Heldensage und Heldendichtung (2)

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Heldensage und Heldendichtung (2)

Heldendichtung: die Autoren/Dichter/Sänger Zahlreiche Belege über fahrende Sänger und Unterhaltungskünstler (vgl. Ernst Schubert, Fahrendes Volk im Mittelalter, Bielefeld 1995, S. 96-100; 145-202; Joachim Bumke, Höfische Kultur, S. 691-700). Heldenlieder werden in der Regel vom Sänger im Rahmen der Aufführung aus seinem und der Gesellschaft Sagenwissen heraus jeweils neu gestaltet. Hilfsmittel: Formelhaftigkeit a) in einzelnen standardisierten Wendungen: Redeeinleitung etc.; b) in standardisierbaren Szene-Typen: Ankunft, Empfang, Abschied, Tagesanbruch, Abend etc.

Autor/Sänger und Gesellschaft Herkunft vielfach aus dem fahrenden, d.h. nicht-seßhaften und rechtlosen Volk (im 13./14. Jh. bes. in der Gattung der Sangspruchdichtung belegbar: Marner; Kanzler etc., s. VL). Tätig als Sänger (cantores), Schausteller (mimi; histriones); Spielleute (ioculatores) Singen für Lohn: Kleidung, Nahrung, Unterhalt. Daneben: Sänger auch aus der niederadligen Schicht. Lit. bezeugte Sänger: Volker der Spielmann im NL; Horant (Kudrun; Dukus Horant, s. Gillespie, Catalogue s. LV). Markantes Zeugnis: die Reiserechnungen Bischof Wolfgers von Passau von 1203/04; dort ist auch Walther von der Vogelweide unter solchem Unterhaltungspersonal genannt, s. H. Heger, Das Lebenszeugnis Walthers von der Vogelweide).

Heldendichtung innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaftskultur Kultur unterhalb des Adels und des Klerus nur unvollkommen bezeugt. Vortrag von Liedern aber anzunehmen bei bestimmten volkreichen Anlässen (Kirchweih; hohe Feste etc.). R. Schnell: „Die Hofkultur des 12. Jhs. wird großenteils von gebildeten Laien und Geistlichen gemeinsam geformt“ (gilt auch für frühere und spätere Zeiten). Ein Beispiel: Heldendichtung in Kreisen der Geistlichkeit: der Domscholaster Meinhard von Bamberg klagt, sein Herr, der Bischof, lese kaum einmal die Schriften der Kirchenväter, immer beschäftige er sich mit Attila oder dem Geschlecht Dietrichs von Bern, den Amelungen (s. Erdmann, Fabulae curiales, LV 65).

Heldendichtung Erhaltung und Überlieferung der Texte Jede Beschäftigung mit historischen Gegenständen steht vor einer mehr oder weniger großen Lückenhaftigkeit der Quellen. Der Blick in die Überlieferung bietet Indizien für die Überlieferungsabsicht und für den Gebrauch der Texte. -> „Literarische Interessenbildung“ (Heinzle). Aufgrund der Details der Überlieferung lassen sich Gebrauchsräume und Funktion von Literatur wenigstens ansatzweise rekonstruieren. Dazu einige Beispiele:

Heldendichtung: Der Erkenntniswert der Überlieferung Hildebrandslied (VL): entstd. Ende 8. Jh.; Stabreimdichtung; in einer einzigen Handschrift erhalten, aufgezeichnet um 830 im Kloster Fulda: Bairische Vorlage, altsächsisch überformt. Jüngeres Hildebrandslied (13. Jh.?, s.VL): in sangbarer, bis ins 17. Jh. sehr beliebter Strophenform abgefasst; zahlreiche Handschriften; Aufnahme in Sammlungen von Heldenbüchern; zahlreiche Druckausgaben bis ins 16. Jh. Nibelungenlied, entstd. um 1200; sangbare Strophen; 33 Hss. des 13.-15. Jhs.; keine Drucke. Aber im 16. Jh. veröffentlicht der Humanist und Arzt Wolfgang Lazius ein lat. Werk über die Völkerwanderungszeit und zitiert den dt. Text des NL. NL stets überliefert zusammen mit der ‚Klage‘: was bedeutet dieser anscheinend obligate Werkverbund? Wie bestimmt er die Interpretation des Nibelungenlieds?

Heldendichtung: Überlieferungstypen Einzelhandschriften (nur bei größeren Texten: z.B. NL und Klage). Sammelhandschriften mit mehreren Texte: z.B. St. Gallen, Stiftsbibl. Cod. 857, mit Werken Wolframs von Eschenbach, Stricker, ‚Karl der Große‘, geistlichen Texten. Heldenbücher (s. VL): Sammlungen von erzählender Heldendichtung: Handschriften und Drucke. Selten: Buchillustrationen der Heldendichtung. Medienwechsel: Heldendichtung im Buchdruck a) Heldenbücher im Folioformat; b) Einzeldrucke, in der Regel nur die aventiurehafte Dietrichdichtung, dazu Jg. Hildebrandslied auch in kleinen Heftchen. NL wird nie gedruckt.

‚Hildebrandslied‘ (s. VL; Haug, LV 6, mit Kommentar) Gehört inhaltlich zu histor. Dietrichsage: Dietrich hatte vor dem Hass seines Onkels Odoaker (v. 18f.) aus Bern (Verona) fliehen müssen, ebenso sein Waffenmeister Hildebrant, der seine Gattin und seinen kleinen Sohn zurücklässt. Nun aber, nach 60 Sommern und Wintern (= 30 Jahren, v. 50) kehrt (wie Dietrich) jetzt auch der alte Hildebrand heim. Zusammentreffen mit Hildebrants mit seinem inzwischen erwachsenen Sohn, der den Vater nicht erkennt. Begegnung „Zwischen zwei Heeren“. Reizreden –> Zweikampf: Vater gegen Sohn. Der Text bricht ab: aus anderer Überlieferung ist bekannt, dass der Vater seinen Sohn erschlagen muss.

‚Hildebrandslied‘: Aufbau; Aufzeichnung v. 1-6: Einleitung durch den Erzähler v. 7-62 große Dialogpartie, aus indirekter in die direkte Rede übergehend. Formalisierte Redeinleitungen. Abgewogene Binnengliederung v. 63-68 Erzähler (Schluss fehlt). Aufzeichnung: um 830 von einem unbekannten Mönch im Kloster Fulda; die Entstehung des ‚Hildebrandslieds‘ liegt wesentlich früher: im langobardischen Herrschaftsbereich in Oberitalien (?), dann über Bayern nach Fulda. Aufgezeichnet auf der Vorderseite des ersten und der Rückseite des letzten Blattes einer lat. Hs. Ende 8. Jh. – Inhalt: die alttestamentlichen Weisheitsbücher ‚Weisheits Salomos; Prediger Salomo‘ (‚Liber Sapientiae‘ und ‚Ecclesiasticus‘ Mit großer Wahrscheinlichkeit Abschrift von einer schriftlichen Vorlage, keine Mitschrift eines Sängervortrags.

Ik gihorta đat seggen đat sih urhettun ænon muotin hiltibraht enti hađubrant untar heriun tuem sunufatarungo. Iro saro rihtun garutun se iro guđhamun. gurtun sih iro suert ana. helidos ubar (h)ringa do sie to dero hiltiu ritun. hiltibraht gimahalta heribrantes sunu. Hildebrandslied, aufgezeichnet von einer Hand um 830 im Kloster Fulda (jetzt Kassel, Murhardsche und Landesbibl. Cod. theol. fol. 54, f. 1r und 76v

Hildebrandslied, 2. Blatt (f. 76v) mit Abbruch des Textes

Heldendichtung im 10. Jh. in lat. Sprache: der ‚Waltharius‘ (->VL) Zugrunde liegt ein Sagenkomplex von dem aquitanischen Fürsten Walther (altengl. Waldere, lat. Waltharius), seinem Aufenthalt als Geisel am Hofe Etzels und seiner Flucht mit seiner Geliebten Hiltgunt. „Sagentechnisch“ vorausgesetzt: a) ein positives Bild vom Hof Attilas als Aufenthaltsort von Geiseln und Verbannten (dazu gehört Dietrich von Bern); b) der Burgunderhof in Worms am Rhein mit Gunther und Hagen. Das Mittelalter überliefert mehrere Dichtungen über Walther/Waltharius.

‚Waltharius‘: eine Erzählung aus der fernen Vorzeit König Attila zieht gegen die Franken. Nur gegen die Stellung einer Geisel werden sie verschont. Gunther, der Sohn König Gibichos ist noch zu klein; statt seiner wird der edle Knabe Hagen aus altem trojanischem Geschlecht (veniens de germine Troiae) als Geisel gestellt. Jährlicher Tribut wird vereinbart. Als Geisel aus Burgund nimmt Hagen die Königstochter Hiltgunt und sichert dem Land Frieden zu. Als Geisel aus Aquitanien nimmt Attila den Königssohn Waltharius, dem Hiltgunt als Verlobte versprochen war. Hervorragende Erziehung der Kinder am Hofe Etzels. Aufstieg in Hofämter. Jahre vergehen: Gibicho stirbt; Gunther ist erwachsen und wird König, will aber den Tribut nicht mehr zahlen. Hagen muss fliehen. Auch Walther und Hiltgunt fliehen vom Hofe Attilas in ihre Heimat und nehmen zwei Kisten mit Schätzen mit.

Beide kommen an den Rhein, in das Reich Gunthers Beide kommen an den Rhein, in das Reich Gunthers. Hagen freut sich über das Wiedersehen, Gunther aber ist gierig nach den Schätzen. Mit zwölf ausgewählten Recken verfolgt er das Paar. Zweikämpfe: Kampfschilderungen in der Tradition des antiken Epos. Auch Hagen muss schließlich aus Treue seinem Herrn Gunther gegenüber gegen W. kämpfen. Hagen verliert sein rechtes Auge (und die Hälfte seines Gesichts), Walther die rechte Hand, Gunther einen Fuß. -> Friedensschluss. Hiltgunt verbindet die Wunden. Scherzreden zur Versöhnung (s. Althoff). Walther und Hiltgunt ziehen heim; Hochzeit; Walther regiert nach dem Tod seines Vaters noch 30 Jahre.

Vergleich ‚Hildebrandslied‘ – ‚Waltharius‘: Lied und Epos Epos: breite, aspektreiche Erzählweise, z.B.: stark ausgebaute Beschreibungen von Personen, Landschaften, Handlungsmotiven, Gefühlsregungen (Attila, als er von der Flucht der Liebenden erfährt). Lied: gerüsthafte Erzählweise, die aus dem Sagenwissen der Zuhörer aufgefüllt und ergänzt wird. Setzt beim Zuhörer ein intakte Sagenwelt voraus. Formelhaftigkeit. Episodenhaft. Erzählte Zeit: - Hildebrandslied: wenige Stunden; W.: -Waltharius: ca. 20 Jahre; Schluss (Kämpfe): 1 ½ Tage. Publikum: Hildebrandslied: Laien, evtl. auch Klerus. Waltharius: gebildeter Klerus.

Walther-Dichtungen des Mittelalters ‚Waltharius‘ (-> VL): lat. Epos in der Nachfolge von Vergils ‚Aeneis‘; 1456 vv. (Hexameter).- Verfasser unbekannt; wohl 10. Jh. - Erhalten in 12 Hss.; 12 weitere Hss. sind durch Zeugnisse in alten Bibliothekskatalogen nachweisbar (Text: hg. von G. Vogt-Spira, mit dem altengl. ‚Waldere‘, reclam; auch in Haug, LV 6, S. 163-259 m. dt. Übers. und Komm.). ‚Waldere‘: altengl. Heldenlied, erhalten in nur zwei Fragmenten. ‚Walther und Hildegunt‘ (VL): Form: Variante der NL-Strophe; 1.H. 13. Jh.; 2 Fragmente. Prosaerzählung von Walther in der altnord. Thidrekssaga (13. Jh.), cap. 241-244 (Slg. Thule, S. 281-283). Ein Reflex auf die Bekanntheit der Walther-Sage: NL Str. 1755f.: bei der Ankunft der Burgonden am Hof Etzels.