Institut für Architekturwissenschaften

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 Präsentation transkript:

Institut für Architekturwissenschaften Abteilung Architekturtheorie E 259.4 Prof. Kari Jormakka a r c h i t e k t u r t h e o r i e

Aappo Luomajoki nach seiner ersten medaillosen Winter, 1893: „Das Problem ist, dass es heuer so wenige Kaninchen gegeben hat.“

What, if anything, is a rabbit? Leider ist dieser Titel nicht meine Erfindung.

Albert E. Wood, “What, If Anything, Is a Rabbit?” Evolution 11 (Dec. 1957), pp. 417-425. Er kommt aus einem Artikel von Albert E. Wood, einem Biologe, der meint, dass Kaninchen nicht zu den Nagetieren zählen, wie Carl Linné behauptete, und gar nichts mit den Kamelen gemeinsam haben, wie in der Bibel, sondern

Zur einen eigenen Ordnung der Hasenartigen (Lagomorpha) gehören.

I Der Artikel von Wood verursachte eine ernsthafte Identitäskrise für diese grbrächlichen Tiere. Und zwei Jahre später mussten die armen Kaninchen noch mehr alamierende Nachrichten lesen.

I Dieser Artikel löste eine angstvolle Identitätskrise unter den Kaninchen aus. Doch nur ein Jahr später hatten die schüchternen Tiere noch Schlimmeres zu erfahren.

Willard Van Orman Quine, Word and Object. Cambridge, MA: MIT Press, Mark Rossi, Black Tail Rabbit, Tempe, AZ, 1992 Willard Van Orman Quine, Word and Object. Cambridge, MA: MIT Press, 1960, pp. 26-79. Dann wollte der Philosoph Willard van Orman Quine sogar die Kaninchenheit infragestellen, um seine These zu illustrieren, daß die Bedeutung eines Wortes immer unbestimmt ist.

Henry Morton Stanley 1872 Quines radikale Übersetzung: Wie schreibt man das erste Wörterbuch? Was heisst, z. B. d‘oachkotzlschweaf? Sein Beweisführung beginnt mit einer fiktiven Situation, wo ein Anthropologe eine unbekannte Stamme im Urwald entdeckt. Ihre Sprache ist unverständlich, und so beginnt der Forscher, ein erstes Wörterbuch zu verfassen.

gavagai = Kaninchen? Er beginnt mit der beobachtung dass wenn ein Kaninchen vorbeiläuft, rufen die Eingeborene gavagai, Der Anthropologe übersetzt also gavagai mit Kaninchen.

Andere mögliche Übersetzungen: Ich sehe etwas Bräunlich-Graues Nun, jetzt springt er 92 Grad der Pfad Es riecht nach gegessenen Karotten Quine aber zeigt, dass diese Übersetzung nicht richtig sein muss. Es könnte sein, dass der Eingeborene sieht seine Stammesahne, die zufällig die Form eines Kaninchens genommen hat. Er könnte eine besondere Farbe meinen. Möglicherweise erkennt er eine kleine Fliege auf dem Rücken des Tieres: gavagai würde also Fliege bedeuten. Seh, der Geist meiner Vorfahren Was für eine köstliche Hasenfliege

Andere mögliche Übersetzungen: Ich sehe etwas Bräunlich-Graues Nun, jetzt springt er 92 Grad der Pfad Es riecht nach gegessenen Karotten Vielleicht spricht der Eingeborene von einem ungetrennten Teil des Kaninchens, wie das Pelz. Seh, der Geist meiner Vorfahren Was für eine köstliche Hasenfliege Unabgezogenes Fell

getrennte Kaninchenteile Gavagai ≠ getrennte Kaninchenteile Ein ungetrennter Kaninchenteil erscheint in der selben Zeit am denselben Ort wie das Kaninchen, so der Eingeborene werde das Wort gleich benutzen. technisch ausgedrückt: aus der Extension eines Wortes kann man nicht die Intension ableiten.

Sydney Parkinson: Känguru, ca. 1770 Eine historische Anekdote über ein hasenähnliches Tier unterstüzt Quines These. Auf ihrer Entdeckungsreise nach Australien fingen die Männer von Kapitän Cook ein junges Känguruh und fragten dann die Eingeborene, wie das seltsame Wesen heisst. Später erzählten die Männer dem Kapitän: ”Man nennt es ein Känguruh.” Erst viele Jahre später wurde entdeckt, daß die Eingeboreren, als sie Känguruh sagten, in Wirklichkeit nicht das Tier benannten, sondern den Engländer zur Antwort gaben: ”Bitte, was habt ihr gesagt?”

Sydney Parkinson, Känguru, ca. 1770 Quine: die radikale Obwohl diese schöne Geschichte mag nicht wahr sein, stimmt das Argument von Quine trotzdem. Er schließt, daß wir nie bestimmen können, was ein Wort bedeutet. Aus der Extension des Wortes lässt sich die Intension nicht ableiten. Quine: die radikale Übersetzung ist unmöglich, weil die Bedeutung eines Wortes wie ‚gavagai‘ unbestimmbar bleibt.

Eddy M. Zemach,“No Identification without Evaluation,” British Journal of Aesthetics 26, 1986, pp. 239-251. Ein weiterer Philosoph – Eddy Zemach – macht sich auch über die Sprache gedanken und argumentiert, dass wir niemals sicher sein können ob es sowas wie Hasen wirklich gibt.

Ferdinand de Saussure, Cours de linguistique générale, 1916 Aber die Probleme gehen noch viel tiefer. Ein anderer Philosoph, Zemach, meint, dass wir nicht nur die Bedeutungen der Wörter nicht feststellen können, sondern wir auch nie wissen können, ob es solche Dinge wie Kaninchen in Wirklichkeit überhaupt gibt. üblicherweise denken wir, daß ein Name einem Individuum entspricht: dasselbe Ding wird mit demselben Wort bezeichnet; ein anderes Ding braucht einen anderen Name. Zemach meint, dass diese Idee falsch ist.

Rind (Bos taurus) - Kalb - Kuh - Färse - Bulle - Stier - Ochse - Schnitzkalbin Spricht man vom bos taurus oder Rind, so unterscheidet die deutsche Sprache zwischen Kühen und Bullen, Stier und Ochsen innerhalb derselben Gattung. Kühe sind anders als Bulle, das wissen wir. Aber was ist der Unterschied zwischen Ochse und Bulle?

Bulle vs. Ochse Durch Kastrierung wird ein energischer Bulle zum traurigen Ochse. Das Tier ändert seine Identität und bekommt einen anderen Name.

Puli Im Kontrast dazu bleibt ein kastrierter Hund ein Hund.

Tattooed bull in Huber‘s New Palace Museum, New York, 1894 Wenn ein Bulle tätowiert wird, bleibt er Bulle.

Greener‘s Humane Cattle Killer, 1865 Wenn das Rind geschlachtet wird, ändert sich die Identität nochmals.

Schlachthaus, Cincinnati, um 1870, Harper‘s Weekly, 6.9. 1873 Das Geschlecht und Kastrierung spielen keine Rolle mehr, und sogar die Individualität der Tiere verschwindet:

Automatisierte Küche, Chicago, 1890 das Rindfleisch ist nur Stoff, etwa wie Wasser oder Luft.

Formalhaut (Ottmar Hörl), Kuhprojekt Vogelsberg, Hessen, 1985 Existieren Kälber, Kühe, Bulle und Ochsen tatsächlich – oder gibt es in der Wirklichkeit nur Rindfleisch, das entweder sich bewegt oder nicht?

Deutsches Hygiene-Museum, Dresden, 1957 Heidi, die gläserne Kuh, Deutsches Hygiene-Museum, Dresden, 1957 Laut der konstruktivistischen Theorie Eddy M. Zemachs werden die Dinge nach unserer Interessen Individuiert. Zemach meint, daß man solche abstrakte Fragen nicht antworten kann. Er sagt, daß wir die Dinge nach unseren Interessen individuieren. Der Begriff ”Rindfleisch” ist für kulinarische Interessen relevant, während eine Kuh, ein Ochse und ein Bulle in der Haushaltung eines Bauernhofes drei grundsätzlich unterschiedlichen Rolle spielen. .

Insofern als ein Ding die Summe seiner Eigenschaften ist, nehmen wir unterschiedliche Dinge wahr, wenn wir unterschiedliche Interessen haben. Wir erkennen die Dinge in der Welt, die unseren Interessen entsprechen.

Villa Romana del Casale, Piazza Armerina, Sizilien, 3. JH Elefante, Villa Romana del Casale, Piazza Armerina, Sizilien, 3. JH Wenn Elefanten zum ersten Mal von Hannibal nach Italien gebracht wurden, wurden sie laut Plinius ”Ochsen” genannt, während sie in Afrika zusammen mit Löwen als ”Bären” kategorisiert wurden: Plinius der Ältere, Naturalis historiae

Elefant und Bulle, Uthina, Tunesien,3. JH. in dem einen Fall betont man also die Benutzung von Elefanten als Transportmittel, und in dem anderen sieht man die Elefanten als gefährliche wilde Bieste.

Andreas Feininger, Midtown Manhattan, 1954 Auch architektonische Dinge kann man aus mehreren Perspektiven betrachten. In der Stadt sieht ein Fotograf ein Spiel von Licht und Schatten.

Giambattista Nolli, Rom, 1743 Ein Architekt fokusiert auf dem öffentlichen Raum.

Louis Kahn, Philadelphia, Um 1955 Ein Verkehrsingenieur denkt an Verkehrströme und vielleicht Parkhäuser.

Charles Booth, Descriptive Map of London, 1889 Die Polizei interessiert sich für das kriminelle Element

Corcoran Report on residential real estate in Manhattan, 2010 Ein Makler betrachtet die Stadt im Hinblick auf Infrastruktur und Investitionswerte.

John Held, Jr. Dog`s Idea of the Ideal Country Estate Um 1920 Ein Hund hat wiederum eine andere Perspektive.

Was ist nun die Wahrheit über die Stadt?

Manhattan Viele Leute sagen, daß die Stadt in Wahrheit die Summe aller solcher Teilbeschreibungen ist. Das muss aber falsch sein: diese unendliche Beschreibung ist nicht nur unmöglich, sie entspricht auch gar keine interessen. Es gibt nicht nur eine Stadt, sondern mehrere.

J. W. Goethe, Farbenlehre, 1810: Jedes Ansehen geht über in ein Betrachten, jedes Betrachten in ein Sinnen, jedes Sinnen in ein Verknüpfen – und so kann man sagen, dass wir schon bei jedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisieren … dieses ist aber nur mit Bewusstsein, mit Selbstkenntnis, mit Freiheit und mit Ironie zu tun. Aus solcher Unbestimmbarkeit der Welt folgt die Notwendigkeit der Theorie, die schon J. W. Goethe betont hat. Alles Denken, sogar alles Wahrnehmen und alle Erfahrung enthält eine theoretische Komponent.

Hewes, Gordon W., “The Anthropology of Posture.” Scientific American, vol. 196, no. 2 (Feb. 1957), pp. 122-132. Wir theoretisieren aber nicht nur wenn wir etwas wahrnehmen, sondern auch wenn wir nur sitzen. Art und Weise, wie wir sitzen und uns erholen, variiert von Kultur zu Kultur. Als Architekt muss man solche Kontingenzen erkennen, bewerten und oft neu überlegen. Die Aufgabe von Architekturtheorie ist es, die Kontingenzen aufzuweisen, um neue Freiheiten zu schaffen.