Die türkische Diwanliteratur: Geschichte, Formen, Wirkung

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Die türkische Diwanliteratur: Geschichte, Formen, Wirkung Vortrag mit Diskussion auf der Weiterbildungsveranstaltung „Türkisch und Türkei intensiv“ Freie Universität Berlin, Institut für Turkologie Adresse: Schwendenerstraße 33, 14195 Berlin-Dahlem Datum und Zeit: 13. September 2010, 14-16 Uhr Referent: PD Dr. Michael Reinhard Heß (Freie Universität Berlin)

Textbeispiel: Osmanisch in arabischer Schrift (Ausschnitt) Es handelt sich um eine Seite aus der klassischen Dichtung ÇarÐbnÁme („Buch des Fremden“) von ‘Àšïþ Paša (1272-1332). Quelle: Aş¤k Paşa 2000: 222.

Textbeispiel: Osmanisch und Türkisch in lateinischer Schrift (Ausschnitt) Hier sieht man dieselbe Seite aus dem ÇarÐbnÁme einmal in wissenschaftlicher Umschrift (links) und einmal in einer modernen türkischen Übersetzung (rechts), beides in Lateinschrift. Quelle: Aş¤k Paşa 2000: 223.

Historische Daten: moderne Türkei 1881-1938 Mustafa Kemal (Atatürk) 1922 Ende des Sultanats 1923 Ausrufung der Republik 1924 Abschaffung des Kalifats 1927 Nutuk „Die Rede“ 1928 Alphabetreform

auf deutsch auf türkisch Türkisch Türkçe Osmanisch Osmanl¤ca Terminologie auf deutsch auf türkisch Türkisch Türkçe Osmanisch Osmanl¤ca „vereinfachtes“ Osmanisch sadeleştirilmiş Osmanl¤ca Altanatolisch-Türkisch Eski Anadolu Türkçesi

Anatolien um 1300 An der Südküste Anatoliens, nördlich von Anamur, erstreckt sich das Fürstentum von Karaman. Quelle: Kennedy 2002: 47.

Historische Daten: Frühere Geschichte 1071 Mantzikert (Malazg¤rt) 1261-1278 MeÎmet I. von ¬araman 1299~1300 Gründung der Osmanendynastie

Bezeichnungen für „Diwan-Literatur“ auf deutsch auf türkisch Diwan-Dichtung Divan şiiri Diwan-Literatur Divan edebiyat¤

Einige berühmte Verfasser von türkischen Diwanen ‘£mÁd ed-DÐn NesÐmÐ (fl. um 1400) FÁtiÎ SulÔÁn MeÎmed = MeÎmed (II.) der Eroberer, Dichtername ‘AvnÐ (1432-1481) Sultan SüleymÁn der Gesetzgeber, Dichtername MuÎibbÐ (1494-1566) BÁþÐ (1526-1600) FuªÙlÐ (1495-1556)

Der Kalif ‘Umar I. (634-644) hielt den ersten islamischen „Diwan“ ab, den sogenannten „Heeres-Diwan“ (arab. dÐwÁn al-Êund) .

Frühe Beispiele für literarische Diwane AbÙ TammÁm (788-845): DÐwÁn al-ÎamÁsa („Diwan der Leidenschaft“, arabisch) MaÎmÙd al-KÁšÈarÐ (1008-1105): DÐwÁn luÈÁt at-Turk („Diwan der Sprachen der Türken“, arabisch) AÎmet YesewÐ (1103-1166): DÐvÁn-i Îikmet („Diwan der Weisheit“, karachanidisch-türkisch)

Etymologie von („Diwan“) Sumerisch dub „Schreibtafel aus Lehm“ > … > npers. dÐvÁn Neupersisch dÐvÁn > arab. dÐwÁn „(Heeres-)Register“ (um 634-644), „literarische Sammlung“ (9. Jh.), „Finanzregister“ usw. Arabisch oder persisch > afrz. dohanna „Zoll“ (1281), ait. do(v)a(n)a > frz. douane, it. dogana „dass.“ Persisch dÐvÁn > „1. Finanzregister 2. Herrscherhof, Zentralregierung“ (nach 1501) > osm. dÐvÁn „herrscherliche Audienz, Rat des Sultans“ > frz. dass. (1519, 1555) Osm. dÐvÁn „Sammlung von Gedichten“ > frz. divan „dass.“ (1697) > dt., engl.

Historische Daten: Osmanisches Reich und Europa 1258-ca. 1333 Mongolenherrschaft über Iran 1453 Konstantinopel fällt 1501 Gründung der Safawidendynastie 1683 2. Belagerung von Wien 1683-1699 Großer Türkenkrieg 1704-1717 Mille et Uni Nuits (1001 Nächte) v. Antoine Galland 1819 Goethe: West-östlicher Diwan

Dichterische Terminologie auf deutsch auf türkisch Aruz(-System, -Metrik) aruz (sistemi, veznesi) Volksdichtung halk şiiri Silbenmetrik hece vezni

Die drei häufigsten Metren in der türkischen Diwandichtung Hezeç v – – – / v – – – / v – – – Recez – – v – / – – v – / – – v – Remel – v – – / – v – – / – v – –

Der-i Se‘Ádet „Die Pforte der Glückseligkeit“ درسعادت Der-i Se‘Ádet „Die Pforte der Glückseligkeit“ ~ Istanbul

Vers- und Gedichtformen der Diwan-Literatur m¤sra Halbvers (Hälfte eines beyt) beyit (osm. beyt) Doppelvers (= 2 m¤sra) k¤ta / k¤t ’a Gedicht aus mindestens 2 beyt dörtlük~rübai~tuyuÊ Vierzeiler (aus 2 beyt/ 4 m¤sra) gazel Ghasele (aa ba … xa), mit mahlas, Liebesthematik mahlas (arab. taÌalluÒ) Dichtername, nom de plume kaside Kaside (langes Lobgedicht) mesnevi paarreimendes Langgedicht (aa bb cc …)

Berühmte Vertreter einzelner Gedichtformen ‘Omar-e ËayyÁm (1048-1123): Vierzeiler (persisch) Nef‘Ð (1572-1635): Kaside (osmanisch) MavlÁnÁ ÉalÁloddÐn RÙmÐ (1207-1273): Mesnevi (persisch)

osm.‘ulemÁ(’), türk. ulema = islamische Gelehrte im Osmanischen Reich

osm. risÁle = Traktat osm. tÁrÐÌ = Geschichtsschreibung

Osmanische und iranische Herrscher-Dichter MeÎmed II. der Eroberer (regierte 1451-1481) SüleymÁn der Gesetzgeber (regierte 1520-1566) Schah £smÁ‘il von Iran (regierte 1501-1524)

,Subversive‘ Dichter türkischer Zunge ‘£mÁd ed-DÐn NesÐmÐ (fl. um 1400) (Diwandichter) Pir Sultan Abdal (gest. 1575) (Volksdichter)

Einige inhaltliche Typen der Diwan-Dichtung Liebeslyrik „Obszönitäten“ (pers. moÊÙn) allgemein religiöse Dichtung (Prophetenlob etc.) mystische (sufische) Dichtung Weingedichte

Das Motiv gül ü bülbül „Rose und Nachtigall“ Güller i:le: gülšen i¦re: ÌÁrï þïldu® hem-nišÐn Gė:Êeler tÁ ÒubÎa dek bülbülleri: zÁr eyledü® „Du hast im Rosengarten (gülšen) den Dorn zum Sitzgenossen der Rosen (güller) gemacht/ In den Nächten hast du die Nachtigallen (bülbülleri) bis zum Morgen weinen lassen.“ (SüleymÁn der Gesetzgeber/ MuÎibbÐ)

Antihetische Struktur in Ghasele 5. von MuÎibbÐ Beyit 1 „Muslime“ (Müslim)  „Ungläubige“ (küffÁr), Beyit 2 „Rosen“ (güller)  „Dornen“ (Ìarlar) Beyit 3 „Paradies“ (bihišt)  „Hölle“ (Êehennem) Beyit 5 „Tag“ (rÙz)  „Nacht“ (gė:Êe) Beyit 6 „Rose“ (gül )  „Nachtigall“ (bülbül). „

„Märtyrer der Liebe“ (šehÐd-i ‘ašþ) (MuÎibbÐ)

Motive aus der Diwanliteratur Joseph Yùsuf Atem Jesu nefes-i ‘ĪsÁ, dem-i ‘ĪsÁ weiße Hand Mose yed-i beyªÁ Rüstem, ZÁl (Figuren der pers. Mythologie) Türken Türk „feengeborene Türken Türk-i perÐ-zÁd etc. Badakhschan BedaÌš Tataren Tatar Rubin la‘l Schleier niþÁb „

sadelik „Einfachheit, Verständlichkeit, Klarheit, Ungekünsteltheit“ Für die türkischen Nationalisten und Kemalisten ist sie ein wichtiges Prinzip der (türkischen) Sprache: statt wie das Osmanische mit seiner Diwanliteratur elitär und tendenziell schwerverständlich zu sein, sollte das Türkische allen zugänglich gemacht werden.

Tschagataisch, ¥aghataisch, ¥aÈataisch usw. (türk. ÇaÊatayca) war seit dem 15. Jahrhundert die wichtigste türkische Schriftsprache, derer sich die islamisierten Türken Zentralasiens bedienten.

Ismail Gasprinskiy (1851-1914)

Das Ende der Diwan-Dichtung 1839-1879 TanÛÐmÁt (Reformen nach westlichem Vorbild) 1876-1924 Ziya Gökalp (Vorreiter des türkischen Nationalismus und der Silbendichtung)

Die „Fünf Silbendichter“ (Beş Hececiler): – Faruk Naf¤z Çaml¤bel (1898-1973) – Enis Behiç Koryürek (1891-1949) – Halit Fahri Ozansoy (1891-1971) – Yusuf Ziya Ortaç (1895-1967) – Orhan Seyfi Orhon (1890-1972)

Freier Vers: Nâz¤m Hikmet (1902-1963)  

Türkisch-Islamische Synthese (Türk- -£slam Sentezi) (vor allem nach 1980)

Tevfik Fikret (1867-1915) Mehmet Akif Ersoy (1873-1936)