II. John Rawls und die Theorie politischer Gerechtigkeit

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II. John Rawls und die Theorie politischer Gerechtigkeit

II. John Rawls und die Theorie politischer Gerechtigkeit 1921-2002

1. Ausgangspunkt: Kritik des Utilitarismus Jeremy Bentham 1748 - 1832

1. Ausgangspunkt: Kritik des Utilitarismus 1.1 Vier Prinzipien des Utilitarismus Konsequenzprinzip Utilitätsprinzip Maximierungsprinzip Prinzip des größtmöglichen Glücks für die größte Zahl

1. Ausgangspunkt: Kritik des Utilitarismus 1.2 Moralische Erkenntnisregel des Utilitarismus: „Diejenige Handlung ist moralisch richtig, deren Folgen für das Glück und das Wohlergehen aller (Betroffenen) optimal sind“(Wolfgang Kersting)

1. Ausgangspunkt: Kritik des Utilitarismus 1.3 Rawls Einwände gegen den Utilitarismus Auf Fragen der Verteilung der zu maximierenden Nutzensumme und damit auf Fragen der Ungerechtigkeit geht der Utilitarismus nicht ein Jedes Bedürfnis ist für den Utilitarismus ein Wert an sich und mit jedem Bedürfnis und Interesse vergleichbar und verrechenbar Entwürdigung des Individuums als abstrakter Träger von Glücks- und Leideinheiten

2. Gerechtigkeit im Kontext der Moderne Rechtfertigung gesellschaftlicher Ordnung nicht mehr möglich mit Hinweis auf den Willen Gottes oder die Natur Moralische Autonomie des Individuums (normativer Individualismus) Entscheidendes Gültigkeitskriterium für eine gerechtfertigte Ordnung: Zustimmungsfähigkeit für alle Geltung gebunden an gleichberechtigte Teilhabe an einem fairen Verfahren

3. Der Gesellschaftsvertrag Rawls Gerechtigkeitstheorie gehört zu den Vertragstheorien (Kontraktualismus) Der Vertrag als hypothetisches Konstrukt, Gedankenexperiment, regulative Idee Gute Gründe für die Behauptung, dass ein solcher Vertrag hätte geschlossen werden sollen Die Gerechtigkeitsprinzipien sind allgemein verbindlich, die von jedermann gegenüber jedermann öffentlich begründet werden können.

3. Der Gesellschaftsvertrag Gesellschaft als System der Kooperation zum wechselseitigen Vorteil Wie sollen die Gewinne bzw. die Lasten der Kooperation verteilt werden? Das Gedankenexperiment des Gesellschaftsvertrags soll es ermöglichen, Grundsätze der Verteilung festzulegen: (1.) für Grundrechte und Grundpflichten (2.) für die Ergebnisse der Kooperation

3. Der Gesellschaftsvertrag „Wir wollen uns also vorstellen, dass diejenigen, die sich zur gesellschaftlichen Zusammenarbeit vereinigen wollen, in einem gemeinsame Akt die Grundsätze wählen, nach denen Grundrechte und -pflichten und die Verteilung der gesellschaftlichen Güter bestimmt werden. Die Menschen sollen im Voraus entscheiden, wie sie ihre Ansprüche gegeneinander regeln wollen und wie die Gründungsurkunde ihrer Gesellschaft aussehen soll“ (Rawls, 28)

4. Urzustand und Schleier des Nichtwissens 4.1 Elemente des Urzustands (1.) Freie und gleiche Personen stehen sich gegenüber; kein Abhängigkeitsverhältnis (2.) Personen sind am rationalen Selbstinteresse orientiert; jeder will eher mehr als weniger vorteilhafte Güter erhalten (3.) Es geht um die Verteilung von Zentralgütern (Rechte, Freiheiten, Chancen, Einkommen, Vermögen), von denen die jeweilige Lebensplanung fundamental abhängt. (4.) Die Personen überlegen, beraten und beschließen unter dem Schleier des Nichtwissens

4. Urzustand und Schleier des Nichtwissens 4.2 Der Schleier des Nichtwissens „Zu den wesentlichen Eigenschaften dieser Situation gehört, dass niemand seine Stellung in der Gesellschaft kennt, seine Klasse oder seinen Status, ebensowenig sein Los bei der Verteilung natürlicher Gaben wie Intelligenz oder Körperkraft.(...) Die Grundsätze der Gerechtigkeit werden hinter dem Schleier des Nichtwissens festgelegt. Dies gewährleistet, dass dabei niemand durch die Zufälligkeit der Natur oder der gesellschaftlichen Umstände bevorzugt oder benachteiligt wird“ (29).

4. Urzustand und Schleier des Nichtwissens 4.2 Der Schleier des Nichtwissens Funktionen des Schleier des Nichtwissens Das wohlverstandene Eigeninteresse wird verallgemeinerungsfähig (universalisierbar) Der eigene Vorteil lässt sich nur als jedermanns Vorteil denken Was aus Eigeninteresse vernünftigerweise gewollt wird, ist zugleich konsensfähig

5. Zwei Gerechtigkeitsprinzipien 1. Grundsatz: „Jede Person hat ein gleiches Recht auf ein völlig adäquates System gleicher Grundrechte und Grundfreiheiten, das mit dem gleichen System für alle vereinbar ist; und in diesem System müssen die gleichen politischen Freiheiten, und nur diese Freiheiten, ihren gerechten Wert verbürgt bekommen“

5. Zwei Gerechtigkeitsprinzipien 1. Grundsatz: Grundsatz der rechtlich-politischen Gerechtigkeit: politische Wahl- und Beteiligungsrechte, Rede- und Versammlungsfreiheit persönliche Grundfreiheiten: Gewissens- Gedanken- und Religionsfreiheit fundamentale Menschenrechte: Recht auf persönlichers Eigentum, körperliche Unversehrtheit, Sicherheit, Freiheit vor Angst und Terror

5. Zwei Gerechtigkeitsprinzipien 2. Grundsatz: „Gesellschaftliche und ökonomische Ungleichheiten müssen zwei Bedingungen genügen: erstens müssen sie mit Positionen und Ämter verbunden sein, die allen unter der Bedingung fairer Chancen-gleichheit offen stehen, und zweitens müssen sie den größten Vorteil für die am wenigsten begünstigten Mitglieder der Gesellschaft bringen“.

5. Zwei Gerechtigkeitsprinzipien 2. Grundsatz: Grundsatz der sozio-ökonomischen Gerechtigkeit Anwendungsbreich sind soziale und wirtschaftliche Güter, Vermögen, Einkommen und Macht Erlaubniskriterium für sozio-ökonomische Ungleichheit: - freier und fairer Zugang zu allen Positionen gesellschaftlicher und politischer Funktionsmacht - Verbesserung der Aussichten der am wenigsten Begünstigten.

5. Zwei Gerechtigkeitsprinzipien Konflikte zwischen Grundsatz 1 und 2 werden durch eine Vorrangregel für Grundsatz 1 gelöst: „Diese Ordnung bedeutet, dass Verletzungen der vom ersten Grundsatz geschützten gleichen Grundfreiheiten nicht durch größere gesellschaftliche oder wirtschaftliche Vorteile gerechtfertigt oder ausgeglichen werden können“

6. Differenzprinzip und demokratische Gleichheit Das System der natürlichen, formalen Freiheit ist nicht legitimierbar Das System der liberalen Gleichheit (faire Chancengleichheit) genügt ebenfalls den Gerechtigkeitsanforderungen nicht Das System der demokratischen Gleichheit hat ausgleichende, egalisierende Funktionen: „Wer von der Natur begünstigt ist, sei es, wer es wolle, der darf sich der Früchte nur so weit erfreuen, wie das auch die Lage der Benachteiligten verbessert“

7. Leitlinien sozialer Gerechtigkeit Aus Rawls Konzeption sozialer Gerechtigkeit lassen sich drei Leitlinien gewinnen. Soziale Gerechtigkeit verlangt, die Perspektive der am wenigsten Begünstigten einzunehmen Soziale Rechte dienen der Sicherung des gleichen „Werts“ der Freiheitsrechte und politische Teilhaberechte In Gerechtigkeitsdiskursen geht es immer auch um Anerkennung und Selbstachtung