ H2O2) ⇨Versuch 5 chemische Abwasserbehandlung in der chemischen Industrie zur Synthese von organischen Peroxiden und Epoxyverbindungen 85-90%ige Lösung für militärische Anwendungen und als Treibstoff für Satellitenantriebe
Verwendung
Verwendung als Desinfektionsmittel antimikrobielle Wirksamkeit von H2O2 seit etwa 100 Jahren bekannt abtötende Wirkung beruht auf oxidativen Zerstörung wichtiger Zellkomponenten durch hochaktiven Sauerstoff Sauerstoff in statu nascendi entsteht beim Zerfall Vorteil: Verzicht auf Konservierungsstoffe ⇨ Versuch 4
Versuch 4a – Nachweis von H2O2 in Desinfektionsmitteln durch Chemolumineszenz Durchführung: Katalysator K3[Fe(CN)6] Lösung 1 Luminol in verd. Natronlauge gelöst Lösung 2 verd. K3[Fe(CN)6]-Lösung + Desinfektionsmittel
(3-Aminophthalsäurehydrazid) Versuch 4a – Nachweis von H2O2 in Desinfektionsmitteln durch Chemolumineszenz Gesamtreaktion: K3[Fe(CN)6] + 2 Na+(aq) + 2 OH-(aq) + 2 H2O2 (aq) + 2 Na+(aq) + N2 (g) + 4 H2O -hν K3[Fe(CN)6](s) Luminol (3-Aminophthalsäurehydrazid)
Versuch 4a – Nachweis von H2O2 in Desinfektionsmitteln durch Chemolumineszenz + OH-(aq) - H2O Luminol (3-Aminophthalsäurehydrazid) + H2O2 (aq) - 2 OH-(aq) + O22-(aq) Diazachinon Mechanismus:
Versuch 4a – Nachweis von H2O2 in Desinfektionsmitteln durch Chemolumineszenz Mechanismus (Fortsetzung): - N2 (g) * hν (λ = 450 nm, ca. 250 kJ/mol)
Versuch 4b – Quantitative Bestimmung von H2O2 in Desinfektionsmitteln Bestimmung mit Hilfe der Permanganometrie: Durchführung: Einwaage: 5 g Desinfektionslösung Maßlösung: KMnO4-Lösung (c = 0,02 mol/L) Milieu: schwefelsauer Endpunktsbestimmung: bleibende blaßrosa Färbung der Lösung (mind. ½ Minute) Reaktionsgleichung: +7 -1 +2 0 2 MnO4-(aq) + 5 H2O2 (aq) + 6 H3O+(aq) 2 Mn2+(aq) + 5 O2 (g)↑ + 14 H2O violett blaßrosa
Versuch 4b – Quantitative Bestimmung von H2O2 in Desinfektionsmitteln Berechnung: 1 mL KMnO4-Lösung (c = 0,02 mol/L) enthält 3,16 mg KMnO4 (M(KMnO4) = 158 g/mol) Somit ergibt sich: Also entsprechen ........ mL KMnO4-Lösung ......... mg H2O2. Für den Massenanteil ergibt sich somit: Literaturwert (Kontaktlinsendesinfektionsmittel): w = 0,6% = 1,7 mg m(H2O2) = 3,16 mg · 5 mol · 34 g/mol 2 mol · 158 g/mol w(H2O2) = m(H2O2) m(Desinfektionsmittel) = ...........g 5 g .......%
Verwendung in Waschmitteln z. B. im Fleckensalz 15-30% Bleichmittel in Form von Natriumcarbonat-Peroxohydrat 2 Na2CO3 · 3 H2O2 oder als Natriumperoxoborat “NaBO2 · H2O2 · 3 H2O” freigesetztes H2O2 zerstört Schmutz durch Oxidation → farbige Anschmutzungen werden in nicht farbige Verbindungen überführt Bleichwirkung geht von atomaren Sauerstoff aus (statu nascendi) ⇨ Versuch 5
Versuch 5 – Bleichende Wirkung Verdeutlichung des Reaktionsverlaufes am Beispiel von Natriumperoxoborat (Natrium-metaborat-peroxid-hydrat): Struktur: 2 “NaBO2 · H2O2 · 3 H2O” ≙ Na2[(HO)2B(O2)2B(OH)2] · 6 H2O sechsgliedriger, sesselförmiger B2(O2)2-Ring 2- 2 Na+ • 6 H2O
Versuch 5 – Bleichende Wirkung (1) Freisetzung von H2O2: Na2[B2(O2)2(OH)4] (s) + 2 H2O 2 H2O2 (aq) + 2 Na+(aq) + 2 H2BO3-(aq) 2 H2BO3- (aq) + 2 H2O 2 H3BO3 (aq) + 2 OH-(aq) (2) Zerfall von H2O2 mit Bleichwirkung: H2O2 (aq) + OH-(aq) H2O + HO2-(aq) HO2-(aq) OH-(aq) + [O] ↓ statu nascendi → Bleichwirkung unerwünschte Reaktion: 2 H2O2 (aq) 2 H2O + O2 (g) ↑ ∆ ∆
Versuch 6 - Brennstoffzelle Ethanol in KOH H2O2 2 e- Anode Kathode M e- Elektrolytlösung: KOH (aq) Elektroden: Pd auf Ni theoretische Spannung: U = 1,23 V erreichte Spannung: 0,8 – 0,9 V
Versuch 6 - Brennstoffzelle Kohlenstoffoxidation an der Anode: -3 -1 +4 H3C―CH2―OH (aq) + 12 OH-(aq) 2 CO2 (g) + 9 H2O + 12 e- Sauerstoffreduktion an der Kathode: -1 -2 direkte Reaktion: 6 H2O2 (aq) + 12 e- 12 OH-(aq) oder Zersetzung unter katalytischen Einfluß des Elektrodenmaterials: -1 -2 0 6 H2O2 (aq) 6 H2O + 3 O2 (g) 0 -2 3 O2 (g) + 6 H2O + 12 e- 12 OH-(aq) Also: Pro Mol H2O2 werden 2 Mol Elektronen verbraucht. Pd
Schlussbetrachtung ⇨ ideales Oxidationsmittel, da es keine belastenden Nebenprodukte bildet ⇨ keine Anreicherung in der Natur (weder durch natürliche, noch durch industrielle Prozesse) ⇨ immer mehr Anwendungen als umweltfreundliche Alternative zu Chlor und dessen Derivaten