Einführung in die Linguistik: Syntax Winfried Lechner

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Sprache und Linguistik 1
Advertisements

Relativsätze in Dialekten
Hier einige Hieroglyphen:
Kulturtransfer und Translation Einige Begriffe – Einige Anwendungen
Vorlesung Compilertechnik Sommersemester 2008
Deutsch Oktober 2006.
8. Formale Sprachen und Grammatiken
Zum Nutzen der kontrastiven Linguistik
FH-Hof Extensible Markup Language Richard Göbel. FH-Hof Extensible Markup Language XML XML ist universeller Ansatz für die Strukturierung von Zeichenketten.
FH-Hof Grammatiken Richard Göbel. FH-Hof Begriffe Eine Grammatik definiert die Struktur (Syntax) einer Zeichenkette Eine Grammatik definiert nicht die.
Formale Sprachen – Mächtigkeit von Maschinenmodellen
Kapitel 1 Die natürlichen und die ganze Zahlen. Kapitel 1: Die natürlichen und die ganzen Zahlen © Beutelspacher/Zschiegner April 2005 Seite 2 Inhalt.
Fakten, Regeln und Anfragen
Sprachwissenschaftliches Institut Einführung in die HPSG Grammatiktheorie 4./11. Mai 2004.
Grundkurs Linguistik Programm der Vorlesung Oktober
Beispiele für Ausdrucksalgebren
Grammatik als Deduktionssystem
Lexikalisch-Funktionale-Grammatik
Einführung in die Syntax
Referenten: H. Bayer V. Hagemann
WAS WILL WISSENSCHAFT? - Sagen: Was WIE ist
NP-Bewegung & wh-Bewegung
Linguistik Stellen Sie Fragen zum Text (schauen Sie auf Ihre Unterlagen)! Versuchen Sie die gestellten Fragen zu beantworten!
Gradierte Grammatikalität SS 2003 Einheit 1. Quelle des Übels Klassische Linguistik Korpusorientiert (Tote Sprachen/ Literatur- sprachliche Norm) Dialektforschung.
Artikel- und Adjektiv- Endungen
Eignung von Grammatik-basiertem Layout für grafische Programmiersprachen Seminar Layout-Algorithmen für Graphen Institut für Informatik Christian-Albrechts.
Sprichwörter in der Schulstunde
Von wegen nur Männer sind chauvinistisch:
Stehen Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie im Widerspruch?
© Wortstellung im Deutschen Norbert Fries.
Deutsches Institut Deskriptive Sprachwissenschaft
Der wichtigste Körperteil
Wie lerne ich die deutsche Sprache?!
DEUTSCH Nebenordnende Konjunktionen  nächste Seite
Von wegen nur Männer sind chauvinistisch....
Von wegen nur Männer sind chauvinistisch....
ELP-TT Training teachers to use the European Language Portfolio EFSZ-Kurzprojekt ELP_TT2 Koordination: Mag. Margarete Nezbeda.
Das perfekte Herz.
AE Goldberg, Trends in Cognitive Sciences 2003
Das Geheimnis der Redekunst
Satzsemantik Verben, Aktionsarten und semantische Rollen -
Übung zu Einführung in die LDV I
Fragen und Einwände hinsichtlich der Möglichkeit einer Schöpfungsforschung Thomas Waschke
Elternabend der Schule … vom …
Teil II: Phrasen und Phrasenstruktur
KM2.4 Endprojekt: Mobile. Die Aufgabe Macht eine Mobile mit Illustrationen über eure Zukunft in 10 bis 20 Jahren.
Theoretischer Hintergrund Systematische Wortschatzarbeit –
Der Fischer Musik: Ernesto Cortázar - Autumn Rose.
Mensch – Maschine - Kommunikation
Grammatikalische Begriffe im Unterricht
7. Formale Sprachen und Grammatiken
Sprache und Linguistik 1
Von wegen nur Männer sind chauvinistisch:
Gegenstandsbenennung – Dimensionale Analyse & Begriffsbildung
Funktionale Unifikations-Grammatik (FUG)   Hauptmerkmale der FUG.
Lexikalisch-Funktionale-Grammatik  Formaler Aufbau der F-Strukturen  Funktionale Beschreibungen  Funktionale Annotationen  Von der K-Struktur zur F-Struktur.
Einführung in die Syntax
Lexikalische Semantik
Unterricht vorbereiten und durchführen
Deutsche zusammengesetze Wörter
TVOŘENÍ SOUVĚTÍ PODŘADNÉHO ZE DVOU VĚT JEDNODUCHÝCH
Reflexivpronomen D6 Aina Pujol Ferrà.
ein Apfel Transitive Verben
Kognitive Methoden  Als eine Auseinandersetzung mit der behavioristischen Lerntheorie Skinners  entsteht in den späten 60-er Jahren eine Verbindung.
Seite Fallstricke: Stereotype und schulische Leistungen Aus- und Fortbildungsmodule zur Sprachvariation im urbanen.
Operatoren Ein Operator zeigt an, welchen Teilbereich und in welcher Tiefe der Sachverhalt dargestellt werden soll. Je nachdem, welcher Operator verwendet.
Vo#1:Semantik als Wissenschaft Semantik I Matej-Bel-Universität in Banská Bystrica Zuzana Tuhárska.
Warum Kompetenzen? Ein Blick zurück
Der Grammatik-Samurai präsentiert:
Alterseffekte im Spracherwerb
 Präsentation transkript:

Einführung in die Linguistik: Syntax Winfried Lechner 08.12.05 Einführung in die Linguistik: Syntax Winfried Lechner Kontakt: winfried.lechner@uni-tuebingen.de Webg: http://vivaldi.sfs.nphil.uni-tuebingen.de/%7Ennsle01/

Teil I: Grundlagen Übersicht: Was ist Syntax? Beispiele Grammatik & Regeln Sprache, Kompetenz/Perfomanz Form & Bedeutung Generative Grammatik Spracherwerb Universalien Universalgrammatik & Parameter Adäquatheit

Was ist Syntax? SYNTAX: Lehre von der Wortfolge und der Struktur von Sätzen und deren Komponenten Nicht alle Wortfolgen führen zu grammatischen Sätzen: (1) Dieser Satz ist grammatisch. (2) *Satz dieser grammatisch ist nicht. (Konvention: Ungrammatische Sätze werden durch '*' markiert.) (3) *Auch grammatisch nicht ist dieser Satz. ZIEL: Erfassung der abstrakten Regelmäßigkeiten der menschlichen Sprache, aus denen sich alle grammatischen Wortfolgen ableiten lassen.

Beispiele syntaktischer Phänomene (1) a. Maria las den ganzen Spiegel. b. Maria las den ganzen Tag. (2) a. Der ganze Spiegel wurde gelesen. b. *Der ganze Tag wurde gelesen. (3) a. Der Peter sah sich im Spiegel. b. *Sich sah den Peter im Spiegel c. *Der Peter sagte, daß ich sich im Spiegel gesehen habe. d. Der Peter sagte, daß ich ihn im Spiegel gesehen habe. (4) a. Es wurde getanzt. b. *It was danced. (5) a. John seems sick. b. *Hans scheint krank. (6) a. Maria ist stolzer auf ihren Hund als Frida. b. Maria ist stolzer auf ihren Hund als auf ihre Katze. (7) a. Maria ist eine auf ihren Hund stolzere Frau als Frida. b. *Maria ist eine auf ihren Hund stolzere Frau als auf ihre Katze.

Grammatik und Regeln I Natürliche Sprache ist ein artspezifisches, abstraktes System.  Linguistik ist Teil der kognitiven Psychologie/Biologie.  Linguistik sucht eine adäquate Grammatik der Sprache. Grammatik: A. Ein Buch (Duden, etc...)  B. Die Menge der Regeln, die die Gesamtheit der grammatischen Sätze einer Sprache beschreiben. Präskriptive/normative vs. deskriptive Grammatik Präskriptive Regeln definieren 'guten Stil': Beginne keinen deutschen Satz mit "weil" Vermeide die Verwendung unziemlicher Ausdrücke in brieflicher Korrespondenz mit dem Arbeitgeber. Puristische, konservative Sprachpolitik: Verwende 'Meuchelpuffer' statt 'Pistole', 'Gesichtserker' statt Nase', 'Rechner' statt 'Computer',….

Grammatik und Regeln II Deskriptive Regeln beschreiben Eigenschaften von Sprache. Jeder wohlgeformte Satz hat ein Verb: (1) a. Alma züchtet Frösche b. *Alma Frösche Beginnt ein deutscher Satz mit "da", dann steht das Verb an letzter Stelle. (2) a. Da Alma Frösche züchtet, wird sie gemieden. b. *Da Alma züchtet Frösche, wird sie gemieden. c. Alma züchtet Frösche und wird gemieden Im Deutschen geht ein attributives Adjektiv dem Nomen voran. Im Romanischen folgt das Adjektiv dem Nomen. (3) a. Der Andalusische Hund b. *Der Hund andalusische c. Le chièn andalusien d. *Le andalusien chièn

Sprache Sprache:Definition Die (potentiell unendliche) Menge aller wohlgeformten Sätze. (Noam Chomsky) (1) Deutsch = {Alma lacht, Bert ißt, Cecil liest Zeitung,.... } Englisch = {Sally sleep, They missed it, Tom waits, ...}  Wer legt fest, ob ein Satz wohlgeformt ist? Idealer Sprecher: Kompetenter Sprecher ohne Performanzprobleme. Kompetenz (langue): Die potentielle Fähigkeit, Sprache zu produzieren und zu verstehen (vgl. das Beherrschen der Addition, der Schachregeln,…) Performanz (parole): Aktueller Akt der Sprachproduktion und/oder Sprachperzeption. (vgl. Addieren, Schachspielen)

Kompetenz und Performanz Kompetenz vs. Performanz: (1) ist zwar grammatisch, aber schwer zu verarbeiten (markiert durch '#'), und daher nicht akzeptabel (vergleiche (1) mit (2)): (1) #Der Mann1, der den Hund2, der die Katze biß2, suchte1, lachte1. (2) Der Mann1, der den Hund2 suchte1, der die Katze biß1, lachte1.  (1) ist unakzeptabel aufgrund von Performanzbeschränkungen (Mangel an Speicherplatz im Hirn).  Nicht alle grammatischen Sätze sind auch akzeptabel, aber umgekehrt.  Die Akzeptabilität von Sätzen – und deren Zugehörigkeit zu einer Sprache – wird durch die Intuitionen kompetenter Sprecher definiert. (Methode: Introspektion)

Satz: Form und Bedeutung  Was ist ein wohlgeformter Satz? Syntax vs. Semantik: Ein Satz kann syntaktisch wohlgeformt sein, jedoch keine Bedeutung besitzen: (1) Dieser Satz (1) ist falsch. Wenn (1) wahr ist, dann widerspricht dies der Aussage von (1). Ist (1) falsch ist, dann ist es falsch, daß (1) falsch ist. Daher müßte (1) wahr sein - wieder ein Widerspruch.  (1) ist ein Paradox und besitzt keine Bedeutung!  Wohlgeformtheit bezieht sich auf Syntax, nicht auf Bedeutung. Ein Satz kann u.U. Bedeutung besitzen, ohne syntaktisch wohlgeformt zu sein: (2) *Der Satz, der gerade hier erscheint, hat zwar Bedeutung, ist aber nicht ganze grammatische. Die Bedeutung muß sich nicht immer direkt erschließen: (3) Grüne Ideen schlafen heftig. (Noam Chomsky) Soll diese Folie

Generierung von Sätzen  Was wissen Sprecher einer Sprache? Bestandteile der Sprachkompetenz 1. Mentales Lexikon: Liste von erlernten Wörtern, umfaßt einige tausend Einträge  endliche Menge 2. Syntaktische Regeln: verbinden die Lexikoneinträge zu Satzteilen und Sätzen  kleine Anzahl von Regeln Generative Kompetenz: Sprecher sind in der Lage aus einem begrenzten Inventar von Wörtern – dem Lexikon - und einer endlichen Anzahl von Regeln eine unbegrenzte Anzahl von Sätzen zu bilden (Wilhelm von Humboldt).  Sprache: potentiell unendliche Menge (1) a. Maria irrt. b. Hans meint daß Maria irrt. c. Maria meint daß Hans meint daß Maria irrt. ....

Generative Grammatik Eine Grammatik, die explizite Modelle eines Lexikons und einer Komponente mit syntaktischen Regeln enthält wird als Generative Grammatik bezeichnet. (Begründet durch Noam Chomsky, in Arbeiten ab den 1950ern, am MIT). Eine generative Grammatik generiert alle - und ausschließlich - die syntaktisch wohlgeformten Sätz einer Sprache. Sprecher besitzen eine internalisierte Generative Grammatik, sie kennen die syntaktischen Regeln unbewußt (vgl. Blutdruck).  Wie erlernen Kinder Sprache? A. Gottgegeben (durch die indischen Göttin Indra; durch die Götter des Olymp in Plato's Kratylos) B. Durch Imitation (Behaviourismus, vertreten durch F.B. Skinner in der 1950ern – Stimulus, Response, Patterns und Analogie) C.Die Sprachkompetenz ist angeboren (Chomsky, 1957,…2005)

Spracherwerb Das logische Problem des Spracherwerbs: Im Laufe des Spracherwerbs (zirka 4 Monate – 6 Jahre) hören Kinder sehr selten ungrammatische Sätze und werden noch seltener auf deren Ungrammatikalität hingewiesen. Sie können daher Kontraste wie in (1) nicht gelernt haben. Woher wissen Sprecher des Deutschen dann, daß (1b) ungrammatisch ist? (1) a. Wie hast Du das Rätsel zu lösen gehofft? b. *Wie Du das Rätsel zu lösen bedauert? Desgleichen haben kompetente Sprecher klare Urteile über den Kontrast in (2), ohne diese Sätze jemals vernommen zu haben: (2) a. Hans lud den Milchmann ein und Maria lud ihn wieder aus. b. Wen lud Hans ein und Maria wieder aus? c. *Wen lud Hans ein und Maria lud wieder aus?  Sprachkompetenz ist genetisch veranlagt und angeboren. ('Sprachinstikt') Korrigiere (2) zu besseren Bsp.

Universalien  Wenn Kompetenz genetisch bedingt ist: Warum existiert dann nicht nur eine einzige Sprache? Sprachspezifische Eigenschaften: Stellung des Subjekts. (1) Das Buch las Maria (2) a. *The book read Mary b. Mary read the book Universalien: Eigenschaften, die allen Sprachen gemein sind. Jeder Satz hat ein – und nur ein – Subjekt: (3) a. [Das Geschenk] freute Maria b. *Freute Maria c. [Daß sie eingeladen wurde] freute Maria d. *[Daß sie eingeladen wurde] [das Geschenk] freut Maria Kein Verb verlangt nach mehr als zwei Objekten: (4) a. Hans leidet  kein Objekt b. Hans leitet die Klasse  ein Objekt c. Hans unterzieht uns einem Test  zwei Objekte Ausnahme? (2) a. [Es] freut Maria [daß sie eingeladen wurde] b. *[Es] freut Maria [das Geschenk]

Universalgrammatik & Parameter Erklärung für Sprachvariation: Angeborene Universalgrammatik legt fest, was im Prinzip möglich ist (vgl. Datenträger wie Tontafel, Buch, CD, DVD, …). (Vorläufer: Port Royal Grammatik, Frankreich um 1660; s.a. Universalsprache von Gottfried Wilhelm Leibniz, 17Jh) Die grammatischen Regeln besitzen Freistellen, in die sprachspezifische Parameter eingesetzt werden. (1) Das Buch las Maria (2) a. *The book read Mary b. Mary read the book (3) Regel: Der erste Satzteil ('das Buch'/'the book'/'Mary') ist X. Im Spracherwerb werden sprachspezifische Parameter gesetzt. Das Kind lernt Deutsch, Englisch, Walbiri, Griechisch oder Chamorro (vgl. Übertragung verschiedener Daten auf CD): (4) Deutsch: X = Subjekt oder Objekt (oder was anderes) Englisch: X = Subjekt gewisse Datentraeger lassen nur gewisse Daten zu: Tontafel nur Text, Buch auch Bilder, CD/DVD auch Musik und FIlm – aber nur zB. bis 30,000Hz

Adäquatheit Ziel: Erstellung einer explanativ adäquaten Grammatiktheorie. Deskriptive Adäquatheit: Korrekte Beschreibung aller Eigenschaften der untersuchten Phänomene. Explanative Adäquatheit: Korrekte und plausible Beschreibung aller Eigenschaften der untersuchten Phänomene. Phänomen/Beobachtung: Essen im Restaurant ist besser als Essen am Schiff. Essen am Schiff ist besser als Essen in der Bahn. Essen in der Bahn ist besser als Essen im Flugzeug. Deskriptive adäquate Erklärung/Theorie: Je schneller man sich bewegt, desto schlechter wird das Essen. Explanativ adäquate Erklärung: Je geringer die Konkurrenz unter Anbietern, desto schlechter wird das Essen. Erweiterung der Daten: U-Boot - bekannt schlechtes Essen.  Ist die Theorie noch deskriptiv adäquat?

Beispiele Adäquatheit Deskriptiv adäquate Theorien: Theorie, die Artenvielfalt durch Kreationismus, Intelligentes Design, oder Referenz auf Aliens erklärt. Theorie der Sprache, die 26 verschiede Regelgruppen für Sätze umfaßt, welche mit dem jeweiligen Anfangsbuchstaben des Satzes variieren: eine Gruppe für Sätze, die mit 'A' beginnen, eine für Sätze die mit 'B' beginnen,… (1) Alle Kamele sind Säugetiere.  generiert durch Regel 1 (2) Beide Höcker des Kamels enthalten einen Ersatzhuf.  generiert durch Regel 2 (3) Caesium ist schwerer als Wasser.  generiert durch Regel 3 Explanativ adäquate Theorien: Theorie der Evolution durch Selektion Theorie der Sprache, die (1) und (2) mit den gleichen Regeln generiert (da sie strukturell ähnlich sind), und (3) mit einer anderen (da (3) nicht strukturell mit (1) oder (2) verwandt ist). Intelligentes Design vs. Evolutionstheorie Alle sind Zombies, ohne es zu merken