Selbsterhaltungstherapie (SET) in der Begleitung und Förderung von Menschen mit Demenz Dr. phil. Barbara Romero

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 Präsentation transkript:

Selbsterhaltungstherapie (SET) in der Begleitung und Förderung von Menschen mit Demenz Dr. phil. Barbara Romero Regensburg,

G ESUNDHEITSBEZOGENE L EBENSQUALITÄT Menschen in Deutschland im Durchschnitt:80

Kind P et al., BMJ, 1998, 316: 736–741

„Das Alter ist fürchterlich. Es raubt einem nach und nach alles, was einem lieb und wichtig war, alles, worauf er glaubte, sich verlassen zu können. Einen Vorteil sehe ich da nicht“. „Ich möchte noch möglichst lange Zeit etwas tun können. Was mich am Tod vor allem schreckt, ist die Gewissheit, nicht mehr die Zeitungen des nächsten Tages lesen zu können. Ich möchte gerne erfahren, wie es weiter geht. Ich möchte dabei sein“. Reich-Ranicki, 92, FOCUS, 10. Sept. 2012

Eigene Daten, Studie SKEPSIS: Menschen mit Demenz, Selbstbeurteilung: 67 N = 107, Alter 72 Jahre (52 – 89) Menschen mit Demenz, Beurteilung durch Ang.:45

LEBENSQUALITÄT BEI DEMENZ: DISABILITY PARADOX Die Betreuer schätzen die Lebensqualität der Patienten systematisch schlechter ein als die Betroffenen selbst Je schwerer der Grad der Erkrankung, umso schlechter wird die Übereinstimmung u. a. Vogel et al. 2006, Sands et al. 2004, Wlodarczyk et al

Lebensqualität bei Patienten mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) Betreuer unterschätzen LQ von ALS Kranken (Trail et al., 2003) In mehreren Untersuchungen berichteten ALS-Patienten über eine zum Teil erstaunlich hohe subjektiv empfundene Lebensqualität trotz ihrer starken physischen Einschränkungen Lulé et al., 2008

Niels Birbaumer, Psychologieprofesor, Tübingen, Washington: Anfangs fürchten ALS-Patienten den späteren Autonomie- und Kontrollverlust. Diese Angst nimmt mit dem Fortschreiten der Erkrankung ab. Es verändert sich, was im Leben zählt, die allgemeine Zufriedenheit bleibt aber dennoch oft erhalten! Voraussetzung dafür ist, dass die Patienten ein soziales Umfeld haben, dass sie Zuwendung und Anregungen bekommen. Die eigene Lebensqualität hängt davon ab, wie die Umgebung mit einem umgeht.

T HEORETISCHES K ONZEPT S ELBSTERHALTUNGSTHERAPIE (SET) – R ESSOURCEN ORIENTIERTE Z IELSETZUNG Hilfe zur Adaptation an sich verändernde Lebensbedingungen ist wichtiger als wenig Erfolg versprechende Versuche, kognitive Verluste durch ein Training auszugleichen.

S ELBSTERHALTUNGSTHERAPIE : V ERFAHREN  Anpassung von Aktivitäten, Erlebnissen, Formen der gesellschaftlichen Teilhabe (unterstützende Beteiligung des Umfeldes)  Anpassung der Kommunikation (Anpassung des Umfeldes)  Anpassung des materiellen Umfeldes

SET – A NPASSUNG DER ALLTÄGLICHEN A KTIVITÄTEN o Eine adäquate Beschäftigung bedeutet eine optimale Partizipation am Alltagsleben o Eine dauerhafte Unter- oder Überforderung wirkt als chronischer Stressfaktor. o nicht-organisierte, „freie“ Zeit kann zu einer leeren Zeit und zu einer Belastung werden

Die Kunst, Hilfe zu leisten Hilfe anpassen (Anziehen, Kochen) Umgang mit Missgeschicken Anerkennung

SET – A NPASSUNG DER K OMMUNIKATION Die Sichtweise des Kranken und seine Gefühle bestätigen „Ja genau, Du hast völlig recht“ …. Fragen, die ein gutes Gedächtnis erfordern, vermeiden Nicht zu viele Informationen auf einmal Nicht im Beisein des Kranken mit anderen über ihn sprechen Etc.

M ENSCHEN MIT D EMENZ REDEN MIT Es wird viel über Menschen mit Demenz gesprochen, aber wenig mit ihnen. Nicht alle Menschen mit Demenz sind alt, pflegebedürftig und hilflos. Menschen mit Demenz ergreifen selbst das Wort. Sie artikulieren Wünsche und Forderungen, an das unmittelbare soziale Umfeld und an die Gesellschaft.

SET IN VERSCHIEDENEN S TADIEN DER D EMENZ Früh- und mittleres Stadium: Erinnerungsarbeit, geeignete Aktivitäten & bestätigende Kommunikation Fortgeschrittenes Stadium: soziale Anbindung, konfliktarme Umgangsformen, Erlebnisarmut vermeiden, Mobilität soweit möglich erhalten, Schmerzen kontrollieren

„ Das genuin heilpädagogische Anliegen besteht in der Schaffung eines Klimas, welches Sicherheit spendet, ermutigt, kontakt-, beziehungs- und perspektiven fördernd sowie integrierend bzw. inklusiv wirkt. Ohne eine solche „klimatische“ Unterstützung im Alltag können alle Therapien nur eingeschränkt wirken“. Ondracek, 2009, S. 142

D EPRESSION BEI A NGEHÖRIGEN VON M ENSCHEN MIT D EMENZ Kommt häufig vor (leicht bis schwer ausgeprägt) Ist ein Kardinalsymptom der Angehörigen von FTLD

Die deutsche S3 Leitlinie Demenz: eine Edukation der Angehörigen zum Umgang mit psychischen und Verhaltenssymptomen bei Demenz soll angeboten werden  weil sie eine positive Wirkung auf diese Symptome beim Erkrankten haben kann  eignet sich zur Prävention von Erkrankungen, die durch die Pflege und Betreuung hervorgerufen werden und zur Reduktion von Belastung der pflegenden Angehörigen

Zielsetzung der psychosozialen Hilfen für Angehörige Erweiterung der Kompetenz, den Kranken zu unterstützen Erweiterung der Kompetenz, psychosoziale Hilfen in Anspruch zu nehmen

SET IN DER R EHABILITATION : A LZHEIMER T HERAPIEZENTRUM B AD A IBLING B EHANDLUNGSPROGRAMM FÜR P ATIENTEN UND A NGEHÖRIGE

SET im klinischen Bereich: erwartete nachhaltige Effekte im Alltag  Anpassung der Wohnsituation an den Bedarf  Privat (Umfang der Betreuung), WG, Heim  Anpassung der sozialen Teilhabe an den Bedarf  Tagesstätte, andere Betreuungsformen  Andere soziale Kontakte  Freizeitgestaltung, Bewegung  Selbständigkeit  Anpassung der Kommunikation (Umgangsformen, Verstehens)  verminderte Krisen, Konflikte, neuropsychiatrische Symptome  Anpassung an die Krankheitsfolgen (Coping): der Betroffene  Anpassung an die Krankheitsfolgen (Coping): Angehörigen  reduzierte Angehörigenbelastung, Wohlbefinden u. ä.  Prävention, u. a.:  verminderte stationäre Krankenhaus- und Heimaufnahmen (bei Ehepaaren) zu Gunsten niederschwelliger ambulanter Angebote

SET IN DER B ETREUUNG VON M ENSCHEN MIT D EMENZ IN DER STATIONÄREN P FLEGE Erfahrungen aus dem Seniorenpflegeheim St. Bilhildis Mainz Günther Robl, Sozialdienstleitung Margarete Weinbeck, Pflegedienstleitung Erstes SET-Zertifikat für das Seniorenpflegeheim St. Bilhildis in Mainz

Erkennen die individuellen Bedürfnisse und Ressourcen des Bewohners Wohlbefinden in Alltagssituationen: - mag z.B.: Körperpflege (Baden, Kämmen, Parfum, Lippenstift, Puder etc.), Geselligkeit, Süßigkeiten, Besuche, Sitzen neben Frau B., Stationshund Ellen, Sitzen auf Balkon, TV, charmante Herren … - mag z.B. nicht: dunkle Räume, Unruhe, Aufdringlichkeiten, körperliche Nähe außerhalb der Pflege, duschen, leere Zeit … - legt Wert z. B. auf attraktives Erscheinungsbild (Schmuck, frisierte Haare, Gesichtspflege etc.)

Bedürfnisorientierung und Ressourcennutzung in der Planung der Pflege und der sozialen Betreuung Individuelle Kommunikationsformen, z.B.: - nicht zu laut sprechen - bei Pflege: Gegenstände vorzeigen und anfassen lassen - bei Pflegehandlungen Einverständnis einholen - ausreichend körperliche Distanz - kurze und knappe Informationen - Smalltalk

E RKENNEN DIE INDIVIDUELLEN B EDÜRFNISSE UND R ESSOURCEN DES B EWOHNERS Aktuell bedeutsame Erinnerungen, u. a.: - Sport: Ski in Kitzbühl, Tennis im Verein - Tochter Karin Enkelkinder (aßen gern Omas Gemüsesuppe) Jagdhündin Rachel

Erkennen die individuellen Bedürfnisse und Ressourcen des Bewohners Bevorzugte Beschäftigungen, z.B.: - Zeitschriften anschauen - Spaziergänge - Fotos anschauen - Umgang mit Hunden - Backen, Obstsalat schneiden - Garten und Blumen - geselliges Beisammensitzen - Malen - Fernsehen (Tiersendungen)

Die berufliche Kompetenz und die Haltung der HeilpädagogInnen prädestinieren diese Berufsgruppe auf eine besondere Weise, um die von Demenz betroffenen Familien zu unterstützen.

Kontexte heilpädagogischen Interventionen  Stationäre Altenhilfe  Geriatrische Rehabilitation  Gerontopsychiatrische Tagespflege  Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe  Beratungsstellen  Schäper Sabine, Heilpädagogische Unterstützung von alten Menschen mit Demenzerkrankung, 2009, Romero B., Zerfaß R. (2014) Menschen mit Demenz unten uns. Romero B., Zerfaß R. (2013) Selbsterhaltungstherapie (SET) in der Begleitung und Förderung von Menschen mit Demenz. In: Berichte der Bundesfachtagungen des Berufs- und Fachverbandes Heilpädagogik

Müller F, Romero B., Wenz M. Alzheimer und andere Demenzformen. Ratgeber für Angehörige Heel Verlag, 2010 Arno Geiger. Der alte König in seinem Exil, Eine Einladung und Ermutigung zu weiteren Kontakten: