Ist der tote Körper eine Sache? Ein rechtlich-philosophischer Dialog

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Ist der tote Körper eine Sache? Ein rechtlich-philosophischer Dialog Susan Maurer (Teilprojekt Rechtswissenschaft) / Daniel Kersting (Teilprojekt Philosophie) Tod und toter Körper Zur Veränderung des Umgangs mit dem Tod in der gegenwärtigen Gesellschaft Projekt der Volkswagen-Stiftung im Programm „Schlüsselthemen der Geisteswissenschaften“ Ist der tote Körper eine Sache? Ein rechtlich-philosophischer Dialog Das ZGB unterscheidet zwei Kategorien von Körperlichkeit: Die (natürliche) Person und die Sache. „Die Persönlichkeit endet [...] mit dem Tode (Art. 31 Abs. 1 ZGB)”. Muss also der tote Körper als Sache gelten? Im Unterschied zur Körperlichkeit einer Sache ist der Körper der (natürlichen) Person durch eine Doppelstruktur ausgezeichnet: Er ist ein Körper, den wir haben, und zugleich der Leib, der wir sind. Mit dem Tod der Person erlischt die Dimension des erlebten Leibes. Gleichwohl ist der tote Körper der gewesene Leib der vormals lebenden Person und insofern von der einfachen Körperlichkeit einer Sache zu unterscheiden. Rechtliche Kriterien zur Bestimmung einer Sache sind Körperlichkeit, rechtliche Beherrschbarkeit, Abgegrenztheit und Unpersönlichkeit. In Bezug auf den toten Körper ist einzig die Unpersönlichkeit umstritten (h.L.). Diese kommt den der natürlichen Person verschiedenen „Gegenständen“ zu (allgemein-abstrakter Sachbegriff). Wird der tote Körper aus den vielfältigen lebensweltlichen Praxen heraus begriffen, so trifft das Merkmal der Unpersönlichkeit nicht zu. In diesen Praxen drückt sich vielmehr ein personaler Bezug auf den toten Körper aus. Der tote Körper muss daher als Zeichen der Person rekonstruiert werden. Der tote Körper wird spätestens dann zur „gewöhnlichen“ Sache, sobald das Pietätsgefühl erlischt, resp. keine Angehörigen mehr vorhanden sind. Ist es vertretbar, die rechtliche Sachqualität des toten Körpers an die Existenz, bzw. Lebensdauer von Angehörigen zu knüpfen? Der Andenkensschutz greift zu kurz, weil in ihm die Relation des toten Körpers zur ehemals lebenden Person nicht berück- sichtigt wird. Der tote Körper hat nicht nur für Hinterbliebene einen besonderen Status, sondern u.U. begreift schon die Person aufgrund ihrer Leibgebundenheit ihren künftig toten Körper nicht nur als Sache. Der Schutzgedanke gilt also nicht nur dem An- denken, sondern auch der freien Entfaltung der Persönlichkeit zu Lebzeiten. „Der menschliche Körper und Teile davon dürfen als solche nicht zur Erzielung eines finanziellen Gewinns verwendet werden (Art. 21 BMÜ).“ Die Verkehrsfähigkeit des toten Körpers wird neuerdings und europaweit im Bereiche von Medizin und Biologie ex lege und nicht aufgrund eines möglicherweise begründbaren Eigentumsrechtes daran eingeschränkt. Die Verschränkung von Körper und Leib lässt sich als ein Verhältnis wechselseitigen Bedeutens begreifen. Der mit einer möglichen Kommerziali- sierung verbundene Verwertungsgedanke prägt die Vorstellungen vom eigenen Körper als eine zu verwertende Sache. Eine solche Vorstellung konfligiert aber mit unserem Selbstverständnis als leibliche Personen. „Tiere sind keine Sachen. Soweit für Tiere keine besonderen Regelungen bestehen, gelten für sie die auf Sachen anwendbaren Vorschriften (Art. 641a ZGB).“ Ist eine analoge Regelung (ethisch-weltanschaulicher Sachbegriff) dieses deklaratorischen Grundsatzartikels für den toten - menschlichen - Körper denkbar? Die spezielle Körperlichkeit, die Tieren in diesem Artikel zu- gesprochen wird, gründet in einem besonderen Verhältnis der Menschen zum Tier. Eine analoge Regelung hätte sich dem- nach auf die vielfältigen Praxen zu beziehen, in denen der tote Körper als gewesener Leib einer gelebten Person erscheint. Aus der Reflexion dieser Praxen heraus und nicht aufgrund einer besonderen Körperlichkeit allein lassen sich Maßstäbe für einen vernünftigen Umgang mit dem toten Körper gewinnen. Der tote Körper als eine Sache, eine Scheinsache, ein tertium oder eine Sache sui generis? Dessen Rechtsnatur ist seit jeher umstritten. Eine gesetzliche Regelung würde Rechts-sicherheit und (möglicher-weise) Klarheit schaffen. Die Rechtsnatur des Leichnams sollte aus den praktischen Verhältnissen heraus bestimmt werden, in denen der Leichnam situiert ist. Ein möglicher Schutz hat sich demnach nicht an dem ontologischen Status des toten Körpers zu bemessen, sondern an der Trauer und dem Andenken der Hinterbliebenen sowie dem leiblich-personalen Selbstverständnis. Dieses gilt es auf der Grundlage philosophischer Anthropologie zu entwerfen. Daraus können einschränkende Bedingungen für die weitere Ausgestaltung konkreter Rechte im Umgang mit dem toten Körper gewonnen werden. Arbeitsgruppe Rechtswissenschaft Arbeitsgruppe Philosophie Leiterin: Prof. Dr. Brigitte Tag Leiterin: Prof. Dr. Andrea M. Esser Universität Zürich Philipps-Universität Marburg 1