Beispiel: Schuhe ausziehen, oder nicht? Mehrere nacheinander eintreffende junge Erwachsene beginnen beim Betreten der Wohnung ihrer Gastgeberin, nachdem sie diese begrüßt haben, ohne entsprechende Aufforderung damit, ihre Schuhe auszuziehen. Andere fragen, ob sie die Schuhe ausziehen sollen. Als die Gastgeberin antwortet, das sei nicht nötig, ihnen aber die Entscheidung offen lässt, beginnen sie ganz selbstverständlich ihre Schuhe auszuziehen
Denkbare Kontexte 1) Aufgrund schlechten Wetters (Regen, Schneematsch) bringen die Studierenden mit ihren Schuhen so viel Schmutz in die Wohnung, das es ein Gebot der Höflichkeit ist, die Schuhe auszuziehen, um die Wohnung nicht zu verunreinigen 2) Die Wohnung ist mit Teppichen und mit Teppichboden ausgelegt, die die Gäste nicht betreten wollen 3) Die Beziehung zwischen Gastgeberin und Besuchern ist so stark informalisiert, dass die Besucher sich sofort “wie zu Hause” fühlen und entsprechend ihre Schuhe ausziehen 4) Die Besucher beziehen sich wie selbstverständlich auf die soziale Gepflogenheit, beim Betreten einer Privatwohnung die Schuhe auszuziehen. Diese Gepflogenheit bringen sie unabhängig von der konkreten Beziehung zur Gastberin zur Anwendung.
Hypothese Die spezifischen gesellschaftlichen Umstände im Osten Deutschlands – und weiter zurückgehend der DDR – sind es, die dieser sozialen Praxis ihren Sinn verleihen In der klaren Grenzziehung zwischen drinnen und draußen kann man einen Nachklang der DDR-Gesellschaft sehen, in der dem privaten Bereich gesteigerte Bedeutung zukam.