Die phonetischen Grundlagen des Lautwandels

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 Präsentation transkript:

Die phonetischen Grundlagen des Lautwandels Jonathan Harrington

Allgemeine Ziele Inwiefern kann Lautwandel durch die synchronen Vorgänge der Variabilität erklärt werden? d.h. inwiefern entstehen die Bedingungen für Lautwandel durch die normalen Vorgänge der Produktion und Perzeption der Sprache? Perzeption Produktion Akustisches Signal

Theorie des Lautwandels: John Ohala 1. Es gibt universelle Prinzipien, die die Verteilung und die Eigenschaften der Laute in den Sprachen der Welt erklären können, und die wegen der natürlichen Vorgänge der Sprachproduktion und –perzeption entstehen. 2. Viele dieser Vorgänge erklären auch die Eigenschaften des Lautwandels. 3. Die Phonologie zB eine Lautwandel-Regel wie V -> [+nasal] / _ [+nasal] ( ‘Vokale werden vor Nasalen nasalisiert’), ist eine Beschreibung, jedoch keine Erklärung für Lautwandel.

Themen zum Seminar (Allgemein) 1. Wie werden Laute in den Sprachen der Welt durch Prinzipien der Sprachproduktion und –Perzeption gestaltet (z.B. was ist die Erklärung, dass nasalisierte Frikative in den Sprachen der Welt selten sind?). 2. Inwiefern sind diese allgemeinen Prinzipien auch für Lautwandel in den Sprachen der Welt aussagekräftig?

2. John Ohala und die phonetische Grundlage des Lautwandels 1. Einige Lautwandel haben eine physiologische Erklärung. [s] –> [S] vor hohen Vokalen (Engl. ‘passion’) 2. Einige Lautwandel haben eine auditive/perzeptive Erklärung. (zB [x] -> [f] im englischen ‘cough’) 3. Lautwandel entsteht vor allem, wenn natürlich vorkommende, phonetische Variabilität versehentlich vom Hörer als ‘intendiert’ interpretiert wird. (mehr dazu später: Kompensierung fuer Koartikukation)

3. Lautwandel und Aerodynamik Wie wird die Verteilung der Laute in den Sprachen der Welt durch aerodynamische Faktoren beeinflusst? Stimmhafte Frikative sind selten; [g] ist seltener als [b]. Die Aerodynamik von Vibranten Wieso schließen aerodynamische Faktoren z.B. nasale Vibranten in den Sprachen der Welt aus? Synchrone und diachrone Variationen, die wegen der Aerodynamik entstehen: Plosive vor hohen Vokalen werden oft zu Affrikaten Hohe Vokale und Gleitlaute werden oft entstimmt.

4. Lautwandel und die Grundfrequenz Die akustische und physiologische Grundlage der F0-Mikroperturbation ('intrinsic pitch’). F0 ist höher nach stimmlosen, niedriger nach stimmhaften Konsonanten – vielleicht wegen einer größeren muskulären Spannung in den Stimmlippen in stimmlosen Lauten. Beziehung zur phonologischen Entwicklung von Tönen Diese phonetische Variabilität wird phonologisiert. zB wird ein fallende F0 nicht nur nach stimmlosen Ks, sondern nach stimmhaften Ks eingesetzt, um Bedeutungen zu unterscheiden… (der phonetische Ursprung geht verloren).

Lautwandel und die Grundfrequenz (fortgesetzt) 'Frequency code' und der Einfluss von hohen Frequenzen auf Sprachlaute. Frequency code: eine fallende Frequenz für Dominanz, Selbstsicherheit, und Abgeschlossenheit (daher oft in Aussagen). eine steigend Frequency für Unsicherheit, nicht drohend, ‘ich richte mich nach den Bedürfnissen des Hörers’ (wird daher oft fur Fragen eingesetzt).

5. Vokale und ‘chain shifting’ Chain shifting: phonetische Änderungen eines einzigen Vokals haben Folgen für das gesamte Vokalsystem. Northern Cities Shift 2001 The Language Samples Project , http://www.ic.arizona.edu/~lsp/Northeast/ncshift/ncshift2.html

5. Vokale und ‘chain shifting’ Neuseeland Englisch Monophthong-Vokalverschiebungen in Neuseeland-Englisch und 'chain-shifting‘. [I] [« ] [E] [a] [a] –> [E] (had -> head), [E] -> [I] (head -> hid), [I] -> [«] (daher ‘fush and chups’)

5. Vokale und ‘chain shifting’ Merger: Lautwandel, in dem zwei Laute zusammenfallen (zB ‘cot/caught’ in einigen Dialekten in N. Amerika). Merger von [E«] und [I«] in Neuseeland Englisch (‘chair’/’cheer’; ‘bear’/’beer’) ist dies wegen des [E] -> [I] (‚head‘ -> ‚hid‘) Lautwandels zustande gekommen?

Perzeptive Kompensierung für Koartikulation Der Sprecher plant /tut/ zu erzeugen /u/ wird wegen der Koartikulation etwas frontiert: [u] + Akustisches Signal: [tut] + Der Hörer entfernt den Frontierungsanteil (=Kompensierung), der auf die Koartikulation zurückzuführen ist. (Der Hörer weiß, dass /u/ in /t_t/ frontiert wird). Und rekonstruiert daher /tut/ intendiert vom Sprecher. Wenn keine Kompensierung angewendet wird, kann Lautwandel stattfinden. (der Hörer rekonstruiert /tut/) +

Silbenstruktur und Lautwandel Prinzipien des Silbenaufbaus Silbenanlaut /kn/ /nk/ Silbenauslaut /Nk/ /kN/ häufig selten in den Sprachen der Welt Sonoritätshierarchie Plosive > Frikative > Nasale > Liquiden > Gleitlaute > Vokale Die Sonorität tendiert dazu, im Anlaut zu steigen, und im Auslaut zu fallen (z.B. ‘knirscht’) Ohala: das Sonoritätsprinzip ist keine Erklärung (nur eine Beschreibung).

Silbenstruktur und Lautwandel Silbenfinale Ks sind synchron und diachron anfälliger Synchron Diachron Assimilationen sind meistens antizipatorisch /t/ -> /k/ in ‘die Flut kam’ (schnell gesprochen) Aber nicht in ‘er flug tiefer’ (tiefer wird nicht zu Kiefer’) Latein 'septem' ® Franz. 'sept' [set] ('sieben') K-Tilgung eher silbenfinal Neutralisierungen finden eher silbenfinal statt: 'Rat'/'Rad‘ = /Òat/)

Assimilation und Dissimilation Ohala: Warum kommen sie zustande? Aus artikulatorischen oder akustisch/auditiven Gründen? Assimilation Die Eigenschaften eines Kontextlautes werden hinzugefügt (addiert). Dissimilation Die Eigenschaften eines Kontextlautes werden subtrahiert: zB Latein [kwINkwe] -> kINkwe (-> Italienisch [tSINkwe] )

Labialisierung, Palatalisierung, Velarisierung. Lautwandel: /ki/ -> /ti/ (häufig) /ti/ -> /ki/ (selten) Die Begründung: /k/ schließt akustische Eigenschaften von /t/ ein, aber nicht umgekehrt Ähnlich wie: die Buchstabe E wird oft mit F verwechselt, aber F selten mit E. Wieso?

Nasale: allgemeine Prinzipien Welche Faktoren beeinflussen die Verteilung von Nasalen in den Sprachen der Welt? Stimmlose Nasale sind selten Nasale sind diachron stabil (wandeln sich nicht oft in andere Artikulationsarten um) Nasale Frikative sind selten

Vokale, Nasalisierung, allgemeine Prinzipien Velum und Zungenhöhe Je tiefer der Vokal, umso mehr senkt sich der Velum, wenn Vokale nasalisiert werden ([a)] ist nasalisierter als [u)]). Nasalisierung hat eine Senkung der auditiven Vokalqualität zur Folge Wenn /E/ nasalisiert wird, wird oft [a)] wahrgenommen. Nasalisierung schränkt die wahrgenommene Vokalhöhe ein daher mehrere Sprachen mit [i, e, a], aber nur die wenigsten mit [i) e) a)].

Nasale und Lautwandel Wie lassen sich diese Lautwandel, aus artikulatorischen und auditiven Prinzipien erklären? Wieso: werden Nasale oft vor Frikativen getilgt (daher ‘funf’ jedoch Englisch ‘five’) können Nasale vor Frikativen eingefügt werden (spontaneous Nasalisation). ist es wahrscheinlicher, dass Nasale vor stimmhaften im Vgl. zu stimmlosen Ks eingefügt werden (Hindi).

Obstruenten Einfügung Obstruenten (= Plosive, Affrikaten, Frikative) werden oft synchron und diachron eingefügt. Was ist die artikulatorische/auditive Erklärung dafür? synchron ‘else’: /els, elts/ Englisch ‘youngster’ /jÃNkst« , jÃNst«/ (‘mince’ ‘mints’ sind homophon) diachron Latein kamera -> französich chambre Latein slavo -> italienisch skjiavo

Lautwandel und Spracherwerb Inwiefern greifen Lautwandel und Fehler bei Spracherwerb von Kindern auf die selben auditiven/artikulatorischen Prinzipien? Lautwandel Nasale Konsonanten sind diachron stabil nasale Konsonanten werden im Spracherwerb frühzeitig von oralen Konsonanten differenziert (Jacobson, 1968) Stimmlose Nasale wie /n8/ stammen oft aus /s/ + Nasal /s/ + Nasal werden oft als einen stimmlosen Nasal zusammengelegt: zB ‘sneeze’ -> [n8i:z] usw. Spracherwerb

Lautwandel und die biologische Evolution Björn Lindblom: Variation in der gesprochen Sprache entsteht, weil sich der Sprecher nach den Bedürfnissen des Hörers richtet. Inwiefern ensteht Lautwandel aus einer solchen Variation? In Biologie entsteht Variation dadurch, dass sich eine Spezies der Umwelt anpasst. Inwiefern ist Lautwandel ähnlich wie die biologische Evolution einer Spezies?

Nächste Woche JMH und Thema 2 Danach 27 Fragen sind vorhanden Jede Frage reicht für einen Vortrag von 25-35 Min. Jede(r) muss einen Vortrag halten. Eine Hausarbeit dazu bis vor Ende des Semesters einreichen. 2 Vorträge pro Woche Die Reihenfolge der Themen (2 vor 3, 3 vor 4) soll etwa eingehalten werden (jedoch nicht unbedingt die Reihenfolge der Fragen innerhalb eines Themas) Andere Fragen/Themen sind (nach Absprache) möglich Ich benötige spätestens bis nächste Woche Meldungen für Woche 3 und 4 (vier Vorträge).

Mir bitte heute/morgen eine Email mit Ihrem Namen zukommen lassen: jmh@phonetik.uni-muenchen.de