Helmut J. Schneider ROMANTIK Vorlesung WS 2008/09

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Joseph von Eichendorff: Mondnacht (1837)
 Präsentation transkript:

Helmut J. Schneider ROMANTIK Vorlesung WS 2008/09 VL I: Einführung und Überblick

Joseph von Eichendorff Mondnacht Es war, als hätt der Himmel Die Erde still geküßt, Daß sie im Blütenschimmer Von ihm nun träumen müßt. Die Luft ging durch die Felder, Die Ähren wogten sacht, Es rauschten leis die Wälder, So sternklar war die Nacht. Und meine Seele spannte Weit ihre Flügel aus, Flog durch die stillen Lande, Als flöge sie nach Haus.

Caspar David Friedrich Zwei Wanderer, den Mond betrachtend

Caspar David Friedrich Der Wanderer über dem Nebelmeer

Einführung: Überblick Zum Begriff Allgemein- und literaturhistorische Lokalisierung; einige Daten Europäische und deutsche Romantik Übergeordnete Perspektive: Romantik als ästhetische Kompensation der gesellschaftlichen Moderne Plan der Vorlesung: Erläuterung Einige bibliographische Angaben

Zum Begriff „Roman“ (frz. „romance“) – trad. phantastische Prosaerzählung, bes. Liebesgeschichte; romantisch = romanhaft Moderner Roman (englisch „novel“) seit ca. Mitte 18. Jh. Gegen Ende 18. Jh. Gegenbegriff zu rationalistisch/klassizistisch; auch: „modern“ Weiter Begriff (Hegel): christlich-mittelalterliche Kunst vs antik-klassisch-heidnische

Historischer Hintergrund: Zentrale Daten 1786 Tod Friedrich des Großen 1789 Französische Revolution 1793 Enthauptung des Königspaars 1794 Schreckensherrschaft („Terreur“) Robespierres 1799 Napoleon Erster Konsul; 1804 Kaiserkrönung 1803 Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation; 1806 Niederlage Preußens in der Schlacht von Jena und Auerstedt 1813-15 Freiheitskriege gegen Napoleon 1815 Wiener Kongreß 1830 Pariser Julirevolution 1848/49 Europäische Revolutionen; Frankfurter Paulskirche

Einige literarhistorische Rahmendaten 1795/96 Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre; Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung 1794-1805 „Klassisches“ Projekt der Zusammenarbeit Goethe-Schiller 1798-1800 Athenäumszeitschrift; Kreis der sog. Jenaer Frühromantik 1805 Tod Schillers 1805/08 Des Knaben Wunderhorn (Achim von Arnim und Clemens Brentano); 1812/15 Kinder- und Hausmärchen (Brüder Grimm) 1809 Goethe: Die Wahlverwandtschaften

Problematik der deutschen literaturgeschichtlichen Epochenbildung Aufklärung Empfindsamkeit Sturm und Drang Klassik Romantik Frühromantik (Jena) Mittlere Romantik (Berlin, Heidelberg) Spätromantik (Wien, München) „Um 1800“ „Kunstperiode“ (H. Heine) Goethezeit

Weitere (europäische) Perspektive Aufklärung (vor Hintergrund Renaissance / Humanismus / Reformation seit 15./16. Jahrhundert): Ende 17. bis Ende 18. Jahrhundert Eckdaten: 1687/88 „Querelle des Anciens et des Modernes“ (Nachwirkung bis Schiller und F. Schlegel) Französische Revolution 1789 Romantik als Gegenbewegung Aus dem ‚Schoß‘ der Aufklärung heraus und sie voraussetzend Wichtige Vorbereiter seit Mitte des 18. Jahrhundert: Jean-Jacques Rousseau, Johann Gottfried Herder, der junge Goethe Deutsche Früh- und Spätromantik Romantik als ‚ästhetische Modernität‘: spätere Beispiele von „Neuromantik“ (Hugo von Hofmannsthal, Hermann Hesse, Peter Handke) oder auch ästhetischer Avantgarde

„Europäische Romantik“ Parallelen zur englischen Literatur: William Wordsworth, Samuel Coleridge, Percy Shelley, Mary Shelley, John Keats Französische Romantik (?): Chateaubriand, Gérard de Nerval, Victor Hugo (19. Jahrhundert). – Wirkung aus Deutschland: Jean Paul, E.T.A. Hoffmann, Heinrich Heine Madame de Stael, De l‘Allemagne 1813

Historiographie der Romantik Heinrich Heine, Die romantische Schule (1835) Theodor Echtermeyer/Arnold Ruge, Der Protestantismus und die Romantik (1839/40) Joseph von Eichendorff, Geschichte der neueren romantischen Poesie in Deutschland (1847) Rudolf Haym, Die romantische Schule (1870) Ricarda Huch, Blütezeit der Romantik (1908) Walter Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik (1920) Rüdiger Safranski, Romantik. Eine deutsche Affaire (2007)

Prozeß der neuzeitlichen Aufklärung und die romantische Gegenbewegung Säkularisierung (Entmythisierung) und Rationalisierung Wissenschaftliches Weltbild (‚Naturbeherrschung‘) Zivilisatorischer Fortschritt Bürokratisierung (‚Aufgeklärter Absolutismus‘) und politischer Einheitsstaat Aufstieg des Bürgertums Neue (merkantilistische, kapitalistische) Ökonomie und Niedergang des Feudalismus „Entzauberung der Welt“ (Max Weber)

Karoline von Günderode Vorzeit, und neue Zeit Ein schmaler rauher Pfad schien sonst die Erde. Und auf den Bergen glänzt‘ der Himmel über ihr, Ein Abgrund ihr zur Seite war die Hölle, Und Pfade führten in den Himmel und zur Hölle. Doch alles ist ganz anders nun geworden, Der Himmel ist gestürzt, der Abgrund ausgefüllt, Und mit Vernunft bedeckt, und sehr bequem zum Gehen. Des Glaubens Höhen sind nun demolieret. Und auf der flachen Erde schreitet der Verstand, Und misset alles aus, nach Klafter und nach Schuhen.

Romantik als „Wiederverzauberung“ der Welt Religion, Mythos, Sage, Märchen … Katholizismus vs Protestantismus (Konversionen) Landschaft (ästhetische Natur statt wissenschaftlich-technisch analysierte) Mittelalter; „die gute alte Zeit“; Nostalgie Monarchie Liebe (statt Verstand) Nacht (statt Tag/Licht) Tod Innerlichkeit/Seele „Poesie“ als Organon der Welterfassung (Lied, Märchen, Sage …) Keine Regression hinter Aufklärung zurück, sondern „andere Seite“ der Aufklärung

Friedrich von Hardenberg (gen. Novalis) Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren Sind Schlüssel aller Kreaturen, Wenn die, so singen oder küssen, Mehr als die Tiefgelehrten wissen, Wenn sich die Welt in's freie Leben, Und in die Welt wird zurück begeben, Wenn dann sich wieder Licht und Schatten Zu ächter Klarheit werden gatten, Und man in Mährchen und Gedichten Erkennt die ewgen Weltgeschichten, Dann fliegt vor Einem geheimen Wort Das ganze verkehrte Wesen fort.

Korrespondenz von Ich und Welt „Die Welt hat eine ursprüngliche Fähigkeit, durch mich belebt zu werden <…> Ich habe eine ursp<rüngliche> Tendenz und Fähigkeit, die Welt zu beleben.“ (Friedrich von Hardenberg, gen. Novalis) Samuel Coleridge: „indissoluble union of mind and matter“ Joseph Schelling: Natur ist unbewußter Geist, Geist ist bewußte Natur Poesie als Entzifferung der ursprünglichen Natursprache

Joseph von Eichendorff Schläft ein Lied in allen Dingen Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu singen, Triffst du nur das Zauberwort

„Romantisieren“ als „Operation“ „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es <…>“ (Novalis)

Verlockung zum Abgrund I (Goethe: Der Fischer) Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, Ein Fischer saß daran, Sah nach dem Angel ruhevoll, Kühl bis ans Herz hinan. Und wie er sitzt und wie er lauscht, Teilt sich die Flut empor; Aus dem bewegten Wasser rauscht Ein feuchtes Weib hervor.   Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm: »Was lockst du meine Brut Mit Menschenwitz und Menschenlist Hinauf in Todesglut? Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist So wohlig auf dem Grund, Du stiegst herunter, wie du bist, Und würdest erst gesund. Labt sich die liebe Sonne nicht, Der Mond sich nicht im Meer? Kehrt wellenatmend ihr Gesicht Nicht doppelt schöner her? Lockt dich der tiefe Himmel nicht, Das feuchtverklärte Blau? Lockt dich dein eigen Angesicht Nicht her in ew'gen Tau?« Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, Netzt' ihm den nackten Fuß; Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll, Wie bei der Liebsten Gruß. Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm; Da war's um ihn geschehn: Halb zog sie ihn, halb sank er hin, Und ward nicht mehr gesehn.

Verlockung zum Abgrund II (Joseph von Eichendorff) Hörst du nicht die Bäume rauschen Draußen durch die stille Rund? Lockt's dich nicht, hinabzulauschen Von dem Söller in den Grund,   Wo die vielen Bäche gehen Wunderbar im Mondenschein Und die stillen Schlösser sehen In den Floß vom hohen Stein? Kennst du noch die irren Lieder Aus der alten, schönen Zeit? Sie erwachen alle wieder Nachts in Waldeseinsamkeit, Wenn die Bäume träumend lauschen Und der Flieder duftet schwül Und im Fluß die Nixen rauschen - Komm herab, hier ist's so kühl.

Vorlesung: Romantik VORLÄUFIGER ABFOLGEPLAN I  I Hintergründe, Tendenzen, Werke  17.10. Zur Einführung: Romantik als europäisches Phänomen – ästhetische Bewegung der gesellschaftlichen Moderne 24.10. Drei Hintergründe: Französische Revolution; industrielle Revolution (England); philosophischer Idealismus (Deutschland) 31.10. Rolle der Kunst und Bild des Künstlers; Kunstreligion <7.11. MUSS AUSFALLEN<

Vorlesung: Romantik VORLÄUFIGER ABFOLGEPLAN II 14.11. Poesie und Geschichtsphilosophie (F. Schiller, Über naive und sentimentalische Dichtung; F. Schlegel, Über das Studium der griechischen Poesie;; Novalis, Christenheit oder Europa) 21.11. „Neue Mythologie“ 28.11. Poetik und Kritik (F. Schlegel, Gespräch über Poesie; F. Schlegel, Novalis, Schleiermacher, Aphorismen und Fragmente)

Vorlesung: Romantik VORLÄUFIGER ABFOLGEPLAN III 5.12. Die Nacht und das Unbewußte. - „Schwarze Romantik“ (u.a. Klingemann, Nachtwachen des Bonaventura) 12.12. Der romantische Künstlerroman (bes.: Novalis, Heinrich von Ofterdingen; Tieck, Franz Sternbalds Wanderungen; E.T.A. Hoffmann, Kater Murr) 19.12. Romantische Lyrik: Liebe und Lied

Vorlesung: Romantik VORLÄUFIGER ABFOLGEPLAN IV  Weihnachtspause  II Die großen Themen  9.1. Jugend 16.1. Liebe 23.1. Landschaft und Wandern 30.1. Musik 6.2. Politische Romantik: Entstehung des Konservativismus

Heinrich Heine Aus: Buch der Lieder   Berg' und Burgen schaun herunter In den spiegelhellen Rhein, Und mein Schiffchen segelt munter, Rings umglänzt von Sonnenschein. Ruhig seh ich zu dem Spiele Goldner Wellen, kraus bewegt; Still erwachen die Gefühle, Die ich tief im Busen hegt. Freundlich grüßend und verheißend Lockt hinab des Stromes Pracht; Doch ich kenn ihn, oben gleißend, Birgt sein Innres Tod und Nacht. Oben Lust, im Busen Tücken, Strom, du bist der Liebsten Bild! Die kann auch so freundlich nicken, Lächelt auch so fromm und mild.

Gerhard Schulz, Romantik Gerhard Schulz, Romantik. Geschichte und Begriff, München 1996 (Beck‘sche Reihe) Monika Schmitz-Emans, Einführung in die Literatur der Romantik, Darmstadt 2004 (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Einführung Germanistik) Detlev Kremer, Romantik. Lehrbuch Germanistik, Stuttgart 2001